Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


NAHOST/1618: Palästina - USA lösen nur Versprechen ein ... (SB)


Palästina - USA lösen nur Versprechen ein ...


25 Jahre nach Unterzeichnung des ersten Oslo-Vertrages haben die USA durch die verfügte Schließung des Büros der palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) in Washington den letzten Sargnagel in den sogenannten Nahost-Friedensprozeß gerammt. Lauthals begrüßt wurde der Schritt von Benjamin Netanjahu, dessen Hetztiraden als damaliger Oppositionsführer gegen die Anerkennung der PLO als Friedenspartnerin der Ermordung des israelischen Premierministers Jitzchak Rabin durch einen Radikalzionisten bei einer Wahlkampfveranstaltung 1995 vorausgingen. Seitdem hat Netanjahu als Finanzminister Ariel Scharons und später als Premierminister Israels wirklich alles unternommen - den forcierten Ausbau der illegalen jüdischen Siedlungen im Westjordanland, die Abriegelung des Gazastreifens sowie drei Kriege gegen die "radikalislamische" Hamas-Bewegung und vieles mehr -, um die 1993 entstandene Vision einer Zweistaatenlösung mit Israel und Palästina als gleichberechtigten Nachbarstaaten und Partnern auszulöschen. Er hat inzwischen sein Ziel erreicht.

Verkündet wurde die drakonische Entscheidung von John Bolton, dem Nationalen Sicherheitsberater von US-Präsident Donald Trump, anläßlich einer Rede vor der ebenso einflußreichen wie reaktionären Juristenvereinigung Federalist Society in Washington. In dem Vortrag mit dem pompösen Titel "Protecting American constitutionalism and sovereignty from international threats" - ("Die amerikanische Verfassungsordnung und Souveränität vor internationalen Bedrohungen schützen") - hat Bolton unter Anwendung martialischer Formulierungen nicht nur mit der palästinensischen Autonomiebehörde (PA) in Ramallah, sondern auch mit dem Internationalen Strafgerichtshof (International Criminal Court - ICC) in Den Haag abgerechnet. Die Botschaft Boltons an die Welt war unmißverständlich. Die USA verstehen sich als alleinige Supermacht, die von anderen Staaten die Einhaltung internationaler Verträge und Abkommen erwartet, für sich selbst jedoch absolute Handlungsfreiheit beansprucht.

Bolton gilt schon lange als führender Verfechter des amerikanischen Exzeptionalismus, jener Ideologie, derzufolge die USA das Licht unter den Nationen seien, die den anderen weniger von Gott gesegneten Ländern und Völkern zu zeigen hätten, wo es in der Weltgeschichte langgeht. Nachdem der ICC 2002 seine Arbeit aufnahm, war es Bolton, dem es als Staatssekretär im State Department oblag, mit zahlreichen Staaten mittels bilateraler Verträge die Immunität für US-Soldaten und -Politiker auszuhandeln. Die Zeit drängte: Damals bereitete die Regierung George W. Bushs den völkerrechtlich illegalen Einfall in den Irak vor, der im März 2003 erfolgte und mehr als eine Million Einwohner des Zweistromlands das Leben kosten sollte.

Bolton gehörte zu jener neokonservativen Clique innerhalb der Bush-Regierung, welche die erlogene Begründung für den gewaltsamen Sturz des "Regimes" Saddam Husseins - Stichwort Massenvernichtungswaffen - propagierte und sie mit allen möglichen geheimdienstlichen Räubergeschichten vor allem aus Israel und Großbritannien untermauerte. Aus Sorge, die Organisation für das Verbot chemischer Waffen in Den Haag könnte noch vor dem geplanten Kriegsbeginn Bagdad vom Besitz solcher Kampfstoffe freisprechen, flog Bolton Ende 2002 extra in die niederländische Hauptstadt und drängte dort den damaligen Leiter der UN-Unterorganisation, den brasilianischen Diplomaten José Mauricío Bustani, erfolgreich zum Rücktritt innerhalb von 24 Stunden, indem er das Leben von dessen zwei Söhnen, die in New York studierten, indirekt bedrohte.

Vor diesem Hintergrund ist die Ankündigung Boltons, Washington werde jeden Staat und jede Person, die mit dem ICC bei Klagen gegen die USA oder Israel kooperiere, bestrafen, sei es durch Wirtschaftssanktionen oder Schlimmeres, mehr als ernstzunehmen. Bolton hat den ICC offiziell zur "Bedrohung der nationalen Sicherheit" Amerikas erklärt, von daher wären für ICC-Mitarbeiter, Kläger und/oder Zeugen nicht nur herkömmliche Sanktionsmaßnahmen wie Einreiseverbot in die USA oder Kontosperre, sondern auch Verschleppung, Folter und Ermordung, wie es Washingtons Schergen seit Jahren mit sogenannten "Terroristen" offen praktizieren, denkbar. Bolton hat nicht umsonst bei seiner Rede vor der Federalist Society die unheilvoll klingende Wortwahl "by any means necessary" ("mit allen notwendigen Mitteln") verwendet.

Anlaß für die Boltonsche Breitseite auf ICC und PA waren zwei Dinge. Seit 2007 ermittelt der ICC wegen eventueller Kriegsverbrechen der US-Streitkräfte in Afghanistan. Zwischen vergangenem November und Januar dieses Jahres haben europäische und afghanische Nichtregierungsorganisationen in Afghanistan mehr als eine Million belastende Aussagen über krasses Fehlverhalten amerikanischer Soldaten am Hindukusch seit 2001 gesammelt und das gesamte Material dem ICC zur Verfügung gestellt. Im Mai hat die PA den ICC wegen "Siedlungsausbau, Landraub, illegaler Ressourcenausbeutung sowie brutaler und gezielter Schüsse auf unbewaffnete Demonstranten, besonders im Gazastreifen" durch Israel angerufen und Ermittlungen gefordert. ICC-Chefanklägerin Fatou Bensouda aus Gambia hat in beiden Angelegenheiten versprochen, die Hinweise auf schwere Menschenrechtsverletztungen und Kriegsverbrechen sorgfältig zu überprüfen und wo gerechtfertigt, so rasch wie möglich Anklagen gegen die Verantwortlichen in den USA und Israel zu erheben.

Die Schließung der PLO-Vertretung in Washington ist in diesem Zusammenhang nicht anderes als ein mahnendes Beispiel an die restliche "internationale Gemeinschaft", daß die Trump-Regierung ihre Drohungen jederzeit in die Tat umzusetzen bereit ist. Führende Vertreter der Palästinenser wie der einstige PLO-Chefunterhändler Saeb Erekat werfen den USA nun Erpressung und einseitige Parteinahme für Israel vor. Doch wer meint, die Architekten der aktuellen Nahost-Politik der USA wie Bolton und Trumps Schwiegersohn Jared Kushner hätten durch die umstrittene Verlegung der amerikanischen Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem und die Streichung der Teilnahme Washingtons an der finanziellen Unterstützung für die palästinensischen Flüchtlinge im Libanon, in Syrien und Jordanien einen radikalen Bruch mit der bisherigen Linie Washingtons vollzogen, irrt sich. Wie der Nahost-Kommentator und langjährige Friedensaktivist Mitchell Plitnick in dem am 6. September bei LobeLog.com erschienenen Artikel "Trump's Endgame in Palestine" anmerkte, hat bereits 2003 Bush jun. Ariel Scharon schriftlich versichert, daß Israel weder die Rückkehr zu den Grenzen von 1967 noch die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge zu erwarten habe.

13. September 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang