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USA/1355: Debatte um Folter-Bericht eine einzige Scharade (SB)


Debatte um Folter-Bericht eine einzige Scharade

Politik und Medien sehen über den Hauptzweck von Folter hinweg



Die am 9. Dezember erfolgte Veröffentlichung der 540seitigen Zusammenfassung des nach wie vor unter Verschluß gehaltenen, mehr als 6.700 Seiten starken Berichtes des Geheimdienstausschusses des US-Senats zum Thema CIA-Folter während der Präsidentschaft des Republikaners George W. Bush hat, wie zu erwarten war, hohe Wellen geschlagen. In Europa befinden sich Politiker, die zwischen 2001 und 2009 sogenannte Folterflüge oder Geheimgefängnisse der CIA in ihren Ländern geduldet haben, in schwerer Erklärungsnot. In den USA selbst entwickelt sich die Aufarbeitung des Folterkomplexes zu einer unappetitlichen Schlammschlacht zwischen Kritikern und Befürwortern dessen, was im offiziellen Sprachgebrauch euphemistisch "Enhanced Interrogation Techniques", zu deutsch "Verbesserte Verhörtechniken", genannt wird.

Präsident Barack Obama, der im Frühjahr 2009, gleich nach seinem Amtsantritt, den Einsatz von Folter durch die CIA verbot und die "black sites" der CIA im Ausland schließen ließ, sowie die meisten Demokraten, liberalen Medienkommentatoren und sogar der republikanische Senator John McCain, der während des Vietnamkrieges selbst gegnerische Gefangenschaft erlebte, sehen in der Veröffentlichung des Senatsberichts den Beweis für die moralische Stärke der USA, ihre Fähigkeit zur Korrektur und damit die vermeintliche Gültigkeit ihres internationalen Führungsanspruchs erbracht. Gleichwohl erwägt niemand in der Obama-Regierung oder in liberalen Kreisen ernsthaft, die CIA-Folterer oder ihre Vorgesetzten in der Befehlskette zur Verantwortung zu ziehen. Das Gegenteil ist der Fall. In einem Gastkommentar, der am 10. Dezember in der New York Times erschien, rief Anthony Romero, leitender Direktor der American Civil Liberties Union (ACLU), der wichtigsten Menschenrechtsvereinigung der USA, Obama dazu auf, die Verantwortlichen bei der früheren Bush-Administration zu begnadigen, um mit einer Unterschrift das für die USA politisch nicht zu verkraftende Szenario von Strafrechtsverfahren gegen Bush jun., Dick Cheney, Donald Rumsfeld, David Addington et al. zu beseitigen und gleichzeitig ein Zeichen zu setzen, daß deren damaliges Handeln Unrecht gewesen sei.

Wohlwissend um die eigene Unantastbarkeit greifen die genannten Personen, ihre ehemaligen Amtskollegen und ihre Unterstützer bei den konservativen Medien wie dem Nachrichtensender Fox News Obama und die liberalen Demokraten scharf an. Cheney hat den Senatsbericht als "Müll" abgetan und behauptet, die ergriffenen Maßnahmen seien allesamt erforderlich gewesen, um nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 die USA vor einem zweiten 9/11 zu bewahren. In einem Gastkommentar, der am 10. beim Wall Street Journal erschienen ist, haben die drei früheren CIA-Chefs, George Tenet, Porter Goss und Michael Hayden, zwar Fehler beim damaligen Verhörprogramm eingeräumt, gleichwohl den Standpunkt vertreten, daß die Folter und Verschleppung von 119 "Terrorverdächtigen" "unzählige Leben gerettet" und die USA insgesamt "sicherer" gemacht hätten.

Die Aussagen der drei Ex-CIA-Chefs stehen im krassen Widerspruch zum Befund der Senatsmitarbeiter, die im Auftrag des Geheimdienstausschusses die historischen Ereignisse recherchiert und bewertet haben. Sie kommen nämlich zu dem Schluß, daß die CIA und die Bush-Regierung die Öffentlichkeit jahrelang belogen haben und daß entgegen anderslautender Behauptungen kein einziger "Terroranschlag" durch die brutale Mißhandlung muslimischer Gefangener verhindert wurde. Selbst die Erkenntnisse, die zum Versteck Osama Bin Ladens im pakistanischen Abbottabad führten und dessen Liquidierung im Jahre 2011 ermöglichten, sind laut Senatsbericht durch reguläre Fahndungsarbeit und nicht durch Waterboarding, sexuellen Mißbrauch, Schläge, Morddrohungen, stundenlange Streßpositionen, extrem kalte oder heiße Temperaturen, Schlafentzug et cetera gewonnen worden.

Ein großer Teil des aktuellen Streits um den Senatsbericht dreht sich um die Frage der Effektivität von Folter. Doch bei dem Streit handelt es sich um ein durchsichtiges Ablenkungsmanöver. Von allen Beteiligten kommt aus Gründen der Opportunität niemand auf die naheliegende Idee zu fragen, ob die angewandten Folterpraktiken, wenn sie angeblich so ineffektiv im Sinne der Terrorbekämpfung und der Anschlagsverhinderung gewesen sind, vielleicht einem anderen Zweck dienten. Durch die Jahrhunderte ist Folter bekanntlich stets in allererster Linie dafür benutzt worden, um falsche Geständnisse aus Gefangenen herauszupressen. Beim CIA-Folterprogramm war das allen Verweisen auf die 3000 Toten des 11. Septembers und das nationale Trauma, das die Amerikaner an jenem Tag gemeinsam erlitten, zum Trotz nicht anders. Im Weißen Haus und im Pentagon wollte man Informationen haben, mit denen sich ein Einmarsch in den Irak öffentlich begründen ließ. Mittels Folter konnte die CIA die erwünschten "Erkenntnisse" liefern.

Der saudische Bürger Abu Zubaida, der im März 2002 in Pakistan in Gefangenschaft geriet, wurde in den nachfolgenden Monaten in geheimen CIA-Folterkerkern dermaßen schwer mißhandelt, daß er als Reaktion darauf behauptete, Saddam Husseins Geheimdienst würde Mitglieder von Bin Ladens Al-Kaida-"Netzwerk" im Umgang mit chemischen Waffen ausbilden. Die frei erfundene Schauergeschichte wurde von der Bush-Regierung dankbar aufgegriffen und verwendet. Verantwortlich für alles folgende war und ist bis zum heutigen Tage unabhängig von Funktion und Standort im Allgemeinen jeder an der Administration und Regierung Beteiligte, vom Präsidenten bis zu den ausführenden Geheimdienstorganen. Im Laufe der Vernehmungen hat man Zubaidah dermaßen übel zugerichtet, daß er sein linkes Auge verlor. Allein in einem Monat, August 2002, wurde er 83mal dem Waterboarding unterzogen. Seit 2007 wird Zubaidah, inzwischen ein geistiges und physisches Wrack, im Sonderinternierungslager Guantánamo Bay auf Kuba festgehalten.

Der zweite wichtige Zeuge für die vermeintliche Existenz eines "finsteren Nexus" - O-Ton Colin Powell am 5. Februar 2003 vor dem UN-Sicherheitsrat - zwischen dem Baath-"Regime" Saddam Husseins und den Männern Osama Bin Ladens war der Libyer Ibn Al Scheich Al Libi, der von 1995 bis 2000 ein Al-Kaida-Ausbildungslager im ostafghanischen Khaldan geleitet haben soll. Im November 2001, einen Monat nach Beginn des Afghanistankrieges, wurde Al Libi in Pakistan verhaftet. Nach kurzen Zwischenstopps im afghanischen Kandahar und auf einem US-Kriegsschiff im Indischen Ozean, flog die CIA Al Libi Anfang 2002 nach Ägypten, wo die Schergen Hosni Mubaraks ihn in die Mangel nahmen. Als selbst das Waterboarding nicht die gewünschte Wirkung zeigte, haben die Ägypter Al Libi in einen engen Sarg gesteckt und ihn dort 17 Stunden lang schmoren lassen. Danach holten sie ihn heraus und boten ihm eine "letzte Gelegenheit", mit der Wahrheit herauszurücken. Nach einer weiteren fünfzehnminütigen Traktiererei am Boden mit Faustschlägen und Fußtritten wurde Al Libi "geständig" und behauptete, zwei Al-Kaida-Mitglieder hätten im Irak Unterricht in der Produktion und Anwendung von biologischen und chemischen Kampfstoffen erhalten.

Später, lange nachdem die angloamerikanischen Truppen den Irak erobert und besetzt hatten, hat Al Libi sein "Geständnis" zurückgenommen. Im Frühjahr 2009, wenige Tage nachdem Aktivisten der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch Al Libi im libyschen Abu-Salim-Gefängnis bei Tripolis ausfindig gemacht hatten, kam er ums Leben - angeblich durch Selbstmord. Bis heute hält sich hartnäckig der Verdacht, die Handlanger Muammar Gaddhafis hätten sozusagen als Geschenk an die USA den gefährlichen Zeugen der Missetaten der Bush-Regierung ins Jenseits befördert.

Was die Herbeiführung falscher Geständnisse betrifft, so gibt das Datum der Vernichtung der Videoaufnahmen der verschärften CIA-Vernehmungen - jener Vorfall, der die Untersuchung des Folterkomplexes durch den Geheimdienstausschuß des Senats erst auslöste - zu denken. Am 3. November 2005 hat Leonie Brinkema, Bundesrichterin in Alexandria, Virginia, beim Prozeß gegen Zacarias Moussaoi, dem mutmaßlichen "20. Hijacker" des 9/11-Komplotts, beim Justizministerium nach der Existenz von Material im Besitz des amerikanischen Staats, das den Angeklagten entlasten könnte, formell nachgefragt. Nur sechs Tage später hat Jose Rodriguez, damals Leiter der Abteilung Sonderoperationen bei der CIA, die Vernichtung der Videoaufnahmen angeordnet. Am 14. November beantwortete das Justizministerium Brinkemas Frage mit Nein.

Angesichts eines solch krassen Zufalls erscheint die Vermutung nicht unplausibel, daß weite Teile der offiziellen Version vom 11. September, die auf die durch Folter erzwungenen Aussagen des "9/11-Chefplaners" Khalid Scheich Mohammed (KSM) zurückgehen, genauso erlogen sind wie die Gruselschichten, mit der 2002 und 2003 die Bush-Regierung eine Mehrheit der Bürger der USA von der Notwendigkeit eines mit militärischen Mitteln erzwungenen "Regimewechsels" in Bagdad überzeugte. Vor diesem Hintergrund läßt sich die These, Folter funktioniere nicht, nur schwer halten.

13. Dezember 2014