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NAHOST/1412: Rußland und Iran stärken Assads Truppen den Rücken (SB)


Rußland und Iran stärken Assads Truppen den Rücken

Staatliche Streitkräfte starten neue Großoffensive im Westen Syriens


Am 7. Oktober hat Rußland von vier Kriegsschiffen im Südwesten des Kaspischen Meers aus 26 Marschflugkörper von Typ Kalibr-Nk auf Positionen der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) in Syrien abgefeuert. Kurz danach hat das Verteidigungsministerium in Moskau die Videoaufnahmen einiger der Raketenstarts zur Ausstrahlung freigegeben. Bei einer Unterredung am selben Nachmittag mit Präsident Wladimir Putin im Kreml, die im russischen Fernsehen gesendet wurde, behauptete Verteidigungsminister Sergei Schoigu, alle 11 vorgenommenen Ziele seien zerstört worden. Laut Schoigu handelte es sich hierbei ausschließlich um Waffendepots und Kommandozentren des IS; keine Zivilisten oder zivile Einrichtungen seien zu Schaden gekommen. Während des Gespräches mit Putin gab Schoigu zudem bekannt, daß die russische Luftwaffe seit Beginn der Militärintervention Moskaus im syrischen Bürgerkrieg am 30. Oktober 112 "terroristische" Ziele angegriffen hat.

Der Einsatz der seegestützten Marschflugkörper läßt erahnen, wie umfassend der Einsatz der russischen Streitkräfte in Syrien angelegt ist. Um zum Zielort zu gelangen, mußten die Raketen mehr als 1500 Kilometer weit fliegen und dabei iranisches und irakisches Territorium überqueren. Möglicherweise wurde die spektakuläre Operation von der neuen Kommandostelle abgewickelt, deren Gründung letzte Woche bekannt gegeben wurde und in der syrische, russische, iranische und irakische Militärs den gemeinsamen Kampf gegen IS koordinieren wollen. Die Schaffung eines solchen Kommandostabs an den USA vorbei wurde von der Regierung Barack Obamas als schwerer Affront seitens der Iraker empfunden.

Die Meldung der Onlinezeitung Middle East Eye vom 6. Oktober, wonach Bagdad die Regierung in Moskau demnächst um den Einsatz der russischen Luftwaffe im Irak bitten will, weil sich die bisherigen Luftangriffe der USA auf IS-Stellungen dort als wirkungslos erwiesen haben, dürfte für zusätzliche Verärgerung in Washington sorgen. Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist jedenfalls die Tatsache, daß der IS am 2. Oktober das Freitagsgebet in der Zentralmoschee in seiner Hochburg ar-Raqqa im Nordosten Syriens aus Angst vor russischen Luftangriffen abgesagt hat - dazu hatten die Kalifatsanhänger während der vorangegangenen zwölfmonatigen Anti-IS-Operation der USA und ihrer Verbündeten keine Notwendigkeit gesehen.

Zwar haben russische Kampfjets in der letzten Woche auch Ziele in ar-Raqqa angegriffen, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, doch ihr Haupteinsatzgebiet lag im Westen Syriens. Dort haben sie Waffenlager, Stützpunkte et cetera von anderen aufständischen Formationen als dem IS - allen voran der Dschaisch al-Fatah - bombardiert. Jene "Armee der Eroberung", in der sich die verschiedenen Rebellengruppen, darunter die Al-Nusra-Front, die Ahrar Al-Scham und die Freie Syrische Armee (FSA), zu einem befristeten Zweckbündnis zusammengetan haben, hatte im April die Provinzhauptstadt Idlib erobert und befand sich bis vor kurzem auch in den anderen westlichen Provinzen Syriens - Homs, Hama und Latakia - auf dem Vormarsch. Dank russischer Hilfe aus der Luft sowie Unterstützung am Boden von iranischen Spezialstreitkräften und Freiwilligen der schiitisch-libanesischen Hisb-Allah-Miliz ist der Vormarsch der Dschaisch al-Fatah gestoppt worden. Inzwischen ist es die staatliche Syrische Arabische Armee (SAA), die sich im Westen Syriens wieder in der Offensive befindet.

Glaubt man den Angaben eines aufschlußreichen Artikels der Nachrichtenagentur Reuters vom 6. Oktober, dessen Titel "How Iranian general plotted out Syrian assault in Moscow" lautet, so geht die jüngste Wendung im Syrienkrieg auf ein Treffen zwischen Generalmajor Qassem Soleimani, dem legendären Oberbefehlshaber der Al-Quds-Einheit der Iranischen Revolutionsgarde, und der russischen Generalität im Juli in Moskau zurück. Zuvor sollen sich der russische Außenminister Sergej Lawrow und Ajatollah Ali Khamenei, der höchste Geistliche des Iran, bei einer Unterredung in Teheran darauf verständigt haben, daß sie etwas unternehmen müßten, um das befreundete "Regime" Baschar Al Assads vor der endgültigen Niederlage zu bewahren. Soleimani, der das volle Vertrauen Khameneis genießt und seit einiger Zeit im Irak die Unterstützung des Irans für die schiitischen Milizen und die staatlichen Streitkräfte im Kampf gegen den IS leitet, soll auf ausdrückliche Bitte Putins nach Moskau entsandt worden sein. Dort hat der Veteran des Iran-Irak-Kriegs den russischen Kollegen Karten vorgelegt, mittels derer er die dramatische Lage der SAA schilderte und seinen Plan zu deren Rettung erläuterte. Inzwischen hält sich Soleimani regelmäßig in Damaskus auf, wo ihm - ähnlich der neuen Einrichtung in Bagdad - ein gemeinsamer iranisch-irakisch-russisch-syrischer Kommandostab untersteht.

Im Westen herrscht nun Ratlosigkeit, wie man auf die Initiative Rußlands und des Irans, den säkularen Staat Syrien vor dem endgültigen Untergang zu retten, reagieren soll. Während die NATO den Einsatz russischer Kampfjets in unmittelbarer Nahe der Grenze zur Türkei als Verletzung des türkischen Luftraums aufbauscht, gibt es gleichwohl Überlegungen in Ankara, Washington und anderswo, Rußland und die USA könnten vielleicht gemeinsam den Kampf gegen den IS bestreiten. Angesichts des mangelnden Fortschritts der von der USA angeführten Anti-IS-Koalition im Irak, wo die zweitgrößte Stadt Mossul und weite Teil von Anbar, der mit Abstand größten Provinz des Landes, seit über einem Jahr zum "Kalifat" gehören, liegt ein solcher Gedanke auf der Hand.

In den USA gibt es jedoch mächtige Kräfte, die sich unter dem Begriff Neokonservative zusammenfassen lassen, die weiterhin sunnitische Gotteskrieger mit Hilfe von Saudi-Arabien und der CIA manipulieren wollen, um Assad zu stürzen, anschließend die Republiken Zentralasiens zu destabilisieren und Rußland zu schwächen. Zu den führenden Verfechtern der neokonservativen Lehre von der unbedingten Notwendigkeit einer Weltherrschaft der USA gehört Zbigniew Brzezinski. In einem Gastbeitrag, der am 4. Oktober bei der Financial Times erschienen ist, hat Brzezinski, der 1979 als Nationaler Sicherheitsberater Präsident Jimmy Carter die Instrumentalisierung der Mudschaheddin in Afghanistan empfohlen hat, um der Sowjetunion eine tödliche militärische Niederlage beizufügen, Rußlands Vorstoß in Syrien als inakzeptable Provokation beschrieben und die Obama-Regierung dazu aufgefordert, die russischen Angriffe auf die von der CIA unterstützten Rebellengruppen militärisch zu unterbinden.

8. Oktober 2015


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