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NAHOST/1225: Bürgerkrieg in Syrien mutiert zum Regionalinferno (SB)


Bürgerkrieg in Syrien mutiert zum Regionalinferno

Steht die Landkarte des Nahen Ostens vor der Revidierung?



Ganz im Sinne des damaligen US-Vizepräsidenten Dick Cheney und des heutigen Nationalen Sicherheitsberaters Saudi-Arabiens, Prinz Bandar bin Sultan, die Ende 2006 den teuflischen Plan ausheckten, gewaltbereite sunnitische Salafisten à la Al Kaida zur Zerschlagung des "schiitischen Bogens" zwischen Iran, Syrien und der libanesischen Hisb Allah einzusetzen, greift der syrische Bürgerkrieg zunehmend auf die Nachbarländer Irak und Libanon über. Weite Abschnitte der Staatsgrenze zwischen dem Osten Syriens und der mehrheitlich von Sunniten bewohnten zentralirakischen Provinz Anbar unterliegen der Kontrolle sunnitischer Milizionäre, die sich für eine neue Runde von Kämpfen gegen die von Schiiten dominierte Zentralregierung in Bagdad aufrüsten. Salafistische Hardliner, die seit zwei Jahren über die nordlibanesische Hafenstadt Tripoli die Aufständischen in Syrien mit Kriegsmaterial und frischem Personal aus dem Ausland versorgen, bereiten sich auf einen Showdown im eigenen Land mit der Hisb-Allah-Miliz vor.

Währenddessen drohen Frankreich und Großbritannien damit, das EU-Waffenembargo für Syrien zu ignorieren und auf eigene Faust die Gegner des "Regimes" von Baschar Al Assad mit Waffen und Munition zu beliefern. Nach Gesprächen am 13. März in London mit seinem britischen Amtskollegen William Hague hat der russische Außenminister Sergej Lawrow vor einem solchen Schritt gewarnt. Die Bewaffnung nicht-staatlicher Akteure verstoße gegen internationales Recht und werde in Syrien zum Chaos führen, so Lawrow. Doch gerade Chaos scheint das zu sein, was die Unterstützer der Rebellen in Syrien - allen voran die USA, die Türkei, Jordanien, Katar, Saudi-Arabien, Frankreich und Großbritannien - anstreben. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß sich die Verantwortlichen in Washington, Ankara, Amman, Doha, Riad, Paris und London eine Ausweitung des Syrienkrieges wünschen, um die aus der Zeit nach dem Untergang des Osmanischen Reiches infolge des Ersten Weltkrieges stammenden Grenzen des Nahen Ostens niederreißen und die Region entlang religiöser und ethnischer Bruchlinien neu ordnen zu können. Vor kurzem ist bekanntgeworden, daß syrische Rebellen in Jordanien von westlichen Spezialstreitkräften militärisch ausgebildet werden. Es gibt ohnehin zahlreiche Hinweise, daß westliche Geheimdienste von Anfang an das Aufbegehren in Syrien gegen die dortige Baath-Regierung instrumentalisiert haben.

Eine führende Rolle bei der Destabilisierung Syriens hat der US-Botschafter in Damaskus, Robert Ford, gespielt. Nachdem Kritik an Fords einseitigem Einsatz für die syrische Opposition laut geworden war, hat ihn im Oktober 2011 die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton "aus Sicherheitsgründen" aus dem Land abgezogen. Bei einem Auftritt hinter verschlossen Türen am 13. März in Washington hat Ford die Mitglieder des außenpolitischen Ausschusses des Repräsentantenhauses über die Lage in Syrien informiert. Dabei offenbarte er ihnen, daß die syrische Opposition neben den 60 Millionen Dollar humanitärer Hilfe, die ihr vor kurzem Außenminister John Kerry zusagte, von der Regierung Barack Obama auch Kommunikationsgeräte und andere Ausrüstung im Wert von 54 Millionen Dollar bekommt.

Was Ford und die Kongreßabgeordneten sonst besprachen, blieb geheim. Im einem Bericht des Online-Politmagazins The Hill vom 13. März hieß es: "Die Mitglieder der Legislative gaben sich nach der Anhörung schmallippig". Dafür gab es allen Grund. Laut der republikanischen Kongreßabgeordneten Kay Granger aus Texas hatten sie und ihre Kollegen "viele Fragen" an Ford gestellt, dafür aber "keine Antworten" bekommen. Granger rechtfertigte diesen Umstand mit der Behauptung, man wisse noch nicht, wie in Syrien "das Endstadium aussehen soll". Die Aussage ist verlogen und aufrichtig zugleich. Die USA und ihre Verbündeten haben mit ihrem illegalen Feldzug gegen Saddam Hussein 2003 Kräfte freigesetzt, die den Irak zugrunde richteten und die Region zwischen Mittelmeer und Persischen Golf seitdem nicht mehr zur Ruhe kommen lassen.

Bezeichnend für die Vorgehensweise der Amerikaner ist in diesem Zusammenhang ein Artikel, der am 14. März beim pro-westlichen Beiruter Daily Star unter der Überschrift "New American approach to Hezbollah?" erschienen ist. In dem Artikel berichtete Antoine Ghattas Saab über den jüngsten Besuch der beiden US-Diplomaten Lawrence Silverman und Amos Hochstein in Beirut. Bei ihren Gesprächen mit Washington wohlgesonnenen Politikern hatten die beiden Staatssekretäre im State Department - ersterer für den Nahen Osten und letzterer für Energiediplomatie zuständig - klargemacht, daß die Obama-Regierung nicht mehr lange eine Beteiligung der Hisb Allah an der gewählten libanesischen Regierung akzeptieren werde. Darüber hinaus hätten Silverman und Hochstein nach Angaben Saabs ihre libanesischen Gesprächspartner "dazu gemahnt, sich auf eine sich abzeichnende Phase der 'politischen Regelungen' im turbulenten Nahen Osten gut vorzubereiten".

Bis besagte Regelungen konkrete Form annehmen, wird jede Menge Blut - und zwar viel mehr von unschuldigen Zivilisten als von todesmutigen jungen Männern - fließen. Am 14. März berichtete die New York Times von sunnitischen Fanatikern im Libanon, die es von ihren Enklaven im Norden des Landes aus demnächst mit der schiitischen Hisb Allah, die einige von ihnen Partei Satans nennen, militärisch aufnehmen wollen. Am selben Tag berichtete Ghaith Abdul-Ahad für den Londoner Guardian aus der irakischen Stadt Ramadi über die Vorbereitungen der Sunniten auf eine Wiederaufnahme des Bürgerkrieges im Zweistromland. Laut Abdul-Ahad hat der Konflikt in Syrien die sunnitischen Milizen im Irak zusammengeschweißt; es herrscht ein reger Austausch von Kämpfern und Ausrüstung zwischen den sunnitischen Gruppen auf beiden Seiten der Staatsgrenze.

Abdul-Ahad hat mit einem Milizenkommandeur namens Abu Saleh gesprochen, der ihm von der Existenz dreier sunnitischer Bataillons in Ramadi berichtete. Laut Abu Saleh haben sich die sunnitischen Anführer aus dem Zentralirak in den letzten Monaten zweimal in der jordanischen Hauptstadt Amman mit reichen Gönnern aus den arabischen Golfstaaten getroffen, die einst den Kampf gegen die US-Besatzung subventionierten, und von diesen umfangreiche finanzielle und militärische Unterstützung zugesagt bekommen, die unter dem Vorwand der "karitativen Hilfe" geleistet werden soll. Ein zweiter Kommandeur, der im Guardian-Bericht nicht namentlich genannt wurde, sprach von einem Plan, den Iraks Sunniten mit Regierungsvertretern aus "Katar, Saudi-Arabien und Jordanien" abgesprochen hätten. "Wir organisieren uns, bilden uns aus und rüsten uns auf. Wir werden uns friedlich verhalten, bis der geeignete Zeitpunkt gekommen ist. Wir werden nicht die gleichen Fehler machen. Diesmal wird Bagdad zerstört werden."

Auch Abu Saleh, dessen Männer bereits mehrere Nachschubkonvois aus Bagdad für Syrien angegriffen haben sollen, sieht den Irak am Vorabend eines erneuten Bürgerkrieges: "Unser Kampf ist derselbe wie in Syrien. Fällt Syrien sind wir befreit; werden wir befreit, ist Syrien befreit. Wir führen [alle] denselben Kampf gegen den Iran; indem wir sie besiegen, brechen wir den schiitischen Bogen zwischen dem Iran, Syrien und dem Libanon". Besser hätten Dick Cheney oder Prinz Bandar die Kriegsziele der sunnitischen Moslembrüder in Syrien und den umliegenden Ländern auch nicht ausdrücken können.

15. März 2013