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USA/1216: Vordergründiger Streit um CIA-Hinrichtungsprogramm (SB)


Vordergründiger Streit um CIA-Hinrichtungsprogramm

Hat die CIA vielleicht auch Leute im eigenen Land liquidiert?


In den USA tobt ein heftiger Streit, seit vor rund einer Woche bekannt geworden ist, daß der CIA-Chef Leon Panetta, obwohl seit einigen Monaten bereits im Amt, erst am 23. Juni von der Existenz eines geheimen CIA-Programms zur Liquidierung sogenannter "Topterroristen" aus der Führungsetage des Al-Kaida-"Netzwerk" Osama Bin Ladens erfuhr, es sofort einstellen ließ und gleich am darauffolgenden Tag die führenden Demokraten und Republikaner im Repräsentantenhaus und Senat sowie in den Geheimdienstausschüssen beider Kongreßhäuser - die sogenannte "Gang of Eight" - von dem Vorkommnis in Kenntnis setzte. Auf dem Kapitol geben sich die Volksvertreter darüber empört, daß ihnen die Existenz des Programms, das George W. Bush nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 ins Leben gerufen haben soll, fast acht Jahre lang vorenthalten wurde. Mit diesem vordergründigen Streit setzen Amerikas Politiker neue Maßstäbe in Sachen Scheinheiligkeit und Verlogenheit.

Zwar hat Präsident Gerald Ford 1976 vor dem Hintergrund der Watergate-Affäre und der Enthüllungen über die Verwicklung der CIA in die Ermordung von Politikern in Übersee ein offizielles Verbot der Tötung ausländischer Regierungchefs und Staatsoberhäupter durch den US-Auslandsgeheimdienst verfügt, doch seit dem Ende des Kalten Krieges und dem Aufbau des "militanten Islam" zum neuen Feindbild Amerikas nimmt man die Verfügung des Nachfolgers und Begnadigers Richard Nixons nicht mehr so genau. Unter Bill Clinton haben die US-Streitkräfte während des sogenannten Kosovo-Krieges am 22. April 1999 versucht mit einem Bombenangriff auf die Residenz des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic zu töten, während einen Tag später 16 Zivilisten mit dem Leben dafür bezahlten, daß die Amerikaner einen Raketenangriff auf die Sendezentrale des Serbischen Rundfunks (RTS) in Belgrad durchführten, der Informationsminister Alexander Vucic töten sollte, als sich dieser zu einem Interview mit CNNs Larry King hinsetzte. Nur weil Vucic verspätet eintraf, entging er dem Attentat. Über derlei krasse Verstöße gegen die Genfer Konventionen hat sich im Kongreß natürlich niemand empört.

Unvergessen bleibt eine ganze bestimmte Stelle in George W. Bushs erster "Rede zur Lage der Union" am 29. Januar 2002. Die Rede ist deshalb berühmt, weil darin Bush jun. erstmals von einer "Achse des Bösen" - bestehend aus dem Irak Saddam Husseins, dem Iran und Nordkorea - sprach, die eine inakzeptable Bedrohung der nationalen Sicherheit der USA darstellte. Der damalige Auftritt Bushs vor beiden Häusern des Kongresses fand unter dem Eindruck der Flugzeuganschläge wenige Monate zuvor statt. Rückblickend auf den Einmarsch in Afghanistan im Oktober 2001 und dem Sturz der Taliban-Regierung in Kabul gab Bush mit einem selbstzufriedenen Grinsen folgendes Resümee des "Antiterrorkampfes" von sich: "Alles in allem sind mehr als 3000 mutmaßliche Terroristen in vielen Ländern verhaftet worden. Und viele andere hat ein anderes Schicksal ereilt. Sagen wir es mal so: Sie stellen für die Vereinigten Staaten und unsere Freunde und Verbündeten und Allierten keine Bedrohung mehr dar." Auf den barbarischen Akt nackter Prahlerei mit der Auslöschung von Menschenleben reagierten alle im Saal wie seinerzeit das Publikum bei Joseph Goebbels berühmter Rede vom "totalen Krieg" in der Deutschlandhalle: Alle sprangen auf, gröhlten und jubelten wie eine Horde Paviane im Blutrausch. Das erschütternde Moment, für das sich alle Beteiligten bis an ihr Lebensende eigentlich schämen müßten, stellt zweifelsohne den moralischen Tiefpunkt der Ära-Bush dar.

Heute sind es in nicht wenigen Fällen dieselben Politiker, die sich damals darin zu überbieten versuchten, im US-Fernsehen den Vergeltungssüchtigen zu geben, die heute darüber entsetzt sein wollen, entweder daß es ein CIA-Hinrichtungsprogramm gab oder daß sie nicht rechtzeitig darüber informiert wurden. Letzterer Aspekt des Streits deutet auf den Wunsch hin, das ganze zu vertuschen. Das gleiche gilt für Behauptungen, die - wenig verwunderlich - von den regierungsfreundlichen Zeitungen New York Times und Wall Street Journal kommen, wonach das Programm über das Planungsstadium niemals herausgekommen wäre, das heißt, niemals aktiviert wurde, folglich der ganze Streit darüber eigentlich müßig wäre.

In der Berichterstattung über den Streit wird häufig darauf verwiesen, daß bereits im vergangenen März der legendäre Enthüllungsjournalist Seymour Hersh bei einem Auftritt an der Universität von Minnesota nicht nur die Existenz eines Programms zur Beseitigung von "Terroristen" erwähnte, sondern auch wichtige Details davon preisgab. Die Brisanz dieser Details läßt erahnen, warum derzeit Kongreß und Weißes Haus alles tun, um die Affäre so schnell wie möglich zu beenden. Laut Hersh waren die Initiatoren und Hauptverantwortlichen für das Programm, an dem offenbar nicht nur die CIA, sondern auch das Joint Special Operations Command (JSOC) des US-Militärs beteiligt war, Vizepräsident Dick Cheney und sein alter Freund aus gemeinsamen Tagen unter der Nixon- und der Ford-Regierung, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld: "Der Kongreß hat da keine Aufsicht. Es handelt sich um eine Attentäter-Einheit der Exekutive, und sie ist seit langem aktiv. Unter der Autorität von Bush gehen sie in Länder hinein, reden nicht mit dem [US-]Botschafter oder dem CIA-Stationschef, machen Leute auf einer Liste ausfindig, töten sie und gehen wieder. Das machen sie bereits eine ganze Weile in unser aller Namen."

Eine Bestätigung für die Angaben Hershs liefert nun niemand geringerer als Lawrence Wilkerson, der während der ersten Amtszeit von Bush jun. Stabschef von Außenminister Colin Powell war. In einem Interview mit Rachel Maddow für den Nachrichtensender MSNBC, das am 14. Juli ausgestrahlt wurde, erklärte Oberst a. D. Wilkerson:

Recht früh nach dem 11. September haben wir im State Department von unseren Botschaftern vor Ort erfahren, daß in die Städte, in die Länder, wo sie stationiert waren, Mannschaften entsandt wurden, die geheim waren und die im Grunde die Aufgabe hatten, Al-Kaida- Anführer oder Al-Kaida-Verbündete gefangenzunehmen und zu vernehmen. Die Tatsache, daß mit der Zeit die CIA immer mehr darin verwickelt wurde oder es übernahm, wäre für mich keine Überraschung, denn so etwas geschieht häufig dieser Tage bei der Delta Force und den anderen Spezialstreitkräften. Ich vermute, daß das, was passiert, bzw. was passierte, als ich noch in der Regierung war, ist, daß wir die falschen Leute getötet haben. Daß wir die falschen Leute in den falschen Ländern töteten. Daß die betroffenen Länder dahinterkamen oder daß es die Befürchtung gab, daß die Länder dahinterkommen konnten, und deshalb wurde es abgebrochen. Das vermute ich sehr stark.

Für die Richtigkeit der Vermutungen von Powells langjährigem Vertrauensmann sprechen die Angaben, die Toby Warrick ziemlich am Ende eines Artikels, der am 14. Juli in der Washington Post zum Thema des CIA-Programms erschienen ist, gemacht hat. Unter Verweis auf den Exekutivbefehl, mit dem Bush im Herbst 2001 das Programm ins Leben rief, schrieb Warrick folgendes: "Der Befehl legte den Handlungen der [Central Intelligence] Agency keine geographischen Beschränkungen auf, und Geheimdienstbeamte haben erklärt, daß sie nicht verpflichtet waren, den Kongreß über jede laut Befehl vorgesehene Operation in Kenntnis zu setzen."

Die Formulierung "keine geographische Beschränkung" läßt aufhorchen und erinnert an etwas, das im März Seymour Hersh gesagt hat und das in seiner Tragweite bislang weder von den großen Medien noch von den Politikern in Washington breit diskutiert wurde: "Zwar habe ich noch nicht darüber geschrieben, aber nach dem 11. September war die CIA sehr tief in inländische Aktivitäten gegen Leute, die sie für Staatsfeinde hielt, verwickelt. Ohne jede rechtliche Legitimation. Man hat sie bisher nicht zur Verantwortung gezogen. So etwas passiert." Der Einsatz der CIA im Innern ist nicht nur vom Gesetz her streng verboten, sondern auch etwas, das in den USA weitaus mehr als die Liquidierung von Feinden in Übersee als Verstoß gegen alle amerikanischen Werte gilt. Man braucht sich nur auszumalen, wie die Öffentlichkeit reagierte, käme heraus, daß die CIA - um die Worte Lawrence Wilkersons zu gebrauchen - "die falschen Leute" nicht nur auswärts, sondern auch im eigenen Lande umgebracht hätte. Vor diesem Hintergrund überraschen die eifrigen Bemühungen von Politik und Medien, den Skandal um das CIA-Hinrichtungsprogramm herunterzuspielen, nicht im geringsten.

17. Juli 2009