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BERICHT/084: Petersberg II - Parlamentarische Basisarbeit gegen Militarismus und Krieg (SB)


Schiffsdemo und öffentliche Fraktionssitzung der Linken NRW am 5. Dezember 2011 in Bonn

Friedensfahne vor Bonner Skyline - Foto: © 2011 by Susanne Fasbender

Bonn aus friedenspolitischer Sicht
Foto: © 2011 by Susanne Fasbender

Eine Rheinfahrt kann nicht nur lustig sein, sie kann auch Anlaß bieten zu ernsthafter und engagierter Auseinandersetzung mit dem zerstörerischsten Ausdruck des kapitalistischen Weltsystems. Nur einige Stunden währte die Rundreise der "MS Beethoven" im schwarzen Wasser des Rheins, und doch ging es um nichts geringeres als eine Zukunft ohne Militarismus und imperialistische Kriege. Eingebettet in die Proteste unter dem Motto "Truppen raus aus Afghanistan!", die vom 3. bis 5. Dezember als Gegenveranstaltung zur Internationalen Afghanistankonferenz in Bonn stattfanden, war eine öffentliche Sitzung der Linksfraktion NRW an Bord der MS Beethoven. Das Schiff ankerte in unmittelbarer Nähe des Austragungsort der Konferenz am Rheinufer, um von dort aus parallel zur Bonner Uferpromenade Präsenz gegen den Krieg in Afghanistan zu zeigen.

Ist es utopisch, sich eine Welt ohne Blutvergießen und Bombenabwürfe auf wehrlose Zivilisten vorzustellen? Jede Friedensutopie fängt mit dem festen Willen an, unzumutbaren Verhältnissen kriegerischer Ausbeutung und Unterwerfung ganzer Völker und Landstriche ein entschiedenes Nein entgegenzustellen. Ein Nein zum Krieg schließt jedoch die Abschaffung aller Voraussetzungen und Strukturen zur aggressiven Kriegsfähigkeit unweigerlich mit ein. Der Tastendruck an der Konsole ferngesteuerter Distanzwaffen symbolisiert die logistische und infrastrukturelle Tiefe hinter dem eigentlichen Kriegsgeschehen, dessen politische und ökonomische Beweggründe erst recht aus dem Blick einer ohnehin stark gefilterten Berichterstattung von den Gefechtsfeldern imperialistischer Kriege geraten. Wenn im fernen Afghanistan gekämpft und gestorben wird, dann artikulieren sich darin vielfältige militärische wie zivile Interessen, die es beim Namen zu nennen und zu kritisieren gilt. Auf den Zusammenhang zwischen millionenfachem Leid in den Kriegsregionen und den zerstörerischen Mobilisierungseffekten aus ihrer Binnensicht im Frieden lebender Gesellschaften hinzuweisen, bedeutet die offizielle Friedenspolitik der NATO-Regierungen vom Kopf auf die Füße des Selbstbestimmungsrechts der davon betroffenen Bevölkerungen zu stellen.

Afghanen zeigen Transparente - Foto: © 2011 by Schattenblick

Botschaft aus Afghanistan ...
Foto: © 2011 by Schattenblick

Joseph Gerson vom American Friends Service Committee, der über die Situation der Friedensbewegung in den USA referierte, Isaiah Toney als Aktivist der Occupy Wallstreet-Bewegung, Tobias Pflüger, Mitbegründer der Informationstelle Militarisierung (IMI) und Mitglied im Bundesvorstand der Partei Die Linke, Claudia Haydt von IMI als auch Ali Atalan als friedenspolitischer Sprecher der NRW-Fraktion der Linken ermöglichten mit ihren Vorträgen aufschlußreiche Einblicke in die Bedingungen imperialistischer Kriege und zur Frage, was friedenspolitische Initiativen gegen diese unternehmen können. Geleitet wurde die Sitzung von der Vorsitzenden der Linksfraktion NRW, Bärbel Beuermann, die es verstand, die Referate mit Erläuterungen und Zusammenfassungen inhaltlich zusammenzubinden.

Fraktionsvorsitzende Bärbel Beuermann - Foto: © 2011 by Schattenblick

Bärbel Beuermann führt durch die Sitzung
Foto: © 2011 by Schattenblick
Joseph Gerson, der sich aufgrund seiner jüdischen Herkunft emotional zwischen den Fronten sieht, heimatlos geworden durch das Schicksal seiner Eltern, die als Holocaust-Opfer erfahren mußten, wie durch Rassenwahn und völkische Kriegsideologie eine ganze Welt an den Abgrund gedrängt wurde, hat nach eigenem Bekunden vor allem anderen gelernt, niemals teilzunehmen am Verbrechen des Schweigens. Sein Urteil über die Kriegführung der US-Regierung fällt dementsprechend deutlich aus. Für ihn wird mit den Feldzügen Washingtons ein Arrangement für das 21. Jahrhundert getroffen, anhand dessen die USA demonstrieren wollten, daß sie immer noch die mächtigste Nation der Welt sind, um darüber Einfluß und Zugriff auf Bodenschätze wie Öl, Gas und seltene Erden in Zentralasien zu erlangen.

Gerson hob darüber hinaus hervor, daß der völkerrechtswidrige Angriff auf Afghanistan geostrategisch wichtig für die US-Falken gewesen sei, um die militärische Kontrolle über den ganzen eurasischen Raum an sich zu reißen. Daß die US-Kriegsmaschinerie nunmehr Truppen aus dem Irak abzieht, um sie in den asiatisch-pazifischen Raum zu verlegen, diene dem Ausbau permanenter US-Militärbasen für die globalen Machtkämpfe im nächsten Jahrzehnt. Der darin vollzogene Strategiewechsel von einer Aufstandsbekämpfung, für die man bis zu 200.000 Soldaten brauchte, hin zu einer Terrorismusbekämpfung, deren nächtliche Angriffe auf einzelne Häuser und gezielte Verschleppungen respektive Ermordungen weniger Truppen benötige, stehe keineswegs im Widerspruch dazu, daß die US-Regierung mit Warlords und von ihr als terroristisch eingestufte Gruppen verhandle. US-Präsident Barack Obamas von seinem Vorgänger George W. Bush jun. vererbter Krieg gegen die Taliban soll weniger die Netzwerke sogenannten islamistischen Terrors zerstören, sondern ziele vielmehr darauf, die Taliban durch massive Bombardierungen in ihrem Widerstand zu zermürben und an den Verhandlungstisch zu zwingen. Eine Marionettenregierung in Afghanistan unter amerikanischer Schirmherrschaft zu installieren, sei Teil der US-Strategie und Pläne, eine neue Seidenstraßen-Initiative aus der Taufe zu heben, um Zentralasien in westliche und vor allen Dingen gegen Rußland gerichtete Ökonomien zu verwandeln.

Joseph Gerson - Foto: © 2011 by Schattenblick

US-Militärhaushalt durch Joseph Gerson ins Verhältnis gesetzt
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Die globalen und geostrategischen Militäroperationen zur Durchsetzung US-amerikanischer Kriegshegemonie seien zur Sicherung natürlicher Ressourcen zwar zweckdienlich, rangierten auf der Agenda der Prioritäten Washingtons jedoch hinter der Absicht, durch die dauerhafte Etablierung eigener Militärbasen langfristige hegemoniale Kontrolle über den eurasischen Raum zu erlangen. Unter Blick auf das eigene Land legt Gerson besonderes Gewicht auf die negativen sozialen Folgen der Kriegswirtschaft in den USA. Daß 400.000 Menschen in den Staaten heutzutage ein Vermögen für sich beanspruchen, das vergleichbar wäre mit 60 Prozent des Vermögens der restlichen Bevölkerung, sei Folge einer kriegsgesteuerten Korruption, die das soziale Elend und die Erosion ziviler Verfassungsgarantien im freien Fall neoliberaler Systemkrisen wesentlich beschleunigt habe. Daß nunmehr über das ganze Land verstreut gegen die Auswüchse des kollabierenden Kapitalismus einerseits und des Kriegsgewinnlertums zum anderen Proteste aufflackern, in denen sich die in langer Tradition stehende antimilitaristische Friedensbewegung der USA mit der Occupy-Bewegung verbündet habe, verdeutliche die ganze Tragweite der gegenwärtigen Krise.

Daß der Zusammenhang zwischen globaler Kriegführung und sozialer Verelendung immer deutlicher hervortritt spiegelt sich laut Gerson auch darin, daß die soziale Protestbewegung in seiner Heimatstadt Boston unter dem Namen "Occupy Boston - Not Palestine" dagegen demonstriert, daß der gigantische US-Militärhaushalt von rechten Hardlinern immer mehr für die Politik des sozialen Abbaus instrumentalisiert werde. Heutzutage werde doppelt soviel fürs Militär ausgegeben wie vor dem 11. September 2001. In Zahlen ausgedrückt bedeute dies, daß 60 Prozent des US-Haushalts für Verteidigungsausgaben und nur 6 Prozent für Bildung, 1 Prozent für Umweltaufgaben und 1 Prozent für regenerative Energien bereitgestellt werden. [1]

Der zivile Widerstand, der sich in Unterschriftenaktionen, Demonstrationen und Referenden artikuliere, stoße jedoch auf große Hindernisse, zumal die Macht im Herzen des Imperialismus bei der extremen Rechten läge und sich die Bürger in der Ohnmacht ihrer Ansprüche als bloße Konsumenten begriffen. Gerson verbindet mit der Occupy-Bewegung durchaus die Hoffnung, daß sich der US-Bürger vom reinen Konsumstreben emanzipiere, das mit dazu beitrüge, daß die Politik von undemokratischen Machtblöcken militärisch-administrativer Art dominiert werde. Dies illustrierte er mit damit, daß bei der Abstimmung zum Abzug aus Afghanistan im US-Kongreß nur ein Mitglied des Repräsentantenhauses dafür stimmte, die Ausgaben für das Militär einzufrieren.

Um die Errichtung einer dauerhaften Kriegs- und Krisengesellschaft zu verhindern, sei seiner Ansicht nach vor allem Aufklärung vonnöten, da viele Menschen in den USA um die Zusammenhänge zwischen Militarismus und ökonomischem Maßnahmenregime in Unkenntnis gehalten würden. Im Mai 2012 findet das Gipfeltreffen der NATO in Chicago statt. Aus diesem Anlaß sei eine Reihe von Gegeninitiativen geplant, wie zum Beispiel ein ziviles Netzwerk, das sich für eine NATO-freie Welt einsetzt. Diese Aktivisten würden besonders Bildungsangebote, Aufklärungskonferenzen und Sozialforen quer durch das Land organisieren, der Notwendigkeit gehorchend, die friedenspolitische Arbeit noch stärker als bisher zu vernetzen. Nicht unerwähnt ließ Gerson dabei, daß die Occupy-Bewegung schon jetzt eine enorme Wirkung und Aussagekraft in der Gesellschaft entfachte, die den gesellschaftlichen Diskurs verändert und Themen wie ökonomische Gerechtigkeit und Kritik gegenüber Programmen des restriktiven Sozialabbaus wieder ins Offene des gleichberechtigten Diskurses zurückgebracht habe.

Isaiah Toney - Foto: © 2011 by Schattenblick

Isaiah Toney berichtet über die
Occupy-Bewegung in den USA
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Isaiah Toney knüpfte als frühes Mitglied der Occupy-Bewegung an die Konsumkritik an, die überhaupt das Leitmotiv in der Entstehungsgeschichte der ganzen Bewegung bildete. Ausgehend von einer Kampagne der kanadischen Initiative Adbusters, ein Sprachrohr der nordamerikanischen Konsumgegner, das das Ziel verfolgt, gegen die banken- und wirtschaftsfreundliche US-Politik zu demonstrieren, hatte eine kleine Gruppe von Aktivisten zu Protesten in New York City aufgerufen. Als symbolträchtiger Ort für ihre Kundgebung wurde der Finanzplatz Wall Street gewählt. Aus dieser ersten Aktion bildeten sich nahezu explosionsartig über das ganze Land verstreut zahlreiche Ableger der Protestbewegung, die immer mehr Menschen dafür mobilisierten, Camps als Manifestation des bürgerlichen Unmuts über das ruinöse Mißmanagement der Geldinstitute zu errichten.

Wer die 99 Prozent seien, in deren Namen die Occupy-Bewegung agiert, konnte Toney allerdings nicht genau darlegen. Es gäbe kein homogenes Bild, weil die Interessen in den unterschiedlichsten Gruppierungen je nach Grad der Identifizierung mit der Bewegung und ihren Zielen zuweilen weit auseinandergingen. Von Vollblut-Aktivisten, die für eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft einstehen, bis hin zu Freizeit-Protestlern, die Friedenspolitik sowie ökonomische und ökologische Aspekte miteinander vermengen, sind Toney zufolge alle Themenfelder und Motivlagen der amerikanischen Linken in dieser sozialen Bewegung vertreten und organisiert.

Eben aufgrund dieser Vielschichtigkeit sei das politische Etablishment bisher unschlüssig, wie mit der Occupy-Bewegung umzugehen sei. So gäbe es weder eine Parteilinie noch eine einheitliche überregionale Front, die den Protest und die Unzufriedenheit in der Bevölkerung gegen den administrativen Machtapparat in Stellung bringen könnte. Der lose Zusammenschluß aus politisch erfahrenen Aktivisten, Repräsentanten verschiedener Organisationen und bürgerlichen Erstprotestlern mache es schwierig, interne Strukturen zu entwickeln und kommunikativ miteinander zu vernetzen. Die geographischen Distanzen zwischen den lokalen Protestgruppen erschwerten zudem den Aufbau eines geschlossenen solidarischen Bündnisses.

Toney begrüßte es, daß Geld für die Camps gespendet werde, aber noch wichtiger sei es, daß sich der öffentliche Protest nicht mangels Organisationsdichte im Konsens einer moralischen Konsolidierung totläuft und zu belanglosen Party-Konversationen verkommt. Ob die Vernetzung übers Internet stabilere Strukturen der Kommunikation und des Agierens im Protest ermöglichen wird, da schon aus klimatischen Gründen das Reisen übers Land und die Unterstützung vor Ort ausbleiben werden, ließ Toney offen. Es ist ein Kind der Hoffnung, das mit der Occupy-Bewegung vor allem im städtischen Raum als sozialreformistisches Anliegen in Erscheinung getreten ist. Was klein anfängt, wächst, wird erwachsen und gelangt vielleicht zur Einsicht, daß sich Dinge nicht immer verändern lassen. Dennoch repräsentiert die Occupy-Bewegung in den USA, deren Bevölkerung seit Jahrzehnten massenmedial und liberalismusapologetisch so gründlich indoktriniert wurde, daß kaum Widerstand gegen die große soziale Not von Millionen geleistet wurde, ein Mobilisierungspotential, das auch radikalere, konsequent antikapitalistische Forderungen hervorbringen könnte.

Tobias Pflüger - Foto: © 2011 by Schattenblick

Tobias Pflüger
Foto: © 2011 by Schattenblick
Tobias Pflüger thematisierte in seinem Vortrag die schwierige, aber unerläßliche Friedenspolitik von Kommune über Land, Bund und Europa bis ins internationale Ausland. Den Schwerpunkt seiner Kritik legte er dabei auf die Militärbasen in Afghanistan, die eine tragende Rolle in den militärischen Zukunftsperspektiven und geostrategischen Entwürfen spielten. Sie seien Pflüger zufolge ein deutlicher Beleg dafür, daß die Umstrukturierung der Bundeswehr, vom Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg noch vollmundig als Abrüstung und Einsparung von knapp acht Milliarden Euro im Militärhaushalt gepriesen, eine ganz andere Stoßrichtung birgt. Unter dem neuen Chef der Hardthöhe in Bonn, Thomas de Maizière, würden nämlich ganz andere Töne angeschlagen. So wird der Militärhaushalt, übrigens als einziger im Bundeshaushalt, sogar deutlich aufgestockt. Richtig ist, daß die Bundeswehr verkleinert werde, aber gleichzeitig würden die offensivsten Potentiale der einzelnen Waffengattungen ausgebaut und immer stärker in Richtung Krieg orientiert. Wie im Kosovo, wo die Bundeswehr und die anderen Besatzungsarmeen inzwischen langfristig feste Militärlager angelegt haben, mit dem Ziel, sie für militärische Operationen wie jüngst im Libyenkrieg zu nutzen, errichten die verschiedenen Besatzungsmächte auch in Afghanistan neue Militärbasen. Aus eigener Erfahrung als Europaparlamentarier nannte Pflüger dabei die britische Militärbase auf Zypern, die auch von der Bundeswehr für Militäreinsätze genutzt wird. Ihm zufolge sei es ein Skandal, daß in einem Mitgliedsstaat der EU ein anderes Mitgliedsland eine Besatzungszone unterhält, die zudem für EU-Abgeordnete gesperrt sei.

In Zeiten interventionistischer Kriegspolitik formulierte Pflüger die Friedenspolitik der Linken mit klaren Worten: Nötig sei die strukturelle Nichtangriffsfähigkeit der Bundeswehr. Ein wesentliches Moment dazu sei der vollständige Abzug aus Afghanistan und das Zurückholen der Bundeswehrsoldaten aus allen Auslandseinsätzen. Wie auf internationaler und Europaebene müsse die Entmilitarisierung auch auf alle anderen politischen Funktionsebenen ausgedehnt werden. Auf Landesebene regte Pflüger beispielsweise die Aufkündigung der Zivilmilitärischen Zusammenarbeit an. Friedenspolitik dürfe nicht den Charakter eines bloßen Appells annehmen. Nötig sei vielmehr, die verschiedenen Schnittstellen politischen Agierens miteinander zu verlinken. Kommune, Land und Bund müßten die Stufenleiter einer Initiative zur Demilitarisierung bilden. Dazu gehöre auf Landesebene auch die Schließung ausländischer Militärstandorte wie in Ramstein, von wo aus völker- und verfassungswidrige Kriege organisiert wurden und werden. Zwar habe sich in den europäischen Gremien der gute Ton eingebürgert, die US-Außenpolitik zum Sündenbock zu machen, aber inzwischen trete mit der EU ein zweiter imperialistischer Akteur ins Welt- und Kriegsgeschehen ein. Die EU sei längst dabei, eigene Militärstrukturen zu schaffen und die Militärbasen ihrer Mitgliedsstaaten in ihre geostrategischen Interventionspläne einzubeziehen.

Tobias Pflüger im Vortrag - Foto: © 2011 by Schattenblick

Der Bundeswehr die Krallen stutzen ...
Foto: © 2011 by Schattenblick

Die Zurichtung der Bundeswehr zu einer effizienten Einsatztruppe mache die Schließung vieler Militärstandorte in Deutschland erforderlich. Andererseits soll ihre mobile Kriegsfähigkeit trotz der Truppenreduzierung gesteigert werden. Um daraus einerseits politisches Kapital in Form von Legitimationseffekten zu schlagen und zum anderen die Bereitschaft in der Bevölkerung zu erhöhen, die neue Konzeptionierung der Bundeswehr zivilgesellschaftlich mitzutragen, wird ein Untergangsszenario heraufbeschworen. So werden die Kommunen massiv unter Druck gesetzt, für ihre Bundeswehrstandorte zu kämpfen, da andernfalls ein wirtschaftlicher Ruin in den Kommunalstrukturen drohen würde. Hier verortet Die Linke im besonderen ihre Aufgabe als Partei der Aufklärung. So berief sie im September dieses Jahres eine Konversionskonferenz ein, in der Ökonomen und Sozialwissenschaftler ihre Forschungsergebnisse zu diesem Themenfeld zusammentrugen. In den meisten Kommunen, die von der Schließung eines Bundeswehrstandortes betroffen waren, hat sich die wirtschaftliche Lage allen Prognosen zum Trotz sogar zum besseren gewendet. Der positive Effekt resultierte entgegen landläufigen Befürchtungen daraus, daß der Betrieb eines Militärstützpunktes die Ausformung monostruktureller Verkehrswege forciert. Das Umland versorgt die stationierten Soldaten. Der damit einhergehende Aufschwung wird jedoch von der Höhe des Soldes begrenzt. Ist das Limit erreicht, stagniert die Wirtschaftskraft, weil die bestehende Infrastruktur andere Großprojekte und die Ansiedlung von Gewerbe und Industrie, auch aufgrund fehlender kultureller Attraktivität des Standortes, nicht gerade begünstigt.

Ali Atalan - Foto: © 2011 by Schattenblick

Ali Atalan
Foto: © 2011 by Schattenblick
Demgegenüber vertritt die NRW-Landesregierung eine zum Stand der Forschung verquere Politik. So hat Ministerpräsidentin Hannelore Kraft im März dieses Jahres eine gemeinsame Erklärung aller fünf Landtragsfraktionen im Plenum zur Umstrukturierung der Bundeswehr angemahnt. Darin hieß es, daß NRW ein bedeutender Bundeswehrstandort bleiben und aufgrund seiner Größe und Bevölkerungsdichte in den Standortentscheidungen im besonderen berücksichtigt werden müsse, und zwar auf die Gesamtfläche verteilt und nicht auf wenige Großstandorte konzentriert, da dies eine Schwächung des ländlichen Raumes zur Folge hätte. Pflüger wertete diesen Standpunkt lapidar als Bekenntnis zum Militarismus. Die Linke in NRW hat die Erklärung nicht mitgetragen und statt dessen in friedenspolitisch orientierter Zukunftsschau die Einrichtung eines Landesamtes für Konversion und Abrüstung gefordert. Daß inzwischen nicht nur Militär, sondern auch Polizeikräfte verstärkt ins Ausland geschickt werden, unterstreicht nach Pflüger die Notwendigkeit einer klaren Position gegen den Trend zur Militarisierung der Gesellschaft. Daß sich Die Linke programmatisch gegen Auslandseinsätze von Landespolizeien positioniert und die rot-rote Regierung in Brandenburg sich explizit gegen solche Einsätze entschieden hat, bestätige den Kurs der Linkspartei, in deren Parteiprogramm nicht zufällig die Auflösung der NATO und der Austritt aus den militärischen Strukturen der NATO gefordert wird, weil dies auch für Pflüger der einzige Weg ist, die Militarisierung nicht nur der Außen-, sondern auch seinen schleichenden Einfluß auf die Innenpolitik zu unterbinden. Daß die etablierten Partien der Linkspartei daraufhin den Schmähzettel "nicht koalitionsfähig" auf den Rücken klebten, bestätigt ihn in seiner friedenspolitischen Leitlinie vom Schulterschluß der kleinsten kommunalen Einheit bis zur internationalen Solidarität aller friedens- und freiheitsliebenden Bevölkerungen.

Der Landtagsabgeordnete Ali Atalan, zuständig unter anderem für Migration und Friedenspolitik, stellte in seinem Beitrag eine Reihe antimilitaristischer Initiative der Linksfraktion NRW vor. Anträge und Anhörungen, die in nahezu schönster Regelmäßigkeit von den anderen Parteien abgeschmettert wurden. Dieser breit aufgestellte Widerstand in NRW gegen die linke Friedenspolitik sei geradezu symptomatisch. So wurde auch der Antrag der Linken auf Abzug der NRW-Polizei aus Afghanistan in der Anhörung abgelehnt. Andererseits herrsche unter den Regierungsparteien ein affirmativer Konsens in der Frage einer global einsatzfähigen Bundeswehr vor - kurioserweise mit Auswirkungen auf die Landespolitik in NRW. Linke Projekte wie Schule ohne Bundeswehr fänden im bevölkerungsreichsten Bundesland kein Gehör, weil die SPD-geführte Landesregierung in dieser Angelegenheit treu zum Regierungskurs hält. Der Antrag, die Vereinbarung zur Stationierung britischer Streitkräfte in der Senne aufzukündigen, um statt dessen ein Nationalparkprojekt aufzuziehen, landete ebenso im Mülleimer wie andererseits die Legende hartnäckig aufrechterhalten wird, Militärstandorte sicherten Arbeitsplätze. Die Friedenspolitik der Regierungsparteien sei schon deshalb unglaubwürdig, weil die NATO als Kriegsorganisation den Frieden der Paläste, nicht das friedliche Zusammenleben der Menschen schützen soll, so Atalan.

Michael Aggelidis, Claudia Haydt und Monty Schädel referierten zum Thema des Umbaus der Bundeswehr zur Interventionsarmee, wobei die Rolle der Bundeswehr bei der Militarisierung der Gesellschaft im besonderen erörtert wurde.

Michael Aggelidis - Foto: © 2011 by Schattenblick

Michael Aggelidis
Foto: © 2011 by Schattenblick

Aggelidis nahm den geplanten Umzug weiterer Regierungsorgane von Bonn nach Berlin ins Visier seiner Kritik, da er darin verdeckte deutsche Großmannssüchte im Aufkeimen sieht. Daß Aggelidis als Bonner Bürger durchaus lokalpatriotistische Gründe für einen Verbleib des Rüstungsministeriums am Rhein geltend macht und dem Kulturtreiben an der Spree argwöhnisch gegenübersteht, hinderte ihn indes nicht daran, das strategische Konzept hinter alledem beim Namen zu nennen. Aus dem Stellenabbau auf der Hardthöhe Mittel freizuschaufeln, um damit die neuen Angriffsambitionen der Bundeswehr zu refinanzieren und effektiver Krieg führen zu können, ist für Aggelidis die feine Sphärenmusik hinter der derzeitigen Debatte um den Umzug des Rüstungsministeriums nach Berlin, infolgedessen 1500 Stellen in die Bundeshauptstadt verlagert werden sollen. In Bonn soll dagegen der Rotstift regieren, auch wenn de Malizière weitere Bundeswehrdienstposten für den ehemaligen Regierungssitz in Aussicht stellt. Die Konzentration militärischer Macht in Berlin, gewissermaßen Tür an Tür mit dem Amt für Rüstungsexporte, böte dem Verteidigungsminister sicherlich administrative Vorteile.

Auch wenn Aggelidis stellenweise einen scherzhaften Unterton in seine Rede mischte, vor allem wenn er die Vorzüge Bonns gegenüber Berlin pries, nahm seine Stimme doch wieder den gewohnten Ernst an, als er auf das Anliegen der linken Landtragsfraktion zu sprechen kam, die statt des Verteidigungsministeriums eine Behörde für Rüstungskonversion, Friedensforschung und Abwicklung der Bundeswehr fordert. Schließlich zitierte er einen Satz aus der UN-Charta, in dem die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen ihre Entschiedenheit bekunden, künftige Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren und für die Erreichung dieser Ziele zusammenzuwirken. Aggelidis versah die hehren Worte allerdings mit dem Wermutstropfen, daß die UN genau das Gegenteil dessen praktiziere. Sie habe sich zu einem Instrument der imperialistischen Großmächte, vor allem der USA und der Europäischen Union, umformen lassen.

Claudia Haydt - Foto: © 2011 by Schattenblick

Claudia Haydt
Foto: © 2011 by Schattenblick

Claudia Haydt ging in ihrem Vortrag gezielt auf die Konversionsängste der Kommunen ein. Die Frage, was passiert, wenn die Bundeswehr ihre Standorte zumindest in Teilen der Republik schließt, treibt manchem Bürgermeister und Landrat den Angstschweiß auf die Stirn. Um das Gespenst entufernder Arbeitslosigkeit und Kriminalität zu vertreiben empfiehlt sich ein Blick auf die überwiegend positiven Aussichten, die die Konversion von Kasernen, Übungsplätzen und Militäreinrichtungen eröffnen können.

Tatsache ist, daß von den derzeit 220.000 Zeit- und Berufssoldaten zukünftig maximal noch 185.000 in Brot und Lohn der Bundeswehr stehen werden. Das sind 170.000 Zeit- und Berufssoldaten sowie bis zu 15.000 freiwillig länger Dienstleistende inklusive der Reservisten. Zählt man indes die 35.000 Stellen für freiwillig Wehrdienstleistende hinzu, dann ergibt sich eine Einsparung an Militärpersonal und im Zivilbereich von 25 Prozent. Selbstredend, daß durch die Verkleinerung des Personalumfangs etliche Kasernen und Liegenschaften ausgedient haben werden.

Die Verschlankung der Bundeswehr folgt allerdings nicht der Einsicht zur Friedenspolitik, sondern konzentriert sich Haydt zufolge auf das Kerngeschäft der Kriegführung im 21. Jahrhundert, nämlich der globalen Interventionspolitik, in der Spezialisten für das Töten gedrillt und zum Sterben konditioniert werden. Soweit die Marschrichtung, aber wie steht es mit der Finanzierung? Werden künftig weniger Steuergelder durch die Bundeswehrreform verschwendet? Für den Strich durch die Rechnung sorgte die Aachener Friedenspreisträgerin ad hoc. So erklärte sie, daß im Verteidigungshaushalt offiziell ungefähr 100 Millionen Euro an Ausgaben eingeplant, aber eine Milliarde Euro im Einzelplan 60 für die Zivilbeschäftigten ausgelagert sind. Hinzukommen diverse andere Posten, die ebenfalls anderswo abgebucht werden, so daß sich eine Steigerung von 1,5 Milliarden Euro im Jahr 2012 abzeichnet. Da die Wehrpflicht entfällt, wird mehr Geld in die Rekrutierung von Jugendlichen gesteckt. Haydt machte darauf aufmerksam, daß jeder, der sich freiwillig verpflichtet, mit seinem Namenszug dafür unterschreibt, daß er im Ausland eingesetzt werden kann. Die Unterschrift bedeutet ihrem Wortlaut zufolge, "ich werde töten und sterben". Zwar suggeriert die Bundeswehr, für Arbeitsstellen zu sorgen und macht viel Tamtam darum, indem beispielsweise in Hochglanzbroschüren für ein selbstbestimmtes und freies Leben im Bundeswehrdienst geworben wird, ganz verschweigen läßt sich der Passus "mit dem Einsatz unseres Lebens" allerdings nicht.

Haydt verwies darauf, daß man sehr wohl auf diverse Standorte, nicht aber auf demokratische Rechte verzichten werde. Das oft beschworene Untergangsszenario, daß der kommunale Haushalt nach dem Abzug der stationierten Soldateska zusammenbrechen würde, gehört ins Reich der Ammenmärchen. Die Soziologin konnte vielmehr anhand von Karten und Gutachten nachweisen, daß sich der Strukturwandel im Gesamtbild für die Kommunen auch außerhalb der Groß- und Ballungsgebiete auf dem flachen Land in strukturschwachen Regionen eher gelohnt hat. Als Fallbeispiel führte sie dabei einen Feldversuch in Rheinland-Pfalz an, wo zunächst nach dem Abzug der US- amerikanischen Streitkräfte etwa 26.000 Arbeitsplätze wegfielen, aber in der Zwischenzeit nach 20 Jahren massiver Konversionsprogramme die Zahl der Arbeitsplätze auf 50.000 verdoppelt werden konnte, da die zivile Nachnutzung größere ökonomische Vorteile bringe als die Standortanbindung. Eine weitere Studie in Bochum mit renommierten Wissenschaftlern, die 100 verschiedene Bundeswehrstandorte, die in den letzten zehn Jahren freigeworden sind, untersucht hat, kam zu dem Ergebnis, daß auch kurzfristig keine nennenswerten negativen Auswirkungen auf Einkommens-, Mehrwert- und Gewerbesteuer in den Regionen zu verzeichnen waren, längerfristig sogar positive Entwicklungen, und dies ohne Konversionsgelder, eingetreten sind. Wenn beispielsweise Bundeswehr-Liegenschaften freiwerden, dann ist damit eine gut erschlossene Verkehrsinfrastruktur verbunden, die sich für Gewerbenutzung bestens eignet. Und ein letzter Punkt, der für die zivile Nutzung spricht, ist, daß die Bundeswehr keine Gewerbesteuern zahlt. Konversionsängste werden also interessengebunden geschürt, um die Bundeswehr im Licht der Öffentlichkeit als legitimen und unverzichtbaren Zweig zivilgesellschaftlicher Organisationsstrukturen erscheinen zu lassen.

Monty Schädel - Foto: © 2011 by Schattenblick

Monty Schädel
Foto: © 2011 by Schattenblick
Auch Monty Schädel von der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) führte gute Erfahrungen mit Konversionen in Mecklenburg-Vorpommern an, wo die Bundeswehr ihre Standorte sogar drastisch reduziert hatte. Seine Hauptkritik richtete sich jedoch gegen die militärische Unterwanderung der Gesellschaft und deren politische Gremien durch die Bundeswehr. Infolge der Aussetzung der Wehrpflicht und der Umstellung zu einem Berufsheer habe sich die Bundeswehr veranlaßt gesehen, massiv und werbewirksam an die Öffentlichkeit zu treten, um beim dienstfähigen Nachwuchs das Berufsbild des Berufssoldaten anzupreisen. Doch die alten Konzepte von Abenteuersinn und Kameradschaft, die aus Zeiten stammten, als die Bundeswehr noch eine reine Verteidigungsarmee war, griffen nicht mehr, nachdem zuviele Särge und traumatisierte Soldaten aus dem Kosovo und Afghanistan zurückkehrten. Neue Strategien mußten her, um den Zeitgeschmack und das Lebensgefühl der Jugendlichen zu treffen. Not macht erfinderisch, so der Volksmund, und an Not besteht in den wirtschaftlichen Krisenjahren und ihren mageren arbeitsmarktpolitischen Perspektiven nun beileibe kein Mangel, aber einen vaterländischen Heroentod irgendwo in den Bergen des Hindukusch zu sterben, ist nicht jedermanns Sache. Um diese Hürde zu nehmen, wurden neue Lockmittel und Kontaktflächen gesucht, um in den zivilen Strukturen als verläßlicher Partner und Arbeitgeber aufzutreten.

So berichtete Schädel, daß die Bundeswehr verstärkt Sport- und Musikveranstaltungen organisierte und zum bundesweiten Ausscheid einlud, um Talente zu entdecken und mit einer militärischen Laufbahn zu ködern. Heutzutage gäbe es fast keine Messeveranstaltung ohne einen Stand der Bundeswehr, die ihren Fangapparat modernisiert und dabei durchaus erkannt hat, daß Technik die Jugend begeistert und zu waffenfetischistischen Schwärmereien anspornt. Ferner wurden spezielle Jugendzeitschriften zur Imagepflege auf den Markt geworfen, gewissermaßen die Bravo der Bundeswehr, in der militärische Mannesposen das Selbstwertgefühl ansprechen und die junge Klientel quasi auf dem Umweg über den Lifestyle in die Kasernenmelancholie abholen. Auch moderne Medien wie das Internet würden als militaristische Werbetrommel genutzt. Für ihre Online-Präsenz kann die Bundeswehr auf einen bestens ausgestatteten Haushalt zurückgreifen. So wurden für 2011 16 Millionen Euro für multimediale Akzeptanzstrategien veranschlagt, 2012 werden es 29 Millionen Euro sein, eine immense Steigerung, wenn man bedenkt, daß 1998 gerade einmal 9,2 Millionen Euro in die Rekrutenwerbung via Internet investiert wurden. Damit nicht genug, geht die Bundeswehr auch direkt in die Schulen, um ihre Rekruten gleichsam von der Schulbank weg an den Waffendienst zu gewöhnen. So hat die Bundeswehr in den beiden letzten Jahren in acht Bundesländern eine Kooperationsvereinbarung mit den Bildungsministerien geschlossen, die ihnen einen privilegierten Zugang zu den Zöglingen und Schulabgängern ermöglicht. Was für ein Wandel zu früher, wo die Bundeswehr noch die Erlaubnis des Rektorats einholen mußte, um für den Kriegsdienst zu werben, öffnet ihr heute ein ministeriell abgesegneter Erlaß alle Türen in die Köpfe und Herzen der jungen Menschen.

Als Kooperationspartner hat die Bundeswehr auch in den sensiblen Bereich der Referendarsausbildung eingegriffen, um über die angehenden Lehrer, die in der Lage sein müßten, in der Schule Friedensbildung zu vermitteln, im Sinne des Wehrauftrags mental auf die Schüler einzuwirken. Tobias Pflüger wies darauf hin, daß die Kooperationsvereinbarung in NRW entkernt werden soll, das heißt, daß die Ausbildung der Referendare herausgenommen, die Kooperationsvereinbarung aber ansonsten nicht aufgekündigt wird. De facto bleibt sie also bestehen. Das ist keine Randnotiz, kein Unterpunkt der Friedenspolitik, sondern, so Pflüger, Bestandteil des Krieges im Inneren und deutliches Vorzeichen einer zunehmenden Militarisierung der Gesellschaft.

Haydt, Aggelidis, Schädel, Zimmermann - Foto: © 2011 by Schattenblick

Podium mit dem Vorsitzenden der Linksfraktion NRW, Wolfgang Zimmermann (rechts)
Foto: © 2011 by Schattenblick

Schädel führte weiter aus, daß 49 Jugendoffiziere bundesweit hauptamtlich unterwegs seien, von 200 ehrenamtlichen Kräften unterstützt. Offiziere der Reserve würden als Kooperations- bzw. Verbindungspartner zwischen Bundeswehr und kommunalen Einrichtungen bei den Landräten für eine wirksame Repräsentanz des Militärs in der Öffentlichkeit sorgen. Mit aller Entschiedenheit sprach sich Schädel gegen eine Militärwerbung in der Schule aus und warnte davor, die Friedensbewegung nicht dazu zu mißbrauchen, indem beispielsweise paritätische Chancen vorgegaukelt werden, wenn ein Jugendoffizier und ein friedenspolitischer Vertreter zusammen in die Schulen gingen, um den Schülern ihre jeweiligen Standpunkte zu Krieg und Frieden zu erläutern. Zwar dürften Jugendoffiziere nach eigener Angabe nicht für den Wehrdienst beraten, sondern lediglich mit Materialien auf einen Wehrdienstberater verweisen. Diese sollen im aktuellen Konzept der Bundewehr, das in den nächsten Jahren umgesetzt wird, nicht mehr nur an den Messeständen präsent sein, sondern in den verschiedenen Kommunen und Städten in Wehrdienstberatungszentren, regelrechten Rekrutierungsbüros, neue Soldatinnen und Soldaten anwerben.

Für Friedensaktivisten sind das allerdings klare Warnsignale vor einem militaristischen Zangengriff auf das Zivilleben. Wenn beispielsweise der Reservistenverband jüngst dazu aufrief, daß sich Reservisten deutlicher, also in Uniform und Barett, in der Öffentlichkeit präsentieren, dann sei dies keine nostalgische Gefühlsduselei oder ein ewiggestriges Zurückblicken auf den glorreichen preußischen Militär- und Zuchtstaat, sondern Ausdruck einer konzertierten Aktion, um militärische Werte und Ambitionen von nationaler Wehrhaftigkeit neu zu beleben. Es hieße andernfalls, die Augen vor den Umbrüchen der Zeit zu verschließen und das Ansinnen von Landesschülervertretungen, die sich zu einem Bündnis gegen die Verzahnung von Militär und zivilen Bildungseinrichtungen zusammengetan haben, mißzuverstehen. Beispielhaft für den inneren Widerwillen, der durchaus den Zusammenhang zwischen Militärparolen an der Schultafel und globalen Kriegs- und Okkupationsstrategien begreift, wurden in Hessen und Berlin vereinzelt Erklärungen von Schulkonferenzen herausgegeben, deren Botschaft ganz von den Ängsten der Jugend vor militaristischen Gesellschaftsumbrüchen geprägt ist: Wir sind eine militärfreie Schule.

Transparent gegen Karriere bei der Bundeswehr - Foto: © 2011 by Schattenblick

Berufswahl mit moribundem Horizont
Foto: © 2011 by Schattenblick

Claudia Haydt griff abschließend noch einmal den Themenbereich der Zivilmilitärischen Zusammenarbeit (ZMZ) auf. Die Einflußnahme militärischer Dienststellen auf zivilgesellschaftliche Basisstrukturen wie Schule, Freizeit und Familienplanung stellt ihrer Ansicht nach den Versuch der Bundeswehr dar, den durch den Abbau der Kasernen erfahrenen Verlust an gesellschaftlicher Repräsentanz systematisch zurückzuerobern. Wenn militärische Vertreter in jeder kreisfreien Stadt im Rathaus sitzen, in jedem Landratsamt über Entscheidungsprozesse mitbestimmen können, sei die Bundeswehr stärker als jemals zuvor in die sogenannte zivile Katastrophenabwehr involviert, zu der es in den 70er und 80er Jahren erste umfassende Konzepte gab, die allerdings in der Neuzeit an Systematik alles Dagewesene weit in den Schatten stellt. Die Reduzierung der Truppenkontingente zum sichtbaren Erfolg der Friedensbewegung zu erklären, sei aus vielerlei Gründen irreführend und fatal in der Schlußfolgerung, denn überall dort, wo die Bundeswehr aus einem Standort abzieht und nur noch sechs Bundeswehrsoldaten zurückbleiben, sind das die Karriereberatungszentren zum, so Claudia Haydt, Anwerben von Kanonenfutter. Die Friedenspolitik sieht sich auf globaler Ebene mit einer Entgrenzung der Ressourcen- und geostrategischen Kriege konfrontiert, nach innen jedoch kämpft sie gegen einen Gegner, der ungleich schwerer zu fassen ist, weil er sich des Vokabulars der Friedenssicherung im Zeichen der Terrorismusbekämpfung bedient und religiöse, rassistische und revanchistisch-ideologische Ressentiments zu Propagandazwecken für die Entfesselung des Kriegsleviathans mißbraucht.

Polizei sperrt MS Beethoven ab - Foto: © 2011 by Schattenblick

Polizei verhindert Übergreifen der Schiffsdemo aufs Land
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Was in ungezwungener Atmosphäre auf dem Oberdeck der MS Beethoven dargeboten wurde, hatte durchaus den Tiefgang eines antimilitaristischen Workshops. Eine Fraktionssitzung im Rahmen einer ungewöhnlichen Aktionsform in eine öffentliche Informationsveranstaltung umzufunktionieren, auf der die institutionelle und massenmedial weit unterrepräsentierte Abneigung der Bevölkerung gegen die Militarisierung der Gesellschaft und gegen die Aufrüstung der Bundeswehr zu einem imperialistischen Aggressor Ausdruck und Stimme erhält, dokumentiert, wie unverzichtbar das Potential linker Opposition auch auf parlamentarischer Ebene ist, wenn man verhindern will, daß sich deutsche Geschichte im nächsten Zirkelschluß kriegerischer Staatsräson wiederholt.

Indem der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder am 20. Juli 1999 kurz nach der Eroberung des Kosovo durch die NATO beim öffentlichen Gelöbnis im Bendler-Block des Berliner Verteidigungsministeriums erklärte, daß es gelte "Verantwortung für die Menschenrechte zu übernehmen - auch und gerade dort, wo deutsche Armeen in der Vergangenheit Terror und Verbrechen über die Völker gebracht haben", teilte er jedem, der es wissen will, mit, daß die Restauration des deutschen Imperialismus sich der Umwertung jener Werte bedient, von denen man sich nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs eine friedliche Zukunft versprach. Demokratie und Menschenrechte wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen ist eine Kernaufgabe linker Politik, und diese zu erfüllen wird nur dann gelingen, wenn die Partei Die Linke den Sirenengesängen reformistischer Teilhaberschaft an Kapitalismus und Krieg widersteht.

Fußnote:

[1] Die großen Unterschiede bei Angaben zum Anteil der Staatsausgaben für Krieg und Repression im US-Haushalt ergeben sich unter anderem daraus, daß diverse Ausgaben, die der äußeren wie inneren Kriegführung geschuldet sind, zivilen Haushaltstiteln zugeordnet sind.
http://www.warresisters.org/pages/piechart.htm

Fototermin am Anleger 'Alter Bundestag' - Foto: © 2011 by Schattenblick

MitgliederInnen der Linksfraktion NRW mit Gästen
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2. Januar 2012