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BERICHT/299: Medienkontrolle - wehret den Anfängen ... (2) (SB)


"All Computer Are Beschlagnahmt" - Veranstaltung zum Verbot von Indymedia linksunten am 18. Dezember 2017 in Kiel-Gaarden


Im Morgengrauen des 25. August 2017 fand in Freiburg der Zugriff des Staates auf eine zentrale Infrastruktur der bundesrepublikanischen Linken statt. 250 PolizistInnen durchsuchten vier Privatwohnungen und das Autonome Zentrum KTS, um das am gleichen Tag durch Bundesinnenminister Thomas de Maizière bekanntgegebene Verbot der Open-Posting-Plattform Indymedia linksunten zu vollziehen. Die Verbotsverfügung betraf fünf Personen, drei von ihnen wurde sie während der Razzia überreicht. Der Großeinsatz wurde vom Landeskriminalamt (LKA) Baden-Württemberg durchgeführt, das vom Regierungspräsidium Freiburg um Amtshilfe gebeten worden war. Weiterhin beteiligt waren die Bundespolizei und vermutlich auch der Verfassungsschutz.

Auch vier Monate später gibt es keinen annähernd gleichwertigen Ersatz für die Möglichkeit, unbehelligt von den Strafverfolgungsorganen, für die Indymedia linksunten keine IP-Adressen sammelte und die auch nach dem Verbot keinen Zugriff auf die Server der Plattform gehabt haben sollen, relevante Ereignisse jenseits der Filterblase bürgerlicher Medien bekannt zu machen und über Fragen zu diskutieren, die für eine im gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang ohnehin marginale linksradikale und radikalökologische Bewegung wesentlich sind. Neben der notwendigen Auseinandersetzung mit der nationalchauvinistischen und sozialrassistischen Restauration der Gesellschaft betrifft dies die Frage, wie die heterogene außerparlamentarische Linke überhaupt zugunsten des Aufbaus einer wirksamen sozialen Opposition auf eine Weise miteinander kommunizieren kann, die nicht von vornherein zahlreiche Menschen ausschließt und damit ihre Handlungsbasis schwächt.


Projektion 'All Computer Are Beschlagnahmt' zur Veranstaltung - Foto: 2017 by Schattenblick

Foto: 2017 by Schattenblick


Ermittelt wird gegen die Freiheit von Wort und Schrift

Die Schließung von Indymedia linksunten war Thema einer Veranstaltung im libertären Zentrum Li(e)berAnders im Kieler Ortsteil Gaarden. Organisiert von der TurboKlimaKampfGruppe (TKKG) und der Roten Hilfe Kiel sowie unterstützt von der Rosa Luxemburg Stiftung schilderte dort ein von der Repression betroffener Mensch, was an diesem Freitagmorgen geschah und welche Schäden durch diese staatliche Maßnahme angerichtet wurden.

Zur Einstimmung wurde der Auftritt des Bundesinnenministers auf der Pressekonferenz zur Verbotsbegründung gezeigt. Er bezeichnete Indymedia linksunten rundheraus als Plattform für linksextremistische Gewalttäter, die nicht allein abgeschaltet, sondern gegen deren Betreiber auch ermittelt werden müsse. Für gewaltbereite Linke dürfe es keine Rückzugsräume geben. Auf die Frage, warum das Verbot nicht schon früher erlassen worden sei, führte er zunächst die Komplexität der Ermittlungen an. Im Kern schien es ihm jedoch darum zu gehen, aus strategischen Gründen Ort und Zeitpunkt der Konfrontation zu bestimmen. Im Sinne der extremismusideologischen Gleichsetzung von rechts und links erwähnte de Maizière zudem das 2016 verfügte Verbot des rechten Portals Altermedia.

Von den Durchsuchungen zweier WGs und Wohnungen direkt betroffen waren sieben, ermittelt wird gegen drei Personen. Neben Wohn- und Gemeinschaftsräumen wurden auch Autos durchsucht. Da die Betroffenen Einsicht in den Durchsuchungsbeschluß verlangten, waren sie in der Lage, die BeamtInnen bei der Durchsuchung der einzelnen Räume zu begleiten, was nicht verhinderte, daß dort ein Chaos hinterlassen wurde. Der gesamte Einsatz wurde von den Vollzugsorganen gefilmt, was auch die dabei beschlagnahmten Handys, Laptops, Rechner, externen Festplatten und USB-Sticks betraf. Konfisziert wurden auch Kalendarien, Notizbücher und Aufzeichnungen sowie Bargeld, wobei Beträge ab 2000 Euro als Vereinsvermögen gewertet wurden. Zudem befanden sich zwei Datenträger der Verfassten Studierendenschaft (VS) der Uni Freiburg unter dem beschlagnahmten Material. Es handelte sich um eine Sicherungskopie von Daten, die aufgrund häufiger Einbrüche in die Räume der VS in die Wohnung eines Mitarbeiters ausgelagert worden waren. Trotz des Protestes dieser Körperschaft öffentlichen Rechts gegen die Beschlagnahmung von Informationen, die die Freiburger Studierendenschaft in Gänze betreffen, wurden diese erst zurückgegeben, nachdem eine Kopie der Daten angefertigt worden war, könnten diese doch Belege für die Zugehörigkeit bestimmter Personen zu Indymedia linksunten enthalten.

Deutlich robuster lief die zeitgleich durchgeführte Razzia im KTS (Kulturtreff in Selbstverwaltung). Sie wurde damit begründet, daß es sich um den Sitz des nichtvorhandenen Vereins handle. Der Trägerverein und Mieter des KTS wurde nicht informiert, der einzigen dort anwesenden Person, die das Vorgehen der Polizei hätte bezeugen können, wurden Handy und Laptop abgenommen, anschließend wurde ihr ohne weitere Begründung ein Platzverweis erteilt. So konnten die Vollzugsorgane das Zentrum fünf Stunden lang ohne unabhängige Zeugen untersuchen und dabei mitnehmen, was sie für die Ermittlungen als notwendig erachteten.

Nachdem zunächst der Zugang zu einem falschen Stockwerk aufgebrochen worden war, wurde des Autonome Zentrum so umfassend auf den Kopf gestellt, daß ein Bild der Verwüstung blieb. Sämtliche Türschlösser wurden aufgebohrt, obwohl die Schlüssel an einem allseits zugänglichen Schlüsselbord hingen. Tresore wurden aus der Wand gerissen und selbst die Kaffeekasse mitgenommen. Alle Computer und Festplatten wurden mitgenommen, Plakate und Gegenstände abfotografiert.

Im Hintergrund der Maßnahme standen mehrere Hundertschaften bereit, falls es zu spontanen Protesten käme, zudem wurde die Stadt zwei Tage lang von einem über ihr kreisenden Hubschrauber observiert. Doch damit nicht genug, die Betroffenen wurden in der Folgezeit von mehreren Teams der Polizei beschattet, Post wurde beschlagnahmt und Mail-Konten wurden rückwirkend durchsucht.


Gestern wie heute - antikommunistischer Gesinnungsverdacht

Über alle Kanäle ging am Tag der Durchsuchung die Nachricht, daß dabei auch Waffen gefunden worden seien. Was könnte den Exekutivorganen gelegener kommen, als den Beweis für die unterstellte Gewaltbereitschaft von Menschen präsentieren zu können, die sie damit über die Verbreitung dementsprechender Aufrufe hätte bezichtigen können, selbst Hand anzulegen. Schließlich wurden der Presse sogenannte Butterflymesser, bei denen es sich um Trainingsgeräte mit Gummiklinge handelte, Schlagstöcke aus Weichgummi, ein Böller, nicht mehr funktionsfähige Elektroschocker und Spraydosen, von denen erst recht nicht klar war, was an ihnen gefährlich sein sollte, präsentiert. Gemessen an den häufigen Waffenfunden bei Reichsbürgern und Neonazis, bei denen es um ganz andere Kaliber und Durchschlagskraft geht, sowie den zahlreichen Belegen dafür, daß Rechtsradikale vor Mord nicht zurückschrecken, hält sich die Überzeugungskraft dieser zumal personell nicht eindeutig zuzuordnenden Beweismittel in Grenzen. Entscheidend allerdings ist der erste Eindruck, und der läßt sich nicht ohne weiteres korrigieren, so daß die Strategie, erst einmal zu behaupten und dann zu prüfen, im Sinne kriminalisierender Propaganda funktioniert haben dürfte.

Wie das öffentlich-rechtliche Fernsehen Stimmung gegen die radikale Linke macht, konnte der kleine Kreis von Menschen, die sich in vorweihnachtlicher Zeit für den fortschreitenden Abbau demokratischer Grundrechte interessierten, anhand eines Beitrags des ARD-Magazins Report Mainz erleben. Dort wurde schon Anfang Juni das Verbot von Indymedia linksunten gefordert, bekräftigt von keinem Geringerem als dem Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe. Daß ausgerechnet der führende mit der geschichtspolitischen Delegitimierung der DDR befaßte Historiker, der sich als einer jener Stasi-Jäger einen Namen gemacht hat, die desto aktiver werden, je größer der zeitliche Abstand zur Existenz des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) wird, für die Bezichtigung und Verdächtigung einer vornehmlich libertär ausgerichteten Plattform aufgeboten wird, läßt erkennen, daß nicht die Diffamierung bestimmter Strömungen und Organisationen der Linken, sondern ein Generalangriff auf alles, was links der Linkspartei steht, in Arbeit ist.

Die wieder mit anwachsender Häufigkeit gesendeten und veröffentlichten Beiträge zur angeblich von links ausgehenden Gefahr für Staat und Gesellschaft zeigen, daß die wesentlichen Strategien zur Krisenbewältigung, der Umbau zum autoritären Sicherheitsstaat und die ideologische Reorientierung der Gesellschaft auf nationalistische und sozialdarwinistische Selbstbehauptung, vor dem sozialen Widerstand von links geschützt werden sollen. Die Pointe, daß die Delegitimierung der DDR vor allem anhand der geheimdienstlichen Überwachung ihrer Bevölkerung betrieben wird, während die nicht minder mit geheimdienstlichen Mitteln betriebene Überwachung und Kriminalisierung von Autonomen, AnarchistInnen, SozialistInnen und KommunistInnen in der neuen Bundesrepublik etwas ganz anderes sein soll, ist Report Mainz offensichtlich entgangen.

Neben der Aufforderung und Anleitung zu Straftaten wie ihrer Billigung sowie der Veröffentlichung von BekennerInnenschreiben werden als Gründe für das Vereinsverbot auch die Störung des öffentlichen Friedens und üble Nachrede angeführt. Damit gemeint ist unter anderem die namentliche Identifizierung von Nazis anhand von Fotografien, die bei Aufmärschen ihrer Organisationen oder bei Angriffen auf linke Demonstrationen gemacht wurden, als auch mit Hilfe von Bildern, die auf ihren Facebook-Accounts gepostet wurden. Diese Praxis entspricht der der rechtsradikalen Anti-Antifa, die ihrerseits Material zur Identifikation des politischen Gegners sammelt. Nicht vergleichbar allerdings ist deren Gewaltbereitschaft, wie die unter Rechtsradikalen verbreiteten Schußwaffen, die Glorifizierung alles Militärischen wie die von Nazis begangenen und zum Teil tödlich verlaufenen Angriffe auf Linke, Nichtdeutsche, Obdachlose und Behinderte belegen.

Den Staatsorganen besonders unangenehm ist die Enttarnung von Zivil-PolizistInnen oder Verdeckten ErmittlerInnen, die nicht nur, aber auch auf Indymedia linksunten erfolgte. Letzteres betrifft PolizistInnen, die ihrerseits keine Scheu hatten, mit den von ihnen ausgespähten Personen Liebesbeziehungen einzugehen, sich an linker Pressearbeit zu beteiligen, zur Gewalt aufzurufen oder linke Zusammenhänge anhand der Leugnung ihrer Tätigkeit regelrecht aufzusprengen. Dagegen gerichtete Abwehrarbeit stände jedem Geheimdienst gut zu Gesicht, wird bei einer politisch mißliebigen Opposition allerdings nicht geduldet, da sie das Gewaltmonopol des Staates in Frage stellt.

So beruht denn auch die unterstellte Verbindung der von dieser staatlichen Maßnahme betroffenen Menschen zu dem letztendlich erst von den Behörden gegründeten Verein Indymedia linksunten wesentlich auf Spitzelberichten der Verfassungsschutzämter, in denen über linksunten-Treffen in den Jahren 2008, 2011 und 2013 berichtet wird. Ob die weiterlaufenden Ermittlungen jemals etwas Beweiskräftiges erbringen werden ist keineswegs sicher, doch vielleicht geht es auch gar nicht darum. Viel bedeutsamer für die Exekutive scheint der Schlag gegen eine zentrale Kommunikationsstruktur der radikalen Linken und die daraus resultierende Bedrohung anderer linker Medienkollektive zu sein. Sollte sich das dazu gewählte Mittel der Konstruktion eines nichtvorhandenen Vereins bewähren, so verfügte der Staat unterhalb der Schwelle des politischen Strafrechts über ein hochwirksames Mittel der politischen Intervention und Repression.

Inzwischen haben die von der Repression Betroffenen Akteneinsicht zur Vorbereitung des Verfahrens, das aus der Klage gegen das Verbot vor dem Bundesverwaltungsgericht resultiert. Auch wurde vor dem Verwaltungsgericht Freiburg Beschwerde gegen die Durchsuchungen eingelegt, doch handelt es sich dabei um ein Verfahren, das sich mehrere Jahre lang hinziehen kann und zudem sehr teuer ist.


Es steht mehr auf dem Spiel ...

Wie berichtet wurde, kam es in den ersten Wochen nach der Durchsuchung zu zahlreichen Solidaritätserklärungen und auch Demonstrationen gegen die Kriminalisierung linker Medien. Dennoch sitzen die Betroffenen weiterhin auf 80.000 Euro Gesamtschaden und bitten, wie in der Veranstaltung in Kiel, um Spenden. Mit dem Ausmaß ihrer solidarischen Unterstützung steht und fällt letztlich jede Form linker Kampfbereitschaft, ist doch in Zukunft etwa aufgrund der neuen Polizeigesetze nach 113 und 114 StGB wie des immer weitreichenderen Zugriffs des Staates auf soziale Netzwerke und Mobiltelefone mit verschärften Bedingungen bei jeder Form des linksradikalen Aktivismus zu rechnen. So werden neben Geldspenden auf das Solikonto der Roten Hilfe Stuttgart [1] Rechner für die Arbeit im Autonomen Zentrum KTS benötigt, deren Beschlagnahmung ebenfalls zeigt, wir wirkungsvoll derartige Eingriffe in linke Infrastrukturen die politische Arbeit beeinträchtigen können.

Der über neun Jahre zuverlässige Betrieb von Indymedia linksunten ist seinerseits ein Zeichen für das Gelingen selbstorganisierter nichtkommerzieller Strukturen und damit einer Handlungsfähigkeit, mit der bereits etwas von dem realisiert wurde, was gesamtgesellschaftlich angestrebt wird. Die Aufrechterhaltung einer von zahlreichen AktivistInnen weltweit in Anspruch genommenen Kommunikationsstruktur verlangt nicht nur technisches Wissen und betriebliche Organisationsfähigkeit, sie stellt auch eine inhaltliche Herausforderung dar. Auch wenn niemand mit all dem, was dort gepostet und kommentiert wurde, einverstanden gewesen sein dürfte, wurde ein Raum für das freie Wort offengehalten, weil es ums Prinzip möglicher Begegnung zwischen Menschen und ihrer Emanzipation vom Primat der Konkurrenz und Isolation geht. Zudem keine persönlichen Karriereambitionen oder geschäftlichen Erfolg anzustreben, kann von einer Gesellschaft, in der alles über den Markt geregelt wird, während der Staat den Wildwuchs kurzhält, der ihre Geschäfte stört, nur als Negation ihrer Gültigkeit verstanden werden.

Das große Loch, das die Abschaltung der Plattform, wie in Kiel anwesende AktivistInnen betonten, in der gruppen- und spektrenübergreifenden Kommunikation der Linken gerissen hat, ist durch etablierte soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter nicht zu schließen. Dabei handelt es sich praktisch um Reusen der Staatsschutzbehörden, mit denen besagte Unternehmen immer bereitwilliger zusammenarbeiten. Zudem greift eine unter dem Vorwurf der Verbreitung von Haß oder Fake News initiierte Sprachregulation[2], angetrieben durch das Netzwerkdurchsuchungsgesetz und vollzogen von journalistischen Zensoren [3], deren Relevanzkriterien mit sozialrevolutionären Idealen völlig inkompatibel sind, auf eine Weise um sich, die sich auch ein George Orwell nicht hätte vorstellen können.

Soviel läßt sich sagen - Indymedia linksunten war in seinem Mobilisierungspotential, in der Streitbarkeit der dort geführten Diskurse und dem aus der Durchdringung gesellschaftlicher Widersprüche resultierenden Erkenntnisgewinn zu relevant, als daß der Staat, wie es sein Innenminister ausdrückte, weiterhin hätte "untätig" bleiben können. Die an der Vielfalt und Ernsthaftigkeit dort geführter Debatten auffliegende Extremismusdoktrin wird schließlich noch gebraucht. Wenn links und rechts nicht gleichgesetzt oder als angeblich überholte Kategorien abserviert werden können, dann hält der darin manifest werdende Antagonismus auch in Zukunft das Tor zu einer Welt ohne Ausbeutung und Herrschaft offen.

Teil 1 des Berichts zum Verbot von Indymedia linksunten siehe unter
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0298.html


Fußnoten:

[1] https://rotehilfeogkiel.gaarden.net/all-computer-are-beschlagnahmt-veranstaltung-zum-verbot-von-indymedia-linksunten/

[2] KULTUR/1014: Fake News und Sozialkontrolle gehen Hand in Hand (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/sele1014.html

[3] KULTUR/1016: Vom Gerücht zur Falschnachricht ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/sele1016.html

21. Dezember 2017


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