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BERICHT/355: Die Linke - als Partei gesellschaftlich begründeter Probleme ... (SB)


Die Kämpfe der Vergangenheit haben gezeigt, dass militarisierte Herrschaft nie ohne Brüche funktioniert. Ein Gewaltmonopol schafft noch keine Befriedung, geschweige denn Unterwerfung. Auch die medial inszenierten "marktkonformen" Demokratien, die sich offen auf Zwang stützen, stoßen an ihre Grenzen. Ein hegemoniales Regieren ist unter den Verhältnissen brutaler Ungleichheit nicht mehr möglich. Der Demos wird unruhiger und verzweifelter. Dem demokratischen Subjekt von heute stehen unzählige Informationsquellen und -kanäle zur Verfügung. Es kann die Idiotie der imperialen Macht und ihrer Autokraten von Ferne bestaunen und hin und wieder das Aufflammen einer subalternen Macht auf der Straße erleben. Der eiserne Vorhang der Unterdrückung ist nicht ohne Risse, in denen Demokratie und Sozialismus wachsen können.
Vishwas Satgar (Showdown des fossilen Kapitalismus) [1]


Die SPD hat ein Jahrhundert gebraucht, um sich aus einer Partei der ArbeiterInnenklasse in deren Totengräberin zu verwandeln und schließlich auch das eigene Grab zu schaufeln. Die Grünen haben sich binnen weniger Jahrzehnte aus einer linksökologischen Sammlungsbewegung in eine Kriegs- und Hartz-IV-Partei verwandelt, die sich nun anschickt, den Kapitalismus in grünem Gewand zu retten. Die Linkspartei ist ein Dutzend Jahre am Werk, in denen sie den demokratischen Sozialismus als Kernanliegen entsorgt und sich halbwegs überflüssig gemacht hat. Sie stagniert in einem Limbus, aus dem es über kurz oder lang nur noch steil bergab zu gehen scheint. Die Halbwertzeit potentiell linker Parteien oberhalb der Fünf-Prozent-Hürde ist in diesem Land offenbar dramatisch geschrumpft.

Das hängt damit zusammen, daß die Fähigkeit des Kapitalismus, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen, zwar ein zäher, aber angesichts einer sich rapide beschleunigenden Taktfolge der Krisen zusehends forcierter Prozeß innovativer Verfügung ist. Folglich wird das Vermögen jener Parteien, die in der Lage sind, widerständige Bevölkerungsteile einzubinden und zu befrieden, in immer kürzeren Fristen verbraucht und verbrannt, während zugleich das Zwangsregime zunehmend enger gezogen wird. Folglich kann Die Linke nicht darauf hoffen und warten, daß sie vielleicht doch noch einmal gebraucht wird, was absehbar nicht der Fall sein dürfte.

Der Wunsch ihres rechten Flügels, als die wahre Sozialdemokratie zu firmieren und die SPD zu beerben, wird von deren Ausmusterung überholt und mithin obsolet. Weiterzumachen wie bisher ist keine Option, die im Zuge eskalierender gesellschaftlicher Verwerfungen von mittelfristiger Dauer sein könnte. Daher ist der Entwurf der Bewegungslinken, die Partei rundum zu erneuern, ein ernstzunehmender und bedenkenswerter Ansatz auch für jene Mehrheit, welche die Wiederkehr basisdemokratischer Bestrebungen nicht ganz zu Unrecht als möglichen Türöffner für versiegelt erachtete sozialistische Konsequenzen fürchtet. Kampflos werden die großen und kleinen Protagonisten des etablierten parlamentarischen Prozedere ihre Bastionen nicht preisgeben, womit aber ohnehin niemand rechnet, dem das innerparteiliche Armdrücken sattsam bekannt ist. Der Entwurf einer verbindenden Klassenpolitik hat indessen das Argument auf seiner Seite, die Partei bei ihrem unabgegoltenen Anspruch zu packen, eine relevante Rolle in maßgeblichen gesellschaftlichen Kämpfen zu spielen.


Plenum von hinten und Podium - Foto: © 2019 by Schattenblick

Gründungsversammlung der Bewegungslinken
Foto: © 2019 by Schattenblick


Solidarischer Gegenentwurf zu Mainstream und AfD

Die Gründungsversammlung der Bewegungslinken [2] am 14./15. Dezember in Berlin wurde mit drei einführenden Beiträgen von Katharina Dahme, Elif Eralp und Sarah Nagel eröffnet. Daran schloß sich eine Diskussion der vom Koordinierungskreis eingebrachten Vorschläge und Projekte gegen Parlamentarisierung in Kleingruppen an. Deren Ergebnisse sowie weitere Anregungen wurden dann in einer inhaltlichen Generaldebatte im Plenum erörtert.

Katharina Dahme war Mitglied im Parteivorstand und ist wissenschaftliche Mitarbeiterin von Bernd Riexinger. Sie erwiderte auf diverse innerparteilich kursierende Gerüchte, was die Bewegungslinke angeblich sei, mit deren Einschätzung, daß sich Die Linke verändern muß, wenn sie dem neoliberalen Mainstream und der erstarkenden AfD eine solidarische Alternative entgegensetzen will. Dem Motto des ersten Ratschlags im April 2018 "Solidarität ist unteilbar" gaben die großen Unteilbar-Demonstrationen Recht: Diese Formel findet breite Zustimmung und sollte auch ein Leitmotiv der Linkspartei sein. Deren Aufgabe sei es, unteilbare Solidarität konkret voranzubringen, nicht die Sprache der Spaltung zu befeuern und Ängste zu schüren, sondern Hoffnung zu organisieren, deren Basis ein militanter Glaube an und die Organisierung von Solidarität sei. In diesem Sinne war der Ansatz einer verbindenden Klassenpolitik als Antwort auf Spaltung und Entsolidarisierung für die Bewegungslinke von Anfang an zentral: Wir glauben nicht, daß man den Rassismus in der Gesellschaft nicht thematisieren sollte, weil dies die Arbeiterklasse spalten würde. Der Rassismus selbst spaltet, nicht seine Problematisierung. Wenn wir ihn nicht ansprechen, werden wir auf lange Sicht nicht einmal unsere eigenen Anhänger immunisieren, geschweige denn Menschen von unseren Positionen überzeugen, die Vorurteile mit sich herumtragen und Andersdenkende oder anders Aussehende als Übel ausmachen, statt Ausbeutung und Unterdrückung durch die Herrschenden, so die Referentin. Verbindende Klassenpolitik meine aber nicht die einfache Addition der verschiedenen Kämpfe, sondern immer von der Klasse ausgehend Politik zu betreiben, sie in den Mittelpunkt der eigenen Politik zu stellen.

In welcher politischen Situation befinden wir uns? Die Polarisierung und damit einhergehende Entpolitisierung der Gesellschaft hat auch vor Der Linken nicht Halt gemacht. Sie sorgte an der Basis für Verunsicherung, legte aber auch inhaltliche Kontroversen in der Partei offen, aus denen strategische Differenzen folgten. Die Abwehr der AfD sorgt insbesondere im Osten für eine Mobilisierung aller DemokratInnen für diejenige Partei, die am ehesten Chancen hat, gegen die AfD zu gewinnen. In Der Linken hat das aber auch dazu geführt, daß Ansprüche an Regierungsbeteiligung noch weiter gesunken sind, weil gefühlt alles getan werden muß, eine Regierungsbeteiligung der AfD zu verhindern, und einige sogar bereit waren, darüber nachzudenken, ob man in einer Koalition mit der CDU zusammenarbeiten muß, so Dahme.

Zweitens befindet sich der Neoliberalismus keineswegs in einer Krise, sondern modernisiert sich immer wieder neu und wird aktuell durch die Grünen aufgemotzt. Diese nutzen den widersprüchlichen Alltagsverstand aus, dem zufolge sich einerseits alles radikal ändern muß, dies aber andererseits mit den bekannten Mitteln und dem bekannten Rahmen gut zu verbinden ist. "System Change not Climate Change" rufen sie und meinen damit grüne Marktwirtschaft. Standortsicherung ja, aber nicht zwingend mit Beschäftigungssicherung. Das ist deswegen so gefährlich, weil zum einen die Klimakatastrophe damit nicht aufgehalten wird und sich zum anderen Angst und Unsicherheit in der prekären Abstiegsgesellschaft dadurch noch mehr zuspitzen, betonte die Referentin.


Auf dem Podium - Foto: © 2019 by Schattenblick

Katharina Dahme
Foto: © 2019 by Schattenblick

Drittens nannte sie die beachtliche Mobilisierung eines solidarischen Lagers in der Gesellschaft, die Mut mache. Diese Bewegung habe neben einer offenen Haltung auch soziale Forderungen formuliert, es aber nicht geschafft, darüber hinaus Druck für konkrete Errungenschaften zu organisieren. Fridays for Future haben aufgrund des offensichtlichen Handlungsdrucks beim Klimaschutz indirekt die Schuldenbremse in Frage stellt und Investitionen in Milliardenhöhe in die Debatte gebracht. Völlig offen bleibt aber, wer in was investieren wird, wer davon profitiert und wer den Umbau bezahlen muß. Dabei stelle sich natürlich die Frage, auf welche Weise eine Linke in dieser Konstellation eine Rolle spielen kann. Wie jede Krise im Kapitalismus wird auch die ökologische von den Ärmsten bezahlt, denn die Klimafrage ist nicht abstrakt, sondern ganz konkret eine soziale Frage. Wer glaubt, die grünen Themen interessierten die Beschäftigten nicht, der irrt. Kaum ein Thema werde in den Betrieben mehr diskutiert, doch wer auf grüne Fragen nur grüne Antworten gibt, verliert all jene, die für die Umsetzung einer sozial gerechten Klimapolitik gebraucht werden. Wer, wenn nicht Die Linke, muß Verbindungen schaffen zwischen Klimabewegten und Automobilbeschäftigten, den Beschäftigten in der Verpackungsindustrie und in der Energiewirtschaft! Die Zukunft unseres Planeten beschäftigt Jung und Alt und sie betrifft die ganze Klasse. Job und Klima sind beides Lebensgrundlagen für die Menschen. Wir müssen gemeinsame Interessen herausstellen und praktische Beispiele für verbindende Klassenpolitik vorlegen. Nachdem wir versäumt haben, Kohlebeschäftigte und KohlegegnerInnen an einen Tisch zu bringen, können wir es diesmal besser machen. Die Tarifauseinandersetzung im öffentlichen Nahverkehr im nächsten Jahr bietet sich dafür an, weil es dabei einerseits um die Arbeitsbedingungen und andererseits um klimaschonende Alternativen zum Individualverkehr geht, so Dahme.

Dafür sei eine handlungsfähige und wirkmächtige Partei erforderlich, in der man sich gern engagiert. Dem stünden zum einen strukturelle Probleme entgegen, da der Parteiaufbau im Osten verpaßt worden sei und auch im Westen in vielen Landesverbänden stagniere. Wenngleich mehr Mitglieder noch keine Garantie für eine bessere Verankerung seien, seien sie zumindest die Voraussetzung dafür. Während sich das Verhältnis der mobilisierten Menschen pro Mitglied bei Wahlen kaum verändert hat, ist aufgrund sinkender Mitgliederzahlen das Wahlergebnis zurückgegangen. Die Polarisierung setzt sich bis in die eigenen Familien hinein fort, was dazu führt, daß bestimmte Streitthemen vermieden werden. Dadurch bricht der Raum weg, in dem man früher über Politik diskutiert hat. Verliert man Mitglieder, schwindet auch die gesellschaftliche Funktion, politische Diskussionen zu organisieren oder daran teilzunehmen: Wir müssen selbstbewußt auftreten und für die Sache und die Partei mehr werden wollen. Wir müssen dringend Mitglieder werben, vor allem im Osten. In den letzten Jahren seien zwar phasenweise Tausende neue Mitglieder geworben haben, von denen zwei Drittel unter 35 Jahre alt waren. Sie fanden jedoch eine wenig einladende Atmosphäre vor, der sie bald wieder den Rücken kehrten. Mitglieder gewinnen mache nur Sinn, wenn es gelingt, andere Arbeitsweisen in der Partei durchzusetzen. Es braucht eine Kulturrevolution in der Partei, um es einmal zugespitzt auszudrücken, so die Referentin, zumal sich andernfalls die Stellvertreterpolitik immer mehr durchsetzt.

In den Landtagswahlen der letzten Jahre zeigten sich ihres Erachtens deutliche Unterschiede hinsichtlich des Anspruchs, daß die Menschen selbst aktiv werden müssen. Im Berliner Wahlkampf wurde "Wem gehört die Stadt?" plakatiert, und die Antwort ging in die Richtung, daß Die Linke ohne die Stadtgesellschaft nichts reißen werde. Sie brauche die Initiativen und sozialen Bewegungen, um etwas durchsetzen zu können. In Bremen, Brandenburg und Sachsen hieß es hingegen, wir machen das für euch, und in Thüringen gar, Bodo macht das. Ist es, gemessen am Wahlerfolg, völlig unerheblich, mit welchem Ansatz man Wahlkampf führt? Es sei jedenfalls desorientierend, nicht über die realen Kräfteverhältnisse aufzuklären, sondern den Leuten vorzumachen, die Partei könne etwas für sie erledigen, ohne daß sie selber aktiv werden. Der Wahlkampf sollte Zeit der Aufklärung und nachhaltigen Mobilmachung sein und nicht Enttäuschungen vorprogrammieren, weil man das, was man gefordert hat, nicht umsetzen kann. Linken in Regierungsbeteiligung vorzuwerfen, was sie alles nicht geschafft haben, sei das eine. Sie würde ihnen aber vor allem auch vorwerfen, daß sie nicht selber politisieren, was geht und was nicht geht. Sie sollten die Leute darüber aufklären, wo auch sie an Grenzen stoßen, und sie auf diese Weise mitnehmen, statt zu vermitteln, daß sie selbst die Experten seien und die anderen im Grunde keine Ahnung vom politischen Betrieb hätten: Auf diese Weise setzt sich ein sozialdemokratisches Politikverständnis hegemonial in der Partei durch, kritisierte Dahme.

Ausdruck der Parlamentarisierung sei zum einen eine inhaltliche Verengung der Machtfrage aufs Regieren, die sich unter anderem in der Fokussierung auf neue linke Mehrheiten wie Rot-Rot-Grün abzeichnet. Zum anderen gilt es die Parteiarbeit zu verändern, nämlich Teil der Bewegung zu sein, statt Sitzungssozialismus zu betreiben. Das reicht von den Parlamenten bis hinunter zur Basisarbeit, wo sich das häufig reproduziert. Die Antwort könne nur Kollektivierung der Ressourcen sein. Die Abgeordneten sitzen nur wegen dieser Partei im Parlament und weil 62.000 Mitglieder Wahlkampf gemacht haben. Daher sollten sie ihre Ressourcen für den Aufbau der Partei einsetzen. Zudem gelte es, die vorhandenen guten Ansätze zu verankern und zu verstetigen. Wir haben uns als Bewegungslinke zur Aufgabe gemacht, gemeinsam mit den Kreisverbänden aus den Erfolgen zu lernen. Das würde eine ganz andere Kultur bedeuten, als wir sie derzeit erleben, eine die zum Mitmachen einlädt. Wenn uns das gelänge, wäre das schon eine ganze Menge, schloß Katharina Dahme ihren Beitrag.


Auf dem Podium - Foto: © 2019 by Schattenblick

Elif Eralp
Foto: © 2019 by Schattenblick


Migrantische Stimme Kernthema sozialer Kämpfe

Elif Eralp gehört dem Berliner Landesvorstand an, arbeitet schwerpunktmäßig zu Migrationsfragen und ist bei Links*Kanax aktiv. Sie erörterte in ihrem Beitrag die Rolle der Partei und der Bewegungslinken in Hinblick auf die Erfahrungen und Anforderungen migrantischer GenossInnen. Der Rechtsruck in der Gesellschaft hat dem schon immer vorhandenen Rassismus eine laute Stimme, Repräsentation, mehr Ressourcen und Mobilisierungskraft verschafft. Rassismus greift nicht nur im Alltag um sich, sondern auch in den Medien und Parlamenten, also im öffentlichen Diskurs, was den Boden für ein vergiftetes Klima und vermehrte Übergriffe bereitet. Täglich werden in Deutschland 26 rassistische Straftaten registriert, wobei Antisemitismus häufig mit antimuslimischem Rassismus Hand in Hand geht. Während noch vor einiger Zeit die Sensibilität für Rassismus, Sexismus und Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in der Gesellschaft zu wachsen schien, sind die letzten Jahre von einem Rollback geprägt. Die Rede ist vom Wutbürger, mit dem man reden müsse. Talkshows problematisieren den Islam, sprechen pauschalisierend von gefährlichen arabischen Familienclans und behaupten, es herrsche eine Kultur der politischen Korrektheit. "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen", ist wieder en vogue - so wird rassistische Hetze als Meinungsfreiheit verkauft, umriß die Referentin in kurzen Worten die aktuelle Tendenz.

Sie ging dabei auch mit ihrer Partei ins Gericht, die insoweit versagt habe, als vor allem einige prominente GenossInnen nicht mit einer einheitlichen Stimme der Solidarität gesprochen hätten. Es sei Aufgabe der Linkspartei, dem rassistischen, sexistischen und autoritären Gesellschaftsmodell der Rechten einen offenen und solidarischen Entwurf entgegenzusetzen. Verständnis zu suggerieren sei da völlig fehl am Platz. Der innerparteiliche Streit habe unter den GenossInnen mit Migrationsgeschichte für große Enttäuschung und Wut gesorgt. Sie hatten das Gefühl, Teile der Partei nähmen sie als Problem wahr. Zu einer derartigen Situation dürfe es nie wieder kommen, auch deshalb sei im Sommer das Netzwerk Links*Kanax gegründet worden: Soziale Gerechtigkeit ist kein Kernthema, dem gegenüber andere Themen nachrangig wären. Es gibt kein klassisches weißes Arbeitermilieu, das angesprochen werden muß. Es gehört alles zusammen, bedingt sich gegenseitig und muß zusammen behandelt werden, unterstrich Eralp.

Die Zeit des Wohlfahrtsstaats ist vorbei, ohne Systemkonkurrenz ist der Kapitalismus brutaler geworden. Niedrige Löhne, illegalisierte Beschäftigung, zu hohe Mieten, Verdrängung und Armut sind Alltag für viele Menschen. Der Kapitalismus führt global zur Zerstörung der Umwelt und damit unserer Lebensgrundlagen. Der Krise stehen die sozialen Bewegungen wie Fridays for Future, Unteilbar oder We'll Come United gegenüber, Mietenbewegung und Enteignungskampagnen bieten weitere Anknüpfungspunkte. Veränderung wird nicht zuvörderst in den Parlamenten, sondern in der Gesellschaft erkämpft. Überall da, wo Widerstand ist oder sein sollte, muß Die Linke sein. In den Betrieben, Unis, Stadtteilen, Initiativen vor Ort müssen wir in die Konflikte gehen und sie mit radikalen Forderungen zuspitzen, so die Referentin.

MigrantInnen und People of Colour sind am stärksten von Armut, mangelnden Bildungschancen, Verdrängung und Wohnungsnot, selbst vom Klimawandel betroffen. In den Berliner migrantischen Bezirken Kreuzberg und Neukölln ist die Lärm- und Feinstaubbelastung am höchsten in der Stadt. All diese Themen müsse die Partei zusammenbringen, die Zusammenhänge von Kapitalismus, Rassismus und Klimawandel auf die Situation vor Ort herunterbrechen und hier eine gemeinsame Organisierung und Mobilisierung vorantreiben. Diese Themen müssen diskursiv und in der Praxis angegangen werden. Diskursiv könnte das beispielsweise durch Kampagnen geschehen, die sich mit den Arbeitsbedingungen der illegalisierten MigrantInnen in Pflege oder Gastronomie auseinandersetzen und sie sichtbar machen. Dabei geht es um das Bleiberecht und um ausbeuterische Arbeitsverhältnisse. Die Mieten- und die Pflegekampagne der Partei bieten dafür gute Anknüpfungspunkte. Als erfolgreiches Beispiel für eine gemeinsame Praxis sei die Kreuzberger Initiative Kotti & Co zu nennen, wo der Protest vorwiegend migrantischer MieterInnen gegen Mietsteigerungen gemeinsam mit linken AktivistInnen auf die Straße gebracht wurde. Beim Bürgerbegehren Schule in Not, in dem sich auch Neuköllner GenossInnen für die Rekommunalisierung von Schulreinigung einsetzen, geht es um die Verbesserung der Situation an den Schulen, aber auch um die prekären Arbeitsbedingungen der primär migrantischen Reinigungskräfte.

Die Linke sei gefordert, sich stärker in Bündnissen mit antirassistischen Gruppen zu engagieren. In Berlin und bundesweit gibt es zahlreiche solcher Gruppen, immer wieder gründen sich neue. Aber auch die seit langem bestehenden migrantischen Verbände gelte es aufzusuchen, doch als größte Herausforderung bleibe, bislang nicht aktive Menschen zu gewinnen und gemeinsam für ihre und unser aller Interessen zu mobilisieren. Elif Eralp nannte dafür eine Reihe von Voraussetzungen: In den Basisgruppen der Partei muß ein offenes Klima herrschen, in dem sich Interessierte mitzumachen trauen. Es müssen Sprachbarrieren abgebaut, neue Aktionsformate erdacht und erprobt werden. Bei der Bewegungslinken sollten viele Menschen mit Migrationsgeschichte und People of Colour dabei und mit ihren Debatten auf den Podien und in den Publikationen präsent sein. Eine Erneuerung der Partei schließe ein, die Erfahrungen migrantischer GenossInnen in den Blick zu nehmen und mehr migrantische Communitys für die Partei, aber vor allem für eine gesellschaftliche Veränderung nach links zu gewinnen.


Podium mit drei Personen - Foto: © 2019 by Schattenblick

Katharina Dahme, Elif Eralp und Sarah Nagel beim Einführungsvortrag
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Kurswechsel zur sozialistischen Mitgliederpartei

Sarah Nagel ist Bezirkssprecherin Neukölln und in Organizing-Projekten wie der Mietenbewegung aktiv. Wie sie hervorhob, will die Bewegungslinke aus ihrer Partei die aktive sozialistische Mitgliederpartei machen, die sie sein könnte. Wenngleich sie das an vielen Orten auch schon sei, gebe es andererseits auch Stellvertreterpolitik, vermachtete Strukturen und einen Fokus auf parlamentarische Arbeit, dem etwas entgegenzusetzen sei, weil er ein wachsendes Problem darstelle. Angesichts diverser Konflikte zwischen Partei und Fraktion oder mit Abgeordneten, die sich von der Basis entfernen, sei eine veränderte und vorgelebte Praxis erforderlich: Wir wollen aus Der Linken eine Partei machen, die auch vor Ort die Mächtigen herausfordert, Erfolge organisiert und Kräfteverhältnisse verändern kann, so Nagel. Die auftretenden Konflikte und Formen unattraktiver Parteiarbeit sind ihres Erachtens kein Zufall, sondern im repräsentativen System angelegt. Abgeordnete arbeiten häufig wie Ich-AGs. Die Linke sollte jedoch keine Partei wie alle anderen sein, die politische Macht im Parlament verorten und anstreben.

Aus Sicht der Bewegungslinken steht daher die Partei und nicht die Fraktion im Zentrum. Dabei werden die Vorteile einer Linken im Parlament nicht in Abrede gestellt, deren Abgeordnete entsprechende Positionen vertreten und Ressourcen bereitstellen. Aber die wesentlichen Entscheidungen müssen in der Partei getroffen werden, und es muß eine Anbindung der parlamentarischen Arbeit geben, die kein Selbstzweck sein darf: Es ist an der Zeit auszuloten, wie man linke Mandate noch stärker nutzen kann. Unsere Partner sind nicht die Abgeordneten anderer Parteien, sondern die BasisaktivistInnen aus verschiedenen Initiativen und Bewegungen, und so sollten auch die Prioritäten gesetzt werden, hob die Referentin hervor.

Das gilt auch für die Arbeit an der Basis, da sich dort natürlich gleichermaßen parlamentarische Sitzungsformen ausbreiten können. Demgegenüber sollen die innerparteiliche Demokratie gestärkt und für Menschen, die aus Bewegungen kommen, günstigere Möglichkeiten, sich einzubringen, geschaffen werden: Wir wollen MandatsträgerInnen darauf verpflichten, aus ihren Abgeordnetenbüros kleine soziale Zentren zu machen, die für Bewegungsaktive offen sind. Wir wollen regelmäßig Bewegungsratschläge durchführen, um denen eine Stimme zu verleihen, die sonst nicht gehört werden. Diese und weitere Vorschläge wollen wir mit euch diskutieren, schlug Sarah Nagel die Brücke zur anschließenden Arbeit in Kleingruppen und der Generaldebatte im Plenum.


Podium mit zwei Personen - Foto: © 2019 by Schattenblick

Sophie Dieckmann und Daniel Weidmann moderieren die Diskussion
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Generaldebatte formuliert Umbruch von unten

In der Generaldebatte, aus der an dieser Stelle einige prägnante Schlaglichter herausgegriffen werden, charakterisierte Thomas Goes das Parlament als Feindesland und Teil des Staates. Abgeordnete befänden sich strukturell in einer widersprüchlichen Lage, die ihr Problembewußtsein verändere. Die Debatte, wie sich gewählte Individuen verhalten müßten, greife daher für sich genommen zu kurz. Damit Abgeordnete nicht in der Luft hängen, sei insbesondere für Kommunalparlamente eine aktionsfähige Basis unabdinglich: Keine Fraktion ohne Aktion.

Thies Gleiss führte den Schwund der aktiven Mitgliederstrukturen vor Ort auf die Parlamentarisierung zurück: Wer zehn Jahre in einem Parlament sitzt, wird ein anderer Mensch, der sieht die Welt mit anderen Augen. Die Befristung auf eine Legislaturperiode, in Ausnahmefällen höchstens zwei, sei auf allen Ebenen notwendig. Zudem brauche man zuerst Mitglieder, bevor man an kommunalen Wahlen teilnehme, denn mit Wahlkämpfen eine linke Partei aufzubauen sei illusorisch. Auch sollte linke parlamentarische Arbeit eine sichtbare Alternative zum sonstigen Politikgeschäft darstellen. Sie sollte egalitär sein und Prinzipien verkörpern, für die man in allen Kämpfen eintritt. Statt der unsäglichen Konkurrenzkämpfe und sich auswachsenden Hierarchien brauche die Bewegungslinke in der Fraktion Leute auf Augenhöhe, die ihre Politik vertreten.

Zur Sprache kam auch, daß nach der Niederlage Corbyns alle an sein Projekt geknüpften Hoffnungen auf einen Schlag gestorben seien. Angesichts dieser Ausrichtung hätten sich kaum Bewegungen entwickelt, und wo sich linker Reformismus auf die Wahl einzelner Personen richte, habe er im Falle des Scheiterns einen toxischer Effekt. Eine zukunftsweisende Erzählung fördere hingegen die Selbstermächtigung von unten, weil sie nachhaltiger sei.

Janine Wissler erinnerte daran, daß man beim Thema Parlamentarismus über einen geringen Prozentsatz von MandatsträgerInnen diskutiere, darüber aber die anderen rund 62.000 Parteimitglieder nicht ausblenden dürfe. Die Grünen hatten zunächst eine Begrenzung von Mandaten und ein Rotationsprinzip, was sie aber nicht geschützt habe: Sie warfen zuerst die Inhalte über Bord und dann diese Prinzipien. Sie selbst sehe als größere Gefahr einen erschreckend niedrigen Aktivitätsgrad und viele brachliegende Kreisverbände. An einigen Stellen sei die Partei kampagnenfähig, doch diverse Kreisverbände hätten sich überhaupt nicht beteiligt. Fehle eine aktive Basis, wachse die Tendenz zur Stellvertreterpolitik, so daß man vielerorts vor einer großen Herausforderung stehe.

Die Problemlage an der Basis konkretisierte ein Beitrag aus NRW, wo viele kommunale MandatsträgerInnen von den 600 bis 1000 Euro im Monat leben, die sie dadurch verdienen. Sie klammern sich teilweise aus verständlichen Gründen an diese Posten, so daß kein Kreisverband einräumt, daß er womöglich zu schwach aufgestellt sei. Nach der letzten Kommunalwahl sei etwa ein Viertel der Fraktionen weggebrochen. Aus Brandenburg wurde berichtet, wie beschränkt die Situation auf kommunaler Ebene sei, wo MandatsträgerInnen oftmals kein eigenes Büro und keine MitarbeiterInnen hätten. Auch dauere die Einarbeitung häufig eine Legislatur, so daß eine Begrenzung problematisch wäre. Zudem fehle aufgrund der Altersstruktur in vielen Verbänden der Nachwuchs, weshalb die Nachfolge schwierig sei.

Eine Selbstverpflichtung der Abgeordneten wurde begrüßt, doch sollte sie konkret definiert, in die Landesverbände getragen und vor allem in der Ausführung überprüft werden, was bislang kaum der Fall sei. Hier sei die Basis gefordert zu klären, ob KandidatInnen in der Bewegung verankert, wie sichtbar Frauen und wie viele Menschen mit Rassismuserfahrung in den Listen sind. Geäußert wurde der Wunsch, genauer auszuformulieren, wie sich Abgeordnete gegenüber Bewegungen verhalten sollten. Aus Sicht einer Bremer Gewerkschaftinitiative werde die dortige Linksfraktion als Lobbyanspruch im Parlament oder als Solionkel bei Demos wahrgenommen, während strategische Debatten mit linken Gewerkschaftern Mangelware blieben. Selbstverpflichtung, so ein anderer Diskussionsbeitrag, sollte jedoch nicht mit erhobenem Zeigefinger gepredigt, sondern als positiver Kodex vorgelebt werden, um Lust darauf zu machen, etwas zu verändern.

Thematisiert wurde auch die angemahnte Umverteilung von Ressourcen, wobei Gelder in den Ostverbänden oftmals in alten Netzwerken versickerten. Wer entscheidet über die Verwendung der Ressourcen und wer überprüft deren Verbleib? Auch dürften die Abgeordneten nicht nur vom Antragsverwalter zum Ressourcenverwalter werden, da ihr politischer Auftrag nicht zuletzt einschließe, Ideen in die Bewegungen zu tragen. Diskutiert wurde zudem ein kollektives Mandat, so daß wesentliche Entscheidungen nicht von den Abgeordneten allein entschieden, sondern gemeinsam mit der Basis und unter Einbezug von Initiativen beraten werden. Angeregt wurde eine Quotierung des Vorstands, der nicht nur aus Abgeordneten und deren MitarbeiterInnen und anderen Hauptamtlichen bestehen sollte.

Ein Beitrag aus Neukölln thematisierte institutionellen Rassismus in der Partei. Diese werde vor Wahlen als divers und vielfältig präsentiert, wofür migrantische KandidatInnen ihr Gesicht hinhielten. Doch auf der Liste tauche dann allenfalls ein Name mit Migrationshintergrund auf: Wir nutzen diese Menschen, um WählerInnen zu gewinnen, lassen aber die Vielfalt in unseren Reihen und Parlamenten nicht zu. Im Wahlprogramm blieben die MigrantInnen ein Nischenprodukt, weil es heißt, damit können wir nicht alle erreichen. Die Forderungen der von rechtem Terror in Neukölln Betroffenen werden nicht aufgegriffen, weil der Koalitionspartner SPD den Innenausschuß hat und das nicht will: Wir müssen konsequent sein, unsere Werte hier auf diesem Kongreß definieren und versuchen, sie in der Partei durchzusetzen!

Da Einigkeit darüber herrschte, daß eine wünschenswerte und erfolgreiche Arbeit im Parlament einer aktiven Parteibasis bedarf, die in sozialen Bewegungen verankert ist, bezogen sich verschiedene Beiträge auf die Schaffung und Stärkung dieser Grundlage. Trage man die bei der Gründungsversammlung formulierten Vorschläge und Forderungen in die Partei, sei Gegenwind zu erwarten. Ein Umdenken könne nur von unten herbeigeführt werden, und so müsse der Aufbau in den Ortsgruppen beginnen. Neue Mitglieder bekomme man jedoch nicht über Informationsveranstaltungen alten Stils, weshalb bereits praktizierte Formen des Organizing zu berücksichtigen seien. Der Aufbau einer selbstbewußten Basis in den Kreisverbänden sei teilweise ein jahrelanger Kampf, der einen niedrigschwelligen Einstieg erfordere. Dann könnten Themenabende, die Planung von Aktionen und Treffen mit AktivistInnen folgen, so daß Schritt für Schritt das Selbstverständnis der Bewegungslinken an der Basis erkämpft werde.

Die mageren Jahre kaum in Erscheinung tretender sozialer Bewegungen haben all jene Akteure in der Linkspartei in Mitleidenschaft gezogen, die eine tiefgreifende Veränderung der herrschenden Verhältnisse stets von unten her dachten und anstrebten. Seit gut einem Jahr treibt die Bewegungsdynamik auf der Straße die Partei unverhofft vor sich her, die in ihrer Mehrheit jedoch weit davon entfernt ist, sich tatsächlich mit den Bewegungen zu verbünden, was die Bereitschaft zu einer nicht nur erfrischenden, sondern teils auch schmerzhaften Kurskorrektur voraussetzen würde. Die Bewegungslinke hat sich auf ihre Fahne geschrieben, diesen Prozeß anzustoßen, vorzuleben und durchzukämpfen.

(Weitere Berichte und Interviews zur Gründungsversammlung folgen)


Portal mit Überdachung vor Gebäude - Foto: © 2019 by Schattenblick

Gründungsversammlung im Gebäude Franz-Mehring-Platz 1
Foto: © 2019 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] Vishwas Satgar: Showdown des fossilen Kapitalismus. Aus dem Englischen von Jan-Peter Herrmann. LuXemburg. Gesellschaftsanalyse und linke Praxis 3/2019, S. 26

[2] www.bewegungslinke.org/die-bewegungslinke-hat-sich-gegruendet/


Berichte und Interviews zur Gründungsversammlung der Bewegungslinken im Schattenblick unter:
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BERICHT/354: Die Linke - beteiligt, bewegt und präsent ... (SB)


30. Dezember 2019


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