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NAHOST/1207: Waffenruhe im Gazakrieg läßt auf sich warten (SB)


Waffenruhe im Gazakrieg läßt auf sich warten

Deeskalation des Konfliktes fällt Israel und der Hamas schwer



Noch am achten Tag tobt der Gazakrieg auf hohem Niveau - und das, obwohl der ägyptische Präsident Mohammed Mursi bereits für gestern Abend die Verkündung eines Waffenstillstands in Aussicht gestellt hatte. Trotz der Ankunft von US-Außenministerin Hillary Clinton, die extra ihre gemeinsame Südostasienreise mit Präsident Barack Obama abbrach, um zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln, ist es nicht zu der erhofften Feuerpause gekommen. Statt dessen hat die israelische Luftwaffe in der Nacht vom 20. auf den 21. November ihre bisher schwersten Angriffe geflogen, die 26 Menschen das Leben kosteten. Während dessen hat die Hamas mit Raketenangriffen zwei Israelis - einen Zivilisten und einen Soldaten - getötet. Inzwischen liegt auf palästinensischer Seite die Zahl der Todesopfer bei 150 und der Verletzten bei rund 1000, während die Israelis 5 Tote zu beklagen haben. 21 Menschen wurden am 21. November verletzt, als nahe des israelischen Verteidigungsministeriums in Tel Aviv eine Bombe in einem Linienbus explodierte.

Als am Abend des 20. November die Zeit verstrich, ohne daß ein Waffenstillstand verkündet wurde, machten Vertreter der im Gaza-Streifen regierenden Hamas-Bewegung Israel für die Verzögerung verantwortlich. In Kairo seien die letzten Details eines Abkommens ausgehandelt worden, doch die israelische Regierung nehme dazu keine Stellung, hieß es. Statt dessen trat am späten Abend in Westjerusalem der israelische Premierminister in Begleitung der kurz zuvor eingetroffenen Hillary Clinton vor die Presse. Der Likud-Chef erklärte, Israel sei zu einer Beendigung der Kampfhandlungen bereit, verlange jedoch ein dauerhaftes Ende des Raketenbeschusses aus dem Gazastreifen und werde sich mit keiner faulen Zwischenlösung zufrieden geben. Ihrerseits gab die ehemalige First Lady, der gute Chancen nachgesagt wird, 2016 erste Präsidentin der USA zu werden, zum Protokoll, daß die Sicherheitsgarantie Washingtons für Israel "felsenfest" sei. Gleichwohl machte Clinton klar, die USA seien an einer Lösung interessiert, die Israelis und Palästinensern gleichermaßen Frieden bringe.

Wie man weiß, besteht die internationale Diplomatie zu einem nicht geringen Teil in der Theatralik. Die Tatsache, daß Clinton als Vermittlerin gekommen war, deutete daraufhin, daß ein Ende der Kämpfe bevorstand. Wäre das nicht der Fall, hätte Obama seine Chefdiplomatin nicht in die Krisenregion entsandt. Ohnehin hatte Obama am selben Tag Medienberichten zufolge mindestens dreimal mit Mursi telefoniert, der in Kairo mit der Führung der Hamas und des Islamischen Dschihads sowie eines oder mehreren israelischen Unterhändlern nach einer für alle Seiten befriedigenden Lösung suchte. Möglicherweise haben die Israelis Mursi den frühen Erfolg nicht gegönnt und ihn deshalb auf die Folter gespannt. Schließlich ist die Hamas als palästinensische Ablegerin aus der ägyptischen Moslembruderschaft, der Mursi bis zu seiner Wahl im Juni als erster ziviler Präsident am Nil angehörte, hervorgegangen. Dies erklärt, warum es am nächsten Tag in der israelischen Presse hieß, die Verhandlungen seien nicht zum Abschluß gekommen, weil Mursi zu sehr die Interessen der Hamas berücksichtigt hätte, statt den ehrlichen Makler zu spielen.

Inzwischen ist der Deal in groben Zügen bekannt. Die Hamas garantiert ein Ende der Raketenschüsse und erklärt sich bereit, dies auch gegenüber den anderen Milizen im Gazastreifen durchzusetzen. Ägypten soll die Einhaltung des Abkommens mit garantieren - unter anderem, indem es den Waffenschmuggel von der Sinai-Halbinsel in den Gazastreifen unterbindet. Im Gegenzug soll später die Grenze zwischen Gaza und Ägypten für den Personenverkehr und den Handel weitestgehend geöffnet werden, um eine Normalisierung des Lebens für die 1,7 Millionen Menschen in der palästinensischen Mittelmeerenklave zu ermöglichen. Seit die Hamas 2007 endgültig die Kontrolle über den 41 Kilometer langen und zwischen sechs und 12 Kilometer breiten Küstenstreifen übernommen hat, hat Israel ihn von der Außenwelt abgeschnitten.

Nach einem Besuch am Vormittag des 21. November beim palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas in Ramallah im Westjordanland, kam Clinton am Nachmittag erneut mit Netanjahu in Westjerusalem zusammen, bevor sie nach Kairo aufbrach. Dort sollte am Abend doch noch die ersehnte Feuerpause verkündet werden. Vermutlich wird Präsident Mursi die entsprechende Erklärung in Anwesenheit Clintons abgeben. Eine solche Inszenierung käme allen Beteiligten zugute. Mursi hätte seine erste Bewährungsprobe als Staatsmann gemeistert und Ägypten nach dem langen Dornröschenschlaf der Ära Hosni Mubaraks wieder als die arabische Führungsmacht etabliert. Netanjahu hätte kurz vor den Knesset-Wahlen am 22. Januar durch den Konflikt Entschlossenheit gezeigt, am Ende ein gutes Verhandlungsergebnis erzielt und durch den Verzicht auf eine Bodenoffensive Weisheit demonstriert. Die Hamas hätte unerwartete Kampfkraft - man bedenke den erstmaligen Raketenbeschuß von Tel Aviv und Jerusalem - an den Tag gelegt und den Sprung von der "Terrororganisation" zur ernstzunehmenden, von der ganzen arabischen Diplomatie hofierten Politakteurin geschafft. Obama und Clinton hätten die Kritik der Republikaner, Washingtons Kooperation mit gemäßigten islamistischen Kräften im Nahen Osten im Zuge des sogenannten "Arabischen Frühlings" sei zum Scheitern verurteilt, eindrucksvoll widerlegt.

21. November 2012