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USA/1224: Brzezinski warnt Obama vor Rückzug aus Afghanistan (SB)


Brzezinski warnt Obama vor Rückzug aus Afghanistan

Amerikas Meisterstratege hält am Ziel der Weltherrschaft fest


Am 31. Oktober traf Präsident Barack Obama im Rahmen der seit Wochen andauernden Debatte innerhalb seiner Regierungsmannschaft um die richtige Af-Pak-Strategie erstmals mit dem Generalstabschef Admiral Michael Mullen und den Oberbefehlshabern von Armee, Luftwaffe, Marine und Marineinfanterie im Weißen Haus zusammen. Seit Obama am 22. Januar Präsident wurde, hat sich die Zahl der US-Soldaten im Irak von 142.000 auf 124.000 verringert, sich diejenige in Afghanistan jedoch von 31.000 auf 65.000 mehr als verdoppelt. Obama muß sich entscheiden, ob er der Bitte des NATO-Oberbefehlshabers in Afghanistan, des US-Generals Stanley McChrystal, um Entsendung von 40.000 bis 80.000 weitere Soldaten nach Afghanistan entspricht, um dort Aufstandsbekämpfung im noch größeren Stil zu betreiben, oder ob er auf den Rat der Beratergruppe um Vizepräsident Joseph Biden hört, auf den ungewinnbaren Krieg gegen die Taliban zu verzichten und diese wieder am politischen Prozeß teilnehmen zu lassen, um dafür künftig den Kampf gegen Al Kaida zielgerichteter - das heißt mit Raketenangriffen und Kommandoaktionen der Spezialstreitkräfte - zu führen. Angeblich will sich Obama ein weiteres Mal mit den Vereinigten Stabschefs treffen, bevor er um Mitte November seine Entscheidung über den künftigen Kurs in der Afghanistan-Frage bekanntgibt. Einem Bericht der Washington Post vom 31. November zufolge wird Obama auf jeden Fall mindestens 10.000 bis 15.000 weitere US-Soldaten nach Afghanistan schicken, um dort die Ausbildung der Armee und Polizei voranzutreiben.

Für zusätzliche Belebung der Afghanistan-Strategiedebatte sorgte die Bekanntgabe des Rücktritts des 36jährigen Diplomaten Matthew Hoh, der zuletzt als ranghöchster Vertreter der US-Regierung in der südostafghanischen Provinz Zabul gearbeitet hatte. Die Veröffentlichung von Auszügen des auf den 10. September datierten Rücktrittsbriefs des ehemaligen Hauptmanns der Marineinfanterie, der zwischen 2004 und 2007 an mehreren Einsätzen im Irak teilgenommen hatte, am 27. Oktober in der Washington Post brachte die US-Regierung in Verlegenheit, denn vergeblich hatten sowohl Karl Eikenberry, Botschafter in Kabul, als auch Richard Holbrooke, Obamas Af-Pak-Sondergesandter, Hoh mit dem Angebot einer Beförderung von seinem Vorhaben abzubringen versucht. Als Grund für den Rücktritt nannte Hoh die Sinnlosigkeit der US-Militärpräsenz in Afghanistan, die das Land nicht zur Ruhe kommen lasse und statt dessen junge Männer den Aufständischen in die Arme treibe.

Die Kritik Hohs trifft einen wunden Punkt. Vor dem Hintergrund steigender Verluste seitens der USA und ihrer Verbündeten liegt laut Umfragen der Anteil der Amerikaner, die den Krieg in Afghanistan ebenfalls für sinnlos halten, inzwischen bei 47 Prozent. Dies hängt unter anderem damit zusammen, daß Obama sein im März abgegebenes Versprechen, den Bürgern Amerikas eine "ehrliche Antwort" auf die Frage zu geben, wofür die Soldaten und Soldatinnen der USA in Afghanistan "kämpfen und sterben", bis heute nicht eingelöst hat. Statt dessen gibt es am laufenden Band Erklärungen wie diejenige von Verteidigungsminister Robert Gates auf dem jüngsten NATO-Gipfel am 22. und 23. Oktober im slowakischen Bratislava, derzufolge die USA "keine Absicht" hätten, "aus Afghanistan abzuziehen" oder auf ihren "Kernauftrag dort zu verzichten." "Es ist ein Auftrag, den wir in Bezug auf unsere nationale Sicherheit und unsere grundlegenden Nationalinteressen für entscheidend halten", so Gates.

Über diese kategorische, zugleich inhaltsleere Aussage des Ex-CIA-Chefs und Veterans des Iran-Contra-Skandals machte sich der ehemalige Marinekommandeur Jeff Huber in einem Gaskommentar, der am 31. Oktober bei antiwar.com unter der Überschrift "Bob Gates' Bad Bet" erschienen ist, lustig:

Unsere Mission in Afghanistan ist für unsere nationale Sicherheit oder grundlegenden Nationalinteressen von keinem Belang. Hätten wir wirklich die Quelle der 9/11-Anschläge trockenlegen wollen, wären wir in Deutschland einmarschiert und hätten es besetzt. Aber Moment, wir halten Deutschland bereits besetzt - und zwar seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Das hat den 11. September nicht verhindert oder? Khalid Scheich Mohammed, der angebliche Chefplaner der 9/11-Anschläge, hielt sich auf den Philippinen auf, als er seinen Plan Osama Bin Laden vorlegte. Wir haben die Philippinen lange besetzt, bis sie uns rausschmissen. Die meisten der 9/11-Schlägertypen stammten aus Saudi-Arabien, wo man uns nicht haben will, während den Saudis den Hintern zu küssen zu unseren nationalen Freizeitbeschäftigungen gehört. Und wir ziehen uns irgendwie aus dem Irak zurück, also müssen wir die Truppen nach Afghanistan verlegen, nicht wahr?

Viele Menschen, besonders in der islamischen Welt, glauben, daß die US-Militärpräsenz in Afghanistan weniger mit der Bekämpfung des Terrorismus, als vielmehr mit den Zielen, die Kontrolle über die Energieressourcen Zentralasiens zu erlangen wie auch eine geographisch wichtige Schnittstelle an den Grenzen Rußlands und Chinas zu besezten, zu tun hat. Eine solche Interpretation der Vorgänge am Hindukusch wird in den westlichen Medien häufig als Verschwörungstheorie abgetan - zu Unrecht, wie die jüngsten Äußerungen Zbigniew Brzezinskis zeigen. Der ehemalige Nationale Sicherheitsberater Jimmy Carters gilt neben Henry Kissinger als einflußreichster außenpolitischer Kopf der USA. Ihm haben wir es zu verdanken, daß es Al Kaida gibt, denn er hatte 1978 die Idee, "aufgebrachte Moslems" nach Afghanistan zu schicken, um der Sowjetunion ihr eigenes "Vietnam" zu bescheren. Auf seine Initiative geht auch die sogenannte Carter-Doktrin von 1980 zurück, die heute ihre Fortsetzung sowohl in der Besetzung des Iraks und Afghanistans als auch in der Konfrontation Washingtons mit dem "Mullah"-Regime in Teheran findet und derzufolge die Region um den Persischen Golf wegen des dortigen Ölreichtums von "grundlegendem Interesse" für die USA ist. Medienberichten zufolge ist Brzezinski auch Barack Obama im letztjährigen Wahlkampf um die Präsidentschaft mit Rat zur Seite gestanden. Die beiden Männer sollen sich aus Obamas Tagen als Studenten der internationalen Politik an der New Yorker Universität Columbia kennen.

Wie der ehemalige ranghohe CIA-Analytiker Ray McGovern in dem am 30. Oktober bei consortiumnews.com erschienenen Artikel "Kipling Haunts Obama's Afghan War" berichtete, hat Brzezinski am Tag davor, als Hauptredner bei einer in Washington von der einflußreichen, pentagonnahen Denkfabrik RAND veranstalteten Diskussion zum Thema Af-Pak seinen Protegé im Weißen Haus dringend vor einem Abzug der amerikanischen Streitkräfte vom Hindukusch gewarnt. Zwar räumte Brzezinski ein, daß die USA mindestens weitere zehn Jahre im Afghanistankrieg "stecken" werden und daß der Einsatz dort derzeit bei der amerikanischen Bevölkerung zunehmend an Popularität verliert, dafür schlug er vor, die NATO-Partner noch mehr in die Pflicht zu nehmen und mehr Soldaten aus befreundeten islamischen Staaten an der Mission teilnehmen zu lassen - letzteres, damit das Unternehmen seinen christlich-westlichen Charakter verliert.

Vermutlich weil ein Abzug der USA aus Afghanistan einer Absage an Brzezinskis Vision einer von Washington kontrollierten, eurasischen Landmasse gleichkäme, behauptete dieser, ein solcher Schritt wäre in seiner internationalen Auswirkung "absolut niederschmetternd". Um so energischer setzte sich der Grand Seigneur der US-Außenpolitik und Mentor Madeleine Albrights, die ihrerseits derzeit als Leiterin einer entsprechenden Expertengruppe an der neuen NATO-Strategie tüftelt, dafür ein, daß sich die USA noch mehr für den Ausbau der Nord-Süd-Energie-Pipeline von Turkmenistan über Afghanistan an die Küste Pakistans einsetzen. Auf diese Weise könnte man dem neuen Verbündeten Indien bei der Deckung seiner Energiebedürfnisse helfen, so Brzezinski. Darüber hinaus rühmte sich dieser, nach dem 11. September 2001 George W. Bush und Dick Cheney zur Invasion Afghanistans persönlich geraten zu haben.

2. November 2009