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USA/1367: Obamas Version von der Tötung Bin Ladens frei erfunden (SB)


Obamas Version von der Tötung Bin Ladens frei erfunden

Seymour Hersh stellt CIA, Pentagon und Weißes Haus bloß


Die offizielle Version der Liquidierung von Osama Bin Laden im pakistanischen Abbottabad in der Nacht vom 1. auf den 2. Mai 2011 hat, ungeachtet ihrer Verewigung ein Jahr später in Kathryn Bigelows Hollywood-Propagandastreifen "Zero Dark Thirty", von Anfang an vor Widersprüchen und Ungereimtheiten gestrotzt. Allein die Vorstellung, die an der Operation beteiligten Navy SEALs wären, ohne von den Streitkräften Pakistans bemerkt zu werden, mit mindestens zwei Hubschraubern direkt von Jalalabad ins 250 Kilometer entfernte Abbottabad geflogen, hätten ihren Tötungsauftrag ausgeführt und wären anschließend unbehelligt nach Afghanistan zurückgekehrt, war schon damals mehr als absurd. Und trotzdem hat fast die gesamte westliche Presse, angeführt von den Leitmedien New York Times und Washington Post mit Hilfe ihrer "nicht-namentlich genannten" Quellen bei der US-Regierung, diesen Nonsens verbreitet.

Ohne daß die große Öffentlichkeit im NATO-Reich davon erfuhr, berichteten Marc Binder und Syed Saleem von den Online-Ausgaben der der US-Zeitschrift National Journal und der Asia Times wenige Stunden nach Bekanntwerden des Ablebens von Bin Laden, daß die Navy SEALs auf ihrem Weg von Jalalabad nach Abbottabad und zurück auf den 20 Kilometer von Islamabaad entfernten Stützpunkt Tarbela Ghazi, der mit Erlaubnis der pakistanischen Regierung von der CIA und US-Spezialstreitkräften für Drohnenangriffe beziehungsweise Terroristenjagd im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet genutzt wird, zwecks Auftankens zwischengelandet waren. Es gab auch mehrere Augenzeugen vor Ort, die gegenüber der einheimischen Presse berichteten, noch zwei Stunden vor dem Überfall auf das Bin-Laden-Versteck hätten pakistanische Soldaten das ganze Viertel abgeriegelt und den Anwohnern geraten, in ihren Häusern zu bleiben sowie ihre Türen und Fenster geschlossen zu halten.

Vier Jahre danach hat nun die Reporter-Legende Seymour Hersh in einem Artikel, der am 10. Mai bezeichnenderweise nicht in den USA, sondern bei der britischen London Review of Books erschienen ist, mit einer Abrißbirne - methaphorisch gesprochen - das Konstrukt von Weißem Haus, CIA und Pentagon bezüglich des Todes von Bin Laden restlos demontiert. [1] Entgegen der von Obama, dem damaligen CIA-Direktor und späteren Pentagon-Chef Leon Panetta sowie dessen Nachfolger als Leiter des US-Auslandsgeheimdienstes John Brennan in die Welt gesetzten Legende, hat man in Washington vom Aufenthaltsort des Al-Kaida-Gründers weder durch die "Vernehmung" von "Terrorverdächtigen" in Guantánamo Bay oder in irgendwelchen "black sites" der CIA noch durch die Überwachung des globalen Telekommunikationssystems durch die NSA erfahren. Statt dessen ist im August 2010 ein ehemaliges, ranghohes Mitglied des pakistanischen Geheimdienstes einfach in die US-Botschaft in Islamabad hineinspaziert und hat dem Leiter der CIA-Mission dort, Jonathan Banks, angeboten, gegen das ausgesetzte Lösegeld von 25 Millionen Dollar das Versteck Bin Ladens preiszugeben. Nachdem sie den Mann einem Lügendetektortest unterzogen und sich vergewissert hatten, daß er kein Hochstapler war, haben sich die Amerikaner auf das Geschäft eingelassen. Der Informant wurde samt Familie in die USA gebracht und hat im Rahmen des Zeugenschutzprogramms ein neues Leben begonnen.

Offenbar wohnte Bin Laden seit 2006 mit Einverständnis von Pakistans Militärführung und mächtigem Geheimdienst Inter-Services Intelligence Directorate (ISI) in Abbottabad. Dadurch konnte der pakistanische Sicherheitsapparat den schwer erkrankten saudischen Exilanten im Auge behalten und ihn gegebenenfalls als Faustpfand benutzen. Als die Obama-Regierung entschied, Bin Laden zu beseitigen, war allen in Washington klar, daß man die Aktion nicht an Rawalpindi, dem Hauptquartier der pakistanischen Streitkräfte, vorbei würde durchziehen können. Nicht umsonst hatten die Pakistaner den "Terrorchef" in Abbottabad nur zwei Meilen von der Pakistan Military Academy, drei Meilen von einem Armeestützpunkt und 15 Minuten Hubschrauberflug von der bereits erwähnten Basis Tarbela Ghazi, wo die Verantwortlichen für den Schutz des pakistanischen Atomwaffenarsenals ausgebildet werden, entfernt untergebracht. Also wurden Pakistans Generalstabschef Ashfaq Kayani und ISI-Chef General Shuja Pasha in die bevorstehende Aktion eingeweiht. Nachdem sich diese beiden zur passiven Teilnahme verpflichtet hatten, richtete man in Tarbela Ghazi eine Koordinierungsstelle ein.

Geplant war die Liquidierung Bin Ladens ohne großes Aufheben. Erst nachdem mindestens eine Woche ins Land gegangen war, wollte die Obama-Regierung über befreundete Journalisten durchsickern lassen, daß der mutmaßliche Hauptverantwortliche für die Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 bei einem gezielten CIA-Drohnenangriff in Afghanistan ins Jenseits befördert worden sei. Kayani und Pasha, die dafür sorgen mußten, daß die Luftwaffe und Luftraumüberwachung in der fraglichen Nacht inaktiv blieben, wären nicht belastet worden, am Tod eines Manns, der von vielen Menschen in der islamischen Welt als Freiheitsheld verehrt wird, beteiligt gewesen zu sein. Doch der Plan ging schief. Beim Angriff auf das Anwesen in Abbottabad stürzte einer der US-Hubschrauber aus bisher ungeklärten Gründen ab, weshalb sich Obama, Panetta und Brennan - gegen den ausdrücklichen Rat von Verteidigungsminister Robert Gates - entschlossen, die völlige Geheimhaltung aufzugeben und mit der erfundenen Geschichte vom Feuergefecht et cetera sofort an die Öffentlichkeit zu gehen.

Tatsächlich sind die SEALs am Bin-Laden-Anwesen auf keinen Widerstand gestoßen. Die einzigen Schüsse, die dort fielen, waren diejenigen, die Bin Laden töteten. Mit der Behauptung, der "Topterrorist" hätte Widerstand geleistet, zur AK-47 gegriffen bzw. sich schützend hinter einer seiner Ehefrauen versteckt, wollte man die Tatsache leugnen, daß man einen unbewaffneten Mann einfach ermordet hatte, und dadurch Schaden vom Ansehen der SEALs und den USA abwenden. Doch die Bekanntgabe der Durchführung der Operation in Abbottabad führte zwangsläufig zu der Frage nach dem Verbleib von Bin Ladens Leiche. Darum haben Obamas Berater im Weißen Haus auch die Episode mit der Seebestattung von Bord des U. S. S. Vinson - nach muslimischen Riten versteht sich - im Indischen Ozean erfunden.

Wegen Bin Laden, der sich als aktiver Teilnehmer eines von ihm propagierten Krieges verstand, braucht man keine Träne zu verlieren. Mitleid dagegen verdient der pakistanische Arzt Shakil Afridi, der seit mehreren Jahren in Pakistan an einem Impfungsprogramm gegen Kinderlähmung teilnahm und heimlich der CIA die gesammelten DNA-Daten seiner Patienten zukommen ließ. Als Washington anfangs sicherstellen wollte, daß sich Bin Laden in dem Anwesen in Abbottabad aufhielt, besorgte man sich eine entsprechende DNA-Probe von Amir Aziz, jenem Militärarzt, der sich im Auftrag Rawalpindis seit 2006 um die Gesundheit des kränkelden Al-Kaida-Chefs kümmerte. Um diese Verbindung geheimzuhalten, haben die USA später Afridi fälschlicherweise als Quelle der Bin-Laden-DNA-Spuren genannt. Wegen Staatsverrats sitzt Afridi nun eine 30jährige Freiheitsstrafe ab, während in Pakistan und Afghanistan das UN-Impfprogramm gegen Kinderlähmung als CIA-Tarnprojekt diskreditiert ist.

Eine weitere Merkwürdigkeit in Verbindung mit der Ausschaltung Bin Ladens ist die Tatsache, daß ganze 22 Mitglieder des Navy SEAL Team 6, die an der hochgeheimen Operation in Abbottabad teilnahmen, nur wenige Monate später, nämlich am 7. August 2011, bei einem Hubschrauberabsturz in der afghanischen Provinz Wardak ums Leben gekommen sind. Bei dem Vorfall kam es zu den schwersten Verlusten der USA bei einer einzelnen Aktion im gesamten, mehr als zehn Jahre andauernden Afghanistan-Krieg. Es starben nicht nur die SEALs, sondern acht weitere US-Militärs, sieben afghanische Militärangehörige und ein Dolmetscher infolge eines "Glückstreffers" der Taliban. Da drängt sich das englische Sprichwort "Dead men tell no tales" geradezu auf.


Fußnote:


[1] Seymour M. Hersh, "The Killing of Osama bin Laden", London Review of Books, 21 May 2015,
http://www.lrb.co.uk/v37/n10/seymour-m-hersh/the-killing-of-osama-bin-laden


11. Mai 2015


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