Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

NAHOST/1152: US-Militärpräsenz verschärft Bürgerkrieg im Jemen (SB)


US-Militärpräsenz verschärft Bürgerkrieg im Jemen

Sanaa erlebt den schwersten Anschlag in seiner Geschichte



Im Jemen verschärft sich die innenpolitische Lage zusehends. Die endgültige Ablösung des autoritären Ali Abdullah Saleh nach 33 Jahren als Präsident im vergangenen Februar durch seinen früheren Stellvertreter Abed Rabbo Mansour Hadi hat zwar die vordringlichste Forderung der Demokratiebewegung erfüllt, dem Land aber keinen Frieden gebracht. Im Gegenteil nimmt der Konflikt zwischen den verschiedenen Ethnien, religiösen Gemeinden, Stämmen und politischen Fraktionen zu. Dazu kommt die Einmischung der USA, die nicht nur über die Machtverteilung in der Hauptstadt Sanaa mitentscheiden, sondern auch mittels Raketenangriffe und des Einsatzes von Spezialstreitkräften ihren "Antiterrorkrieg" gegen jemenitische Islamisten führen wollen.

Seit dem Ausbruch der Proteste gegen Saleh im vergangenen Jahr im Zuge des sogenannten Arabischen Frühlings scheint der Aufstand der schiitischen Houthi-Rebellen im Norden Jemens, die nach Angaben Riads vom Iran unterstützt werden, nachgelassen zu haben. Dafür befindet sich der Süden immer mehr im Aufruhr. Dort wünschen sich viele Menschen die erneute Unabhängigkeit Südjemens, wie sie bis vor 22 Jahren existiert hatte. Damals haben Salehs Truppen, unterstützt von Saudi-Arabien und gewaltbereiten salafistischen Veteranen des Afghanistankrieges gegen die Sowjetunion, die Vereinigung des religiös-konservativen Nord- mit dem einst sozialistischen Südjemen gewaltsam durchgesetzt. Dieselben Afghanistankriegsveteranen sind es, die in den vergangenen Monaten als Al Qaeda in the Arabian Peninsula (AQAP) bzw. Anschar Al Scharia im Süden und Osten Jemens mehrere islamische Emirate ausgerufen haben. Aus ihrem Umfeld sollen auch Personen stammen, die 2000 in den Bombenangriff auf den US- Lenkwaffenzerstörer Cole im Hafen von Aden und in die Flugzeuganschläge vom 11. September in den USA verwickelt waren, und die im Dezember 2009 den nigerianischen "Unterhosenbomber" Umar Farouk Abdulmutallab mit einer Passagiermaschine nach Chicago entsandten.

Zur einer erscheckenden Demonstration der Gefährlichkeit der Islamisten kam es am 20. Mai, als ein Selbstmordattentäter der Ansar Al Scharia mehr als 100 Soldaten, die in der Hauptstadt Sanaa für eine große Militärparade zwei Tage später zur Feier der Vereinigung des Jemens probten, mit in den Tod riß und weitere 200 schwer verletzt zurückließ. Es stellt sich jedoch die Frage, wie der Dschihadist die ganzen Sicherheitsvorkehrungen überwinden konnte. Das Gelände war seit Tagen schwer abgeriegelt. An der Probe nahmen nur Mitglieder der republikanischen Garde teil, die in dem Ruf der Loyalität gegenüber dem Klan des Ex-Präsidenten steht und von dessen Sohn und einst designierten Nachfolger Ahmed Saleh befehligt wird. Als mögliches Angriffsziel gilt Verteidigungsminister Mohammed Nasser Ahmed, der gerade den Paradeplatz betreten hatte, als der Täter seinen Sprengstoffgürtel zündete. In Reaktion auf den blutigsten Anschlag in der Geschichte des Jemens entließ Präsident Hadi zwei führende Militärkommandeure, die beide zum Saleh-Klan gehören. Salehs Neffe Jahia Saleh und sein Schwiegersohn Mohammed Al Kousi verloren ihren Posten als Oberbefehlshaber der Zentralen Sicherheitskräften respektive als Polizeichef.

Interessanterweise wurden am selben Tag erstmals seit der Beinahe-Versenkung der Cole US-Militärangehörige im Jemen Opfer eines Anschlages. In Hudaida, einer Hafenstadt am Roten Meer, wurde aus einem vorbeifahrenden Auto auf vier US-Bürger geschossen, als sie gerade ihr Hotel verließen und in den eigenen Geländewagen stiegen. Zwei von ihnen erhielten Schußverletzung - der eine am Hals, der andere am Bein. Über den Grund für die Anwesenheit der Amerikaner in Hudaida herrscht Unklarheit. In einigen Medienberichten wurden sie als US-Militärausbilder, in anderen als private Sicherheitsdienstleister und in noch anderen als Angehörige der US-Küstenwache bezeichnet. Währenddessen soll ebenfalls am selben Tag Generalmajor Kenneth Tovo, Leiter der Spezialstreitkräfte beim US-Zentralkommando, die Region um die Stadt Jaar in der Provinz Abidschan, wo sich die jemenitische Armee und Ansar Al Scharia zuletzt schwer Kämpfe lieferten, besucht und an die Verbündeten Washingtons Ratschläge erteilt haben. Unter Verweis auf eine entsprechende Stellungnahme auf der Website des jemetischen Verteidigungsministeriums zitierte die Nachrichtenagentur Reuters Tovo wie folgt: "Die jemenitische Streitkräfte werden die erforderliche Unterstützung erhalten, um Al Kaida zerstören zu können."

Angesichts der Entwicklung in Afghanistan, wo es der gesamten NATO seit mehr als zehn Jahren nicht gelungen ist, die Taliban zu bezwingen, braucht man die vollmundigen Absichtserklärungen ranghoher US-Armeeoffiziere nicht sonderlich ernst zu nehmen. Gleichwohl muß man davon ausgehen, daß sich die US-Militärintervention in Jemen ähnlich desaströs wie diejenige am Hindukusch und im Irak auswirken wird.

23. Mai 2012