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NAHOST/1588: Syrien-Konflikt - vereinigte Kriegsinteressen ... (SB)


Syrien-Konflikt - vereinigte Kriegsinteressen ...


In Syrien droht der Dritte Weltkrieg tatsächlich auszubrechen. Wegen des Verdachts eines "Giftgasanschlags" auf Ghouta, der letzten Rebellenhochburg bei Damaskus, am 7. April bereiten die Streitkräfte der USA, Großbritanniens und Frankreichs einen großangelegten Angriff auf Stellungen und Objekte der Syrischen Arabischen Armee (SAA) vor, der in den nächsten Stunden über die Bühne gehen soll. Dabei besteht die große Gefahr, daß russische Militärs - Moskau hat rund 2000 Mann in Syrien stehen - in Mitleidenschaft gezogen werden könnten. Für den Fall, daß russische Objekte oder Personen angegriffen werden, hat Moskau Gegenschläge bereits angekündigt.

Hintergrund der Eskalation bildet das bisherige Scheitern der seit sieben Jahren verfolgten Pläne vor allem Washingtons, Tel Avivs und Riads, das säkulare "Regime" Baschar Al Assads mit Hilfe sunnitischer Dschihadisten zu stürzen - um Rußland um seinen letzten Verbündeten in der Nahost-Region zu bringen und um das Mittelteil der sogenannten "Achse des Widerstands", auch "schiitischer Bogen" genannt, zwischen Iran, Syrien und der Hisb-Allah-Miliz im Libanon zu beseitigen. Wegen des Vormarsches der Rebellen sahen sich 2015 die Iraner und die Russen zum aktiven Eingreifen in den Syrienkrieg veranlaßt. Seitdem erobert die SAA immer mehr Landesteile zurück.

Anfang April stand der Rückeroberung Ostghoutas, von wo aus die Aufständischen von der Dschaisch-Al-Islam in den letzten Jahren Hunderte von Menschen in Damaskus mittels Mörserbeschuß umgebracht hatten, fast nichts mehr im Wege. Die heftigen Kämpfe der zurückliegenden Monate neigten sich dem Ende zu. Am 2. April erklärte US-Präsident Donald Trump, der sich 2016 im Wahlkampf als Kritiker jeder amerikanischer Beteiligung an den Kriegen im Irak und in Syrien hervorgetan hatte, daß er seine GIs im syrischen Nordosten "bald" nach Hause holen wolle. Seitens der wichtigsten Meinungsmacher in Medien und Politik der USA erntete der New Yorker Baulöwe für den Vorstoß nichts als Kritik und Häme. Setzte Washington die Absicht Trumps in die Tat um und holte die 2.000 US-Soldaten, die mit Hilfe kurdischer Rebellen die wichtigsten Ölfelder Syriens besetzt halten, heim, würde man Rußland, den Iran und der Türkei, deren Präsidenten Wladimir Putin, Hassan Rohani und Recep Tayyip Erdogan just zu diesem Zeitpunkt einen eigenen Friedensgipfel in Ankara abhielten, die alleinige Entscheidung überlassen, wer künftig in Damaskus das Sagen habe - und das dürfe nicht sein, so das einheitliche Klagelied des außenpolitischen Kommentariats.

Am 6. April erklärten bei einer Sitzung im Situation Room des Weißen Hauses Trumps Generäle den Abzugsplan ihres nominellen Oberbefehlshabers für unsinnig, am 7. April geschah dann in Douma (Ostghouta) jener vorgetäuschte "Giftgasanschlag", vor dem seit Wochen das russische Militär gewarnt hatte. Am 8. April hat die israelische Luftwaffe aus dem libanesischen Luftraum heraus einen syrischen Fliegerhorst bei Homs mit Raketen angegriffen und dabei mehrere iranische Verbindungsoffiziere getötet, und am 9. April führten die Mitarbeiter des Sonderermittlers und Ex-FBI-Chefs Robert Mueller auf der angeblichen Suche nach Beweisen für irgendwelche Gesetzesverstöße im Wahlkampf vor zwei Jahren in der Kanzlei und der Privatwohnung von Trumps persönlichem Anwalt Michael Cohen eine Razzia durch. Die zeitliche Dichte dieser Episode läßt keinen anderen Schluß zu, als daß die Befürworter eines "Regimewechsels" in Damaskus nicht aufzugeben bereit sind, sondern die Eskalation suchen, um doch noch ihren Willen durchzusetzen, koste es, was es wolle. Seit rund einem Jahr wird das Damokles-Schwert der Mueller-Ermittlungen eingesetzt, um Trump auf Kriegskurs zu halten und ihm jeden Versuch einer Annäherung an Rußland auszutreiben.

Wie gut das funktioniert, zeigt jene Twitter-Meldung, mit der Trump am 11. April die russischen Streitkräfte in Syrien mit der baldigen Ankunft amerikanischer Marschflugkörper bedrohte. Trumps Prahlerei hat weltweit Ängste vor einem Ausbruch eines Dritten Weltkrieges ausgelöst. Nicht weniger furchteinflößend waren die Äußerungen des russischen Botschafters im Libanon, Alexander Zasypkin, der im Interview mit dem Hisb-Allah-Fernsehsender Al Manar großmäulig behauptete, im Falle eines amerikanisch-britisch-französischen Angriffs würden die russischen Streitkräfte nicht nur die gegnerischen Raketen abschießen, sondern mit eigenen Raketen die für die Operation verwendeten Flugzeuge, Schiffe und Basen beschießen. Gemeint wären Kriegsschiffe und U-Boote der drei NATO-Verbündeten im Mittelmeer, der britische Stützpunkt Akrotiri auf Zypern sowie amerikanische und französische Einrichtungen in Jordanien und am Persischen Golf.

Inzwischen versuchen alle Seiten etwas Spannung aus der ganzen Angelegenheit zu nehmen. Beim Auftritt vor dem Senat in Washington am 12. April erklärte US-Verteidigungsminister General a. D. James Mattis, im Pentagon mache man sich Gedanken, wie das Assad-"Regime" bestraft werden könne, ohne daß die Kriegshandlungen völlig außer Kontrolle geraten. Und während Trump mäßigendere Töne von sich gibt, hat man sich im Kreml von den provokativen Formulierungen seines Abgesandten in Beirut distanziert. Nichtsdestotrotz steht die große Bestrafungsaktion der westlichen Mächte bevor - auch ohne eine Mandatierung durch den UN-Sicherheitsrat, was völkerrechtlich illegal wäre.

Der französische Präsident Emmanuel Macron, dessen napoleonische Züge dieser Tage zum Vorschein treten, behauptet, im Besitz geheimer "Beweise" für den Giftgaseinsatz durch die SAA in Douma zu sein. Macron spricht vom Überschreiten der "roten Linie" durch Assads Truppen, wogegen der Westen vorgehen müsse, um sein Ansehen in der Welt zu bewahren. In Großbritannien hat die konservative Premierministerin Theresa May zusammen mit ihrem Kriegskabinett jedoch am Parlament vorbei bereits den Beschluß zum militärischen Eingreifen gefällt. Britische U-Boote, die mit Marschflugkörpern ausgerüstet sind, befinden sich angeblich bereits im östlichen Mittelmeer.

Doch die drastischsten Worte findet dieser Tage der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu, der sich wegen Korruptionsermittlungen selbst in großen politischen Schwierigkeiten befindet und dessen Soldaten wegen der Ermordung zahlreicher unbewaffneter Palästinenser bei anhaltender Demonstrationen vor dem Grenzzaun zum Gazastreifen international in der Kritik stehen. Beim Auftritt in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem am 11. April stellte Netanjahu eine Verbindung zwischen dem Giftgasanschlag von Douma mit dem industriellen Massenmord der europäischen Juden durch Nazi-Deutschland her und machte für das anhaltende Gemetzel in Syrien die Iraner hauptverantwortlich. Weil Teheran Vergeltung für die sieben von Israel getöteten iranischen Offiziere bei Homs angekündigt hatte, drängen nun israelische Politiker und Militärs auf die Beseitigung Assads, um den für Tel Aviv inakzeptablen Einfluß des Irans in Syrien ein für allemal zu beseitigen.

Unterstützung erhält Israel in seinem Vorhaben von Saudi-Arabien, dem Erzfeind des Irans. Wenig überraschend hat der saudische Kronprinz und Verteidigungsminister Mohammed bin Salman eine Beteiligung seiner Streitkräfte an der Syrien-Operation der USA, Großbritanniens und Frankreichs in Aussicht gestellt. In Washington, London und Paris werden die Wünsche und die anti-iranischen Animositäten der Israelis und der Saudis, die in den Hauptstädten des Westens bekanntlich über beträchtlichen politischen Einfluß verfügen, sicherlich nicht unberücksichtigt bleiben.

13. April 2018


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