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BERICHT/086: Petersberg II - Arabellion zwischen Aufbruch und Konter (SB)


Arbeitsgruppe "Der arabische Frühling und der Frieden in der Region" am 4. Dezember 2011 in Bonn


Der politische Wandel im Nahen und Mittleren Osten ist von elementarer Bedeutung für alle an ihn grenzenden Weltregionen nicht nur deshalb, weil es sich um den geostrategisch am intensivsten umkämpften Großraum der Welt handelt. Der schon Jahre zuvor begonnene, 2011 aber endgültig über die jeweilige Binnensituation hinaus wirksam und manifest gewordene Aufbruch der arabischen Bevölkerungen hat gesellschaftliche Implikationen, die dem derzeitigen Krisenzyklus des kapitalistischen Weltsystems die Option des vitalen sozialen Widerstands hinzufügen. Dessen vermeintlich jäh hervortretende, neue Formen der bürgerlichen Selbstorganisation erprobende Qualität dient nicht umsonst Protestbewegungen in aller Welt als Beispiel und Vorbild eigener Mobilisierungs- und Aktionsformen.

Fast ein Jahr nach dem erfolgreichen Sturz der autokratischen Regierungen in Tunesien und Ägypten ist allerdings auch der Rollback in vollem Gange. Nicht nur die personellen und administrativen Kontinuitäten in den Machtzentralen in Tunis und Kairo dienen der Neutralisierung und Aufhebung eines revolutionären Potentials, das erst in der Überwindung kapitalistischer Widerspruchslagen seine Vollendung fände. Wohl wissend, daß die materielle Verelendung der arabischen Bevölkerungen eben dies erforderte, setzen die Hegemonialmächte USA und EU auf die Fortschreibung herrschender Verhältnisse unter dem Banner eines ausschließlich marktwirtschaftlich und neoliberal zu dechiffrierenden Begriffs von Freiheit und Demokratie. Dazu sollen die bereits bestehenden Bündnisse mit den herrschenden Oligarchien um die in den Wahlen bislang erfolgreichsten neuen Kräfte, die islamistischen Parteien, erweitert werden. Hier feiert das Modell der türkischen AKP-Regierung Urständ als Kompromiß zwischen einem moderaten politischen Islam und der Fortsetzung des neoliberalen Strukturwandels in einer dem kapitalistischen Krisenmanagement adäquat repressiven Form.

Die angemessene Analyse und Bewertung dieser Entwicklung, die mit dem Überfall der NATO auf Libyen zwar nicht vollends gekontert werden konnte, aber in der Zerstörung verfügbarer Daseinsvorsorge und funktionierender Staatlichkeit dem neoliberalen Credo von der "destruktiven Kreativität" allemal gerecht wird, hinkt zumindest in der deutschen Linken dem stürmischen Charakter der Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten weit hinterher. Um so erfreulicher war die Tatsache, daß die Organisatoren der Internationalen Konferenz "Für ein selbstbestimmtes Afghanistan" auch eine Arbeitsgruppe zu dieser sozialen und weltpolitisch so bedeutsamen Entwicklung ins Programm aufgenommen hatten. Claudia Haydt von der Informationstelle Militarisierung (IMI) und Mamdouh Habashi, Vizepräsident des World Forum for Alternatives, Mitbegründer der Sozialistischen Partei Ägyptens und Vorstandsmitglied des Arabisch-Afrikanischen Forschungszentrums in Kairo, boten dem interessierten Publikum unter Moderation des Politikwissenschaftlers Erhard Crome, Referent für Friedens- und Sicherheitspolitik am Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa Luxemburg Stiftung, aus der spezifischen Sicht ihres analytischen Ansatzes aufschlußreiche Einblicke in den Stand der Dinge.

Mandooh Habashi, Erhard Crome, Claudia Haydt - Foto: © 2011 by Schattenblick

Mamdouh Habashi, Erhard Crome, Claudia Haydt
Foto: © 2011 by Schattenblick

Habashi begann seinen Vortrag mit einer kritischen Bewertung der Verwendung des Begriffs Revolution auf die Entwicklung in Ägypten. Für ihn besitzt der Begriff vor allem Mobilisierungspotential, wird jedoch der tatsächlichen Lage der Dinge nur insofern gerecht, als daß es sich um den Anfang eines langen Weges handelt. Er erinnerte daran, daß US-Außenministerin Hillary Clinton den ägyptischen Despoten Hosni Mubarak am zweiten Tag des Aufstandes, am 26. Januar 2011, in einer live im Fernsehen übertragenen Rede vorbehaltlos als Garant für die Stabilität in der Region unterstützte. Nur 48 Stunden später habe nämliche US-Politikerin eine Wende um 180 Grad vollzogen und den sofortigen Rücktritt Mubaraks verlangt. Für Habashi bedeutet dieser Meinungswandel nichts anderes, als daß die US-Regierung innerhalb kurzer Zeit erkannt habe, wer aus dieser Konfrontation siegreich hervorgehen werde. In ergreifenden Worten schilderte er, wie entschlossen die Menschen waren, sich den Erfolg ihres Aufbegehrens nicht mehr nehmen zu lassen, und sei es um den Preis ihres Lebens.

Am Freitag, den 28. Januar 2011, hätten sich auch die untersten Klassen in der Gesellschaft diesem Kampf, der von den Mittelschichten ausging, angeschlossen. Seiner Ansicht nach wollte die US-Regierung den Moment der revolutionären Massenmobilisierung, der eine unumkehrbare Entwicklung in Gang setzte, so weit begrenzen wie nur möglich. Die revolutionäre Zeit sollte beendet werden, um verläßliche Verhältnisse für den Hegemon wiederherzustellen. Dazu gehörte auch die Machtübernahme durch das Militär, die anfänglich auf Seiten des Gros der ägyptischen Bevölkerung zu sein schien. Habashi berichtete, daß seine Genossen und er von Anbeginn an davor gewarnt hatten, Vertrauen in eine Institution zu setzen, die ein untrennbarer Teil des alten Regimes ist. Was damals niemand habe hören wollen, hat sich heute allerdings auf blutige Weise bewahrheitet.

Beim Wechsel von Nasser zu Sadat seien die ägyptischen Streitkräfte einem tiefgreifenden Wandel ihrer ideologischen Legitimation unterzogen worden. Als Nasser die Idee einer nationalen Befreiungsbewegung verfolgte, die das Land auf bürgerlicher Basis entwickeln wollte, damit die ägyptische Bourgeoise den von der lohnabhängigen Bevölkerung erzeugten Mehrwert nicht mehr mit den Kolonialmächten teilen mußte, hätte die Armee tatsächlich nicht auf das eigene Volk geschossen. Sadat hingegen sei ein Pionier der Neoliberalisierung Ägyptens gewesen, und das zu einer Zeit, als der Neoliberalismus noch keine Leitdoktrin in Europa war. Auf ihn gehe die Integration der Militärführung in die herrschende Klasse zurück, was zur Folge hat, daß der Anteil der auf sie unter besonderen Privilegien angewandten Investitionen ein Viertel bis ein Drittel des ägyptischen Gesamtprodukts betrage.

Ginge es nach dem Militärrat, dann wären die etablierten politischen Verhältnisse in Ägypten in nur leicht modifizierter Form fortgeschrieben worden. Alles, was sich nach dem Sturz der alten Regierung veränderte, sei ausschließlich auf den Druck der Straße erfolgt. Das Militär sei lediglich dazu bereit gewesen, so viel Demokratie einzuführen, daß der Westen ihnen das für die Fortsetzung ihrer Herrschaft erforderliche Gütesiegel verliehen hätte. Habashi zufolge formierten sich in der Zeit nach dem Sturz Mubaraks zwei Hauptdiskurse in Ägypten. Der eine werde vom Militärrat betrieben, zusammen mit denjenigen politischen Kräften, die die Wahlen als Ende der revolutionären Bewegung betrachteten. Ihnen ginge es um nichts anderes als das schnelle Ende des Aufbegehrens von unten, indem man die Fortsetzung etablierter Produktions- und Klassenverhältnisse demokratisch legitimierte. Der andere Diskurs sei der der Revolutionäre, die keine der von ihnen aufgestellten Forderungen erreicht hätten und daher den Kampf auf der Straße weiterführen wollten. Sie verstehen ihre Bewegung als langen Prozeß, der so lange vorangetrieben werde, bis grundlegende soziale und demokratische Veränderungen erreicht worden wären. So erhebe die Arbeiterbewegung schon seit mehreren Jahren die Forderung, die Privatisierung zu stoppen, in diesem Sinne sei es zu zahlreichen wirtschaftlich motivierten Protesten und Streiks gekommen.

Demgegenüber habe der Militärrat die Wahlen mit dem Versprechen, daß jeder ein Stück vom Kuchen abbekomme, der sich an ihnen beteilige, in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gestellt. Als Gegenleistung verlangte er die Aufrechterhaltung seiner Sonderstellung und ihre Fortschreibung in der neuen Verfassung unter den entsprechenden Einbußen an demokratischen und bürgerlichen Rechten. Exekutive Befugnisse zur Auflösung des Parlaments oder die Aufhebung geltenden Rechts liefen viel mehr auf eine Form der Militärdiktatur hinaus, was den erbitterten Widerstand der demokratischen Kräfte auf den Plan rief. Die islamistischen Parteien, die hauptsächlich aus der Muslimbruderschaft und der salafistischen Al-Nur-Partei bestehen, spielten in diesem Prozeß die sinistre Rolle einer praktisch aus dem Nichts auftauchenden neuen politischen Kraft von erheblichem Einfluß, die die Säkularisierung und Demokratisierung der ägyptischen Gesellschaft vor allem als Bedrohung ihrer religiösen Staatsdoktrin verständen.

Mandooh Habashi - Foto: © 2011 by Schattenblick

Mandooh Habashi
Foto: © 2011 by Schattenblick
Das sei der Grund dafür, daß es im November zu einer neuen Welle der Proteste auf dem Tahrir-Platz gekommen war. Die Revolutionäre ständen nun im Kampf gegen die Konterrevolution, die in erster Linie vom Militärrat, aber auch den Parteien, die sich mit ihm arrangieren wollen, betrieben würde. Habashis Prognose für die künftige Entwicklung in Ägypten ist aufgrund der herrschenden Kräfteverhältnisse eher pessimistisch, werde ein künftiges Parlament doch schlimmstenfalls zu 95 Prozent von konterrevolutionären Kräften besetzt sein, während das linke Lager eine gemeinsame parlamentarische Repräsentation von fünf Prozent schon als großen Erfolg betrachten müßte. Auch deshalb werde der Kampf auf der Straße seiner Ansicht nach weitergehen.

Im zweiten Teil seines Vortrags ging der Referent darauf ein, warum die Vereinigten Arabischen Emirate mit Flugzeugeinsätzen am Libyenkrieg beteiligt waren. Er erinnerte daran, daß der Sender Al Jazeera, der eine wichtige Rolle in der ägyptischen Revolution spielte, vom Emir von Katar bezahlt wird und sehr einseitig gegen Gaddafi Stellung bezogen hatte. Die koloniale Entstehungsgeschichte der arabischen Welt habe mit den Scheichtümern am Persischen Golf Staaten hervorgebracht, die das Erbe des einstigen Hegemons der arabischen Welt, des Osmanischen Reichs, zugunsten der alten Kolonialmächte Britannien und Frankreich und des neuen, von den USA geführten Empire antreten sollten. Dafür, daß diese Staaten inklusive Saudi-Arabiens die strategischen Interessen des Westens in der Region, die nicht nur, aber vor allem die Verfügbarkeit der Ressource Erdöl betreffen, sicherstellten, erhielten sie von den USA militärischen Schutz und andere Hilfe.

In der Arabischen Liga verträten die Golfstaaten, die weit wohlhabender als die bevölkerungsreichen arabischen Staaten sind, stets die reaktionärsten Positionen. Das habe dazu geführt, daß die Arabische Liga, wie es ein arabischer Journalist einmal bezeichnete, zu einer "Gewerkschaft der Machthaber" verkommen sei. Ihnen sei nur die Sicherheit ihrer Regimes wichtig, aber nicht die Interessen ihrer Bevölkerungen, wie etwa der Aufstand in Bahrain gezeigt habe, der unter Einsatz saudischer Truppen niedergeschlagen wurde. Nach der Erhebung in Ägypten hätten die arabischen Despoten den Ernst der Lage erkannt und sich daran gemacht, politische Kräfte ins Spiel zu bringen, die ihre Interessen verträten, zu denen auch die islamistischen Parteien und Organisationen gehörten. Zu diesem Zweck seien in den letzten neun Monaten Milliardensummen nach Ägypten, Tunesien, Palästina, Sudan, Syrien und Jemen geflossen.

Claudia Haydt  - Foto: © 2011 by Schattenblick

Claudia Haydt
Foto: © 2011 by Schattenblick
Claudia Haydt eröffnete ihren Vortrag mit dem Bild einer Demonstration, die Anfang Oktober anläßlich des zehnten Jahrestages des Afghanistankriegs in Kabul stattfand. Bei diesem von über tausend Menschen getragenen Protest der Afghanischen Solidaritätspartei, die auf der Konferenz durch Said Mahmoud Pahiz repräsentiert wurde, konnte man unter anderem ein Transparent erblicken, auf dem der Jugend des Iran, Ägyptens und Tunesiens dafür gedankt wird, daß sie "uns den Weg raus zeigen". Heraus aus Besatzung und Fremdbestimmung, hin zu einem würdevolleren Leben, ergänzte die Referentin, die es sehr begrüßte, daß damit an die begonnenen Umstürze in Nordafrika und der arabischen Welt angeknüpft wurde.

In Anlehnung an die von Habashi attestierten Rückschritte erinnerte sie daran, daß man den Menschen jedoch das Gefühl, Herrscher zu stürzen, die seit Jahrzehnten wie unumstößliche Naturgesetze an der Macht waren, nicht wieder nehmen könne. Dementsprechend könne man über die von Habashi beschriebenen Versuche, dieser globale Auswirkungen zeitigenden Entwicklung Einhalt zu gebieten, kaum erstaunt sein. Die relativ kurze Frist von weniger als zwei Monaten, die zwischen der Flucht des tunesischen Despoten Ben Ali nach Saudi-Arabien und des Sturzes Mubaraks lag, habe auch die westlichen Geheimdienste und Sicherheitsberater überrascht. Das Erstaunen darüber, daß die vermeintliche Stabilität seit Jahrzehnten funktionierender Machtverhältnisse in kürzester Zeit von Grund auf erschüttert wurde, sei aber schnell von Überlegungen abgelöst worden, wie man die Entwicklung wieder unter Kontrolle bekommen könne.

Dies werde zum einen durch die Etablierung neuer Eliten und die Einflußnahme auf Wahlprozesse versucht. So versuchten auch deutsche Institutionen wie die Friedrich-Ebert-Stiftung und die Konrad-Adenauer-Stiftung, mit Hilfe ihrer Verbindungen zu Regierungsbehörden oder über Abkommen zur Sicherheitskooperation Einfluß auf die Entwicklung in Ägypten und Tunesien zu nehmen. Wie die Wahlen in beiden Ländern dokumentieren, war die Entscheidung, dabei auf Parteien des moderaten politischen Islam zu setzen, eine naheliegende Option.

Zum andern habe man in Libyen zur Strategie der militärischen Übernahme von Aufstandsbewegungen gegriffen. Dies könne sich möglicherweise in Syrien wiederholen. Indem die NATO sich als Speerspitze des Aufstands gegen Gaddafi inszenierte, habe sie allerdings Kräfte unterstützt, denen es nicht um Demokratisierung, sondern um die Durchsetzung ihrer religiösen Werte ginge.

Eine dritte Möglichkeit, revolutionäre Bewegungen in der arabischen Welt zu neutralisieren, bestände in der mehr oder weniger direkten Unterstützung der Monarchen und Diktatoren, deren Herrschaft durch die Aufstandsbewegungen in Frage gestellt werde. Als Beispiel dafür führte Haydt die Erhebung in Bahrain an, wo die Interventionstruppen vom Westen unterstützter Regierungen mit ebenfalls vom Westen gelieferten Waffen daran beteiligt waren, den Aufstand der Bevölkerung brutal zu unterdrücken.

Anhand einer auf die Leinwand projizierten Karte der Region führte die Referentin aus, wo die demokratischen Erhebungen der arabischen Bevölkerung die Interessen der NATO berühren. Indem die Militärallianz mit den durch ihre Bürger in Frage gestellten Regierungen Kooperationsabkommen unterhalten, was auf alle nordafrikanischen Staaten bis auf Libyen zutrifft, ist auch das strategische Konzept der NATO für den wirtschaftlich wie hegemonial höchst wichtigen Mittelmeerraum gefährdet.

Auch weitere Sicherheitsstrukturen der NATO lassen leicht erkennen, wieso die Militärallianz dem Aufbruch einer Region zu einer selbstbestimmten politischen und sozialen Verfaßtheit mehr oder minder offen entgegentritt. Gaddafi sei nicht so leicht zu beseitigen gewesen, wenn die NATO sich nicht an die Spitze einer nur teilweise in der libyschen Bevölkerung verankerten Aufstandsbewegung gesetzt hätte, so die Referentin mit Seitenblick auf die Entwicklung in Syrien, wo ein ähnliches Szenario Gestalt annehmen könnte. In der Lesart der Nordafrika-Strategie des Auswärtigen Amtes vom August 2011 drücke sich dieser paternalistische Umgang mit dem Selbstbestimmungsrecht der arabischen Bevölkerungen so aus: "In Ländern, in denen die inneren Voraussetzungen für Veränderungen nicht gegeben sind ... behält verantwortliche Außenpolitik stets die Gesamtheit ... deutscher Interessen im Auge. In zu treffende Abwägungen müssen auch Stabilitätserwägungen und Bedrohungen mit eingehen", zitiert Haydt und führt aus, daß es der deutschen Regierung eben nicht um Demokratie und um Menschenrechte gehe, sondern um Marktöffnung, Stabilität, Kontrolle.

Ihrer Ansicht nach werde dieser kostspielige NATO-Interventionismus künftig noch wesentlich enger mit den Golfstaaten abgestimmt. Auch habe sie davon gehört, daß von dort Kredite in erheblichem Umfang nach Ägypten fließen. Doch auch bei Kriegen in Syrien oder anderen Staaten unter Beteiligung der NATO denke man in der Militärallianz darüber nach, eine finanzielle Alimentierung durch die Golfstaaten zur Voraussetzung solcher Interventionen zu machen. Der Krieg in Libyen könne durchaus Modellcharakter haben, dazu sei jedoch ein symbolischer militärischer Beitrag, wie in diesem Fall durch Kuwait oder die Vereinigten Arabischen Emirate geleistet, zum Zwecke der Legitimation zu erbringen. Wichtiger noch sei das gemeinsame Interesse, zu verhindern, daß die arabische Welt in Anarchie und Chaos verfällt, auch wenn die autoritären Feudalherrscher am Golf mit Demokratie wenig im Sinn hätten, so Haydts Einblick in die düstere Welt machtpolitischer Denkschmieden.

Es habe sie daher auch nicht ernsthaft überrascht, daß die Bundesregierung sich Ende Oktober 2011 mit dem Anliegen an die EU-Kommission wandte, Waffenlieferungen in die Region der Golfstaaten nicht zu restriktiv zu regulieren, da man die arabischen Monarchien, die in deutschem und europäischen Interesse agierten, weiter unterstützen wolle. Das Bestreben, Proliferationsbemühungen und destabilisierende Waffenanhäufungen zu verhindern, dürfe den Handel mit den neuen Gestaltungsmächten nicht unangemessen erschweren und verhindern, so das von Haydt präsentierte Beispiel für die Sprachregelung, mit der die Bundesregierung unter völliger Auslassung des Anspruchs auf Menschenrechte in einem 21seitigen Dokument versucht, die herrschenden Verhältnisse in der arabischen Welt in ihrem Interesse - und gegen das der arabischen Bevölkerungen - zu sichern und zu kontrollieren.

Auch das kann niemanden überraschen, der von nichts anderem ausgeht als einem deutschen Imperialismus, dem Menschenrechte und Demokratie nichts als Feigenblätter ihrer machtpolitischen Aufhebung sind. Die von der Referentin erwähnte Lieferung von bis zu 270 Leopard-II-Panzer mit Ausrüstung für die urbane Kriegführung kann ebenso als Maßnahme im sozialen Krieg, als der die Unterdrückung arabischer Aufstandsbewegungen bezeichnet werden könnte, betrachtet werden wie die von ihr aufgeführte Aufrüstung eines Landes wie Algerien, dessen Regierung sich für die NATO unter anderem mit der Organisation der Flüchtlingsabwehr in Nordafrika verdient macht. Wie das Beispiel Gaddafi zeigt, kann auch eine solche Zuarbeit nicht davor schützen, zum Feind von Freiheit und Demokratie erklärt zu werden, wenn es gerade einmal in das geostrategische Dispositiv der NATO-Staaten paßt.

Nicht zu vergessen in ihrer destruktiven Wirkung sind auch wirtschaftspolitische Strategien wie EU-Assoziierungsabkommen, die mit diversen arabischen Staaten unterhalten werden. Die damit beabsichtigte Marktöffnung hat etwa in Tunesien zur Folge, daß die wirtschaftliche Binnenstruktur mit Hilfe kostensenkender Zuarbeit zerstört werde, was massenhafte Arbeitslosigkeit auch unter qualifizierten Arbeitskräften zur Folge habe. Die Einbindung des Nahen und Mittleren Ostens an europäische Wertschöpfungsketten und die daraus resultierenden Verelendungseffekte darzustellen wären allerdings ein eigenes Seminar wert, zumal sie unbedingt im Horizont friedenspolitischer Überlegungen liegen.

Mit dem Aufruf, die arabischen Bevölkerungen in ihrem Streben nach sozialer Befreiung und gesellschaftlicher Veränderung nicht alleine zu lassen, sondern dafür zu sorgen, daß die von ihnen erkämpften Freiräume nicht wieder militärisch oder ökonomisch erstickt werden, schloß Claudia Haydt einen Vortrag, der die Verantwortung deutscher und europäischer Politik für die Entwicklung in der arabischen Welt deutlich machte. Den Blick nicht über die Grenzen der Staaten und Kontinente zu richten und den sogenannten Subalternen zuzuhören wäre ein Versäumnis, das die eigene politische Handlungsfähigkeit ebenso einschränkte wie den herrschaftskritischen Geist, den es zu ihrer Grundlegung bedarf.

Präsentation von Claudia Haydt (IMI) - Foto 2011 by Schattenblick

Internationalistische Grüße aus Afghanistan
Präsentation von Claudia Haydt (IMI), Foto 2011 by Schattenblick

5. Januar 2012