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INTERVIEW/212: Karawane der Richtigstellung - Enttäuscht, vertrieben und verfolgt, Gespräch mit Dila Eroglu-Sahin (SB)


Solidarität mit politischen Gefangenen praktisch gemacht

Interview am 21. März 2014 in Hamburg-Altona



Dila Eroglu-Sahin war an der Karawane "Freiheit für alle politischen Gefangenen"[1] beteiligt, mit der die migrantische Organisation Anatolische Föderation auf das Schicksal politischer Gefangener aus ihren Reihen aufmerksam machen wollte. Am Rande einer Kundgebung auf dem Bahnhofsvorplatz in Hamburg-Altona beantwortete die Aktivistin aus Köln dem Schattenblick einige Fragen zu den Gründen und Zielen der Karawane.

Im Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Dila Eroglu-Sahin
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Dila, könntest du bitte einmal erklären, welche Ziele ihr mit der Karawane verfolgt?

Dila Eroglu-Sahin: Die Anatolische Föderation ist ein Zusammenschluß zahlreicher Vereine mit dem Ziel, sich für die Rechte der Migranten hier in Deutschland und Europa einzusetzen. Einige unserer Mitglieder sitzen als politische Gefangene in Haft. Wir sind daher auf dem Marsch durch Deutschland, um Öffentlichkeit zu mobilisieren und den Leute zu erklären, daß es in Deutschland politische Gefangene gibt. Die meisten Leute wissen das nicht und reagieren ganz verwundert: Hier in Deutschland? In einer Demokratie? Unmöglich! Daß Menschen wegen ihrer politischen Meinung hier in Haft gehalten werden, scheint für sie etwas Unvorstellbares zu sein. Mit unseren Kundgebungen wollen wir darüber aufklären, daß Deutschland nicht wirklich die Demokratie ist, die sich die meisten Leute vorstellen.

Unsere Genossen sind inhaftiert aufgrund von Konzerten gegen Rassismus, Demonstrationen, Pressearbeit und Konferenzen. All diese Veranstaltungen waren angemeldet und genehmigt, und doch wird behauptet, daß sie illegal waren. Wir haben in den letzten Jahren zwei große Konzerte unter dem Titel "Stimme gegen Rassismus" organisiert. Das erste fand in Düsseldorf, das zweite in Oberhausen statt. 14.500 Besucher waren jeweils zu den Konzerten gekommen.

SB: Wie verhält sich die kurdische Linke in der Bundesrepublik zu den Gefangenen der Anatolischen Föderation?

DES: Zwar werden auch die hier in Deutschland organisierten Kurden unter dem Paragraphen 129b angeklagt, aber dennoch gibt es im Augenblick noch keine gemeinsame Linie. Wir legen sehr hohen Wert darauf, unsere politischen Gefangenen zu unterstützen und mit ihnen in Verbindung zu bleiben, damit sie wissen, daß sie nicht alleine sind.

SB: Der von den deutschen Sicherheitsbehörden erhobene Vorwurf lautet, daß die Anatolische Föderation Verbindungen zur DHKP-C unterhält. Wie steht ihr dazu?

DES: Das ist nicht korrekt, denn die Anatolische Föderation ist eine Organisation, die sich nur in Deutschland und Europa für die Rechte der Migranten einsetzt. Zur DHKP-C gibt es von unserer Seite keine Verbindung. Dennoch stehen die Mitglieder der Anatolischen Föderation unter dem Verdacht, mit einer verbotenen Organisation zusammenzuarbeiten, was aber nicht stimmt.

SB: In Deutschland wurden in verschiedenen Verfahren gegen politisch aktive migrantische Organisationen, die teilweise aus dem islamistischen Spektrum stammen, bereits Vereinsverbote verhängt. Hat das Bundesinnenministerium den Versuch unternommen, auch die Anatolische Föderation als Verein zu verbieten?

DES: Überall, wo die Anatolische Föderation arbeitet, gibt es auch Vereine von uns. Dennoch wird uns immer wieder vorgeworfen, etwas mit der DHKP-C zu tun zu haben, aber die deutschen Behörden können uns nicht verbieten. Es ist ein Widerspruch in den Gesetzen selbst. Einerseits werden unsere Aktivitäten kriminalisiert und unsere Genossen inhaftiert, aber auf der anderen Seite können sie unseren Verein nicht schließen, weil sie nichts gegen uns in der Hand haben.

SB: Ihr steht politisch links und begreift euch als Antiimperialisten. Habt ihr den Eindruck, daß die Verhaftungen vor allem dazu dienen, um euch politisch mundtot zu machen?

DES: Ja, man versucht, uns den Mund zu verbieten. Dem deutschen Staat paßt es nicht, daß wir links sind. Im Zusammenhang mit der NSU-Mordserie hat der Verfassungsschutz selbst eingeräumt, daß es in Deutschland ungefähr 10.000 gewaltbereite Nazis gibt. Wir von der Anatolischen Föderation fragen uns, warum die deutschen Sicherheitsbehörden nichts dagegen tun. Das ist doch ein Widerspruch. Wenn wir unsere demokratischen Rechte nicht ausleben können, wo ist dann die Demokratie in Deutschland? In dieser Frage wird gern der Vergleich mit anderen Ländern herangezogen. Dann heißt es, Deutschland ist gegenüber der Türkei ein demokratisches Staatswesen. Während der Gezi-Proteste wurde Erdogan von Kanzlerin Merkel aufgefordert, die Polizeigewalt gegen die Demonstranten zu drosseln, aber im Endeffekt macht es die deutsche Regierung genauso, nur nicht öffentlich, sondern unterm Tisch.

SB: Vermutet ihr, daß deutsche Behörden mit türkischen Geheimdiensten zusammenarbeiten und daß Aussagen vor deutschen Gerichten verwertet werden, die möglicherweise unter Folter zustandegekommen sind?

DES: Auf jeden Fall. Wir vermuten es nicht nur, wir wissen, daß deutsche Behörden mit dem türkischen Regime zusammenarbeiten. Beide Seiten führen seit ungefähr zehn Jahren Verhandlungen über hier in Deutschland lebende türkische Revolutionäre. Der türkische Staat fordert, daß sie hier in Haft genommen und in die Türkei abgeschoben werden. Dort wird nicht psychische, sondern physische Folter angewandt. Hier in Deutschland gibt es die Isolationshaft, die auch eine Form der Folter darstellt. So wurde die politische Gefangene Nurhan Erdem, die ebenfalls ein Mitglied der Anatolischen Föderation ist, fast vier Jahre in Isolationshaft gehalten. Ihr wurde jeglicher menschlicher Kontakt verwehrt. Das NSU-Mitglied Beate Zschäpe durfte dagegen ihre Großmutter besuchen, weil diese zu alt war für eine Reise ins Gefängnis.

SB: Die Gefangenen, um deren Freilassung ihr kämpft, sitzen seit neun Monaten in Untersuchungshaft, ohne daß ein Termin für den Prozeßbeginn anberaumt wurde. Nach welchen Rechtsgrundlagen ist es möglich, Menschen ohne eine Anklageerhebung so lange in Haft zu lassen?

DES: Darüber habe ich keine konkreten Informationen. Bei unseren inhaftierten politischen Gefangenen wird der Prozeßbeginn meistens bis zu einem Jahr hinauszögert. Als sie inhaftiert wurden, hatten die Behörden keine Beweise in der Hand. Normalerweise wird ein Mensch erst dann verhaftet, wenn es gesicherte Beweise für eine Straftat gibt. Aber im Fall unserer Genossen liegen keine konkreten Beweise vor. Deswegen sperrt man sie erst einmal ein und sucht während der langen Untersuchungshaft nach Beweisen.

SB: Die Gefangenen der Anatolischen Föderation sitzen in verschiedenen Gefängnissen. Gibt es von ihrer Seite die Forderung nach Zusammenlegung?

DES: Nicht, daß ich wüßte.

SB: Wird gegen sie vor Gericht gemeinsam verhandelt werden?

DES: Den beiden, die in Stuttgart-Stammheim sitzen, wird der Prozeß dort gemacht, den anderen in Düsseldorf.

SB: Steht ihr mit den Gefangenen in Kontakt, dürft ihr sie besuchen?

DES: Ich habe einen Besuchsantrag gestellt, aber noch keine Antwort erhalten, aber Briefkontakt ist auf jeden Fall möglich. Wir haben vor dem Gefängnis, in dem Sadi Özpolat festgehalten wird, eine Demonstration abgehalten. Er stand am Fenster und hat uns zugewunken. Das ist natürlich ein schönes Gefühl für uns und auch für ihn, weil er weiß, daß er nicht allein ist. Für einen politischen Gefangenen ist das sehr wichtig.

SB: Ihr seid auf eurer Karawane durch verschiedene Städte gezogen. Wie war die Resonanz und habt ihr mit eurer Öffentlichkeitsarbeit etwas erreichen können?

DES: Die Karawane begann offiziell am 18. März in Köln vor dem Verfassungsschutz, wo wir auch eine Pressekonferenz gehalten haben. Dann sind wir vor den Kölner Dom gezogen, haben Flugblätter verteilt und Parolen gerufen. Interesse ist schon vorhanden, aber es ist schwierig, den Leuten den Grund unserer Karawane verständlich zu machen. Wenn man Passanten erklärt, daß es in Deutschland keine Demokratie gibt und Menschen aufgrund ihrer politischen Meinung inhaftiert sind, dann kommt es den meisten unglaubwürdig vor. Das liegt daran, daß den Menschen immer wieder eingetrichtert wird, Deutschland sei eine Demokratie. Mittlerweile ist das so tief in ihnen verankert, daß man nur sehr schwer an sie herankommt, aber wir sind zuversichtlich.

SB: Sind Zeitungen oder Sender zu eurer Pressekonferenz gekommen?

DES: Wir haben heute noch einen Termin mit einem Sender. Im Düsseldorfer Landesparlament haben wir ein Dossier abgegeben, das wir unter dem Motto "Gibt es in Deutschland Demokratie?" angefertigt hatten.

SB: Ihr habt sicherlich Redaktionen angeschrieben. Hat es Resonanz gegeben?

DES: Nein, nicht wirklich.

SB: Morgen seid ihr in Berlin, wo zeitgleich eine bundesweite Antirepressionsdemonstration stattfindet. Erwartet ihr dort eine größere Anteilnahme für eure Karawane?

DES: Ich denke, der demokratische Kreis ist in Hamburg und Berlin wesentlich größer als in Nordrhein-Westfalen. Wir erwarten daher, daß einige Leute zusammenkommen.

SB: Sind politische Gefangene im NATO-Staat Türkei für euch auch ein wichtiges Thema? Schließlich sitzen dort viel mehr Menschen aus politischen Gründen im Gefängnis als hier in Deutschland.

DES: Ja, genau. Unsere Parole lautet ja "Freiheit für alle politischen Gefangenen". Da spielt es keine große Rolle, in welchem Land Repressionen gegen politische Aktivisten ausgeübt werden. Die Türkei ist natürlich unser Heimatland. Da fühlt man sich besonders verbunden, und auch mit den politischen Gefangenen dort haben wir Kontakt. Die imperialistischen Großmächte inhaftieren Menschen aufgrund ihrer politischen Meinung. Dagegen marschieren wir mit unserer Karawane. Das ist etwas Internationales. Wir sind nicht nur für unsere eigenen politischen Gefangenen vor Ort, sondern für alle politischen Gefangenen weltweit.

SB: Wie geht ihr während der Karawane mit eventuellen Provokationen oder Repressalien um?

DES: Wenn Menschen sich zusammentun, nehmen sie eine Gegenposition zum herrschenden System ein. Wir verachten es, wenn Menschen aufgrund ihrer politischen Meinung inhaftiert werden. Natürlich werden wir immer mit irgendwelchen Provokationen und Gegenangriffen konfrontiert sein. Dazu sind wir bereit. Wir sind friedlich und haben uns vorgenommen, diesen Marsch zu vollenden. Wir werden uns nicht davon abhalten lassen, diese Karawane ans Ziel zu führen.

SB: Das Ziel besteht in der Befreiung der Gefangenen.

DES: Richtig, und darin, das Thema an die Öffentlichkeit zu bringen.

SB: Dila, vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg.

Kundgebung mit Rundtanz auf dem Bahnhofsvorplatz in Hamburg-Altona - Foto: © 2014 by Schattenblick

Tanzen überwindet Gegensätze
Foto: © 2014 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] BERICHT/178: Karawane der Richtigstellung - Der Staat ist gekommen, Paragraphen schlagen aus ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0178.html


28. März 2014