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NAHOST/1688: Ägypten - Der Wasserstreit ... (SB)


Ägypten - Der Wasserstreit ...


In Washington trafen am 6. November im Beisein von Vertretern des Internationalem Währungsfonds (IWF) und der Weltbank die Außenminister Ägyptens, Äthiopiens und des Sudans zusammen. Thema des wohlweislich nicht als solches bezeichneten Krisentreffens war der neue Mammutstaudamm, den die Äthiopier seit 2010 am Oberlauf des Blauen Nils errichten. Im Januar soll der Grand Ethiopian Renaissance Dam (GERD) in Betrieb gehen. Um das dahinter liegende Staubecken aufzufüllen, soll die Menge Wasser, die Ägypten vom Blauen Nil erhält, um 20 bis 30 Prozent zurückgehen, was verheerende Auswirkungen hätte. Das wäre vor allem dann der Fall, wenn es sich dabei nicht, wie von Äthiopien beschwichtigend behauptet, um eine vorübergehende Maßnahme handeln, sondern als Dauerzustand erweisen sollte.

Für die Bedeutung des Treffens spricht der Umstand, daß die drei Chefdiplomaten aus Addis Adeba, Kairo und Khartum zunächst kurz von Präsident Donald Trump im Weißen Haus empfangen wurden, bevor sie gleich nebenan in das Finanzministerium gingen, um die eigentlichen Gespräche zu führen. Der ungewöhnliche Umstand, daß die Diskussion nicht von Außenminister Mike Pompeo, sondern von Trumps Finanzminister Steven Mnuchin moderiert wurde, hängt mit der desolaten wirtschaftlichen Lage Ägyptens zusammen. Vor einiger Zeit hat sich Ägyptens Diktator Abdel Fatah Al Sisi mit Saudi-Arabien überworfen, das 2013 zusammen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) den Putsch des damaligen Verteidigungsministers gegen Mohammed Al Mursi, den ersten frei gewählten ägyptischen Präsidenten, finanziert und Kairo in der Folge mit großzügigen Geld- und Öllieferungen über Wasser gehalten hatte. Grund des Zerwürfnisses war die fehlende Bereitschaft der Ägypter, sich mit Bodentruppen an dem ab 2015 von Riad angeführten Krieg einer sunnitischen Staatenallianz gegen die schiitischen Huthi-Rebellen im Jemen zu beteiligen. Deshalb reiste Al Sisi vor einigen Monaten nach Bagdad, um die Möglichkeit auszuloten, verbilligtes Öl aus dem Irak zu beziehen. Angesichts des desaströsen Stands der ägyptischen Staatsfinanzen könnten Notkredite seitens der USA, des IWF und der Weltbank Kairo im Streit um den äthiopischen Dammbau am Nil vorübergehend milde stimmen.

Doch von den Gesprächen in Washington, bei denen drei weitere Treffen bis Ende 2019 geplant sind, ist keine dauerhafte Lösung zu erwarten. Dafür ist die Problematik zu überdimensional und schwerwiegend. In einem Artikel, der am 30. Oktober bei Middle East Eye erschienen ist, hat Herausgeber und Chefredakteur David Hearst einen anonymen ägyptischen Bewässerungsexperten, der über Insiderkenntnisse von den laufenden Verhandlungen zwischen Kairo und Addis Adeba verfügt, mit folgender erhellenden und erschreckenden Aussage zitiert:

Sollte sich der Stausee, wie das die Äthiopier beabsichtigen, erst im Laufe von drei Jahren füllen, wird in dieser Zeit das Wasserniveau des Nils in Ägypten derart absinken, daß viele Leitungen zu den Pumpstationen über diesem Niveau liegen. Wenn der Wasserpegel soweit absinkt, dann bedeutet das für das Nil-Delta, die landwirtschaftlich wichtigste Region Ägyptens, daß dort das Meerwasser eindringen und der Boden salzig und an Fruchtbarkeit verlieren wird.

Öffentlich behaupten die Athiopier, daß sie das Wasser nicht für die Landwirtschaft [sondern lediglich zur Stromerzeugung - Anm. d. SB-Red.] benutzen werden und daß nach drei Jahren die Menge an Wasser, das in Richtung Ägypten fließt, wieder auf das heutige Niveau zurückkehren wird. Das ist jedoch nicht wahr, denn die Äthiopier verteilen und verpachten bereits landwirtschaftliche Flächen [rund um den geplanten Stausee - Anm. d. SB-Red.] an in- und ausländische Investoren. Sie werden 20 bis 30 Prozent des Wassers, das Ägypten bisher erhielt, dauerhaft für sich nutzen. Das wird für Ägypten enorme Auswirkungen haben, denn das Land hat keine andere Wasserquelle.

In Ägypten, wo ein Drittel der Bevölkerung von fast 100 Millionen Menschen in bitterer Armut lebt, kündigt sich die Katastrophe bereits an. In September und Oktober lösten die YouTube-Enthüllungen des ins spanische Exil geflohenen Ex-Bauunternehmers Ali Mohamed über Korruption am Hofe Al Sisis die schwersten Massenproteste seit 2013 aus. Zu den von Mohamed erhobenen Vorwürfen an die Adresse der Militärdiktatur gehörten nicht nur Korruption und Prunksucht - Stichwort Palastbau - sondern auch, die Nilwasser-Verhandlungen mit Äthiopien verbockt zu haben. Gegen den letztgenannten Vorwurf setzte sich Al Sisi mit der wenig glaubhaften These zur Wehr, durch den Sturz Hosni Al Mubaraks 2011, den demokratischen Aufbruch und die einjährige Regierungszeit Al Mursis habe Kairo gegenüber Addis Adeba nicht wieder gutzumachenden diplomatischen Boden verloren. Daraufhin hat Ali Mohamed die Behauptung des eitlen Generalissimus, niemand kümmere sich mehr um den Wasserbedarf des ägyptischen Volkes als er, als gemeine Lüge entlarvt, indem er enthüllte, daß unter der Regie Al Sisis in den vergangenen Jahren mehrere größere Tunnel unter dem Suez-Kanal gebaut worden seien, um Nil-Wasser in östlicher Richtung zu exportieren, das heißt entweder an die Israelis und/oder die Saudis zu verkaufen.

9. November 2019


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