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USA/1335: NSA-Skandal - Der Geist J. Edgar Hoovers geht wieder um (SB)


NSA-Skandal - Der Geist J. Edgar Hoovers geht wieder um

Vielmehr Dissidenten als "Terroristen" im Blickfeld der Geheimdienste



Als die USA von Mitte bis Ende der siebziger Jahre im Rahmen der Kongreßanhörungen des Church Committee die dubiosen Machenschaften ihrer Geheimdienste beleuchteten und sie reformierten - unter anderem durch die Verabschiedung des Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA), das die polizeiliche Ausspähung von US-Bürgern, die nach dem 4. Verfassungszusatz eigentlich verboten ist, unter sehr strenge Auflagen stellte -, geschah dies nicht nur in Reaktion auf den Watergate-Skandal, sondern auch vor dem Hintergrund des Ablebens des FBI-Chefs J. Edgar Hoover. Jahrzehntelang hatte der Gründer der US-Bundespolizei nicht nur pro-sowjetische Kommunisten, pro-deutsche Nazis, mutmaßliche Atomspione, Black Panthers, Vietnamkriegsgegner et cetera observieren und drangsalieren lassen, sondern auch im großen Stil geheime Akten über alle Politiker in Washington angelegt, um sie erpressen zu können. Wegen seines enormen Wissenvorsprungs galt Amerikas oberster Polizist, der 1935 das Federal Bureau of Investigation aus der Taufe gehoben hatte und dessen erster Direktor er wurde, bis zu seinem Tod 1972 als unkündbar. Niemand, auch nicht der Präsident, konnte sich mit Hoover anlegen, ohne den kürzeren zu ziehen - weshalb es auch keiner tat.

Durch den Spionageskandal, den der IT-Spezialist Edward Snowden Anfang Juni durch die Enthüllung gigantischer Überwachungsmaßnahmen der National Security Agency (NSA) zur Abspeicherung und Auswertung weiter Teile des Telefon- und E-Mail-Verkehrs auf der Welt aufdeckte, kommen sich einige Leute in den USA vor, als erlebten sie die Wiederkunft des alten Hoover. In einem am 23. Juni in der New York Times erschienenen Gastkommentar mit dem Titel "Where Did Our 'Inalienable Rights' Go?" ("Wo sind unsere 'unveräußerlichen Rechte' abgeblieben?") hat Ex-Chefredakteur Max Frankel, der 1971 die Entscheidung zur Veröffentlichung der ihm vom RAND-Mitarbeiter Daniel Ellsberg zugespielten, strenggeheimen Pentagon-Papiere über die wahren Hintergründe des Vietnamkrieges getroffen und damit die Saat des späteren Watergate-Skandals gelegt hatte, eindringlich vor einem Rückfall in die Praktiken Hoovers gewarnt:

Wie viele Tausende haben Zugang zu diesen Datensammlungen? Wer entscheidet darüber, wann die einzelne Datei geöffnet wird, und wer erhält Zugang zu deren Inhalten? Besteht überhaupt die Möglichkeit, Einspruch gegen die Öffnung einer Datei einzulegen? Und was geschieht mit gewonnenen Informationen, die keinerlei Bezug zum Terrorismus haben?

Angesichts derlei Unwägbarkeiten erinnerte die amerikanische Presselegende an die grundlegende Erkenntnis aus der Watergate-Ära:

... es kann keine angemessene Diskussion um die nationale Sicherheitspolitik ohne die Offenlegung - ob autorisiert oder nicht - des Geheimnishorts der Regierung geben.

Bekanntlich begründet Snowden seinen Gang an die Öffentlichkeit mit dem Argument, die NSA errichte eine "Architektur der Unterdrückung", ihre Sammelwut stelle eine "akute Bedrohung der Demokratie" dar. Wie richtig er in jener Einschätzung und der 83jährige Frankel mit seinem Kassandraruf liegen, zeigen spektakuläre Behauptungen, die der ehemalige NSA-Analytiker Russell Tice am 19. Juni in einem Interview mit der ehemaligen FBI-Übersetzerin Sibel Edmonds für deren Website Boilingfrogspost.com gemacht hat. Zu den Personen und Organisationen, die ihm zufolge von der NSA und den anderen 16 US-Geheimdiensten abgehört und observiert werden, gehören unter anderem:

Mitglieder des Kongresses, sowohl im Senat und Repräsentantenhaus, insbesondere in den Geheimdienst- und Verteidigungsausschüssen ... einer der Richter, der heute im Obersten Gerichtshof sitzt ... Zwei ehemalige Richter des FISA-Gerichts ... Beamte des Außenministeriums ... Leute in der Exekutive, die zum Weißen Haus gehörten ... Antikriegsgruppen ... US-Unternehmen, die im internationalen Geschäft tätig sind ... US-Banken und -Finanzunternehmen, die im Ausland tätig sind ... Nicht-Regierungsorganisationen wie das Rote Kreuz, die international humanitäre Arbeit leisten ...
Und jetzt kommt das ganz große Ding ... Im Sommer 2004 betraf eines der Papiere, die ich in der Hand hielt, eine Reihe von [Telefon-]Nummern, die in Verbindung mit einem um die 40 Jahre alten, aufsteigenden Senator aus Illinois standen. Raten Sie einmal, wo der Kerl heute lebt? In einem großen weißen Haus in Washington, D.C. Der, dem sie damals hinterherspionierten, ist heute der amtierende Präsident der Vereinigten Staaten. [1]

Als Zeuge in der NSA-Affäre ist Tice sehr glaubwürdig. Nicht zuletzt aufgrund von Informationen, die er den Journalisten Eric Lichtblau und James Risen zuspielte, hat die New York Times im Dezember 2005 den Skandal um Präsident George W. Bushs illegale Anweisung an die NSA, unter Umgehung des FISA-Gesetzes von 1978 sämtliche US-Telekommunikationsnetze auszuspionieren, überhaupt lostreten können. In einem Artikel, der am 21. Juni auf der Website des Online-Börsenblatts Zero Hedge erschienen ist, wurde William Binney, einst ranghoher NSA-Cryptologe, heute prominenter Whistleblower, um seine Meinung zu den jüngsten Äußerungen des Ex-Kollegen Tice gebeten. Hierzu sagte Binney: "Ich kann das, was er behauptet, nicht bestätigen. Es steht jedoch außer Frage, daß unsere Regierung oder Teile davon so etwas tun würden. Auf jeden Fall stehen ihnen die Mittel dazu zur Verfügung." In einem eigenen Interview am 10. Juni in der Internet-Radiosendung Democracy Now! hatte Binney in diesem Zusammenhang nicht umsonst von "J. Edgar Hoover auf Supersteroiden" [2] gesprochen.

1. http://www.boilingfrogspost.com/2013/06/19/podcast-show-112-nsa-whistleblower-goes-on-record-reveals-new-information-names-culprits/

2. http://www.democracynow.org/blog/2013/6/10/inside_the_nsas_domestic_surveillance_apparatus_whistleblower_william_binney_speaks_out

24. Juni 2013