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NAHOST/1211: Keine Konferenz über atomwaffenfreie Zone in 2012 (SB)


Keine Konferenz über atomwaffenfreie Zone in 2012

Israels Gaza-Offensive torpediert internationale Abrüstungsbemühungen



Vor Ende dieses Jahres sollte in Helsinki unter der Schirmherrschaft Großbritanniens, Rußlands und der USA eine internationale Konferenz über die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten stattfinden. Am 25. November hat jedoch Victoria Nuland, Sprecherin des US-Außenministeriums, den Zeitplan für illusorisch erklärt und auf die Spannungen in der Region verwiesen. Diese sind nach der Offensive Israels gegen das Gazastreifen, genannt Operation Wolkensäule, die vom 14 bis zum 22. November dauerte und lediglich durch eine informelle, auf palästinensischer Seit von Ägypten mitgarantierte Feuerpause zu Ende ging, zum Zerreißen gespannt.

Die Nachricht über die Vertagung der Konferenz ist nicht zuletzt deshalb enttäuschend, weil an einem Vorbereitungstreffen am 5. November in Brüssel ranghohe Diplomaten aus Israel und dem Iran teilgenommen hatten. Die Israelis werfen den Iranern seit einiger Zeit vor, hinter dem Vorwand der Kernenergieerzeugung heimlich ein Atomwaffenprogramm zu betreiben. Teheran weist den Vorwurf weit von sich, bekennt sich immer wieder zum Ziel einer atomwaffenfreien Welt und verlangt seinerseits von Israel, das es endlich dem Nicht-Verbreitungsabkommen beitritt und auf das eigene nicht-deklarierte Nuklearwaffenarsenal verzichtet. Ungeachtet der sehr weit auseinanderliegenden Positionen soll die Diskussion in Brüssel unter Teilnahme von Ali Asghar Soltanieh, Irans Vertreter bei der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) in Wien, und Jeremy Issacharoff, dem im israelischen Außenministerium für strategische Fragen zuständigen Staatssekretär, "respektvoll und positiv" verlaufen sein. Dies meldete am nächsten Tag die Londoner Tageszeitung Guardian.

Doch der einwöchige Gazakrieg hat die Konfrontation zwischen Teheran und Tel Aviv verschärft. Im Verlauf der Auseinandersetzung haben die palästinensischen Kämpfer der Hamas und des Islamischen Dschihads erstmals von Gaza aus das 60 Kilometer entfernte Tel Aviv und das 75 Kilometer entfernte Jerusalem mit Raketen erreicht. Bei den Raketen sollen es sich um das iranische Modell Fajar-5 gehandelt haben. Ob die Palästinenser sie anhand iranischer Blaupausen und Komponenten unterschiedlicher Herkunft selbst gebaut haben oder sie im Original aus dem Iran kamen und über das Rote Meer und die ägyptische Sinai-Halbinsel in den Gazastreifen geschmuggelt wurden, ist derzeit völlig unklar. Jedenfalls berichtete am 25. November die Londoner Times unter Verweis auf den mossad-nahen, privaten Nachrichtendienst Debkafile, wenige Tage zuvor hätte ein mit neuen Fajar-5-Raketen beladener Frachter den iranischen Hafen Bandar Al Abbas verlassen und steuere das Rote Meer an. Die Sunday Times zitierte einen nicht namentlich genannten Vertreter Tel Avis dahingehend, daß die israelischen Streitkräfte "unabhängig von der Feuerpause jede Waffenlieferung" für Gaza rechtzeitig zerstören würden.

Experten und Kommentatoren diskutieren seit Tagen eifrig die Frage, inwieweit die israelische Offensive in Gaza mit einem eventuellen Überraschungsangriff auf die iranischen Atomanlagen im kommenden Jahr zusammenhängen könnte. Es scheint die Ansicht vorzuherrschen, durch die zahlreichen Angriffen der eigenen Luftwaffe hätten die Israelis die Raketenbestände der palästinensischen Milizen im Gazastreifen weitestgehend vernichtet und damit aus militärischer Sicht so etwas wie eine Frontbegradigung geschaffen. Darüber hinaus soll das israelische Raketenabwehrsystem Iron Dome, das gegen Raketen geringer Reichweite gerichtet ist, einen sehr hohen Prozentanteil der rund 1500 auf Israel abgefeuerten palästinensischen Geschosse abgefangen haben. Am 25. November haben die israelischen Streitkräfte das System "Davids Steinschleuder", das gegen ballistische Kurz- und Mittelstrecken konzipiert ist, erstmals getestet - angeblich erfolgreich. Damit wäre Israel aus Sicht der rechtsnationalistischen Regierung von Benjamin Netanjahu, die laut bisherigen Umfragen aus der Knesset-Wahl am 22. Januar als Siegerin hervorgehen wird, für Raketenangriffe aus dem Iran und seitens der schiitisch-libanesischen Hisb-Allah-Miliz, die als Reaktion auf besagten Überrsachungsangriff zu erwarten wäre, gut gerüstet.

Im kommenden Frühjahr könnten die Iraner nach Schätzungen der IAEA die 200 bis 250 Kilogramm an 20 Prozent angereichertem Uran erzeugt haben, aus dem sich nach einer zusätzlichen Anreicherung auf 90 Prozent ein Atomsprengkopf herstellen ließ. Netanjahu hat bei seinem Auftritt vor wenigen Wochen auf der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York gedroht, den Iran am Erreichen dieser "roten Linie" notfalls militärisch zu hindern. Leider hat US-Präsident Barack Obama den israelischen Regierungschef in seiner aggressiven Haltung gegenüber dem Iran bestärkt - unter anderem durch die Androhung des Einsatzes eigener Atomwaffen zur Beseitigung der iranischen Gefahr (Anders ist die ständig wiederholte Formel "Alle Optionen liegen auf dem Tisch" nicht zu verstehen). Dadurch könnte Obama, der wegen des demonstrativen Eintritts für eine atomwaffenfreie Welt 2009 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, der erste Präsident seit Harry Truman 1945 werden, der den Befehl zur Verwendung von Kernwaffen erteilt. Denn es ist davon auszugehen, daß ein Angriff auf den Iran eine unkontrollierbare Gewaltspirale auslösen wird.

26. November 2012