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NAHOST/1243: Friedenskonferenz um Syrien am kritischen Wendepunkt (SB)


Friedenskonferenz um Syrien am kritischen Wendepunkt

Der Syrien-Konflikt vor Eskalation oder Deeskalation



Im Syrienkonflikt spitzt sich die Lage dramatisch zu. Nach zwei Jahren Bürgerkrieg, der rund 80.000 Menschen das Leben gekostet und mehr als vier Millionen zu Flüchtlingen gemacht hat, steht das Land an einem Wendepunkt. Unter der Schirmherrschaft von Rußland und den USA soll noch vor Ende Juni eine große Friedenskonferenz - aller Voraussicht nach in Genf - stattfinden. Kommt es hier zu keinem politischen Dialog zwischen der Regierung um Präsident Bashar Al Assad und den Aufständischen über die Zukunft Syriens, wovon man angesichts der stark divergierenden Positionen leider ausgehen muß, dann droht eine direkte militärische Intervention des Auslands. Sie dürfte mit der Verhängung einer Flugverbotszone durch die NATO beginnen und könnte in einem größeren Regionalkrieg enden, der die Konflikte in Afghanistan, im Irak und in Libyen in den Schatten stellen würde.

Die geplante Friedenskonferenz ist das Ergebnis der Gespräche, die John Kerry am 7. Mai bei seinem ersten Besuch in Moskau als neuer US-Außenminister mit Amtskollegen Sergej Lawrow und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin geführt hat. Im Kreml haben sich die drei Spitzenpolitiker auf ergebnisoffene Verhandlungen geeinigt. Seitdem rücken die USA und ihre Verbündeten jedoch von der Basis einer Verständigung mit Moskau ab. Bei einem Treffen in Washington am 13. Mai bekräftigten US-Präsident Barack Obama und der britische Premierminister David Cameron, der drei Tage zuvor Gespräche mit Putin im Schwarzmeerbadeort Sotschi geführt hatte, ihre kategorische Position, wonach Präsident Assad künftig keine Rolle mehr im politischen Leben Syriens spielen dürfe - damit soll die dort bisher regierende, panarabisch-säkulare Baath-Partei entscheidend geschwächt werden. Für die USA und ihre NATO-Verbündeten bleibt das Ziel - allen Verhandlungen zum Trotz - nach wie vor der "Regimewechsel".

Berichten zufolge verzeichnen die regulären syrischen Streitkräfte, offenbar unterstützt von der schiitisch-libanesischen Hisb-Allah-Miliz, seit Wochen deutliche Geländegewinne, vor allem im Westen um die Stadt Homs nahe der Grenze zum Nordlibanon und im Süden um die Stadt Deraa, unweit der Grenze zu Jordanien. Um so mehr verstärken die Türkei und Israel den Druck auf das Assad-"Regime". Am 3. und 5. Mai flog die israelische Luftwaffe massive Angriffe auf Militäreinrichtungen nahe Damaskus. Zur Begründung hieß es aus Tel Aviv, man habe eine Lieferung iranischer Raketen an die Hisb Allah verhindern wollen. Am 8. Mai töteten zwei Autobomben in der türkischen Grenzstadt Reyhanli 50 Menschen und verletzten mehr als 100. Die Regierung der konservativ-islamischen Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) in Ankara machte dafür mehrere marxistische Dissidenten verantwortlich, die angeblich im Auftrag des syrischen Geheimdienstes gehandelt hätten. Türkische Oppositionspolitiker der säkular-kemalistischen Republikanischen Volkspartei (CHP) sahen dagegen regierungsfeindliche "Terroristen" aus Syrien am Werk, verwiesen auf die Nachrichtensperre, die Ankara um Reyhanli verhängt hatte, und warfen Premierminister Recep Tayyip Erdogan vor, die Türkei in ein desaströses Militärabenteuer in Syrien hineinzuführen.

Tatsächlich betreibt der AKP-Vorsitzende an der türkischen Südflanke eine ausgesprochen neo-osmanische Politik. Durch den Friedensprozeß mit Abdullah Öcalan, dem inhaftierten Anführer der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), will die Türkei ihren Einfluß in den mehrheitlich von Kurden bewohnten Teilen Syriens und des Iraks geltend machen. Wenn am heutigen 16. Mai Erdogan Obama im Weißen Haus trifft, werden sie sich nicht nur über Syrien und Berichte über den angeblichen Einsatz von Giftgas seitens der Assad-treuen Truppen, sondern auch über Energiepolitik austauschen. Kurz vor der Abreise Erdogans nach Washington hat sich die Türkei mit der Autonomieregierung in Kirkuk und dem US-Großkonzern Exxon über die Bedingungen zur Förderung von nordirakischem Öl und dessen Weitertransport per Pipeline über die Türkei an das Mittelmeer verständigt. Deshalb wird der türkische Regierungschef bei seiner Stippvisite in Washington von Energieminister Taner Yildiz begleitet.

Über die neu erwachten außenpolitischen Ambitionen der Türkei sind andere Länder der Region alles andere als glücklich. Wie der private israelische Nachrichtendienst Debkafile, dem eine Nähe zum Mossad nachgesagt wird, am 13. Mai unter Verweis auf eigene Quellen am Persischen Golf berichtete, führen Saudi-Arabien und der Iran seit kurzem angeblich Geheimgespräche über Wege zur Beendigung des Syrienkrieges. Die Saudis gelten als wichtigster Waffenlieferant der salafistischen Rebellen in Syrien, während Damaskus ohne die Unterstützung Teherans und der libanesischen Hisb Allah wahrscheinlich längst an die bewaffnete Opposition gefallen wäre. Gelänge es Riad und Teheran, in Sachen Syrien übereinzukommen, so könnte dies nicht nur den Krieg dort beenden, sondern auch die steigenden Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten im Irak und im Libanon wieder abflauen lassen. Laut Debkafile habe die starke Rückendeckung, die Assad vom Iran, der Hisb Allah und letztendlich Rußland erfährt, zu einem Umdenken in Riad geführt. Demnach befürchten die Saudis bei einer Fortsetzung des syrischen Bürgerkrieges eine Stärkung jener radikal-sunnitischen Kräfte, die für das Königshaus in Riad gefährlich werden könnte, sowie den Verlust des eigenen Einflusses im Libanon über die Future Movement Saad Hariris.

Es stellt sich jedoch die Frage, ob Teheran und Riad den negativen Lauf der Dinge in Syrien noch entscheidend zum Positiven wenden können. In den USA sind es nicht mehr nur die Neokonservativen, welche hier die Glaubwürdigkeit Amerikas und der NATO gefährdet sehen und ein militärisches Eingreifen des Westens lautstark fordern. So hat sich vor wenigen Tagen Bill Keller, der Chefredakteur der einflußreichen New York Times, in einem Leitartikel für eine Intervention ausgesprochen. Die Argumentation Kellers war besonders originell. Weil der Einmarsch 2003 in den Irak falsch gewesen sei - schließlich besaß Saddam Hussein keine "Massenvernichtungswaffen", die er Osama Bin Ladens Al Kaida hätte geben können -, wäre ein militärisches Engagement der USA und der NATO in Syrien aus humanitären Gründen, um das Blutvergießen dort zu beenden, um so richtiger, so Keller.

Israel behält sich jedenfalls vor, in Absprache mit den USA seine Interessen in Syrien mit Militärgewalt durchzusetzen. Deshalb war der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu am 14. Mai in Sotschi zu Gesprächen mit dem russischen Präsidenten Putin. Bei dem Treffen soll es Netanjahu darum gegangen sein, die Russen zu überreden, keine Flugabwehrbatterien des Typs S-300 an Syrien zu liefern. Die S-300, die über eine Reichweite von 200 Kilometer verfügt, gilt als hoch effektiv gegen moderne Kampfjets, Marschflugkörper und ballistische Raketen. Vor einigen Jahren soll Damaskus mit Moskau einen Vertrag über die Lieferung von vier S-300-Batterien mit jeweils 144 Raketen unterzeichnet haben.

Doch möglicherweise kam Netanjahu mit seinem Ersuchen zu spät. Bereits am 13. Mai berichtete das russische Handelsblatt Kommersant, Putin hätte drei Tage zuvor Cameron mitgeteilt, daß die Lieferung der S-300 wie vereinbart erfolgen würde. Am 14. Mai hieß es in der in London erscheinenden arabischen Zeitung Al-Quds Al-Arabi, die Russen hätten bereits mit der Stationierung der S-300 in Syrien und der Ausbildung der Assad-Truppen im Umgang mit dem komplizierten Flugabwehrsystem begonnen. Sollte dies tatsächlich der Fall sein und sich demnächst die NATO für die Verhängung einer Flugverbotszone über Syrien entscheiden, dann könnte sich dort eine Ost-West-Konfrontation wie in den dunkelsten Tagen des Kalten Krieges anbahnen. Angeblich dauert die Ausbildung an der S-300 rund ein Jahr. Somit würden die Batterien zumindest für die nächsten zwölf Monate von russischen Technikern und Militärberatern bedient. Es läßt sich denken, daß Luftangriffe auf die Anlagen sehr weitreichende Konsequenzen hätten.

16. Mai 2013