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USA/1375: 9/11 belastet die Beziehungen der USA zu Saudi-Arabien (SB)


9/11 belastet die Beziehungen der USA zu Saudi-Arabien

Barack Obamas Besuch in Riad unter keinem guten Stern


Am heutigen 20. April besucht Barack Obama Saudi-Arabien. Das Treffen des US-Präsidenten in Riad mit dem saudischen Monarchen König Salman steht aber unter keinem guten Stern. 2015 ist Saudi-Arabien, das offen Krieg im Nachbarland Jemen führt und die sunnitischen Dschihadisten in Syrien militärisch unterstützt, mit Importen in Höhe von fast 10 Milliarden Dollar zum wichtigsten Kunden der US-Rüstungsindustrie geworden. Die florierenden Waffengeschäfte können jedoch nicht über die deutliche Abkühlung der diplomatischen Beziehungen zwischen Riad und Washington hinwegtäuschen. Die Saudis fühlen sich von Obama verraten, weil er ihren langjährigen Verbündeten, Ägyptens Präsidenten Hosni Mubarak 2011 fallen ließ, er sich 2013 gegen Raketenangriffe auf die syrischen Streitkräfte wegen deren vermeintlicher Giftgaseinsätze entschied und 2015 den Atomdeal mit dem Erzfeind Iran abschloß.

Eine weitere Belastung der Beziehungen zwischen Riad und Washington, die enorme Sprengkraft in sich birgt, ist der hartnäckige Verdacht, daß Teile der Königsfamilie bzw. des saudischen Staatsapparats finanziell und organisatorisch in die Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 in New York und Arlington verwickelt gewesen sind. Derzeit liegt im Repräsentantenhaus und Senat in Washington ein Gesetzesentwurf zur Abstimmung vor, der von Demokraten und Republikanern gleichermaßen unterstützt wird und der es den 9/11-Opferfamilien ermöglichen würde, eine juristische Klage gegen den Staat Saudi-Arabien wegen Beihilfe zum Mord in fast 3.000 Fällen in die Wege zu leiten. Bekanntlich stammten 15 der 19 Männer, die den schwersten und folgenreichsten "Terroranschlag" aller Zeiten durchgeführt haben sollen, aus Saudi-Arabien.

Die New York Times berichtete am 16. April unter der Überschrift "Saudi Arabia Warns of Economic Fallout if Congress Passes 9/11 Bill" auf ihrer Titelseite, daß Saudi-Arabiens Außenminister Adel Al Dschubeir vor kurzem dem Weißen Haus und dem State Department mit dem Verkauf sämtlicher Vermögenswerte Saudi-Arabiens in den USA im Wert von rund 750 Milliarden Dollar drohte, um sie dem Zugriff der amerikanischen Gerichte zu entziehen, sollte das Gesetz vom Kongreß verabschiedet werden. Obamas Pressesprecher Josh Earnest verkündete daraufhin am 18. April, der Präsident würde für diesen Fall mit einem Veto dafür sorgen, daß das Gesetz niemals in Kraft trete.

Die seit Jahren laufende Kontroverse um eine mögliche saudische Verwicklung in die Flugzeuganschläge wird dieser Tage durch die Kampagne zur Freigabe jener 28 Seiten des gemeinsamen 9/11-Berichtes der Geheimdienstausschüsse von Repräsentantenhaus und Senat, die bei der Veröffentlichung im Jahr 2003 geschwärzt geblieben waren, angeheizt. Nach Angaben von Politikern und Geheimdienstbeamten, die den Bericht damals erstellten, enthalten besagte 28 Seiten zahlreiche Verdachtsmomente gegen eine ganze Reihe von Personen aus Saudi-Arabien. In dem vielbeachteten Politmagazin "60 Minutes" des Fernsehsenders CBS erschien am 10. April ein funfzehnminütiger Beitrag zum Thema der "28 Pages". [1] Darin spricht Moderator Steve Kroft mit den Anwälten, welche die 9/11-Opferfamilien vertreten, mit Ex-CIA-Chef Porter Goss, mit zwei Mitgliedern der "unabhängigen" 9/11-Kommission, Bob Kerrey und John Lehman, sowie mit Ex-Senator Bob Graham, der den Vorsitz bei der Untersuchung zu den Hintergründen der Flugzeuganschläge durch die Geheimdienstausschüsse beider Kongreßhäuser innehatte. Alle Teilnehmer des Interviews sprechen sich für die Freigabe der 28 Seiten aus.

In der CBS-Sendung tut Graham gegenüber Kroft die offizielle Version der 9/11-Anschläge mit einem vielsagenden Satz ab: "Ich halte es nicht für plausibel, daß 19 Personen, von den die meisten kein Englisch sprachen, von denen die meisten niemals zuvor in den Vereinigten Staaten waren, von denen viele keinen Schulabschluß hatten, eine solche komplizierte Operation ohne irgendwelche Unterstützung innerhalb der Vereinigten Staaten hätten durchführen können."

In dem "60 Minutes"-Bericht wird der Fall der beiden mutmaßlichen Flugzeugentführer Nawaz Al Hasmi und Khalid Al Midhar hervorgehoben, denen nach ihrer Ankunft in Kalifornien Anfang 2000 von einem ganzen Netzwerk an Personen, die entweder für die saudische Botschaft in Los Angeles arbeiteten oder mit ihr in Kontakt standen, dabei geholfen wurde, eine Wohnung in San Diego zu finden sowie Englisch- und Flugunterricht zu bekommen.) Als Helfershelfer wird unter anderem Anwar Al Awlaki genannt, der damals eine Moschee in San Diego leitete. Als Al Awlaki 2001 Imam einer Moschee in Falls Church, Virginia, nahe Washington D. C. wurde, haben Al Hasmi und Al Midhar ihn dort auch besucht. 2011 wurde Al Awlaki, der inzwischen angeblich zum internationalen Chefpropagandisten des Al-Kaida-"Netzwerks" aufgestiegen war, im Jemen mittels eines per Drohne erfolgten CIA-Raketenangriffs getötet.

Seit 13 Jahren steht der Vorwurf im Raum, daß die 28 Seiten aus Rücksicht für die saudische Königsfamilie geheim gehalten werden. An dem Vorwurf scheint einiges dran zu sein. Es ist bekannt - wird jedoch im "60 Minutes"-Beitrag nicht erwähnt -, daß Al Hasmis und Al Midhars Aufenthalt in den USA im Vorfeld der Flugzeuganschläge mit 130.000 Dollar von einem Konto, das der damalige saudische Botschafter in den USA, Prinz Bandar bin Sultan, und seine Gattin, Prinzessin Haifa, bei der Riggs Bank in Washington gemeinsam führten, finanziert wurde. Dank seiner persönlichen Freundschaft zu Präsident George W. Bush konnte Bandar unmittelbar nach dem 11. September 2001 mehr als 100 Untertanen des saudischen Königs, darunter einige, die das FBI wegen der Anschläge vernehmen wollte, aus den USA nach Hause fliegen.

Wie Reporterlegende Bob Woodward in seinem Buch "Plan of Attack" später berichten sollte, wurde Bandar im Januar 2003 noch vor US-Außenminister Colin Powell von Bush jun., Vizepräsident Dick Cheney und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld in die konkrete Irakkriegsplanung eingeweiht. Nach Angaben des Enthüllungsjournalisten Seymour Hersh waren es Cheney und Bandar, der inzwischen in Riad als Geheimdienstchef und Nationaler Sicherheitsberater fungierte, die 2006 den teuflischen Plan, das "Regime" Baschar Al Assads in Syrien durch die Mobilisierung Tausender gewaltbereiter sunnitischer Söldner zu stürzen, ausgeheckt haben.

Vor diesem Hintergrund läßt sich der Widerwillen in Washington, die unappetitlichsten Aspekte der amerikanisch-saudischen Beziehungen der Öffentlichkeit preiszugeben, nachvollziehen. Hinzu kommt, daß Bob Grahams Formulierung, die 9/11-Operation wäre "ohne irgendeine Unterstützung innerhalb der Vereinigten Staaten" nicht denkbar gewesen, sich nicht ausschließlich auf eine Verwicklung Saudi-Arabiens in die Anschläge beziehen muß.

Bis heute hat es keine vernünftige Erklärung dafür gegeben, warum die CIA, die Al Hasmis und Al Midhars Teilnahme an einem "Terrorgipfel" im Januar 2000 in Kuala Lumpur vom malaysischen Geheimdienst beobachten ließ, die US-Einwanderungsbehörde nicht vor den beiden potentiellen Attentätern warnte, die wenige Tage später auf dem internationalen Flughagen in Los Angeles eintrafen. Ebenso rätselhaft ist die Tatsache, daß die Unterbringung Al Hasmis und Al Midhars bei Abdussattar Shaikh, dem angeblich verläßlichsten Informanten des FBI bei der muslimischen Gemeinde in San Diego, keinen Alarm auslöste. Auch der Umstand, den Geheimdienstkoryphäe James Bamford in seinem 2008 erschienenen Buch "The Shadow Factory" bekannt machte, wonach die Telefone von Al Hasmi und Al Midhar während ihres fast zweijährigen Aufenthalts in den USA von der NSA rund um die Uhr abgehört wurden, deutet auf mehr als nur einfaches Versagen hin.

Sollten also die sagenumwobenen 28 Pages doch noch in den kommenden Wochen veröffentlicht werden, denn nur, weil bestimmte Kräfte in Washington die Beziehungen der USA zu Saudi-Arabien zuungunsten Riads neu justieren wollen und nicht weil irgend jemand im amerikanischen Sicherheitsapparat ernsthaftes Interesse an einer Beleuchtung der Hintergründe von 9/11 hat.


Fußnote:

1. http://www.cbsnews.com/videos/28-pages/

20. April 2016


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