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INTERVIEW/048: Energiekonferenz - Joachim Bischoff, Ökonom, Bürgerschaftsabgeordneter Die Linke (SB)


Interview zur Energiekonferenz der Partei Die Linke am 3./4. September 2010 in der Hamburger Fabrik


Joachim Bischoff ist für die Partei Die Linke Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft und fungiert als Fachsprecher für Haushalt/Finanzen, Stadtentwicklung und Sport seiner Fraktion. Der Wissenschaftler hat zahlreiche Werke zur Politischen Ökonomie des Kapitalismus veröffentlicht und ist Mitherausgeber der Zeitschrift Sozialismus. Am Rande der Energiekonferenz in Hamburg-Altona beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen.



Joachim Bischoff
© 2010 by Schattenblick


Schattenblick: Die Wachstumsorientierung der herrschenden Wirtschaftsdoktrin steht zur Möglichkeit einer umweltschonenden Produktionsweise im Widerspruch. Ein Modell, diesen zu lösen, ist der sogenannte Green New Deal, der am Zwang zur Kapitalakkumulation jedoch nichts ändert. Denkt man bei der Die Linken über einen Gegenentwurf nach?

Joachim Bischoff: Zuersteinmal ist die Ökonomie in den letzten Jahren gar nicht so sehr über eine normale Profitorientierung und über ein realwirtschaftliches Wachstum nach vorne getrieben worden. Ein größerer Teil der Ökonomen, zu denen auch ich gehöre, spricht von finanzgetriebener Kapitalakkumulation. Wir haben eigentlich eine Dynamik, die gar nicht vom realwirtschaftlichen Bereich, sondern vom Finanzbereich betrieben wird. Insgesamt ist es zumindest in den letzten zwei Jahrzehnten zu einer Herrschaft der Finanzmarktakteure gekommen. Diese Finanzmarktakteure agieren, wie man vielleicht sagen kann, auch ein bißchen parasitär, d.h. unter diesen Bedingungen findet ein realökonomisches Wachstum eigentlich gar nicht mehr in dem Sinne statt. Wenn man genauer hinschaut, erkennt man, daß wir irrsinnige Überkapazitäten im realwirtschaftlichen Bereich haben, die zum Teil von den Produktionsanlagen herrühren, aber zum Teil auch von den Verschiebungen der Verteilungsverhältnisse auf der Kaufkraftseite.

SB: Bedeutet Überkapazitäten, daß es nicht genügend Nachfrage oder nicht genügend realen Bedarf gibt?

JB: Zum Beispiel Herr Marchionne von Fiat, der mit einer Reorganisation eines Großteils der italienischen Automobilindustrie im Verbund mit den USA beschäftigt ist, spricht davon, daß wir im Grunde genommen ein Drittel Überkapazität in der Automobilproduktion haben. Ich möchte darauf hinaus, daß der Aspekt der chronischen allgemeinen Überakkumulation im realwirtschaftlichen Bereich in der wachstumskritischen Diskussion in der Regel nicht beleuchtet wird. Man könnte das anders, mit geringerem Ressourcenverbrauch und mit geringeren Investitionen, organisieren. Das kommt jedoch aufgrund der Dominanz der Finanzökonomie schon aus kapitalimmanenten Gründen nicht zum Tragen.

SB: Kommt es nicht zu einer Verlagerung der Güterproduktion und der materiellen Wertschöpfung z.B in Länder wie China oder Schwellenländer, die eine sehr hohe Wachstumsrate haben und von deren Produktivität ein großer Teil des hiesigen Warenkonsums bestritten wird?

JB: Richtig. Das eine ist die Ende 2006 ausgebrochene Immobilien- und Hypothekenkrise, die bis heute anhält und die Welt mehrfach dicht an den Systemcrash herangebracht hat, so daß die ganze Finanzwirtschaft in der Substanz angegriffen ist. Diese riesige Vermögens- und Kreditblase ist, wenn man einen kritischen Blick darauf wirft, immer noch nicht bewältigt. Wenn man fragt, was das für die künftige Redimensionierung heißt, dann ist der Blick für Reformpolitik einerseits immer darauf gerichtet, wie die Vorherrschaft der Finanzmarktakteure gebrochen werden kann. Das ist die Voraussetzung dafür, um mit der chronischen Überakkumulation oder Überproduktion im realökonomischen Bereich überhaupt umgehen zu können. Wir diskutieren zum Beispiel hier gerade an der Frage der Stadtwerke eine kleine Stellschraube.

Andererseits zeichnet sich seit langem - und durch die jüngste große Krise verstärkt - die Schwerpunktverlagerung der Kapitalakkumulation in den Bereich Chinas oder Indiens oder Brasiliens, also in die sogenannten BRIC-Staaten, ab. Schon seit geraumer Zeit findet in kapitalkritischen Kreisen eine Diskussion darüber statt, daß das US-amerikanische Zeitalter des Kapitalismus, das von den 30er Jahren bis Ende des 20. Jahrhunderts herrschte, wahrscheinlich unwiderruflich erledigt ist und es zu einer Schwerpunktverlagerung kommt. Natürlich muß man im Blick haben, daß die Probleme in China oder Indien oder auch Brasilien anderer und komplizierterer Natur sind als bei uns. Wir müssen ersteinmal mit der sogenannten öffentlichen Schulden- und Kreditökonomie klarkommen, das ist die Grundvoraussetzung, um überhaupt eine sinnvolle Reorganisation des realwirtschaftlichen Bereiches in Gang zu bekommen.

SB: Im Ruhrgebiet etwa hat ein erheblicher Strukturwandel weg von der Kohle- und der Schwerindustrie mit einer positiven Umweltbilanz stattgefunden. Um noch einmal auf China zurückzukommen - ist es vor dem Hintergrund der globalen Klimabilanz nicht ein Grundproblem, daß die Stahlwerke teilweise nach China exportiert wurden, so daß der Klimawandel und die Umweltproblematik im Endeffekt mit einer auf Wachstumsorientierung ausgerichteten Produktionsweise überhaupt nicht zu bewältigen ist?

JB: Die Bedenken kann ich nachvollziehen, deswegen bin ich der Ansicht, daß man sich genau anschauen muß, was eigentlich das Problem ist. Es besteht darin, daß wir es mit einer finanzgetriebenen und nicht realwirtschaftlich getriebenen Kapitalakkumulation zu tun haben. Die kennen wir aus den 60er, 70er Jahren, jetzt jedoch ist die Finanzökonomie die eigentliche Triebkraft. Sie hat das klassische Zentrum der Globalökonomie Nordamerika, Japan und Europa in eine tiefe Krise geführt. Es ist zwar immer noch umstritten, aber diese Krise, die sich mit der großen Krise im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts vergleichen läßt, ist meiner Ansicht nach nicht bewältigt! Solange die Vorherrschaft der Finanzakteure nicht gebrochen ist, werden wir auch keine Reform der realökonomischen Entwicklung zustande bekommen. Das ist die eine Seite.

Auf der anderen Seite haben sich die sogenannten großen Schwellenländer, China, Indien, Brasilien im Rahmen dieser Entwicklung enorm freigeschwommen und vollziehen jetzt eine nachholende kapitalistische Entwicklung. Die Bundesrepublik Deutschland ist mit 5 Prozent geschrumpft und hat diesen Schrumpfungsprozeß zu 60, 70 Prozent wieder wettgemacht. Dies beruht vor allem darauf, daß wir ein herausragender Referenzpunkt für die Exportsituation dieser Länder sind. Ob das dauerhaft ist, bezweifle nicht nur ich.



Joachim Bischoff
© 2010 by Schattenblick


Aber natürlich ist diese Situation, wenn ich mir dieses Widerspruchsgebilde anschaue, in doppelter Weise für die Klimaentwicklung fatal und gefährlich. Einerseits können wir die Reformprozesse, um die es faktisch geht, hier gar nicht einleiten. Wir können in Europa, aber auch in den Vereinigten Staaten eine Ökonomie realisieren, die eben nicht mehr auf realökonomischen Wachstumsdynamiken basiert, das ist jedenfalls meine feste Überzeugung. Das ist das eine Problemfeld. Das andere ist, daß bei allem zugestandenen Problembewußtsein, das in China vorhanden ist, in Brasilien und Indien vielleicht weniger, dort eine nachholende kapitalistische Entwicklung losgetreten wurde, die mit Blick auf Klimawandel fatal ist. Unter der Voraussetzung, daß wir bei uns grundlegende Veränderungen in Gang bringen können, könnte man sich die Entwicklung in den Ländern der Peripherie des Weltsystems auch anders vorstellen.

SB: Sehen Sie keine grundsätzlichen Wachstumsgrenzen des Kapitalismus, wie sie traditionell mit dem tendenziellen Fall der Profitrate beschrieben werden? Würden Sie sagen, daß sich diese grundsätzliche Krisenneigung praktisch in diesem Rahmen stabilisieren läßt?

JB: Nein, gerade im Gegenteil. Ich glaube, daß der Ausgleichsprozeß zur Durchschnittsprofitrate massiv gestört ist, weil die größeren Finanzinstitute und Vermögensverwaltungen der Ökonomie eine bestimmte Finanzialisierung aufgezwungen haben und sie sich, wenn man so will, eine relativ große Beute vom gesamtgesellschaftlichen Surplus aneignen. Diese Situation wirft natürlich eine ganze Reihe von theoretischen und auch strategischen Fragen auf, das würde ich gar nicht bestreiten, aber wir sollten nicht, das ist jedenfalls meine Herangehensweise, so tun, als ob wir es noch mit einer kapitalistischen Ökonomie zu tun hätten, wie wir sie beispielsweise aus dem Fordismus kennen. Ich sage dann immer, daß wir eigentlich eine Doppelkrise haben, weil wir in einer ungeheuren Breite chronische Überkapazitäten oder eine Überakkumulation ausgebildet haben.

Das ist überhaupt der Nährboden dafür, daß sich die Herrschaft der Finanzmarktakteure durchsetzen kann, und diese ist im Grunde an die Schranken geraten und wird jetzt durch eine kaum mehr gebremste öffentliche Schuldenpolitik stabilisiert. Insofern ist das ein total fragiles System, und dazu kommt dann noch diese eigentümliche Entwicklung in den sogenannten Schwellenländern. Das wird sich nicht absehbar wie ein Spuk auflösen und in ein Fahrwasser zurückkehren, wie wir es aus den 70er Jahren kennen, das kann ich mir wirklich nicht vorstellen. Insofern besteht die grundsätzliche Herausforderung darin, eine regulierte, geplante, gesteuerte Ökonomie zu verwirklichen. Eine solche Ökonomie würde überhaupt nicht mit dieser Wachstumsdynamik strukturiert sein, wie wir sie aus früheren Zeiten kennen.

SB: Heute treten einige Ökonomen, die früher Protagonisten neoliberaler Wirtschaftsweise waren, wachstumskritisch auf. Da stellt sich die Frage, was am Ende, wenn das Wachstum reduziert oder vielleicht sogar negativ wird, mit den Menschen geschieht, wenn die soziale Frage nicht an erste Stelle gestellt wird. Könnte die Gefahr bestehen, daß es im Rahmen dieser neuen Wachstumskritik zu einer noch stärkeren Ausgrenzung sozial schwacher Menschen kommt?

JB: Diese Kehrseite der großen Widersprüche der finanzgetriebenen Kapitalakkumulation oder der Herrschaft des Finanzkapitals in den klassischen Zentren, die ich mit groben Strichen zu umreißen versuche, hat, wenn man so will, einen bestimmten Unterbau in den Verteilungsverhältnissen. Das Finanzkapital kann sich, hart gesagt, einen solchen Anteil vom gesellschaftlichen Surplus nur aneignen, wenn es an anderer Stelle weggenommen wird. Weggenommen wird es einerseits darüber, daß wir seit geraumer Zeit nicht mehr den Wert der Arbeitskraft bezahlen. Das ist in unserem Land besonders drastisch. Wir haben 25 bis 30 Prozent prekarisierte Arbeitsverhältnisse. Für die politische Ökonomie ist wichtig, daß der Wert der Arbeitskraft bezahlt wird, der zur Reproduktion mit sozialkulturellen Dimensionen also nicht nur einer Person, sondern auch ihrer Lebensweise, notwendig ist. All das kann ja für einen großen Teil der Bürger gar nicht mehr realisiert werden.

Zudem haben wir auch keine normale industrielle Reservearmee mehr, die man zeitweilig braucht und dann sozusagen wieder in ihre Quartiere verweist. Dieses Pulsieren findet gar nicht mehr statt, sondern wir haben in den Zentren der Bundesrepublik heute einen Prozentsatz von rund 8 bis 10 Millionen Bürgerinnen und Bürger, die dauerhaft ausgegrenzt und damit auch der beständigen Bedrohung eines zweitrangigen Bürgerstatus ausgesetzt sind. Diese Verhältnisse schreien nach Veränderung, deswegen empfinden manche Leute in der wirtschaftlichen und politischen Elite Unbehagen an dieser Entwicklung. Aber ich sehe nicht, daß da irgendwo ein sinnvoller Lösungsvorschlag dahinterstände.

SB: Die Frage lief auch eher darauf hinaus, ob sich herrschende Paradigmen nicht in Anbetracht der krisenhaften Entwicklung sozusagen an die Spitze der Kritik setzen, um die Sache in ihrem sozialfeindlichen Sinne zu ordnen. Die Alternative bestände ja in der stärkeren Sozialisierung aller erforderlichen Güter?

JB: Die Bundesrepublik Deutschland ist eines der Länder, die keinen Mindestlohn haben. Selbst wenn wir einen Mindestlohn hätten, für den auch ich massiv kämpfe, würden wir diese Tendenz der Aushebelung des Werts der Ware Arbeitskraft nur in ganz begrenztem Umfange aufheben. Der Fall der Lohnquote, den ich genauso für Japan und für Nordamerika belegen kann, führt zu einer Schere in den Verteilungsverhältnissen zwischen den höheren Einkommen und den unteren Einkommen. Was an finanziellem Surplus sozusagen transferiert wird, eignen sich in der letzten Konsequenz nocheinmal die Leute an, die ihr Vermögen oder ihr Geld arbeiten lassen können. Damit befinden wir uns in einer extrem zugespitzten Asymmetrie, und das Problem für die normale kapitalistische wirtschaftliche Elite und politische Logik besteht darin, daß sie nicht weiß, wie sie da normale Verhältnisse etablieren soll. Gerade jetzt wurde die Notenbankpolitik bis zum Jahr 2011 wieder einmal verlängert, d.h. die Finanzinstitute kriegen alles, was sie von den Notenbanken haben wollen. Das bedeutet, daß ein bestimmtes Steuerungszentrum der kapitalistischen Ökonomie in dem Sinne gar nicht mehr existiert.



Joachim Bischoff
© 2010 by Schattenblick


Zur Frage, wie die wirtschaftliche Elite damit umgeht, kann ich nur sagen, daß es einerseits positiv ist, daß sie soviel öffentliche Kredite mobilisiert hat, weil wir ansonsten in der Tat eine Wiederholung des Absturzes erlebt hätten, wie wir ihn aus der großen Wirtschaftskrise des 20. Jahrhunderts kennen. Andererseits wissen sie, daß sie so nicht weitermachen können, sie wissen aber noch nicht, wie sie aus der ganzen Sache herauskommen. An diesem Widerspruch, so glaube ich, wird sich vorerst nichts ändern.

SB: Das wäre wohl ein Grund, warum die angekündigten
Regulationen des Finanzmarktes nicht stattfinden?

JB: Da gibt es ein paar Ansätze, aber das ändert an dieser Herrschaftsstruktur nichts. Die Kehrseite der Herrschaft des Finanzkapitals ist die Aushebelung des Werts der Arbeitskraft und die dauerhafte Ausgrenzung von größeren Massen von Bürgerinnen und Bürgern aus dem gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß. Das muß sich so oder so naturwüchsig in der Krise Bahn brechen, oder es kann politisch aufgelöst werden. Wenn wir das sinnvollerweise tun, bedeutet das nicht zwangsläufig mehr Wachstum in dem Sinne, wie es die Eingangsfrage nahelegt. Wir befinden uns - das mag sich vielleicht komisch anhören, aber Keynes hat das schon immer so gesehen - in einer Situation, in der die politische Ökonomie nicht mehr auf die Beseitigung des Mangels ausgerichtet ist. Unser Problem besteht darin, daß wir Surplus ohne Ende haben und nicht in der Lage sind, mit dem Surplus vernünftig umzugehen. Deswegen ist diese Ökonomie jetzt mit einer ungeheuren Ressourcenvergeudung belastet. Entscheidend ist, daß man diese Ökonomie schrittweise, aber zügig in eine Richtung bauen kann, in der wir generell mit weniger Rohstoffen, aber auch energetisch mit geringerem Ressourcenverbrauch klar kämen.

SB: Bliebe die Beseitigung des Mangels nicht immer noch ein Verteilungsproblem, wenn man an die eine Milliarde hungernde Menschen denkt, die ja nicht als Nachfrage in Erscheinung treten, weil sie gar nicht über das Geld verfügen, Nachfrage darzustellen?

JB: Natürlich ist das immer ein wenig, Entschuldigung, wenn ich das sage, die Horrorvision, wenn ich alle Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik Deutschland oder in Frankreich, die von Sozialtransfers abhängig sind, mit höheren Transfers ausstatte, weil das aus meiner Sicht nicht mehr das Existenzminimum ist, daß dann einfach nur ein Konsumimpuls ausgelöst wird. So einfach geht das Ganze nicht. Wir fordern ja nicht, die Transferempfänger einfach mit höheren Regelsätzen auszustatten, sondern es geht darum, wie diese dauerhafte Ausgrenzung von 8 bis 10 Millionen Bürgerinnen und Bürger aufgehoben werden kann. Dies geht ganz hart gesprochen nur, indem eine Verkürzung des Arbeitstags implementiert wird, wenn man also ganz andere Dimensionen des öffentlichen Konsums entwickelt, als wir sie etwa bei Bildung und Gesundheit, bei öffentlichem Nahverkehr oder Wohnen haben. Das wird gegenüber dem, was noch über die private Haushaltsökonomie gesteuert wird und von da aus auf den gesamtwirtschaftlichen Reproduktionsprozeß ausstrahlt, in der Regel völlig verkehrt eingeschätzt.

Die Situation, die wir in der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich oder in den USA mit einer Arbeitslosenquote von offiziell knapp unter 10 Prozent und inoffiziell von 16 Prozent haben, ist eigentlich eine ungeheure Ressourcenverschwendung. Zu den unterentwickelt gehaltenen Länder würde ich immer optimistisch sagen, daß das in der Situation handhabbar ist, ohne daß wir global nachholenden Ressourcenverbrauch und -vergeudung wiedererleben müssen, wie wir es in den kapitalistischen Hauptländern erlebt haben. Aber das ist zugestandenerweise momentan unvorstellbar, weil wir ja noch nicht einmal unsere eigenen Probleme lösen.

SB: Was halten Sie als Ökonom davon, beim Emissionshandel an den Börsen Verbrauchskapazitäten, also im Grunde genommen Unwerte, handelbar zu machen?

JB: In der letzten Phase der finanzgetriebenen Ökonomie konnte man ja aus strukturierten Papieren und Börsen den größten Unfug zusammenkonstruieren. Insofern bin ich ganz geduldig und kann mir sagen okay, wahrscheinlich werden sie auch einen Weg finden, über diese Form des Handels von Schadstoffemissionen noch eine neue Verteilungskomponente aufzumachen. Das ist aber uninteressant. In meinen Augen wurde heute hier, ich hoffe doch zumindest in Ansätzen, gut dargestellt, daß wir eine solch extreme Monopolsituation bei den Trägern und Vermarktern fossiler Energie haben, daß diese mit allem, was sie haben, versuchen werden, ihre Marktposition zu behaupten, auch wenn die fossilen Grundstoffe schon schrumpfen. Aber es gibt eben auch eine Möglichkeit in der Breite, und die ist nicht mit Emissionshandel oder so etwas zu unterbinden, regenerative, dezentrale, flächendeckende Strukturen zu implementieren, wenn die Leute sich das trauen. Ich bin sehr skeptisch, ob das, was sich jetzt an Energieszenarien aufbaut wie die Verlängerung der Laufzeiten um 10 bis 15 Jahre, wirklich Bestand hat.

SB: Handelt es sich beim Umgang der Partei Die Linke mit diesem Thema eher um einen strategischen Entwurf, oder ist er mehr aus der Entwicklung ihrer Programmatik entstanden?

JB: Die Partei war in der Tat in den letzten Jahren immer damit beschäftigt, daß wir mit diesen gesellschaftlichen Widersprüchen nur fertig werden können, wenn wir begreifen, daß wir es hier mit der Herrschaft des Finanzkapitals oder einem Finanzmarktkapitalismus zu tun haben, bei dem es sich um einen anderen Kapitalismus als den Industriekapitalismus fordistischer Prägung, den wir noch aus den 70er oder 80er Jahren kennen, handelt. Deswegen gibt es unter einer ganzen Reihe der Mitglieder auch die Einschätzung, daß das systemimmanent kaum gelöst werden kann, sondern diesem System im Grunde genommen wirklich abgerungen werden muß. Sonst wird es bei Strafe des Untergangs immer wieder dazu kommen, daß flächendeckend Banken pleite gehen und plötzlich alles die Luft anhält oder ganze Länder, so wie jetzt Griechenland, abstürzen. Das ist die eine Voraussetzung.

Das andere geht schon darum, auch in der konkreten Perspektive bei den Alternativen - wir kommen ja gerade aus dem Workshop über Stadtwerke - deutlich zu machen, daß das für den regionalen Bereich eine wirksame Alternative ist, die man schrittweise entwickeln kann, um die Lebensverhältnisse in so einer Metropolenregion dauerhaft zu verbessern. Insofern war das immer in der strategischen Option, einerseits Banken, Finanzinstitute, Vermögensverwaltungen, Ratingagenturen einzuhegen und andererseits, auch wenn uns das lange unterstellt wurde, nicht zum normalen Industriekapitalismus zurückzukehren.

SB: Herr Bischoff, vielen Dank für dieses lange Gespräch.



Forum "Stadtwerke der Zukunft: sozial, ökologisch, demokratisch" im monsun-Theater © 2010 by Schattenblick


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BERICHT/034: Energiekonferenz - Podiumsdiskussion zu Alternativen der Atomwirtschaft (SB)
BERICHT/035: Energiekonferenz - Fachvorträge mit Biß gegen Profitstreben und Kontrollzuwachs (SB)
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INTERVIEW/044: Energiekonferenz - Alexis Passadakis von Attac (SB)
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INTERVIEW/046: Energiekonferenz - Gerhard Harder, Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg (SB)
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14. September 2010