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NAHOST/1699: Libyen - Das Kreisen der Geier ... (SB)


Libyen - Das Kreisen der Geier ...


Im libyschen Bürgerkrieg zeichnet sich ein baldiges Ende ab. Trotz der internationalen Libyen-Konferenz Ende Januar in Berlin und Gesprächen der libyschen Konfliktparteien Anfang Februar in Genf unter der Moderation des UN-Sonderbeauftragten Ghassan Salamé nehmen die Kämpfe um die Hauptstadt Tripolis an Heftigkeit zu. Weder die Libyen-Beratungen der Nachbarländer Tunesien und Algerien, der Afrikanischen Union (AU) und der Teilnehmer der Münchner Sicherheitkonferenz am vergangenen Wochenende noch die neue, am 17. Februar vereinbarte EU-Mission zur Durchsetzung des UN-Waffenembargos von 2011 werden ernsthaft zur Beilegung des Konflikts beitragen. Zu verfeindet sind die Kriegsparteien in Libyen selbst, zu stark die wirtschaftlichen und sonstigen Interessen ihrer jeweiligen ausländischen Unterstützer.

Vor einem Jahr hat der Ex-CIA-Verbindungsmann "Feldmarschall" Khalifa Hifter mit seiner Libyschen Nationalarmee (LNA) versucht, im Namen des im östlichen Tobruk regierenden House of Representatives (HoR) dessen seit 2016 währende Konfrontation mit der von den Vereinten Nationen anerkannten Regierung der Nationalen Einheit (Government of National Accord - GNA) um Premierminister Fayiz Al Sarradsch im Westen für sich zu entscheiden. Mit einer raschen Großoffensive, die nur wenige Wochen dauerte, brachte die LNA zunächst den zum größten Teil aus Wüste bestehenden bevölkerungarmen, aber ölreichen Süden Libyens unter ihre Kontrolle. Im April 2019 setzte Hifters Truppe, die von Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Rußland und Frankreich unterstützt wird, zur Einnahme der Hauptstadt Tripolis und zum endgültigen Sieg im Bürgerkrieg an. Doch mit Hilfe von Milizionären aus der Stadt Misurata konnten die Kämpfer der GNA, die ihrerseits von Katar, der Türkei und Italien unterstützt werden, den Sturmangriff der LNA doch noch zurückschlagen.

Vor allem das militärische Engagement Ankaras hat eine Einnahme von Tripolis durch die LNA verhindert. Im Sommer haben die Türken Panzer und Raketen an die GNA geliefert. Im November haben Ankara und Tripolis sogar ein umfassendes Beistandsabkommen geschlossen, in dem die GNA die türkischen Ansprüche auf Öl- und Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer anerkennt. Dieser Umstand hat die Anrainerstaaten Griechenland, Ägypten, Zypern sowie Frankreich in Rage versetzt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron warf dem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan Anmaßung vor und entsandte zur Machtdemonstration Kriegsschiffe ins östliche Mittelmeer, die faktisch den Grundstein für jene EU-Flotte bildeten, die künftig zur See das UN-Waffenembargo durchsetzen soll.

Zur Stärkung der Verteidigungkräfte in Tripolis hat die Türkei seit Januar rund 2000 islamistische Kämpfer dorthin geschickt, die zuletzt in Syrien am gescheiterten Versuch der NATO und der sunnitischen Petromonarchien am Persischen Golf, das säkular-alewitische "Regime" Baschar al Assads zu stürzen, beteiligt waren und inzwischen offenbar ein neues Betätigungsfeld suchen. Die ehemaligen Syrien-Rebellen, die vermutlich aus verschiedenen Länder stammen, gelangten nicht mit der Fähre, sondern per Flugzeug nach Libyen. Wie die EU-Mächte das Waffenembargo im Luftraum des Mittelmeers durchzusetzen gedenken ist unklar. Gegen Waffenlieferungen über die Landgrenze von Ägypten in den libyschen Osten an die LNA werden sie ohnehin nichts ausrichten können.

Im Interview mit der Washington Times hat am 13. Februar Ahmed Miitig, der Stellvertretende Premierminister der GNA, Tripolis' Annahme der Hilfe der aus Syrien kommenden Dschihadisten der Al-Kaida-nahen Al-Nusra-Front und der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) gerechtfertigt. Ein Ertrinkender greift nach jedem Strohhalm, so Miitig. Der Geschäftsmann aus Misurata warf der Regierung von US-Präsident Donald Trump vor, nichts zur Rettung der GNA unternommen, sondern still und heimlich den Sieg von Hifters LNA im Bürgerkrieg abgewartet zu haben, um sich dann mit den vollendeten Tatsachen und dem neuen "starken Mann" in Tripolis zu arrangieren.

Auf die Entsendung der sunnitischen Syrien-Söldner nach Libyen hat Hifter seinerseits geschickt mit einem Ölembargo reagiert. Seit Wochen stehen deshalb viele libysche Ölfelder, Raffinerien und Verladehäfen, von denen die meisten im Osten und Süden des Landes liegen und sich damit unter der Kontrolle der LNA befinden, still. Der Ölexport Libyens ist von 1,2 Millionen Barrel am Tag vor der Jahreswende auf 180.000 und damit um 80 Prozent gesunken. Die Einnahmen der in Tripolis sitzenden National Oil Corporation (NOC), welche die GNA finanziell am Leben halten, versiegen. Deutschland galt traditionell als Hauptabnehmer libyschen Öls. Seit Jahrzehnten ist das französische Staatsunternehmen Total in Libyen, sowohl an Land als auch vor der Küste, in der Ölförderung tätig. Dies erklärt zum Teil das verstärkte Bemühen der beiden EU-Großmächte, sich der Libyen-Problematik diplomatisch und militärisch zu widmen.

Seit 2013 sind die Franzosen in der Sahel-Zone mit 4500 Soldaten präsent und unterstützen dort die Streitkräfte Malis, Nigers, Burkina Fasos, Mauritaniens und Tschads im "Antiterrorkampf" gegen den regionalen IS-Ableger. Dabei hat die sogenannte G5-Mission Frankreichs die Lage in der Sahel-Zone erheblich verschlechtert, statt sie zu verbessern. Der Einsatz ausländischer Soldaten treibt viele junge Männer in die Armee der Gotteskrieger. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein neues Massaker aus einem der genannten Länder gemeldet wird. Die Kämpfe zwischen Soldaten und Milizionären tragen zur gesellschaftlichen Instabilität in der Sahel-Zone bei und machen jeden Ansatz zum wirtschaftlichen Aufbau zunichte. Vor diesem Hintergrund ist eine stärkere Einmischung der EU in die libysche Innenpolitik nur dann wünschenswert, wenn es um Vermittlung und wirtschaftliche Anreize geht. Der Glaube an eine militärische Lösung kommt lediglich den Waffenhändlern und ihren Lieferanten bei der Rüstungsindustrie in den USA, der EU, Rußland und China zugute. Der libyschen Zivilbevölkerung, von der bereits rund 200.0000 Menschen auf der Flucht vor den Kämpfen sind, ist mit noch mehr Waffen, Munition und Kriegsteilnehmern überhaupt nicht geholfen.

18. Februar 2020


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