Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

USA/1346: Telefonüberwachung der NSA kennt offenbar keine Grenzen (SB)


Telefonüberwachung der NSA kennt offenbar keine Grenzen

Unschuldsbeteuerungen der US-Internetfirmen wirken unglaubwürdig



Die von Edward Snowden im Juni 2013 losgetretenen Enthüllungen über die Ausspähung der weltweiten Telefon- und Internetkommunikation durch die National Security Agency (NSA), den Nachrichtendienst der USA, reißen nicht ab. Snowden, ein ehemaliger CIA-Mitarbeiter, befindet sich zwar seit vergangenem Sommer im russischen Exil, doch aus der umfangreichen Dokumentensammlung, die er dem Journalisten Glenn Greenwald und der Filmemacherin Laura Poitras übergeben hat, treten immer weitere Neuigkeiten zutage. Sie erscheinen bisher hauptsächlich beim Hamburger Nachrichtenmagazin Spiegel, im Londoner Guardian, in dem von Greenwald und Poitras gegründeten Internetportal The Intercept sowie bei der Washington Post. Letzteres Presseorgan hat am 18. März mit einem Bericht, wonach die NSA fortlaufend alle Telefongespräche eines ganzen Landes aufnehmen kann und zur Überprüfung bis zu dreißig Tage speichert, international für Schlagzeilen gesorgt.

Im Post-Artikel mit der Überschrift "NSA Program Reaches 'Into The Past' to Retrieve, Replay Phone Calls" aus der Feder von Barton Gellman und Ashkan Soltani ging es um die Programme Mystic und Retro Tool. Mystic existiert seit 2009. Seit 2011 wird mit seiner Hilfe der gesamte Telefonverkehr eines bestimmten, von Gellman und Soltani nicht genannten Landes von der NSA aufgenommen. Inzwischen werden mittels Mystic auch die Telefongespräche von mindestens vier weiteren Staaten teilweise abgespeichert. Ein sechstes Land sollte bis Oktober vergangenen Jahres in das Programm aufgenommen werden. In der Zwischenzeit können weitere hinzugekommen sein. Die mit Mystic abgefangenen Gespräche werden fortlaufend aktualisiert und nach 30 Tagen wieder gelöscht. In der Zwischenzeit durchforsten NSA-Analysten die Datenbestände mit Hilfe eines Software-Programms namens Retro Tool, hören sich die Gespräche von Zielpersonen an und leiten die Audiomitschnitte gegebenenfalls für eine dauerhafte Speicherung weiter. Die Zahl der abgespeicherten Datensätze geht angeblich in die Millionen. Die aus den Abhörmaßnahmen gewonnenen Erkenntnisse werden laut Washington Post von der NSA an die anderen US-Geheimdienste weitergereicht.

Bereits am 12. März hatte Glenn Greenwald zusammen mit dem Journalisten Ryan Gallagher in einem Artikel für The Intercept von offenbar zum Teil verwirklichten Plänen der NSA berichtet, Millionen Computer mit Schadprogrammen zu infizieren, um das Nutzverhalten der Eigner besser überwachen zu können. Laut Greenwald und Gallagher hat die NSA seit 2004 Hunderttausende Rechner in Übersee und vielleicht sogar welche in den USA selbst mit Schadsoftware belegt. Die Programme mit Namen wie Captivatedaudience, Gumfish, Foggybottom, Grok und Salvagerabbit erfüllen verschiedene Funktionen. Sie können zum Beispiel die Tastenbewegungen des Nutzers und die Webadressen der besuchten Websites registrieren, verschlüsselte Nachrichten oder Dateien lesen und die Kamera und/oder das Mikrofon im Computer fernaktivieren und entsprechende Bild- und Tonaufnahmen der Umgebung machen. Interessant am Intercept-Bericht war auch der Hinweis, wonach die NSA soziale Netzwerke verwendeten, um ihre Schadsoftware bei den nichtsahnenden Computer- oder Mobiltelefonnutzern zu plazieren. Auch die Rechner der Internet-Provider werden infiziert, um den über sie laufenden Datenverkehr zu kontrollieren.

Die Angabe von Greenwald und Gallagher, die NSA hätte einen ihrer Computer als einen Server von Facebook falsch identifiziert, um die eigene Malware über das größte soziale Netzwerk der Welt zu verbreiten, hat Mark Zuckerberg auf die Palme gebracht. Am darauffolgenden Tag soll der Facebook-Gründer im Weißen Haus angerufen haben, um sich bei Präsident Barack Obama über die geschäftsschädigenden Praktiken der NSA zu beschweren. Man kann sich jedoch des Eindrucks nicht erwehren, daß der Auftritt Zuckerbergs ähnlich früheren Protesten seitens führender Vertreter des US-Technologiesektors wie Google-Chef Eric Schmidt zum guten Teil nur Show war. Google, Facebook, Microsoft, Apple, AOL, Yahoo! und Skype arbeiten seit Jahren Hand in Hand mit der NSA zusammen (Das gab Rajesh De, der Leiter der NSA-Rechtsabteilung, bei einem Auftritt am 19. März vor dem Privacy and Civil Liberties Oversight Board der US-Regierung unter Verweis auf Absatz 702 des FISA-Ergänzungsgesetzes von 2008 zu Protokoll). Sie behaupten nur das Gegenteil, weil sie Angst haben, ihre ausländischen Kunden könnten ansonsten abschreckt werden. Berichten zufolge geht zum Beispiel die Nachfrage des Auslands nach Cloud-Computing in den USA seit Beginn der Snowden-Enthüllungen zurück.

Auch die Angst vor Schadensersatzklagen und Entschädigungszahlungen in Milliardenhöhe scheint ein wichtiges Motiv für die allzu durchsichtigen Unschuldsbeteuerungen der US-Internetfirmen zu sein. Nachdem die von George W. Bush angeordneten, illegalen Abhörpraktiken der NSA durch einen Artikel in der New York Times im Jahr 2005 publik wurden, hat eine Gruppe von Kritikern des nationalen Sicherheitsstaats, darunter die American Civil Liberties Union (ACLU), deren Anwälte mehrere Guantánamo-Häftlinge vertreten, der NSA-Experte James Bamford, der ehemalige NYT-Kriegskorrespondent Chris Hedges und Daniel Ellsberg, der 1970 die Pentagon-Papiere über die Hintergründe des Vietnamkriegs veröffentlichte und damit die Saat für die Watergate-Affäre legte, dagegen geklagt. Im Februar 2013 wurde die Klage vom Obersten Gerichtshof mit der Begründung abgewiesen, die Kläger hätten nicht den Beweis erbracht, daß sie von der NSA tatsächlich ausspioniert worden seien. Als Snowden jedoch im Juni 2013 das berühmte Prism-Dokument veröffentlichte, aus dem hervorging, daß das Justizministerium in Washington das US-Telekomunternehmen Verizon zur Aushändigung aller inneramerikanischen und internationalen Verbindungsdaten der vergangenen drei Monate angewiesen hatte, änderte sich die Sachlage schlagartig. Die ACLU ist Verizon-Kunde und hat ihre Klage nach dieser Enthüllung neu eingereicht.

20. März 2014