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NAHOST/1230: Al Kaida in Syrien bringt NATO in Erklärungsnot (SB)


Al Kaida in Syrien bringt NATO in Erklärungsnot

"Freunde Syriens" denken angeblich über eine friedliche Lösung nach



Das Bekenntnis der Al-Nusra-Front zur Al Kaida bringt die westlichen Unterstützer des Aufstandes gegen das "Regime" Baschar Al Assads in Syrien in peinliche Erklärungsnot. Die politische und militärische Führung der NATO sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, in Syrien jenen "internationalen Terrorismus" selbst zu fördern, den man in Afghanistan, Irak, Somalia, Mali, im Jemen und anderswo zu bekämpfen behauptet. Die syrische Regierung hat bereits bei den Vereinten Nationen beantragt, daß die Jabhat Al Nusra auf deren "Terrorliste" gesetzt und mit entsprechenden Sanktionen belegt wird. Dies würde die Finanzierung und Aufrüstung der Gruppe zur Straftat und damit erheblich schwieriger machen. Folglich setzt sich die NATO gegen den Vorstoß aus Damaskus zur Wehr. Über die neue Entwicklung soll der UN-Sicherheitsrat erst einmal diskutieren. Am 12. April erklärte Philippe Laillot, Sprecher des Verteidigungsministeriums in Paris, die UN-Vetomacht Frankreich werde den Versuch des Assad-"Regimes", "alle syrischen Oppositionellen als Terroristen zu brandmarken, verhindern".

Am 10. April hatte Muhammed Al Joulani, der Chef der Al-Nusra-Front, im Namen seiner islamistischen Freiwilligentruppe den ägyptischen Al-Kaida-Mitbegründer Aiman Al Zawahiri als Anführer - "Scheich des Dschihads" - formell anerkannt. Zwei Tage zuvor hatte Abu Bakr al Baghdadi, Chef der Al Kaida im Irak, in einer Internetbotschaft die Verschmelzung seiner Gruppe mit der Al-Nusra-Front bekannt gegeben. Daraus ist die Al Kaida im Irak und in der Levante entstanden, deren Ziel die Schaffung eines Kalifats vom Mittelmeer bis zum Persischen Golf ist, in dem eine strenge Auslegung der islamischen Scharia-Rechtsprechung herrschen soll. Angeblich aufgeschreckt durch die neue Entwicklung wollen am Wochenende des 20. und 21. April in Istanbul Vertreter der 2012 von Nicolas Sarkozy und Hillary Clinton ins Leben gerufenen Gruppe der "Freunde Syriens" über Wege zur friedlichen Beilegung des syrischen Bürgerkrieges beraten, an der sich eventuell auch die derzeitige Regierung in Damaskus beteiligen könnte.

Doch bis es soweit ist, läuft die von der CIA koordinierte militärische Unterstützung für die syrischen Rebellen auf Hochtouren. Am 15. April berichteten Martin Chulov aus Amman und Ian Black aus Damaskus für die britische Tageszeitung Guardian, Jordanien hätte "sich bereit erklärt, einen von Saudi-Arabien initiierten Vorstoß zur Bewaffnung der [syrischen - Anm. d. SB-Red.] Rebellengruppen über seine südlichen Grenzen hinweg anzuführen." Laut Chulov und Black hat sich Riad das größere Engagement Ammans im syrischen Bürgerkrieg durch die Überweisung von "mehr als einer Milliarde Dollar" erkauft. In den letzten Wochen war bereits bekannt geworden, daß syrische Rebellen in der Nähe von Amman sowohl von amerikanischen, britischen und französischen Spezialstreitkräften als auch von Kämpfern der palästinensischen Hamas-Bewegung ausgebildet werden.

Zum Motiv Jordaniens heißt es im Guardian, es wolle den Konflikt im Nachbarland "aktiv zu Ende führen", bevor er das durch Flüchtlingsströme überforderte Königreich "verschlingt". Dazu schreiben Chulov und Black: "Die Rolle Jordaniens als Transitland für Waffen ist in den letzten zwei Monaten, als Saudi-Arabien, einzelne Golfstaaten, Großbritannien und die USA ihre Hilfe für einige der Rebellenorganisationen verstärkt haben, um den Vormarsch der Al-Kaida-nahen Gruppen aufzuhalten, immer mehr bekannt geworden". Die beiden Guardian-Reporter beschreiben das Ganze als Wettlauf zwischen gemäßigten und extremistischen Gruppen um die Machtübernahme in Damaskus.

Ob man mit einer solchen Beschreibung den Verhältnissen in Syrien gerecht wird, ist zweifelhaft. Nach dem Ende des Libanonkrieges 2006, bei dem die schiitische Hisb-Allah-Miliz den israelischen Streitkräften den Nimbus der Unbesiegbarkeit nahm, haben sich Saudi-Arabien und die USA für eine Stärkung des sunnitischen Extremismus im Nahen Osten entschieden. Im Rahmen des teuflischen Plans, den damals US-Vizepräsident Dick Cheney und Prinz Bandar bin Sultan, der Nationale Sicherheitsberater und Ex-Botschafter Saudi-Arabiens in den USA, ausheckten, sollten salafistisch-sunnitische Fanatiker aufgewiegelt werden, damit diese den "Bogen des Widerstandes", der vom schiitischen Südlibanon über das säkulare Syrien, den schiitisch dominierten Irak bis zum Iran reicht, zerschlagen.

Bislang können die Urheber des Plans mit der Umsetzung höchst zufrieden sein. Seit zwei Jahren versinkt Syrien immer tiefer in Chaos; es besteht sogar die Möglichkeit, daß es als einheitlicher Staat zu existieren aufhört. Im Libanon ist durch den plötzlichen Rücktritt von Premierminister Najib Mikati am 23. März die Koalitionsregierung, in der die Hisb Allah die stärkste Kraft darstellte, de facto auseinandergebrochen. Die politische Krise in Beirut und die Aktivitäten salafistischer Extremisten im Norden des Landes, wo sie den Nachschub an Waffen und ausländischen Söldnern für den Kampf in Syrien sicherstellen, lassen den Ausbruch eines erneuten libanesischen Bürgerkrieges immer wahrscheinlicher werden. Währenddessen wird die sunnitische Mitte des Iraks durch Proteste gegen die Regierung des schiitischen Premierministers Nuri Al Maliki und eine Welle schwerer Anschläge erschüttert. Allein am 15. April kamen nach Angaben von Margaret Griffis von antiwar.com bei Bombenangriffen und Überfällen im Irak 75 Menschen ums Leben; 356 wurden dabei verletzt.

Vor diesem Hintergrund ist der Gedanke, wie er im bereits erwähnten Guardian-Bericht suggeriert wird, durch die Aufrüstung der gemäßigten Kräfte in Syrien würden Saudi-Arabien und Jordanien - sowie dahinter die CIA - den Vormarsch der Al-Nusra-Front und der anderen Dschihadisten in Syrien stoppen, mehr als abwegig. Das Feuer, das Cheney, Bandar und ihre Helfershelfer vor einigen Jahren gelegt haben, brennt lichterloh und ist außer Kontrolle geraten. Wenn nun Riad, Washington und Amman sich als Feuerwehr aufspielen, ist das mehr als billig - und nicht besonders glaubwürdig. Der Bürgerkrieg in Syrien greift langsam auf den Irak und die anderen Länder der Region über. Ein Ende der traurigen Entwicklung ist nicht in Sicht. Diejenigen, die das Ganze zu verantworten haben, sind nicht an einer schnellen Beendigung interessiert. Dafür spricht zum Beispiel der Diebstahl von 20.000 Schnellfeuergewehren vom Typ M-16, die am 6. April aus einer Lagerhalle in Kuwait verschwanden. Über die Täter ist nichts bekannt. Die Behörden tappen völlig im Dunklen. Kuwait steht natürlich unter der Protektion der dort stationierten US-Streitkräfte. Die M-16s werden sich vermutlich bald in Syrien und im Irak bemerkbar machen.

16. April 2013