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NAHOST/1426: Schwere Niederlagen für den IS in Syrien und im Irak (SB)


Schwere Niederlagen für den IS in Syrien und im Irak

Das IS-Kalifat scheint seinen Zenit überschritten zu haben


Auch wenn noch eine gewisse Uneinigkeit zwischen den ausländischen Akteuren herrscht, so steht auf den Schlachtfeldern des Iraks und Syriens eines fest: der Islamische Staat (IS), dessen Anführer Abu Bakr Baghdadi letztes Jahr von Mossul aus vollmundig das Kalifat ausrief, befindet sich nach einer langen Serie von Erfolgen militärisch auf dem Rückzug. Ob damit ein Ende des jahrelangen Blutvergießens in den beiden Staaten bevorsteht, muß sich noch zeigen und wird davon abhängen, inwieweit sich die Großmächte USA, Rußland, Türkei, Iran und Saudi-Arabien zu einem tragfähigen, alle Seiten zufriedenstellenden Interessensausgleich durchringen können.

Nach schweren Kämpfen hat die Syrische Arabische Armee (SAA), die Unterstützung von der russischen Luftwaffe, iranischen Militärberatern und schiitischen Freiwilligen der libanesischen Hisb-Allah-Miliz erhält, am 10. November den zwei Jahre anhaltenden Belagerungsring um den Luftwaffenstützpunkt Kweires im Norden Syrien gesprengt. Bei der Schlacht sollen Hunderte IS-Kämpfer gefallen und ebenso viele in die Flucht geschlagen worden sein. Der Durchbruch bei Kweires gilt als wichtiger Etappensieg. Von der befreiten Militärbasis aus könnten die syrischen Streitkräfte nun gegen die Aufständischen in und um Aleppo vorgehen und weite Teile der von ihnen kontrollierten Gebiete nahe der Grenze zur Türkei zurückerobern. Sollte Rußland seine Kampfjets von der syrischen Mittelmeerprovinz Latakia nach Kweires verlegen - was anzunehmen ist -, können die NATO-Kriegsfalken ihren Plan von der Errichtung einer eigenen Flugverbotszone zwischen Aleppo und der türkischen Grenze begraben.

Auch die USA und ihre Verbündeten im Irak haben unterdessen den ersten großen Sieg gegen den IS feiern können. Am 13. November wurde die Militäroperation der kurdischen Peschmerga zur Einnahme der einst hauptsächlich von Yesiden bewohnten Stadt Sindschar nach nur 24 Stunden als vollendet gemeldet. An der großangelegten Offensive, die aus drei Richtungen erfolgte, nahmen 7.500 kurdische und jesidische Kämpfer teil. Unterstützt wurde der seit längerem erwartete Vorstoß von Kampfflugzeugen der von den USA angeführten Anti-IS-Koalition.

Wie viele IS-Freiwillige bei dem Gefecht um Sindschar ums Leben gekommen sind, ist unklar. Der überraschend rasche Erfolg der Peschmerga deutet jedenfalls daraufhin, daß die IS-Besatzer die Stadt entweder nicht lange halten wollten oder konnten. Dies ist insofern verwunderlich, als der IS mit der Niederlage in Sindschar auch die Kontrolle über die für die Dschihadisten wichtige Nachschubroute zwischen Mossul und dem Osten Syriens, die über die Überlandstraße 47 verläuft, an die kurdischen Peschmerga verloren hat. Geographisch ist das IS-Kalifat somit quasi zum ersten Mal seit über einem Jahr wieder in zwei Gebiete - ein syrisches und ein irakisches - aufgeteilt.

Die Zentralregierung in Bagdad dürfte die Blitzeroberung von Sindschar - ein Ereignis, das Ali Al Sistani, der bedeutendste schiitische Geistliche im Irak, in einer Stellungnahme ausdrücklich begrüßte - wohl als Zeichen einer nachlassenden Kampfkraft beim IS deuten. Derzeit ziehen die irakischen Streitkräfte, deren Reihen durch schiitische Milizionäre und sunnitische Stammeskrieger aufgestockt werden, ihren Belagerungsring um Ramadi immer enger zusammen. Dort hatte die irakische Armee im Mai eine schwere Niederlage erlitten, als sie angesichts eines brutalen Frontalangriffs des IS einschließlich des Einsatzes von motorisierten Selbstmordattentätern die Flucht antrat. Die nun bevorstehende Rückeroberung der Hauptstadt der mehrheitlich von Sunniten bewohnten irakischen Provinz Anbar könnte für die Kampfbeteiligten und die Zivilbevölkerung zu einer sehr blutigen Angelegenheit werden. Wie die Website IraqiNews.com am 11. November meldete, hindern die IS-Kämpfer in Ramadi Hunderte Familien daran, die Stadt vor der zu erwartenden Armeeoffensive zu verlassen, und drohen jedem, der eine weiße Fahne aus dem Fenster hängen sollte, mit dem Tod.

Hoch interessant ist in diesem Zusammenhang der Bericht des Nachrichtensenders Al Jazeera vom 11. November, in dem es hieß, die Freie Syrische Armee (FSA), die vom Westen seit 2011 als Beweis für die Existenz einer säkular-gemäßigten Opposition hochgehalten und entsprechend finanziert und ausgerüstet wird, befinde sich in Auflösung. Als Gründe werden niedrige Bezahlung, ineffektive Führung, fehlender innerer Zusammenhalt - die rund 35.000 Mann waren zuletzt auf mehr als 2050 Einzelverbände verteilt - und die Stärke der salafistichen Konkurrenz von Gruppen wie der Al-Nusra-Front, Ansar Al Scham und IS angeführt. Letztgenannter schließen sich offenbar immer mehr FSA-Freiwillige an. Unbestätigten Meldungen zufolge soll die SAA bei der Schlacht um den Luftwaffenstützpunkt Kweires auch nachrichtendienstliche Hilfe von FSA-Offizieren erhalten haben, denen das Aufkommen des sunnitischen Dschihadistentums nicht geheuer ist.

Am 14. November kommen Diplomaten aus 20 Staaten in Wien zusammen, um den internationalen Friedensplan für Syrien voranzutreiben. Auf der Konferenz soll entschieden werden, welche Aufständischen weiterhin unterstützt und welche endgültig als "Terroristen" gebrandmarkt werden sollten. Der Streit ist bereits vorprogrammiert. Für Rußlands Präsidenten Wladimir Putin stehen alle syrischen Aufständischen außer vielleicht die Angehörigen der FSA unter "Terrorverdacht". Saudi-Arabien dagegen hält an seiner Unterstützung für Ansar Al Scham fest, obwohl deren Anhänger ähnlich Al Nusra und dem IS in Syrien den säkularen Staat abschaffen und an dessen Stelle das Scharia-Gesetz einführen wollen. Inoffiziell und heimlich unterstützt die Türkei den IS, während die Westmächte USA, Großbritannien und Frankreich stets die Unschuldigen spielen, wenn ihre Gelder und Waffenlieferungen für die "gemäßigten" Rebellen den Weg in den Besitz der Dschihadisten finden.

13. November 2015


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