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USA/1301: Obama gegenüber Bushs Sicherheitsstaat machtlos (SB)


Obama gegenüber Bushs Sicherheitsstaat machtlos

Von Überwachung, Folter bis hin zur Ermordung - das neue Amerika


Zweieinhalb Jahre nach dem Einzug ins Weiße Haus haben sich die Wahlkampfversprechen Barack Obamas, nach acht Jahren Eigenmächtigkeiten à la George W. Bush würden Gesetz und Verfassung wieder zur alten Geltung kommen, als hohl erwiesen. In der Tat hat der Demokrat den nationalen Sicherheitsstaat, den er von seinem republikanischen Vorgänger erbte, weder abgeschafft noch reformiert, sondern weiter ausgebaut und perfektioniert. Zwar darf die CIA nicht mehr in eigenen "black sites" foltern, sie überläßt dies nun jedoch einfach den Kollegen in befreundeten Entwicklungsländern. Hatte der Texaner Bush für sich die Macht reklamiert, jeden ausländischen "Terroristen" töten zu lassen, sei es durch ein Todeskommando der US-Spezialstreitkräfte oder über eine per Drohne abgefeuerte Hellfire-Rakete, so weitete der ehemalige Juraprofessor aus Chicago die Maßnahme auf alle Bürger Amerikas aus.

Gleich drei Artikel in der Ausgabe der New York Times vom 22. September ließen erkennen, wie weit sich die USA von ihren eigenen demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien entfernt haben. In allen drei Fällen ging es um neue Überwachungspraktiken des Staates, die weitestgehend unter Geheimhaltung erfolgen und bei denen der Bürger kaum bis gar keine Einspruchsmöglichkeiten hat. All das wegen einer ominösen "Terrorgefahr", die keiner richtig einzuschätzen weiß, da es in diesem Bereich von Agent provocateuren der US-Geheimdienste nur so wimmelt. Während die Umstände der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 bis heute Rätsel aufwerfen, sind die meisten "terroristischen" Verschwörungen, die das FBI in den USA seitdem aufgedeckt hat, auf Initiativen von Informanten und Doppelagenten des amerikanischen Inlandsgeheimdienstes zurückzuführen.

In dem ersten Artikel "Split Decision and Barbed Comments Show a Court Deeply Divided on Wiretapping" berichtet NYT-Reporter Eric Lichtblau von einer nicht einstimmigen Entscheidung des United States Court of Appeals for the Second Circuit vom 21. September bezüglich der Klage einer Gruppe Anwälte, Journalisten und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und American Civil Liberties Union gegen den ihres Erachtens nichtverfassungskonformen FISA Amendments Act. Die Zerstrittenheit der 12 Richter des Bundesberufungsgerichts - sechs waren dafür, die Klage zuzulassen, sechs dagegen - läßt befürchten, daß der Oberste Gerichtshof kaum Verständnis für die Beschwerde der Kläger aufbringen wird, zumal diese wegen der Geheimhaltung größte Schwierigkeiten haben, nachzuweisen, daß das neue Gesetz gegen ihre Rechte verstößt.

Im Sommer 2008 hatten Repräsentantenhaus und Senat - letzterer übrigens mit der Stimme des damaligen Vertreters aus Illinois Barack Obama - dem hochumstrittenen FISA Amendment Act zugestimmt. Mit jenem Gesetzespaket erhielt die 2001 von Bush angeordnete, illegale Kontrolle sämtlicher Telefon- und Internetverkehrs in den USA durch die National Security Agency (NSA) - weil das im Falle einer ausländischen Spionage für die Erteilung von Durchsuchungs- oder Überwachungsbefehlen zuständige Sondergericht umgangen wurde - erstmals eine gesetzliche Basis. Eric Lichtblau hatte 2004 zusammen mit seinem Kollegen James Risen den großen NSA-Lauschangriff entdeckt, doch wurde ihr Bericht vom Eigentümer als auch Chefredakteur der New York Times, Arthur Sulzberger jun. und Bill Keller, ein Jahr lang zurückgehalten, um die Wiederwahl Bushs nicht zu gefährden.

In dem zweiten Artikel, "Public Said to Be Misled on Use of the Patriot Act" von Charlie Savage, geht es um den Streit, den sich die beiden Senatoren Ron Wyden aus Oregon and Mark Udall aus Colorado seit Monaten mit Justizminister Eric Holder liefern. Die beiden demokratischen Parteikollegen Obamas, die im Geheimdienstausschuß des Senats sitzen, wollen herausgefunden haben, daß die Mitarbeiter des Justizministeriums ihre Vorgehensweise in Ermittlungen mit "terroristischem" Hintergrund nach bisher "geheimgehaltenen" Auslegungen der Vorschriften des USA-PATRIOT-Gesetzes von Oktober 2001 richten. Wyden und Udall sind über ihre Entdeckung ziemlich erschrocken, nur können sie ihre Erkenntnisse der Öffentlichkeit wegen der Geheimhaltungspflicht nicht preisgeben.

Im besagten Bericht von Charlie Savage ist von Absatz 215 die Rede, demzufolge offenbar das Justizministerium weitreichende Informationen wie Kreditkartenverhalten und ähnliches praktisch über jede beliebige Person einholen kann. Vor kurzem hat das Justizministerium eine Erklärung herausgegeben, in der es heißt, bei Absatz 215 handele es sich um kein "geheimes Gesetz", sondern um eine ganz ordinäre Maßnahme der Terror- und Verbrechensbekämpfung. Wyden und Udall haben ihrerseits am 21. September die Erklärung als "extrem irreführend" kritisiert und hierbei auf die Existenz geheimer Expertisen der Rechtsabteilung des Justizministeriums hingewiesen, von denen die Öffentlichkeit nichts weiß.

Beim dritten Artikel "Ohio Woman Describes Becoming a 'Suspicious' Person" handelt es sich um ein Interview mit der 35jährigen Schriftstellerin Shoshana Hebshi aus Toledo, Ohio, die am 11. September nach einem Flug von Denver nach Detroit zusammen mit zwei anderen, ihr nicht bekannten männlichen Passagieren aus Indien wegen "Terrorverdachts" festgenommen wurde. Der Fall sorgte für Schlagzeilen, weil Hebshi darüber in allen Einzelheiten auf ihrem Blog berichtet hatte. Schon beim Landeanflug auf den Flughafen von Detroit wurde der Frontier Airlines Flight 623 von zwei F-16-Kampfjets der US-Luftwaffe begleitet. Am Boden wurde die Maschine dann von einer schwerbewaffneten Sonderpolizeieinheit gestürmt. Hebshi und die beiden Inder wurden in Handschellen abgeführt und auf der Polizeiwache im Flughafengebäude stundenlang verhört. Zu Anfang mußten sie sich nackt ausziehen und eine umfassende Leibesvisitation über sich ergehen lassen. Nach stundenlangem Verhör wurden die drei als harmlos eingestuft und freigelassen. Zu keinem Zeitpunkt wurden sie darüber aufgeklärt, welche Verdachtsmomente gegen sie erhoben oder wodurch sie die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich gezogen hatten. Wie Hebshi im NYT-Interview schilderte, weiß sie bis heute nicht, was sie zwischenzeitlich zur "Terrorverdächtigen" gemacht hatte.

Die Erfahrungen, die Hebshi machen mußte, sind zwar schockierend, verblassen aber im Verhältnis zu den Torturen, welche die Gefangenen im Sonderinternierungslager auf dem Gelände des US-Marinestützpunktes Guantánamo Bay auf Kuba aushalten müssen. Die meisten Männer dort sitzen seit Jahren hinter Gittern, ohne daß gegen sie Anklage erhoben wurde. Gegen viele von ihnen liegt nichts Konkretes vor. Sie waren einfach in den ersten Tagen und Monaten nach dem Einmarsch der US- Streitkräfte in Afghanistan zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen. Von einigen Personen in Guantánamo Bay wissen deren Angehörige in Afghanistan, Pakistan oder anderswo nicht einmal, ob sie überhaupt noch am Leben sind. Über das, was in Guantánamo geschieht, kann man sich kein richtiges Bild machen, denn dem Zugang und der Berichterstattung sind seitens der US-Militärbehörden enge Grenzen gesetzt. Ein Bericht Carol Rosenbergs am 21. September im Miami Herald läßt jedoch aufhorchen. Dort ist die Rede von einem "schmutzigen Protest" der Gefangenen - der dem der IRA-Häftlinge in den achtziger Jahren in Nordirland gegen die britische Regierung ähnelt -, der im August zu Ende ging und erst jetzt überhaupt bekannt wurde. Bekanntlich sollte Guantánamo innerhalb des ersten Amtsjahres Obamas als Präsident geschlossen werden, nur wurde das hehre Ansinnen von den Hurrah-Patrioten und Sicherheitsfanatikern in Politik und Medien erfolgreich torpediert.

23. September 2011