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NAHOST/1590: Syrien-Konflikt - Interessensüberschneidungen ... (SB)


Syrien-Konflikt - Interessensüberschneidungen ...


Weit glimpflicher als befürchtet sind die Raketenangriffe ausgefallen, welche die Streitkräfte der USA, Frankreichs und Großbritanniens in den frühen Morgenstunden des 14. April gegen Ziele in Syrien durchführten. Hauptgrund für die positive Entwicklung ist nach Angaben des Wall Street Journal die Tatsache gewesen, daß sich im Kriegskabinett von US-Präsident Donald Trump Verteidigungsminister James Mattis durchsetzen konnte. Der ehemalige General mit ausgiebiger Irakkriegserfahrung konnte Trump dazu bringen, von einer von ihm und dem neuen Nationalen Sicherheitsberater John Bolton favorisierten Option eines großangelegten Angriffs auf Stellungen der Syrischen Arabischen Armee (SAA) und der russischen Luftverteidigung in Syrien Abstand zu nehmen und sich statt dessen mit einer begrenzten Operation gegen drei Objekte mit angeblicher Verbindung zu den mutmaßlichen Giftgasangriffen der syrischen Streitkräfte zu begnügen. Damit hat Mattis verhindert, daß der Syrien-Konflikt am vergangenen Wochenende in einen Dritten Weltkrieg eskalierte. Doch die Gefahr einer solch verheerenden Konflagration besteht aufgrund der diametral entgegengesetzten Interessen der ausländischen Akteure im Syrien-Krieg weiterhin.

Angegriffen wurden eine medizinische Forschungsanlage in Damaskus und zwei Stützpunkte bei Homs, wo angeblich chemische Kampfmittel heimlich gebunkert worden waren. Über den Erfolg der Mission wird gestritten. London, Paris und Washington behaupten, alle 103 Raketen hätten ihre Ziele getroffen, während nach Angaben des russischen und syrischen Militärs bis zu 71 feindliche Flugkörper nach vor dem Eintreffen abgefangen bzw. abgeschossen wurden. Die Regierung in Damaskus weist weiterhin den Vorwurf weit von sich, Chemiewaffen im allgemeinen einzusetzen und im konkreten am 7. April Giftstoffässer auf die Rebellenhochburg Douma in Ostghouta bei Damaskus abgeworfen zu haben. Sie beharrt darauf, im Rahmen der im September 2013 von Rußland initiierten Vereinbarung mit den USA sämtliche syrischen Chemiewaffenbestände und -produktionsstätten vernichtet zu haben - was ihr 2015 von der Organisation zum Verbot Chemischer Waffen (OPCW) bescheinigt wurde.

Daher stand von Anfang an der Verdacht im Raum, daß es sich bei dem Vorfall von Ghouta um ein von den Rebellen inszeniertes Täuschungsmanöver gehandelt habe, das den Amerikanern, Briten und Franzosen Anlaß zur Militärintervention bieten sollte. Schließlich befinden sich die von den USA, Großbritannien, Frankreich, der Türkei, Saudi-Arabien, Jordanien und Israel mit Waffen und Geld unterstützen Aufständischen in Syrien seit dem direkten Einstieg Rußlands und des Irans 2015 in den Kämpfen deutlich auf dem Rückzug. Inzwischen hat der mehrfach ausgezeichnete langjährige britische Nahost-Korrespondent Robert Fisk Douma erreicht und Bestätigung für die Vermutungen hinsichtlich einer "Falschen-Flagge-Aktion" der Rebellen gefunden.

Ohne Begleitung durch syrische Beamte oder Militärs hat Fisk die gerade zurückeroberte Hochburg der von Riad favorisierten Gruppe Dschaisch Al Islam durchwandern und mit Ärzten und Einwohnern frei sprechen können. Danach hat er am Abend des 16. April auf der Website der britischen Zeitung Independent einen Text sowie einen Videobeitrag veröffentlicht, die entlarvende Angaben enthalten. Am fraglichen Tag, am Vorabend der Rückeroberung von Douma durch die SAA, fanden heftige Kämpfe statt. Die Rauch- und Staubentwicklung infolge der Bombeneinschläge sowie ein gleichzeitiger Sandsturm in der zerstörten, untertunnelten Ruinenlandschaft haben viele Menschen mit Atemnot in das örtliche Krankenhaus getrieben. Dort kam es zu einer Massenpanik, als Mitglieder der vom britischen Außenministerium finanzierten "Hilfsorganisation" der sogenannten Weißhelme in der Notaufnahme erschienen, "Giftgasangriff" herumbrüllten und allen Anwesenden empfahlen, so schnell wie möglich ihre Haut mit Wasser zu waschen. Die Bilder der darauffolgenden Szenen haben die Weißhelme per Videokamera festgehalten und als Beweis für die angebliche Greueltat von Baschar Al Assad ins internet gestellt, wo sie von den humanitären Kriegern Donald Trump, Theresa May und Emmanuel Macron dankend aufgegriffen wurden, um Assad und dessen Verbündete Rußland und Iran an den Pranger zu stellen und eine völkerrechtlich illegale Vergeltungsaktion zu starten.

Nach Angaben von Pentagon-Chef Mattis, der am 13. April freimütig das Fehlen handfester Beweise für den postulierten Einsatz von Chlorgas in Douma zugab, sollte es sich beim Raketenangriff der NATO-Mächte um eine "einmalige Aktion" handeln, mit der Washington, London und Paris Damaskus lediglich von weiteren Verstößen gegen das Kriegsrecht abbringen, aber dort keinen "Regimewechsel" herbeiführen wollten. Ungeachtet des demonstrativen Versuchs des US-Verteidigungsministers, die Spannungen aus der Konfrontation mit Rußland zu nehmen, sind aufgrund des desaströsen Grundverhältnisses des Westens zum Kreml weitere Provokationen und Zwischenfälle in Syrien vorprogrammiert, die jedesmal das Risiko einer unkontrollierbaren Militäreskalation mit sich bringen werden.

Man denke nur an die Stellungnahme, mit der Premierministerin May am 13. April ihre am Parlament vorbei getroffene Entscheidung zur Teilnahme der britischen Streitkräfte am Raketenangriff auf Syrien begründete. Darin hat die Tory-Chefin den Einsatz chemischer Waffen sowohl "innerhalb Syriens" als auch "auf den Straßen des Vereinigten Königreichs" als nicht hinnehmbar bezeichnet. Letztere Formulierung war ein Hinweis auf die Erkrankung des 66jährigen russischen Überläufers Sergej Skripal und seiner 33jährige Tochter Julia am 4. März im südenglischen Salisbury - einen Vorfall, den London ohne Vorlage stichhaltiger Beweise zum Nervengiftangriff des Kremls aufgebauscht hat.

Der britische Außenminister Boris Johnson behauptet seit Wochen, dem MI6 lägen Erkenntnisse vor, daß auf Anordnung Wladimir Putins Rußland seit Jahren ein geheimes Gifstoffprogramm betreibe, was im Umkehrschluß bedeute, daß die Ende letzten Jahres von der OPCW attestierte Vernichtung aller russischen Chemiewaffen reiner Schwindel sei. Damit stellt Johnson den russischen Präsidenten auf die gleiche Stufe wie seinen syrischen Amtskollegen, den Trump inzwischen per Twitter als "das Tier Assad" beschimpft. Inzwischen deutet das Ergebnis der Untersuchung von Blutproben der Skripals im Auftrag der OPCW durch das staatliche Schweizer Labor Spiez darauf hin, daß diese nicht mit sowjetisch entwickeltem "Novichok" A-234, wie von London reklamiert, sondern mit dem Halluzinogen BZ, das 1951 vom Pharmakonzern Hoffman-LaRoche entwickelt und später von verschiedenen NATO-Armeen in ihr Waffenarsenal übernommen, jedoch niemals von der Sowjetunion oder Rußland benutzt wurde, vergiftet wurden. Der Umstand, daß die britischen Behörden der russischen Botschaft in London jeden Zugang zu den Skripals verwehren und damit gegen internationales Recht verstoßen, spricht Bände. Nach Ansicht Moskaus hat die May-Regierung die Skripals erst vergiftet und, um die genauen Umständen des Vorfalls zu vertuschen, entführt.

Die durchsichtige Propagandakampagne gegen Rußland, die jeglicher Entspannungspolitik im Wege steht, reißt nicht ab. Im Westen legen Medien und Politik den "Giftgasangriff" von Douma dahingehend aus, daß sich Syrien nicht gänzlich von seinen Chemiewaffen getrennt und Rußland das Unterlaufen der Abmachung mit den USA und der OPCW geduldet hat. Es überrascht daher nicht, sondern liegt vollends in der Logik der Eskalation, daß jene neokonservativen Kräfte, die in Großbritannien und den Vereinigten Staaten diese These vertreten, weiterhin auf die Absetzung Assads und die Sanktionierung Rußlands setzen.

Für die Gefährlichkeit der Lage sprechen die Ermahnungen von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, man dürfe Rußland nicht wie einen Feind behandeln und in die Enge treiben. Doch wie sähe die Versöhnung aus? Wenn es nach den G-7, der amerikanischen UN-Botschafterin Nikki Haley und selbst dem deutschen Außenminister Heiko Maas geht, darf Baschar Al Assad nicht länger Staatsoberhaupt Syriens bleiben. Das bedeutet, daß es für den Westen ein Ende des Syrienkriegs nur geben kann, wenn der "Regimewechsel" vollzogen ist. Darauf laufen die verlogenen Rufe aus Washington, London, Paris und Berlin nach verstärkten diplomatischen Friedensbemühungen für die Krise in Syrien hinaus. Rußland soll Assad fallenlassen. Und was käme danach? Vermutlich ein Wiederaufflammen der Kämpfe in der Ostukraine bei gleichzeitiger Beschuldigung an die Adresse Moskaus, allein für das Blutvergießen verantwortlich zu sein.

Während die USA mit Hilfe kurdischer Rebellen jene Gebiete im Osten Syriens, wo die größten Öl- und Gasvorkommen des Landes liegen, besetzt halten, hat Rußland ebenfalls in Syrien, wenngleich unausgesprochen, seine eigene "rote Linie" gezogen. Moskau will Assad und die Anhänger eines säkularen Syriens nicht den Dschihadisten überlassen, weil dies Rußlands Ruf als verläßlicher Verbündeter erschüttern und nur weiteres Unheil in der Region - siehe Libyen und Irak - hervorrufen würde. Putin hat bereits vor "Chaos" gewarnt, sollten die USA, Frankreich und Großbritannien weitere Militäraktionen am UN-Sicherheitsrat vorbei in Syrien starten. Doch weder Trump noch May noch Macron wird darauf hören. Schließlich streben die NATO-Großmächte an, Putin loszuwerden und in Moskau eine eigene Marionette ähnlich Petro Poroschenko in Kiew zu installieren. Assad und Millionen seiner Landsleute sind lediglich Bauernopfer im Ringen des Pentagons um die weltweite Militärherrschaft.

17. April 2018


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