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USA/1293: Alabamas Kirchenführer klagen gegen grausames Einwanderungsgesetz (SB)


Bislang repressivstes Gesetz dieser Art in den USA


Mit Zähnen und Klauen verteidigen jene Teile der US-amerikanischen Gesellschaft, die sich noch eines Platzes an den dramatisch schwindenden Fleischtöpfen erfreuen, das Privileg des Überlebens gegen die Heerscharen der Hungerleider. Der instinktsichere Argwohn, die Suppe könne nie und nimmer für alle reichen, weckt Kräfte der Selbstbehauptung von archaischer Urgewalt, die jedem Freßfeind das Leben zur Hölle machen. Im Zuge dieser erbitterten Konkurrenz schließt man wechselnde strategische Bündnisse und zieht die Grenze zwischen Freund und Feind ganz nach dem taktischen Kalkül, sich stets auf die Seite des Stärkeren zu schlagen.

Es liegt natürlich auf der Hand, daß diese zugespitzte Ausgangslage um so weniger beim Namen genannt wird, je überwältigender sie sich Bahn bricht und alle Züge der Unumkehrbarkeit annimmt. Wenn nicht mehr genug atembare Luft, genießbares Trinkwasser und sättigende Nahrung für die gesamte Menschheit vorhanden ist, haben Verteilungsdebatten Hochkonjunktur - nicht weil man tatsächlich bereit wäre, sein letztes Stück Brot zu teilen, sondern weil die Teilhabe an administrativen Prozessen vielerlei Funktionen Rechnung trägt, die dem eigenen Vorteil dienen. Physische Barrieren können die Armutsmigration bremsen, doch um zu verhindern, daß unabsehbare Massen aller Hoffnung beraubten Elends den satten Rest der Welt überrollen, bedarf es geistiger Fesseln, die Perspektiven vorgaukeln, Hilfe suggerieren und Geduld predigen.

Da dieser Kern des Problems systematisch ausgeblendet und geleugnet wird, mutet die Kontroverse um die Einwanderung in die USA zunehmend gespenstisch an. Während erklärte Gegner der Migration Argumente dafür auffahren, welche Last die Latinos doch für die einheimische Bevölkerung seien, versuchen Fürsprecher der hispanischen Immigration vehement, das genaue Gegenteil zu beweisen. Gemeinsam ist beiden zumeist der scharfe Blick der Separation in Rassen und Klassen wie auch die utilitaristische Abwägung, wer nützlich und wer überflüssig sei. Verhielte es sich anders, würde man nicht auf der einen Seite der Debatte Schmarotzertum geißeln und auf der anderen aufopferungsvollen Arbeitsfleiß preisen.

So stellen sich nicht wenige hitzige Debatten vorgeblich diametral entgegengesetzter Standpunkte letzten Endes als Abgleich verschiedener Aspekte ein und derselben Grundüberzeugung dar, wenn man etwa darüber streitet, wie viele Ausländer man ins Land lassen will, wie schnell man die Grenzen abschotten sollte, wie brutal oder mitfühlend man die Fremden wieder los wird, ob man Tacos liebt oder sich bereits überfremdet fühlt. Während die einen herausbrüllen, daß es so nicht länger weitergehe, mahnen die andern Zurückhaltung an, da es längst noch nicht so schlimm sei.

Daß dieser Diskussion derart viel Raum gegeben wird, wie dies gegenwärtig in den USA der Fall ist, hat zahlreiche Gründe, die vielfach wenig oder gar nichts mit dem Schicksal der Einwanderer zu tun haben. Fremde zu identifizieren und sie als Bedrohung auszuweisen, ist ein uraltes Instrument der Herrschaftssicherung, das die USA und ihre Verbündeten zu höchster Blüte getrieben haben. Wer könnte heute noch einem bärtigen Orientalen begegnen, ohne augenblicklich wie im Reflex die Gefahr in ihm zu sehen oder sich diesen Gedanken als absurd zu verbieten? Die hispanische Zuwanderung in die Vereinigten Staaten ist ein anders gelagertes, aber nicht prinzipiell davon geschiedenes Feld politischer Agitation und Steuerung. Binnen weniger Jahre wurde aus dem weithin als Kavaliersdelikt angesehenen oder zweckdienlich ignorierten Arbeitsaufenthalt ohne gültige Papiere ein nicht länger zu duldender Verstoß gegen Rechtsordnung und Sozialstruktur, definierte man den "Illegalen" zum Straftäter um, den es fernzuhalten, dingfest zu machen, abzustrafen und zu deportieren gilt.

Die Militarisierung der Grenze mit physischen und virtuellen Zäunen, verstärkten Patrouillen und modernster Überwachungstechnologie erinnert nicht von ungefähr an eine kriegerische Wacht an der Demarkationslinie zum Feind, bei dem es sich wohlgemerkt um den NAFTA-Partner Mexiko handelt. Ohne viel Federlesens wird die Doktrin der Globalisierung ad absurdum geführt, wenn man den hemmungslosen Warenverkehr als Schlüssel zu Glück und Wohlstand verherrlicht, zugleich aber der Freizügigkeit der Menschen größtmögliche Fesseln anlegen will.

Unterdessen etablieren Fahndungsdruck und Denunziantentum im Inland eine innovative Variante des Polizeistaats, wenn überfallartige Razzien am Arbeitsplatz und im Wohnquartier durchgeführt, Sondergefängnisse und Sammellager eingerichtet, Arbeitgeber und Bürger zur Mithilfe bei der Identifizierung und Ausgrenzung illegitimer Fremder verpflichtet werden. Eingeschworen auf die Frage, wieviel man diesen Ausländern noch durchgehen lassen will, beteiligt sich das Volk massenhaft an der Unterscheidung von Kulturen, Ethnien, Religionen und Bräuchen, um plötzlich mit Entsetzen festzustellen, daß es von Fremden unterwandert wird, oder lässig abzuwinken, daß man diese Leute ruhig malochen lassen sollte, da schließlich irgendwer das Gemüse ernten, das Fleisch portionieren, das Geschirr abwaschen, den Rasen mähen oder die Alten und Kranken versorgen müsse.

Unser Feind kommt aus Mexiko, schreien Menschen ohne Arbeit, Geld, Krankenversicherung und Rücklagen, die in ihrer größten Not den amerikanischen Traum um so mehr anbeten, obwohl sie ihm zum Opfer gefallen sind. Ein letzter Stolz ist ihnen noch geblieben: Auf den Latino zu spucken und ihm zu beweisen, daß er nie ein richtiger Amerikaner werden kann. Welch enorme Bindekraft steckt in dieser Prägung auf ein Feindbild, welch machiavellistischer Verfügungskünste bedarf es, um Menschen auf diese Weise vor den Karren ihrer Herren zu spannen, blind für die Widersprüche ihrer Existenz, doch tückisch zuschnappend, als hinge ihr Heil davon ab, den Fremden wegzubeißen!

Im Bundesstaat Alabama tritt am 1. September ein Einwanderungsgesetz in Kraft, das unwidersprochen als das grausamste seiner Art in den Vereinigten Staaten bezeichnet werden kann. Es ist so inhuman, daß vier Kirchenführer - Bischöfe der Episkopalen, Methodisten und Katholiken sowie ein römisch-katholischer Erzbischof - gemeinsam dagegen Klage eingereicht habe, weil es nach ihrer Auffassung Handlungen christlicher Nächstenliebe kriminalisiert. Das Gesetz verstoße gegen das von der Verfassung verbürgte Recht auf freie Religionsausübung, wozu unabweislich gehöre, tätige Nächstenliebe unabhängig von dem Einwanderungsstatus der Menschen zu üben. Dieses Gesetz, so Erzbischof Thomas Rodi aus Mobile, greife das Grundverständnis dessen an, was eine Kirche ausmacht. [1]

Die New York Times kontrastiert in ihrem Bericht die Brutalität des Gesetzeswerks mit der scheinheiligen Gottesfurcht, mit der der Tradition folgend die Sitzungsperiode des Kongresses von Alabama am 1. März eröffnet wurde. Im Senat erbat ein christlicher Pastor göttlichen Beistand, der den Mitgliedern des Gremiums "Weisheit und Einsicht" geben möge, das Richtige zu tun: "Nicht was recht in ihren Augen, sondern was recht nach deinem Wort ist." Wenig später verabschiedeten beide Kammern des Kongresses das repressivste Einwanderungsgesetz, das je in den USA entworfen wurde.

Da ähnlich restriktive Gesetze zuvor in den Bundesstaaten Arizona, Utah, Indiana und Georgia beschlossen worden sind, kann man durchaus von einer Entwicklung sprechen, die den aktuellen Trend in der Einwanderungspolitik setzt. Das Gesetz in Alabama geht jedoch noch über die genannten Vorgänger hinaus und weckt zwangsläufig Erinnerungen an die Zeit der Sklavenhaltung, als es unter Strafe gestellt wurde, Geflohenen zu helfen, oder die Kämpfe der Bürgerrechtsbewegung gegen eine von Rassismus durchdrungene Gesellschaft in den Tagen Martin Luther Kings.

In Alabama geht man daran, Einwanderer ohne gültige Papiere in sämtlichen Aspekten ihres alltägliche Lebens zu drangsalieren und jeden zu kriminalisieren, der mit ihnen lebt, arbeitet oder auch nur freundlich zu ihnen ist. Sogenannte illegale Einwanderung wird de facto in den Rang eines Straftatbestands erhoben, da es Menschen dieses Personenkreises künftig bei Strafe verboten ist, zu arbeiten, eine Wohnung zu mieten oder gegen jedwede Meldepflichten laut Bundesgesetzen zu verstoßen. Alle Verträge, bei denen eine Vertragspartei ein solcher Einwanderer ist, werden für null und nichtig erklärt. Und nicht zuletzt wird die Polizei ermächtigt, auf bloßen Verdacht hin die Papiere möglicherweise illegal im Land lebender Personen zu überprüfen.

Firmen, die wissentlich "illegale" Einwanderer beschäftigen, verlieren ihre Geschäftszulassung. Schulen müssen den Aufenthaltsstatus aller Schüler überprüfen und die Ergebnisse an die Behörden weiterleiten. Vermieter machen sich strafbar, wenn in ihren Wohnungen oder Häusern Menschen ohne gültige Papiere leben. Jeder, der eine solche Person wissentlich "verbirgt, beherbergt oder schützt", kann dafür belangt werden, und sei es nur wegen einer Fahrt zum Arzt oder in die Kirche.

Auch das Justizministerium in Washington und die American Civil Liberties Union haben Klage gegen das Gesetz eingereicht, das eine verfassungswidrige Inanspruchnahme der allein der Regierung auf Bundesebene vorbehaltenen Autorität darstelle, Einwanderungsgesetze zu entwerfen und in Kraft zu setzen. Wie die ACLU warnt, trete das in Alabama beschlossene Gesetz Grundrechte wie die Meinungs- und Reisefreiheit mit Füßen, verwehre Kindern den Schulbesuch und setze Menschen fortgesetzter Einschüchterung und rassistischer Selektion aus.

Präsident George W. Bush war 2007 mit einem Anlauf zur Änderung des Einwanderungsgesetzes gescheitert. Er wollte einerseits das Grenzregime massiv verschärfen und andererseits eine Legalisierung von im Land lebenden Migranten einleiten. Da es mißlang, die verschiedenen Fraktionen und Positionen unter einen Hut zu bringen, blieb die Reform auf der Strecke. Barack Obama hatte bei seinem Amtsantritt 2009 versprochen, die Illegalen "aus dem Schatten" zu führen und das "kaputte Einwanderungsrecht" rasch zu reformieren. Seither ist jedoch nichts dergleichen geschehen, weshalb die Regierung in Washington zunehmend unter Druck gerät. Bundesstaaten beklagen die Untätigkeit der Administration und handeln auf eigene Faust. So wurden seit 2006 auf Ebene der Bundesstaaten, Distrikte und Kommunen Hunderte Gesetze verabschiedet, die fast ausnahmslos repressive Maßnahmen gegen Einwanderer ohne Aufenthaltsrecht vorsehen und sich zugleich mit der Ermächtigung staatlicher oder kommunaler Institutionen zu verschärfter Kontrolle und Strafverfolgung gegen die gesamte Bevölkerung richten.

Fußnote:

[1] http://www.nytimes.com/2011/08/29/opinion/the-nations-cruelest-immigration-law.html

30. August 2011