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USA/1241: Team McChrystal legt sich mit dem Weißen Haus an (SB)


Team McChrystal legt sich mit dem Weißen Haus an

ISAF-Kommandeur zieht die Autorität von Präsident Obama in Zweifel


Michael Hastings' wohlwollendes Profil von General Stanley McChrystal für die Zeitschrift Rolling Stone, das in der Printausgabe erst am 25. Juni erhältlich ist, hat gleich nach seiner Veröffentlichung im Internet am Abend des 22. Juni in den USA einen politischen Feuersturm ausgelöst. In dem Artikel "The Runaway General" ("Der ausgebückste General") werden der militärisch Hauptverantwortliche in Afghanistan für die International Security Assistance Force (ISAF) und die Operation Enduring Freedom (OEF) und seine Stabsoffiziere mit beleidigenden Äußerungen zu führenden Mitgliedern der Regierung von Präsident Barack Obama zitiert. Die Unterüberschrift, die in der Übersetzung lautet: "Stanley McChrystal, Obamas führender Kommandeur in Afghanistan, hat die Kontrolle über den Krieg übernommen, indem er niemals den wirklichen Feind, die Waschlappen im Weißen Haus, aus den Augen verloren hat", faßt den Ton des langen Rolling-Stone-Artikels gut zusammen und läßt ihn als das erkennen, was er ist, nämlich einen gezielten Verstoß gegen das von der US-Verfassung vorgegebene Prinzip der Unterordnung des Militärs unter die vom Volk gewählte, zivil-politische Führung. Ein nach Angaben des Präsidentensprechers Robin Gibbs "sehr verärgerter" Obama hat McChrystal umgehend für den 23. Juni ins Weiße Haus zum Rapport bestellt. Es spekulieren nun alle darüber, ob der Präsident den Chef der Militäroperationen in Afghanistan auf seinem Posten beläßt oder ihn feuert. So oder so dürfte die Entscheidung für Obama negativ ausfallen.

Der Artikel ist das Ergebnis von mehr als einem Monat, den Hastings im zweiten Quartal 2010 mit McChrystal und seinem Stab zusammen verbracht hat. Er begleitete sie bei Truppenbesuchen in Afghanistan, war sogar dabei, als sie wegen des isländischen Vulkans Eijafjallajokul mehrere Tage in Europa festsaßen, und verbrachte mit ihnen eine durchzechte Nacht in der irischen Kneipe Kitty O'Shea's in Paris. Hastings entwirft das Bild einer verschworenen Machogemeinde ehemaliger Angehöriger der Spezialstreitkräfte, einer Art "glorreiche Sieben" des "Antiterrorkrieges" mit McChrystal in der Rolle des weitsichtigen, asketischen und getriebenen Chris (damals im Film von Yul Brynner gespielt), der keiner Gefahr aus dem Weg geht und dem keine Herausforderung zu groß ist, um die Mission zu einem erfolgreichen Abschluß zu führen. Selbst nennen sich McChrystal und Konsorten "Team America", eine Anspielung auf die gleichnamige Kriegssatire der South-Park-Produzenten Trey Parker und Matt Stone aus dem Jahr 2004, und "rühmen sich ihrer Can-do-Haltung und ihrer Verachtung der Autorität", so Hastings.

Jene Verachtung, die McChrystals Killertruppe in Beisein von Hastings in Bezug auf die Obama-Regierung offenbar am laufenden Band zum Ausdruck brachte, ist es, die dem 55jährigen Elitesoldaten und West-Point-Absolventen eine Frühpensionierung einbringen könnte. General a. D. James Jones, Obamas Nationaler Sicherheitsberater, wird als "Clown" bezeichnet, der "im Jahr 1985 steckengeblieben" sei - soll heißen, er hätte sich von den Militärstrategien des Kalten Krieges nicht emanzipiert, geschweige denn die Veränderungen der geopolitischen Landschaft nachvollzogen, die, jedenfalls aus Sicht von Amerikas "Antiterrorkriegern", aus den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 resultierten. Über den Diplomaten Richard Holbrooke machen sich alle lustig, weil sich der ehemalige Unterhändler Bill Clintons während der Kriege in Jugoslawien in seiner heutigen Funktion als Af-Pak-Sondergesandter Obamas wenig Gehör in der laufenden Debatte um die richtige Kriegsstrategie zu verschaffen scheint und angeblich Angst vor der Entlassung hat. Im Artikel werden Holbrookes E-Mails an McChrystal als für diesen nur lästig beschrieben.

Aus dem Hastings-Artikel geht Vizepräsident Joseph Biden eindeutig als der größte "Feind" von Team McChrystal in Washington hervor. Als im Frühjahr 2009 Obama McChrystal zum neuen Oberkommandierenden in Afghanistan ernannte und dieser bald darauf eine Aufstockung um 40.000 Mann verlangte, führte innerhalb des Kabinetts der ehemalige Senator aus Delaware, der jahrelang im außenpolitischen Ausschuß des Oberhauses des US-Parlaments saß, die Gruppe der Skeptiker an, die statt dessen für einen möglichst umfassenden Truppenabzug und anstelle regulärer amerikanischer Soldaten am Hindukusch für den ständigen Einsatz von Drohnen und Spezialstreitkräften gegen mutmaßliche Al-Kaida-Ziele in der afghanisch-pakistanischen Grenzregion plädierten. Schon damals verärgerte McChrystal das Weiße Haus, indem er erstens seinen Forderungskatalog frühzeitig an die Presse lancierte und indem er zweitens bei einer Rede Ende September in London die Vorstellungen Bidens als "kurzsichtig" und als ein Rezept für "Chaosistan" abkanzelte. Wegen der Londoner Rede wurde McChrystal kurzerhand nach Kopenhagen bestellt, wo Obama am Klimagipfel teilnahm, um bei einem Vier-Augen-Gespräch in der Air Force One, die auf dem Rollfeld des Flughafens der dänischen Hauptstadt stand, vom Oberbefehlshaber der Streitkräfte abgekanzelt zu werden.

Hastings liefert in seinem Artikel auch Beweise dafür, daß sich der Richtungsstreit zwischen McChrystal und Karl Eikenberry, dem US-Botschafter in Kabul, der im November durch die Zuspielung vertraulicher Dokumente an die Presse der Öffentlichkeit bekannt wurde, immer noch nicht beigelegt ist. Damals hatte Eikenberry, der selbst als General und ISAF-Oberbefehlshaber zwei Versetzungen in Afghanistan - 2002/2003 und 2007/2007 - absolvierte, in einer Mitteilung an das Weiße Haus die Aufstandsbekämpfungsstrategie von McChrystal angesichts der schwierigen Lage in Afghanistan als zum Scheitern verurteilt und sich seinerseits für eine deutliche Stärkung der zivilen Aufbauhilfe anstelle einer Aufstockung des Militärpersonals ausgesprochen. Im Hastings-Artikel heißt es, McChrystal habe sich damals von Eikenberry "verraten" gefühlt und werfe seinem früheren Vorgesetzten vor, rechtzeitig das Untergangszenario an die Wand gemalt zu haben, um später nach dem Scheitern der Afghanistan-Mission sagen zu können, daß er recht gehabt habe.

Doch mehr als jeder andere scheint es McChrystal zu sein, der sich um seinen Platz in der Geschichte Gedanken macht und seinen Vorstellungen über die Medien Nachdruck zu verleihen scheint. Sein plötzliches Bedauern über den Rolling-Stone-Artikel wirkt wenig überzeugend, da er ihn vor der Fertigstellung zu lesen bekam und den Inhalt persönlich absegnete. Möglicherweise hat er gezielt provoziert, entweder um zu sehen, wie weit er gehen könne, oder um entlassen zu werden. Man kann ansonsten nicht erklären, warum er solche Formulierungen in dem Hastings-Artikel wie jene ließ, Obama habe beim ersten Treffen mit der obersten Generalität "eingeschüchtert" gewirkt oder McChrystal sei vom erstem persönlichen Treffen mit dem neuen Präsidenten wegen dessen angeblich mangelnder Vorbereitung "enttäuscht" gewesen.

McChrystals Aufstandsbekämpfungsstrategie, im Rahmen derer er die Taliban mit den von ihm bereits im Irak angewandten Todeschwadronentaktiken in die Knie zu zwingen gedachte, fruchtet am Hindukusch nicht. Dafür sind die Taliban und ihre Verbündeten in der paschtunischen Bevölkerung zu stark verankert und können zudem stets auf ihre Rückzugsgebiete in Pakistan ausweichen. Die Truppenaufstockung hat lediglich mehr Tote mit sich gebracht. McChrystals für den Sommer geplante Großoffensive in Kandahar mußte bis zum Herbst verschoben werden, nachdem aus dem Testlauf in Mardschah kein Erfolg wurde. Indem er seine Entlassung provoziert, bevor sein Scheitern ganz offensichtlich wird, kann McChrystal zum Helden der republikanischen Rechten avancieren, der nur wegen ein paar derben Männersprüchen von dem liberalen Weichei Obama entlassen wurde, gerade als angeblich die von ihm eingeführten Maßnahmen gegen die Taliban zu greifen begannen.

Solche Vorwürfe dürften Obama und die Demokraten in den Augen vieler Wähler - und im November sind Zwischenwahlen für Repräsentantenhaus und Kongreß - diskreditieren. Hinzu kommt für Obama die Schwierigkeit, daß er bereits letztes Jahr, kurz nach dem Einzug ins Weiße Haus, auf Anraten von Verteidigungsminister Robert Gates und Generalstabschef Admiral Michael Mullen General David McKiernan als ISAF-Chef entließ - und damit zum erstenmal seit der Entlassung Douglas MacArthurs durch Präsident Harry Truman einen US-Oberkommandierenden von der Kriegsfront abzog -, um ihn durch McChrystal zu ersetzen. Sollte Obama McChrystal doch noch seine Eigenmächtigkeiten durchgehen lassen und auf seinem Posten belassen, dann wird es auf jeden Fall und nicht gänzlich zu Unrecht heißen, der Präsident habe seine Generäle nicht mehr im Griff, diese tanzten ihm auf der Nase herum.

23. Juni 2010