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BERICHT/096: Kongreß Kurdischer Aufbruch - Bildung und Wissenschaft demokratisieren (SB)


Von der Wissensfabrik des Kapitals zur Freiheit menschlicher Erkenntnis

Session 1 am 3. Februar 2012  - Foto: © 2012 by Schattenblick

Dêrsim Dagdeviren, Ann-Kristin Kowarsch, Ahmet Alis
Foto: © 2012 by Schattenblick

Der Königsweg menschlicher Erkenntnis in seiner säkularen und diesseitigen Form verläuft durch die Wissenschaften. Wurde einst dem Anliegen der Emanzipation und Befreiung insbesondere in der Philosophie Rechnung getragen, so sind die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften im postmodernen Kapitalismus als Agenturen historischer und sozialer Deutungsmacht unter die Räder des zweck- und nutzorientierten Verwertungsprimats der führenden gesellschaftlichen Akteure geraten. Wurde die Freiheit von Forschung und Lehre einst dem absolutistischen Herrschaftsanspruch von Thron und Altar in bisweilen lebensgefährlichen Kämpfen abgerungen, so neigt sie in ihrer neoliberalen Wendung dazu, dem humanistischen Auftrag der Wissenschaften durch ideologische, institutionelle und berufsständische Interessen zuwiderzuhandeln.

So kann die Freiheit der Wissenschaften auch dafür in Anspruch genommen werden, die integrale Stellung der Wissensproduktion in den bürokratischen und legitimatorischen Apparaten der Herrschaftsicherung zu zementieren und von jeglicher Kritik freizuhalten. Der Anspruch auf Objektivität und Wertfreiheit wissenschaftlicher Erkenntnis wird nicht selten als Verbot jeglicher Einmischung in soziale Kämpfe verstanden, als liege dem Anspruch des Menschen, über seine Naturbedingtheit hinauszuwachsen, nicht gerade die Subjektivität streitbaren Eintretens für die eigene Sache zugrunde. Wo die Hochschulen zu Inkubatoren einer den Tauschwertcharakter kapitalistischer Produktivität endlos prozessierenden sozialtechnokratischen Intelligenz werden und der imperialistischen Staatsmacht mit geostrategischen Analysen, wehrtechnischer Forschung und der soziologischen Operationalisierung administrativer Verfügungsgewalt zuarbeiten, wo der Einfluß der Wirtschaft auf Form und Inhalt der Wissensproduktion stetig wächst und Wissen seinerseits zur bloßen Datensammlung unverknüpfter, als Ressource für Staat und Kapital vorgesehener Informationen verkommt, da hat der fremdnützige Warencharakter den genuin emanzipatorischen Charakter wissenschaftlicher Erkenntnis in sein Gegenteil verkehrt.

Um so dringender erforderlich ist eine Wissenschaftskritik, die das Interesse der Menschen an der Überwindung sie zwingender, erniedrigender und enteignender Herrschaftsverhältnisse vertritt. Daß ein unter dem Titel "Die kapitalistische Moderne herausfordern - Alternative Konzepte und der kurdische Aufbruch" firmierender Kongreß im Schutzraum einer Hochschule wie der Universität Hamburg stattfinden kann, erinnert daran, wie wertvoll das Engagement kritischer Akademikerinnen und Akademiker für soziale Bewegungen ist. Dies gilt es nicht nur zu verteidigen, sondern gegen die antidemokratische Instrumentalisierung der Wissenschaften für Zwecke der sozialen Unterdrückung und globalen Kriegführung zu wenden.

Es ist von daher fast schon eine ironische Pointe auf den Niedergang einer akademischen Kultur, die in den 1960er und 1970er Jahren Labor und Katalysator antikapitalistischer Gesellschaftsveränderung war, daß die Notwendigkeit einer Kritik der Sozialwissenschaften und der Entwicklung alternativer Ansätze von einem Aktivisten und Vordenker angestoßen wird, der in der Bundesrepublik als Anführer der kurdischen Befreiungsbewegung illegitimer Militanz und ideologischer Borniertheit bezichtigt wird. Indem Abdullah Öcalan, der vor 13 Jahren am 15. Februar 1999 in Kenia vom türkischen Geheimdienst in Kooperation mit diversen NATO-Staaten und Israel verschleppt wurde und seitdem unter menschenunwürdigen Bedingungen auf der Gefängnisinsel Imrali in Haft gehalten wird, in seinen Verteidigungsschriften auch die Rolle der Sozialwissenschaften für den Aufbau einer befreiten Gesellschaft zum Thema gemacht hat, hat er aus der Situation fast vollständiger Ohnmacht heraus für alle fortschrittlichen Kräfte Fragen von elementarer Bedeutung aufgeworfen, die in der bundesrepublikanischen Linken kaum mehr Erwähnung finden. Der ehemalige Student der Politikwissenschaften knüpft sicherlich auf seine Weise, aber durchaus in dieser Tradition stehend an die unter den Vordenkern der Neuen Linken der 1960er Jahre bereits weit entwickelte Kritik des kapitalistisch vergesellschafteten Wissenschaftsbetriebs an.

Ann-Kristin Kowarsch - Foto: © 2012 by Schattenblick

Ann-Kristin Kowarsch
Foto: © 2012 by Schattenblick
In Hamburg führte die feministische Aktivistin Ann-Kristin Kowarsch in die von Öcalan entwickelte Kritik der Sozialwissenschaften ein. Die auch als Journalistin arbeitende Mitbegründerin der International Free Women's Foundation und der Frauenbegegnungsstätte Navenda Jivana Jinê UTAMARA nahm diese Aufgabe mit Bravour in Angriff, indem sie gleich zu Beginn klarstellte, daß sie keine Wissenschaftlerin oder Akademikerin sei, sondern sich des Themas als Frau auf der Suche nach einem freien Leben in einer befreiten Gesellschaft widme.

Öcalan verfolge die Umsetzung einer demokratischen, ökologischen und geschlechterbefreiten Gesellschaft nicht unter dem Vorsatz der revolutionären Machtübernahme, so Kowarsch, sondern über die Entwicklung basisdemokratischer Selbstorganisation in klarer Abgrenzung zur kapitalistischen Konsumgesellschaft. Entscheidend für diese Konzeption sei, daß dieser Prozeß nicht von außen aufoktroyiert oder auf dem Reißbrett geplant wird, da dies zu einer neuerlichen Entmündigung der Gesellschaft führe. Um dies aus eigener Kraft zu schaffen, sei die Frage nach den moralischen und sozialen Parametern kollektiver Bewußtseinsbildung zentral. Für Öcalan bestehe die Kernaufgabe der Sozialwissenschaften daher darin, diesen Prozeß mit ihren analytischen Mitteln im Rahmen einer offenen gesellschaftlichen Diskussion zu unterstützen.

Dies sei mit den heutigen Sozialwissenschaften allerdings nicht zu bewerkstelligen, weil sich ihr Wirkungskreis auf die Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse anhand bestimmter Theorien und empirischer Verfahren beschränke. Erforderlich jedoch sei, die sozialen Konflikte in Hinsicht auf eine lebensbejahende Zukunft zu erforschen und zu lösen. Es gelte, die Gesellschaft selbst wieder zum Forschungsgegenstand zu machen und die Menschen aktiv in diesen Prozeß einzubeziehen, anstatt sie in einer Komplexität, die zentrale Gewaltverhältnisse eher verschleiere als exponiere, abzubilden. So sei es nicht verwunderlich, wenn die Sozialwissenschaften in den Augen der breiten Bevölkerung einen abgehobenen Charakter bekommen. Während der normative Einfluß soziologischer Begrifflichkeiten und Methoden erheblich sei, entgehe den meisten Menschen schlichtweg, wie ihnen spezifische Denkformen und Logiken aufgezwungen würden.

Zur historischen Untermauerung ihrer Kritik schilderte Kowarsch die Entstehungsgeschichte der Sozialwissenschaften von der Epoche der Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert an vor allem im Kontext des Aufkommens eines antiklerikalen Bürgertums und der sozialen Kämpfe dieser Zeit. Ihr zufolge begründe sich der Anspruch der Sozialwissenschaften auf Objektivität und Allgemeingültigkeit aus ihrem rivalisierenden Verhältnis zu den mythologischen, theologischen und metaphysischen Erklärungsmustern, die die geistige Entwicklung der vorangegangenen Jahrhunderte bestimmten. Dabei verzichtete sie nicht darauf, den widersprüchlichen Charakter einer bürgerlichen Emanzipation darzustellen, deren liberale Ziele schnell in neue Herrschaftsdispositive und Wissensmonopole umschlugen. Der Übertrag den Naturwissenschaften entlehnter Verfahren auf gesellschaftliche Zusammenhänge führte zu einer Differenzierung und Spezialisierung der Sozialwissenschaften, was unter der Prämisse der Objektivierung zum einen die konkrete Einmischung in gesellschaftliche Kämpfe ausschloß und zum andern eine neue Form irrationaler Unterwerfung in Gestalt der Wissenschaftsgläubigkeit hervorbrachte.

Die Aktivistin stellte diese Entwicklung in den Zusammenhang zur gesellschaftlichen Produktivkraftentwicklung der kapitalistischen Industrialisierung, deren Legitimation neuer Erklärungsmuster bedurfte. Das mechanische, kartesianische Weltbild stellte alle materiellen und ideellen Ressourcen in den Dienst eines Fortschrittes, der der Kapitalakkumulation diente. Das Verhältnis zwischen bürgerlichen und akademischen Eliten war von beiderseitigem Nutzen, legitimierten diese doch ihren Anspruch auf Deutungsmacht in Politik und Wissenschaft gegenseitig. Kolonialistische Expansion und imperialistische Kriege folgten der kapitalistischen Industrialisierung Europas auf den Fuß ebenso wie der Wandel im Geschlechterverhältnis.

Die bereits im Zuge der Hexenverbrennung in Europa in ihrem gesellschaftlichen Einfluß zurückgedrängten Frauen wurden nun erst recht als humane Ressource für niedrig qualifizierte Arbeit in Landwirtschaft, Manufaktur und Fabrik vereinnahmt. Das damals aufkommende patriarchale Kleinfamilienmodell schrieb diese Form geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung fort, indem Frauen auf die unentlohnte Hausarbeit festgelegt wurden, was nicht ausschloß, daß sie der Arbeitsgesellschaft in Krieg und Krise als Manövriermasse zur Verfügung zu stehen hatten. Indem Kowarsch die historische Entwicklung der Sozialwissenschaften mit der modernisierten Form patriarchalischer Unterdrückung zusammenfließen ließ, leitete sie zur Durchsetzung eines Herrschaftsmodells über, dessen Wissensproduktion von sexistischen, rassistischen, nationalistischen und eurozentristischen Attributen nicht zu trennen ist.

Was als Objektivität oder Neutralität in den Sozialwissenschaften Wertfreiheit beansprucht, erweise sich in seinen rationalistischen, positivistischen und dualistischen Strukturelementen wissenschaftlicher Erkenntnis als Bestandteil herrschaftsförmiger Ideologie. So werde rationalem Denken und analytischer Vernunft Vorrang gegenüber anderen Erkenntnisquellen wie Intuition und Emotion zugesprochen. Die positivistische Wirklichkeitsauffassung verabsolutierte die logische, mathematische oder empirische Methodik der Erkenntnisgewinnung, während die Erforschung spezifischer sozialer und gesellschaftlicher Entwicklungen vernachlässigt wurde. Der Dualismus von Subjekt und Objekt wiederum führe zu einer Dichotomie der Erkenntnis, die Denken und Wahrnehmung auf gegensätzliche Begriffspaarungen wie schwarz und weiß, richtig und falsch, abstrakt und konkret, Norm und Abweichung reduzierte. Entscheidend für das Zustandekommen gesellschaftlicher Hierarchien allerdings sei die Frage nach der Definitionshoheit. Wer bestimmt darüber, daß die gesellschaftliche Realität in sozialwissenschaftlichen Kategorien erfaßt wird, deren Anspruch auf Allgemeingültigkeit der Vielfalt sozialer und kultureller Interaktionen zuwiderläuft? Wer entscheidet darüber, welchen Argumenten Wahrheitsgehalt zugebilligt wird und welche als subjektive Meinungen verworfen werden?

Kowarsch beantwortete diese Fragen mit einem Exkurs in die feministische Sozialwissenschaftskritik, die insbesondere den Rationalismus hinterfrage, weil dieser den Menschen mit dem Mann gleichsetze und Frauen ausgrenze. Während Männer sich zu gestaltenden und rationalen Subjekten aufschwangen, wurden Frauen zum Inbegriff von Unvernunft, Irrationalität und Passivität degradiert. Die biologistische Verankerung derartiger Wesensmerkmale führte dazu, daß Heterosexismus mit wissenschaftlicher Objektivität synonym gesetzt wurde.

Die Referentin verwarf auch die daran anschließende Konstruktion eines geschlechtsneutralen, rationalen Subjekts in den Wissenschaften als Ergebnis männlicher Normen und männlicher Logik. Die Lebensrealität von Frauen würde in empirischen Studien generell unzureichend berücksichtigt, das Problem ihrer Festlegung auf Heim und Herd wie das Erleiden sexistischer Unterdrückung in Beziehung und Ehe fänden nur marginale Beachtung. Mann im Wortsinne gehe von einer einheitlichen Gesellschaft aus, in der das von Frauen erlittene Gewaltverhältnis verschleiert und festgeschrieben werde.

Nach einem Abstecher in die Wissenschaftskritik der Frankfurter Schule kam Kowarsch auf den Ansatz Abdullah Öcalans zurück und erklärte, daß dieser am Rationalismus insbesondere die Loslösung des analytischen Denkens von ethischen Werten, Empathie und gesellschaftlicher Verantwortung kritisiere. Die daraus resultierenden Methoden begünstigten Genozide, Feminizide und die Vernichtung der Natur. Seine Positivismuskritik begründe Öcalan mit dem unzureichenden Instrumentarium einer Erkenntnis, die lediglich auf die Gültigkeit von Naturgesetzen, mathematischen Formeln und Fakten abstelle. Damit würden die Vielfalt möglicher Entscheidungsprozesse und die Handlungsfähigkeit sozialer Bewegungen sowie ihre Verankerung im gesellschaftlichen und geschichtlichen Kontext verleugnet. Gleiches gelte für den Dualismus, der keine Übergänge zwischen den Kategorien kenne und seine Ordnungsschemata zu Lasten anderer Möglichkeiten der Lebensbegrifflichkeit verabsolutiere. Was einst patriarchale Herrschaft begründete, wurde später zur wissenschaftlichen Legitimation von Klassenherrschaft, Rassismus und Imperialismus genutzt. Öcalan plädiere demgegenüber für eine Synthese aus analytischem und emotionalem Verstand. Nicht Verwertungslogik, sondern die Ethik einer demokratisch ökologischen, geschlechterbefreiten Gesellschaft sollte der Bezugspunkt sozialwissenschaftlichen Denkens sein.

Ann-Kristin Kowarsch - Foto: © 2012 by Schattenblick

Am Katheder, aber nicht ex cathedra
Foto: © 2012 by Schattenblick
Nicht unberücksichtigt blieb auch die Kritik an den Institutionen, in denen Wissenschaft betrieben wird und von denen zahlreiche Menschen aufgrund ihrer sozialen Unterdrückung ausgeschlossen blieben. Während diese davon abgehalten würden, sich in die gesellschaftlich relevante Theoriebildung einzubringen, finde diese in einem von der Mehrheit der Menschen abgeschirmten, undurchsichtigen Raum statt. Inhalte, Organisationsformen und personelle Besetzung dieser Institutionen würden von Interessen bestimmt, die alles andere als unabhängig seien. Damit die Sozialwissenschaft einen Beitrag zur Entwicklung und Umsetzung freiheitlicher gesellschaftlicher, politischer und ökonomischer Alternativen leisten können, müßten sie sich aus ihrer materiellen und ideologischen Abhängigkeit befreien und sich selbst als einen Teil des Widerstandes gegen die kapitalistische Moderne begreifen, so Kowarsch unter Verweis auf Öcalan.

Eine unabhängige Sozialwissenschaft könne nur durch den Aufbau autonomer Einrichtungen entstehen, zu deren Etablierung Öcalan die Gründung einer Weltförderation der Akademien auf der Basis lokaler und regionaler Institutionen vorschlage. Während diese eigene Organisationsformen und Curricula entwickeln könnten, sollten sie sich doch auf gemeinsame Prinzipien einigen, die insbesondere die Loslösung von staatlichen und ökonomischen Machtstrukturen betreffen. Innerhalb dieser Akademien solle mit dem ständigen Wechsel zwischen Lehrern und Schülerinnen oder Schülern Raum für ein hierarchiefreies Lehren und Lernen geschaffen werden. Unabhängig von Schulbesuch oder Abschlüssen sollten nach den Worten Öcalans von der Hirtin bis zur Professorin und vom Hirten bis zum Professor alle Menschen die Möglichkeit erhalten, sich weiterzubilden oder ihr Wissen weiterzugeben. Jedes Haus und jede Straße könne in eine solche Akademie verwandelt werden, sobald die Festlegung gemeinsamer ethischer Regeln und die Ausarbeitung eines gemeinsamen Programms erfolgt wären.

Kowarsch schilderte abschließend, daß dieser Ansatz bereits in der kurdischen Frauenbewegung aufgegriffen wurde. Dort versuchten Frauen durch selbstorganisierte Akademien und Bildungseinrichtungen, die patriarchale Wissenschaftslogik zu durchbrechen und gesellschaftliche Alternativen zu schaffen. Diese Volks- und Frauenakademien würden allerdings von der türkischen Regierung bekämpft. So seien Dutzende von Akademikern und Akademikerinnen in den vergangenen Monaten verhaftet worden, nur weil sie dort unterrichtet hätten. Dies gelte auch für Hunderte von Schülerinnen und Schülern, die mit staatlicher Repression davon abgehalten werden, an diesen Einrichtungen zu lernen. Nicht nur, weil diese Bildungsarbeit in der kurdischen Muttersprache durchgeführt werde, sondern weil sie das herrschende System in seinen Grundfesten in Frage stelle, würden Alternativen zu den staatlichen Bildungsinstitutionen kriminalisiert.

Indem die Referentin die Zuhörerinnen und Zuhörer dazu aufrief, Kritik an den herrschenden Sozialwissenschaften zu üben und sich mit alternativen Konzeptionen wissenschaftlicher Forschung und Lehre zu befassen, auch und gerade wenn sie keine Akademikerinnen und Akademiker seien, brach sie eine Lanze für eine Bildungsarbeit, der das Statusdenken akademischer Karrieren fremd ist. Wenn soziale Solidarität und politische Kritikfähigkeit an die Stelle bürgerlichen Distinktionsstrebens treten, ist für die Demokratisierung von Bildung und Wissenschaft schon viel errreicht. Die Bedeutung einer Alternative zu der als Innovationscluster für die industrielle Produktivkraftentwicklung, als Kaderschmiede für die Funktionseliten in Staat und Wirtschaft und als Labor zur Konditionierung des Humanfaktors auf die Zwecke der Arbeitsgesellschaft fungierenden Hochschullandschaft für die gesellschaftliche Entwicklung kann wohl kaum überschätzt werden. Auch für die Bundesbürger wäre es ein großer Schritt, den Imperativ des "lebenslangen Lernens" als herrschaftliche Zurichtung der Bevölkerung auf eine flexible, allseits verfügbare und stets leistungsbereite Work Force zu verwerfen und demgegenüber die Forderung zu erheben, jedem Menschen die Entfaltung seines Potentials voraussetzungslos, selbstbestimmt und diskriminierungsfrei möglich zu machen.

Obwohl es in der Bundesrepublik ein großes akademisches Prekariat gibt und der durchschnittliche Bildungsstand der Bevölkerung hoch ist, mangelt es hierzulande gerade daran. All dies spricht für die Notwendigkeit einer nicht nur Zugang und Alimentierung thematisierenden, sondern die qualitative Bestimmung des vermittelten Wissens kritisierenden Bildungspolitik. Ob der Anstoß dazu eher aus feministischer oder antikapitalistischer Sicht erfolgt, ist von nachrangiger Bedeutung, denn das Anliegen der Befreiung ist so universal, wie die Kategorien der Herrschaft ihre Macht verlieren, wenn sie von ihm durchdrungen werden.

Büchertisch mit Bildern - Foto: © 2012 by Schattenblick

Praktische Bildungsarbeit im Foyer
Foto: © 2012 by Schattenblick

16. Februar 2012