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USA/1358: Netanjahu zieht den Kürzeren in Dauerfehde mit Obama (SB)


Netanjahu zieht den Kürzeren in Dauerfehde mit Obama

Israels Premierminister macht sich in den USA unbeliebt


In den letzten fünf Jahren sind Barack Obama und Benjamin Netanjahu mehrmals heftig aneinandergeraten. Der konservative Premierminister Israels hat konsequent die Bemühungen der Regierung des liberalen ersten schwarzen Präsidenten der Vereinigten Staaten, einen gerechten Frieden mit den Palästinensern zu vermitteln, durch den fortgesetzten Bau jüdischer Siedlungen im Westjordanland torpediert und die Gesandten des Weißen Hauses, allen voran Vizepräsident Joseph Biden und Außenminister John Kerry, wiederholt in aller Öffentlichkeit gedemütigt. Netanjahu hat es sich sogar herausgenommen, im US-Präsidentschaftswahlkampf 2012 gegen den demokratischen Amtsinhaber zu opponieren und für Obamas republikanischen Gegner Mitt Romney Partei zu ergreifen. Da wundert es nicht, daß auf Regierungsebene die amerikanisch-israelischen Beziehungen als frostig bis desaströs gelten.

Seine Mißachtung der aktuellen US-Exekutive meint sich Netanjahu nur deshalb leisten zu können, weil er bisher eine breite Unterstützung der Legislative genoß. Im Repräsentantenhaus und Senat gehört das Bekenntnis zum Militärbündnis der USA mit Israel zur Pflicht, will man sich keinen Ärger mit der einflußreichen, weil enorm spendablen zionistischen Lobby einhandeln. Doch mit der Einladung des republikanischen Sprechers des Repräsentantenhauses John Boehner an Netanjahu, am 3. März eine Rede vor beiden Häusern des Kongresses zu halten, haben die vermeintlichen "Freunde" Israels ein kapitales Eigentor geschossen, das auf ihren nachlassenden Einfluß hindeutet. Die geplante Rede hat eine derart heftige Kontroverse in den Medien ausgelöst, daß selbst führende Vertreter der größten jüdischen Verbände in den USA Netanjahu von einer Anreise abraten.

Mit dem Auftritt wollte Netanjahu seine kategorische Ablehnung einer sich anbahnenden Lösung im sogenannten "Atomstreit" zwischen den USA und dem Iran deutlich machen. Gleichzeitig sollte die Rede Netanjahu dabei helfen, die israelischen Parlamentswahlen, die am 17. März stattfinden, zu gewinnen (Laut Umfragen liegt aktuell das konservative Lager, angeführt von Netanjahus Likud-Partei, knapp vor dem liberalen mit Ex-Außenministerin Tzipi Livni an der Spitze). Kurz nach Bekanntwerden der Einladung Boehners am 20. Januar haben sowohl Obama als auch Kerry erklärt, daß sie aus Rücksicht auf die zwei Wochen später stattfindenden Wahlen in Israel und um den Vorwurf der Parteilichkeit nicht aufkommen zu lassen, Netanjahu bei seinem Besuch in Washington nicht empfangen werden.

Vom derzeit amtierenden Präsidenten und Außenminister der USA die kalte Schulter gezeigt zu bekommen, wo doch er eines ihrer wichtigsten Vorhaben, ein Ende der Dauerkonfrontation zwischen Washington und Teheran herbeizuführen, sabotieren wollte, dürfte sich Netanjahu nicht sonderlich stören lassen. Das gleiche gilt für die Nachricht, daß Vizepräsident Biden in seiner Position als Senatspräsident und bis zu 60 Kongreßabgeordnete und Senatoren der Demokraten der Rede fernzubleiben beabsichtigen. Ernsthafte Sorgen müßten Netanjahu jedoch die Ermahnungen bereiten, die er in den vergangen Tagen aus den Spitzenetagen der pro-israelischen Verbände zu hören bekommt.

Rick Jacobs, Vorsitzender der Union for Reform Judaism, und Seymour Reich, der ehemalige Leiter der Conference of Presidents of Major American Jewish Organizations, haben Netanjahu dazu aufgerufen, den Auftritt abzublasen. Obamas Iran-Politik vor beiden Häusern des US-Kongresses zu verdammen, sei eine "schlechte Idee" und "etwas, daß die jüdische Gemeinde nicht gebrauchen" könne, sagte Jacobs im Interview mit der seit 1897 in New York erscheinenden Jewish Daily Forward. Im Interview mit derselben Zeitung erklärte Abe Foxman, der langjährige Leiter der Anti-Defamation League (ADL), die von Boehner und Netanjahu ausgedachte Veranstaltung sei inzwischen eine "Tragödie unbeabsichtigter Konsequenzen", die Furore um die Rede hätte "die ganze Sache in einen Zirkus verwandelt". Wenngleich er Verständnis für den Wunsch zeigte, die US-Öffentlichkeit vor der iranischen Atomwaffenbedrohung zu warnen, riet Foxman Netanjahu dazu, die Angelegenheit zu überdenken und sich gegenüber Obama eine weniger konfrontative Art der Botschaft zu überlegen.

Für derlei Ratschläge zeigte sich Israels Premierminister zunächst taub. Angestachelt durch die Nachricht, Kerry hätte am Rande der großen Sicherheitskonferenz in München mit dem iranischen Außenminister Mohammad Javad Zarif die Eckpunkte eines tragfähigen Abkommens, das bereits im März unterschriftsreif vorliegen könnte, vereinbart, zog Netanjahu am 8. Februar vor der Kabinettssitzung in Jerusalem in Anwesenheit der Presse wieder alle Register. "Die Weltmächte und der Iran bereiten ein Abkommen vor, das dem Iran erlauben würde, sich atomar zu bewaffnen, etwas, was die Existenz des Staates Israel gefährden würde. ... Wir werden alles unternehmen und jede Maßnahme ergreifen, um dieses schlechte und gefährliche Abkommen zu vereiteln", verkündete er.

Am 10. Februar meldete die Nachrichtenagentur Reuters unter Verweis auf israelische Regierungsbeamte, daß in Tel Aviv inzwischen über Wege, die Kontroverse zu entschärfen, nachgedacht werde. Weil Netanjahu an der Rede am vereinbarten Ort und Zeitpunkt prinzipiell festhält, gibt es die Überlegung, das Format zu ändern. Anstelle eines Auftritts im Repräsentantenhaus vor beiden Häusern des Kongresses, der zwangsläufig im US-Kabelfernsehen ausgestrahlt werden würde, könnte die Rede vielleicht hinter verschlossen Türen gehalten werden. Eine andere Möglichkeit wäre laut Reuters, Netanjahu würde seinen geplanten Auftritt auf der Jahreskonferenz des mächtigen American Israel Public Affairs Committee (AIPAC), die vom 1. bis zum 3. März im Washingtoner Kongreßzentrum stattfindet, dazu nutzen, um seine Grundsatzkritik an einer Beilegung des Atomstreits mit dem Iran vorzutragen. Letztere Variante hätte den Vorteil, daß der israelische Regierungschef drastische Formulierungen verwenden könnte in der Gewißheit, daß sie in der Medienberichterstattung breiten Raum fänden.

Die Diskussion um die Rede Netanjahus spricht für die nachlassende Stärke des Einflusses der zionistischen Lobby auf den öffentlichen Nahost-Diskurs in den USA. Durch seine unnachgiebige Haltung gegenüber den Palästinensern hat Israel in den vergangenen Jahren bei den Amerikanern viel Kredit verspielt. Überaggressive Militäraktionen wie die sechswöchige Gaza-Offensive im vergangenen Sommer, die 2192 Palästinenser, die meisten von ihnen Zivilisten, aber nur 72 Israelis, die meisten von ihnen Soldaten, das Leben kostete, haben Israels Ansehen in den USA sowie der übrigen Welt schwer geschadet. Inzwischen befürwortet laut Umfragen eine Mehrheit sowohl der nicht-jüdischen als auch der jüdischen US-Bürger im Nahen Osten eine Zweistaatenlösung für Israel und Palästina, wie sie Obama und Kerry vorschwebt, und eine diplomatische Lösung des "Atomstreits" mit dem Iran.

10. Februar 2015


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