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NAHOST/1143: Atomstreit mit dem Iran vor Verhandlungslösung? (SB)


Atomstreit mit dem Iran vor Verhandlungslösung?

Der Iran gerät schon wieder zum großen Wahlkampfthema in den USA



In den nächsten Tagen kommt es - aller Wahrscheinlichkeit nach in Istanbul - zu einer erneuten und vielleicht letzten Verhandlungsrunde im sogenannten Atomstreit mit dem Iran. Für den Fall, daß die Verhandlungen scheitern, droht Israel, dessen Regierung dem Iran explizit das Streben nach dem Besitz von Nuklearwaffen unterstellt, die Atomanlagen der Islamischen Republik mit Bomben und Raketen anzugreifen. US-Präsident Barack Obama, der nach eigenen Angaben eine diplomatische Lösung vorzieht, versucht, Teheran mittels Wirtschaftssanktionen und Kriegsdrohungen - zwei US-Flugzeugträger, die Enterprise und die Abraham Lincoln, haben samt Begleitflotten am Persischen Golf bereits Posten bezogen - zum Einlenken zu bewegen. Wenngleich beide Seiten eine gewisse Kompromißbereitschaft signalisieren, sind die Anzeichen insgesamt negativ. Mehr als drei Jahre lang hatte Obama Gelegenheit gehabt, sich mit der iranischen Regierung um Präsident Mahmud Ahmadinedschad zu arrangieren. Die Chancen, daß es Obama im Wahlkampfjahr in den USA schafft, das Kriegsbeil gegenüber dem Iran zu begraben und eine neue Ära in den bilateralen Beziehungen beider Staaten einzuläuten, sind gering bis nicht vorhanden. Der letzte US-Präsident, der mit einer radikalen Wendung auf ein traditionelles Feindesland zuging - Richard Nixon 1972 mit seinem spektakulären Besuch der kommunistischen Volksrepublik China -, sah sich nur zwei Jahre später seines Amtes enthoben.

Der Handlungsspielraum des Präsidenten der Vereinigten Staaten ist enger, als man es vielleicht glauben möchte. Stets hat der Demokrat Obama gegenüber dem Iran eine harte Haltung einnehmen müssen, um sich nicht den Vorwurf seitens der Republikaner einzuhandeln, die iranischen Mullahs tanzten ihm auf der Nase herum. Als Ahmadinedschad Obama zu seinem Sieg über John McCain bei der Präsidentenwahl im November 2008 schriftlich gratulierte und seine Hoffnung auf eine Wende in den bilateralen Beziehungen zum Ausdruck brachte, erhielt er keine Erwiderung. Nach dem Einzug ins Weiße Haus Anfang 2009 hat Obama einmal rhetorisch die Hand der Freundschaft in Richtung Teheran ausgestreckt, dafür aber gleichzeitig die Forderung erhoben, die Iraner sollten ihrerseits endlich auf die Faust des Hasses verzichten.

Der Ton aller Mitteilungen der US-Regierung zum Thema Iran ist von Herablassung gekennzeichnet. Teheran wird niemals als gleichwertiger Gesprächspartner, sondern als internationales Problemkind behandelt, dem man bessere Manieren beibringen müßte. Ungeachtet des Chaos, das die USA mit ihren Militärinterventionen in Afghanistan, im Irak und Libyen gestiftet haben, heißt es aus Washington stets, der Iran sei der größte "staatliche Sponsor" von "Terrorismus" auf der Welt. Daß dieser Vorwurf nicht sonderlich ernst zu nehmen ist, zeigt die jüngste Enthüllung Seymour Hershs am 6. April auf der Website der Zeitschrift New Yorker. Demnach wurde ab 2005 mehrere Jahre lang auf einem entlegenen ehemaligen Atomtestgelände des US-Energieministeriums in Nevada Freiwillige der iranischen Volksmudschaheddin (MEK), obwohl diese seit 1997 auf der offiziellen "Terror"-Liste des State Department in Washington stehen, vom Joint Special Operations Command (JSOC) für den Einsatz im Iran - Spionage, Sabotage usw. - ausgebildet. Beobachter gehen davon aus, daß die tödliche Anschlagsserie, die in den letzten Jahren fünf iranischen Wissenschaftlern das Leben kostete, auf das Konto der MEK und des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad geht.

Nichtsdestotrotz gibt es Anzeichen, daß Obama einer Kompromißlösung im Prinzip nicht abgeneigt ist. Am 6. April berichtete der Journalist David Ignatius in seiner Kolumne bei der Washington Post, Obama hätte über den türkischen Premierminister Recep Tayyip Erdogan eine mündliche Botschaft an Ajatollah Ali Khamenei, dem geistlichen Oberhaupt des Irans, gerichtet. Die Botschaft, die Erdogan auf dem Gipfel für Nuklearsicherheit in Seoul von Obama erhalten und wenige Tage später Khamenei in Teheran übermittelt haben soll, lautet angeblich wie folgt: Wenn der Iran Khameneis jüngster Erklärung, wonach das Land "niemals nach dem Besitz von Nuklearwaffen streben" werde, konkreter Ausdruck verleihen würde, wären die USA im Gegenzug bereit, die Anreicherung von Uran auf fünf Prozent U235 - genug für die Herstellung von Brennstäben zwecks ziviler Nutzung in der Kernkraft - zu akzeptieren.

Die offizielle Position, mit der Washington in die sogenannten 5+1-Gespräche mit dem Iran (5+1 = die fünf ständigen UN-Vetomächte China, Frankreich, Großbritannien, Rußland und die USA plus Deutschland) geht und die am 8. April in der New York Times publik gemacht wurde, sieht dagegen weniger konziliant aus. Demnach müsse der Iran, damit das Handelsembargo der USA und EU aufgehoben wird, folgende Forderungen erfüllen: Einstellung der Urananreicherung; Schließung der unterirdischen Anreicherungsanlage Fordo in einem Berg nahe der Pilgerstadt Qom; Aushändigung der rund 100 Kilogramm Uran, welche die Iraner auf 20 Prozent U235 angereichert haben, um in einem Testreaktor in Teheran aus der Zeit des Schahs radioaktive Isotope zur Behandlung von Krebspatienten gewinnen zu können; freier Zugang für Inspekteure der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) zu allen Anlagen und Wissenschaftlern, die direkt oder indirekt mit einem iranischen Atomwaffenprogramm zu tun gehabt haben könnten.

Auf einer Pressekonferenz am 8. April hat Fereydoon Abbasi, der Chef der iranischen Atomenergieagentur, die Bereitschaft Teherans, Uran künftig nur noch auf 3,5 Prozent U235 anzureichern und auf die Anreicherung auf 20 Prozent zu verzichten, verkündet, da man bis auf weiteres genug Material für den Testreaktor in Teheran und die Produktion von Isotopen für die Behandlung von Krebskranken vorrätig habe. Mit dem Vorschlag wäre die Gefahr einer militärischen Nutzung des Urans, das für die Herstellung eines Atomsprengkopfes auf mehr als 90‍ ‍Prozent U235 angereichert werden müßte, durch den Iran praktisch gebannt. Gleichwohl schloß Abbasi sowohl die Übergabe des auf 20 Prozent angereicherten Urans an das Ausland als auch die Schließung von Fordo kategorisch aus und nannte beide Forderungen "irrational".

In einem Artikel, der am 11. April von der in Dubai auf Englisch erscheinenden Tageszeitung The National veröffentlicht wurde, hat Sir Peter Jenkins, der frühere britische Botschafter bei der IAEO, die Forderung nach der Schließung der Anlage in Fordo, solange die USA ihrerseits nicht bereit sind, den Iranern eine Garantie zu geben, daß man keinen "Regimewechsel" in Teheran anstrebe und das Land nicht angreifen werde, als Stolperstein identifiziert, der die kommenden 5+1-Verhandlungen zum Scheitern bringen könnte. Gleichwohl wollte Jenkins die Möglichkeit nicht ausschließen, daß die Obama-Regierung mit einer recht drastischen Maximalposition in die Verhandlungen geht, um die Israelis "zu beruhigen" und damit Platz für die Suche nach einer tragfähigen, für alle Seiten akzeptablen Kompromißlösung zu schaffen. Wäre das tatsächlich der Fall, dann erfüllte die eingangs erwähnte Stationierung der USS Enterprise und USS Abraham Lincoln eine ähnliche Funktion.

Tatsächlich macht die rechtsgerichtete israelische Regierung um Premierminister Benjamin Netanjahu im "Atomstreit" mit dem Iran sehr viel Druck. Sie hat das iranische Atomprogramm zu einer "existentiellen Bedrohung" Israels aufgebauscht. Die harte Haltung Israels gegenüber der Islamischen Republik ist Wasser auf die Mühle derjenigen reaktionären Kräfte in den USA, die den Sturz des Schahs infolge der islamischen Revolution nicht verwunden haben und bis heute danach trachten, in Teheran das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Hinzu kommt, daß Netanjahu, der Obama seit drei Jahren in der Nahost-Politik zum Hampelmann macht, mit dessen Rivalen um die US-Präsidentschaft, den republikanischen Bewerber Mitt Romney, befreundet ist.

Wie Michael Barbaro in einem am 8. April bei der New York Times erschienenen, längeren Artikel berichtete, kennen sich Romney und Netanjahu seit ihren gemeinsamen Tagen Mitte der siebziger Jahre als Mitarbeiter der Boston Consulting Group. Seitdem pflegen sie ihre Männerfreundschaft regelmäßig "über Essen in Boston, New York und Jerusalem". Als Romney 2003 Gouverneur von Massaschusetts wurde, hat er sich beim damaligen israelischen Finanzminister Rat geholt, wie man die öffentliche Verwaltung verkleinern könnte. Netanjahu hält Romney im "Atomstreit" auf dem aktuellen Stand - was vielleicht erklärt, warum der gläubige Mormone in den letzten Wochen und Monaten durch anti-iranische, kriegstreibende Rhetorik Obama als außenpolitischen Weichling hinzustellen versucht.

Die likud-republikanischen Achse Netanjahu-Romney stellt für die Wiederwahl Obamas eine nicht zu unterschätzende Bedrohung dar. Deswegen wird er wahrscheinlich alles tun, um nicht dem gleichen Schicksal wie sein demokratischer Parteikollege Jimmy Carter zu erliegen. 1980 erhielt Carter keine zweite Amtszeit als Präsident und unterlag seinem republikanischen Herausforderer Ronald Reagan vor allem deshalb, weil es ihm nicht gelungen war, rechtzeitig zum Urnengang im November desselben Jahres die US-Botschaftsangehörigen aus der Geiselhaft im Iran zu befreien. Damals hieß es, der ehemalige peanut farmer aus Georgia hätte wegen fehlender Durchsetzungsfähigkeit außenpolitisch versagt. Später wurde bekannt, daß Reagans Wahlkampfteam - allen voran der spätere CIA-Chef William Casey und Vizepräsident George Bush sen. - mit den "bösen" Mullahs einen perfiden und nach US-Gesetz illegalen Deal ausgehandelt hatte. Demnach gaben die islamischen Revolutionäre in Teheran die US-Botschaftsangehörigen erst nach der Präsidentenwahl frei und bekamen dafür unter der Hand Ersatzteile für ihre amerikanischen Kriegsgeräte geliefert, um die Invasion der irakischen Streitkräfte Saddam Husseins abwehren zu können. Aus jenem Komplott erwuchs später die sogenannte Iran-Contra-Affäre. Seitdem bauen Washington und Teheran kräftig an einem Labyrinth des gegenseitigen Mißverständnisses. Es wäre wünschenswert, fänden Obama, US-Außenministerin Hillary Clinton, Khamenei, Ahmadinedschad und ihre Unterhändler noch rechtzeitig einen Weg daraus, um einen drohenden Krieg am Persischen Golf zu vermeiden, doch die Wahrscheinlichkeit dafür liegt leider nicht besonders hoch.

11.‍ ‍April 2012