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NAHOST/1715: Jemen - aber die Wunde wird bleiben ... (SB)


Jemen - aber die Wunde wird bleiben ...


Im Jemen ist die staatliche Einheit zerbrochen. Die Rückkehr zur Ära zwischen 1967, als die Kolonialmacht Großbritannien Südjemen in die Unabhängigkeit entließ, und 1990, als sich das sozialistisch regierte Land mit dem religiös-konservativ geprägten Nordjemen vereinigte, scheint unvermeidlich zu sein. Am 26. April haben die Separatisten im Südjemen die Autonomie ausgerufen und sich endgültig von der "Regierung" um Abd Rabbu Mansur Hadi losgesagt. Dagegen werden der "Interimspräsident" und seine Anhänger wenig ausrichten können. Hadi selbst weilt quasi als Geisel Saudi-Arabiens in Riad, seine Truppen kämpfen erbittert um den Erhalt ihrer wichtigsten Hochburg Marib, Hauptstadt der gleichnamigen ölreichen Provinz, gegen die schiitischen Huthi-Rebellen im Norden. Daß sie gleichzeitig in der Lage wären, die Machtübernahme des Südlichen Übergangsrats (Southern Transitional Council - STC) in Aden rückgängig zu machen, ist ausgeschlossen, denn ihr wichtigster Verbündeter, Saudi-Arabien, ist gerade dabei, nach fünf Jahren vergeblichen Bemühens das aus Perspektive der Finanzen und des Prestiges enorm verlustreiche Militärabenteuer zu beenden.

Im jemenitischen Einheitsstaat sind die Bewohner der Hafenmetropole Aden und der südlichen Provinzen niemals richtig heimisch geworden. Als sich 1994 die Südjemeniten aus Protest gegen ihre Benachteiligung im neuen gemeinsamen Staat erneut für unabhängig erklärten, wurde der Aufstand innerhalb weniger Wochen von den Truppen um Ex-General Ali Abdullah Saleh, den früheren Präsidenten Nordjemens, der Staatsoberhaupt des vereinigten Jemens geworden war, brutal niedergeschlagen. Im Zuge der monatelangen Massenproteste für Demokratie im Jemen vor dem Hintergrund des sogenannten "arabischen Frühlings" sah sich Saleh 2012 zum Rücktritt gezwungen. Sein früherer Kampfgefährte Feldmarschall Hadi wurde für zwei Jahre zum Übergangspräsidenten, der in dieser Zeit die Ausarbeitung einer neuen, progressiven Verfassung vorantreiben sollte.

Als jedoch die Verfassungsberatungen von Hadi immer wieder torpediert wurden, stürzten die Huthi-Rebellen, die sich selbst Ansarullah nennen, den Präsidentenpalast, eroberten die Hauptstadt Sanaa und marschierten auf Aden zu, wohin Hadi geflohen war. Unter dem Vorwand der Rettung der scheinlegitimen Hadi-Regierung sowie zur Bekämpfung des angeblichen iranischen Einflusses bei den Huthis intervenierten die saudischen Streitkräfte an der Spitze einer großen sunnitischen Militärallianz. Aden konnte verteidigt werden und wurde zur provisorischen Hauptstadt der von den Vereinten Nationen anerkannten Regierung Hadis erklärt. Mit Hilfe der saudischen Luftwaffe, Offizieren aus den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie Soldaten aus dem Sudan brachten die Hadi-Getreuen und die Anhänger der südlichen Autonomiebewegung weite Teile des Südens und des Ostens unter ihre Kontrolle.

Doch bald kam es zur Reibereien. Als Hadi 2017 den Gouverneur von Aden, Aidarus Al Zubaidi, kurzerhand entließ, gründete dieser zusammen mit den Gouverneuren mehrerer anderer südlicher Provinzen den STC. 2018 und 2019 kam es in Aden und anderen Teilen des südlichen Jemens zu blutigen Kämpfen zwischen STC-Soldaten, die von den VAE ausgebildet und militärisch unterstützt wurden, und den Anhängern Hadis. Beide Male haben die Hadi-Getreuen trotz saudischer Luftunterstützung den kürzeren gezogen. Dessen ungeachtet konnte Kronprinz Mohammed Bin Salman, der Hauptinitiator des saudischen Debakels im Jemen, Hadi und Al Zubaidi im vergangenen November in Riad zur Unterzeichnung eines "Friedensvertrags" zwingen.

Das Abkommen hat die beiden Seiten einander aber nicht näher gebracht. Die jahrelangen Beschwerden der STC-Anhänger über die Vernachlässigung des Südens durch die Hadi-Regierung haben ihre Bestätigung erfahren, als am 21. April 20 Menschen bei Überflutungen infolge eines extrem starken Platzregens das Leben verloren. Durch die Wassermengen und die starken Winde des Unwetters brach das schlecht gewartete Stromnetz zusammen. In Aden waren die Menschen vier Tage ohne Elektrizität. Am 25. April kam es in der an der Einfahrt zum südlichen Ende des Roten Meeres liegenden Hafenstadt zu Massenprotesten. Einen Tag später rief der STC die Autonomie für ganz Südjemen aus und begründete dies mit der Korruption und Unfähigkeit der Hadi-Administration.

Der Zeitpunkt für den Schritt Südjemens in Richtung Unabhängigkeit ist gut gewählt. Nach dem Abzug der meisten emiratischen und sudanesischen Truppen sowie einer Reihe spektakuläre Drohnen- und Raketenangriffe der Huthis auf saudische Ölraffinerien 2019 bleibt Riad praktisch keine andere Möglichkeit als der Rückzug seiner Truppen. Hinzu kommt der Absturz des Ölpreises infolge der Corona-Virus-Pandemie, der MbS zur raschen Beendigung des Krieges im Nachbarland zwingt. Nicht umsonst haben die saudischen Streitkräfte in den letzten Wochen zweimal eine einseitige Feuerpause erklärt und die Huthis zur Teilnahme an einem Waffenstillstand aufgerufen. Zwischen einem Huthi-dominierten Norden und einem von STC kontrollierten Süden gibt es für Hadi politisch und geographisch keinen Platz mehr. Er kann froh sein, wenn die Saudis ihm eine Fortsetzung seines Luxuslebens im Exil gewähren. Auch MbS dürfte mit dem Ergebnis teilweise zufrieden sein. Wenngleich er sich nicht als Feldherr von Format beweisen konnte, ist es ihm immerhin gelungen, die Entstehung eines einheitlichen, progressiven, demokratischen Jemens mit Frauenrechten, dessen Strahlkraft der absolutistischen Monarchie der Familie Saud hätte gefährlich werden können, zu vereiteln und im Armenhaus Arabiens eine Ruinenlandschaft zu hinterlassen.

28. April 2020


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