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INTERVIEW/307: Migrationskonferenz Kampnagel - der Sprung ins Netz und weiter ...    Larry Macauley im Gespräch (SB)


Brücken schlagen zwischen Immigranten und Einheimischen

Interview mit Larry Macauley am 27. Februar 2016 auf Kampnagel in Hamburg


Ein wichtiger Diskussionspunkt auf der International Conference of Refugees and Migrants, die Ende Februar auf Kampnagel in Hamburg stattfand, war die Interaktion zwischen der alteingesessenen Bevölkerung Deutschlands und den Neuankömmlingen - welche Probleme sich daraus ergeben und wie der zwischenmenschliche Umgang verbessert werden könnte. Der gebürtige Nigerianer Larry Macauley setzt sich mit diesem Thema seit seiner Ankunft in Hamburg vor zwei Jahren intensiv auseinander. Am Rande der Konferenz führte der Schattenblick mit dem Gründer und Geschäftsführer des Refugee Radio Network folgendes Interview.


Larry Macauley im Porträt - Foto: © 2016 by Schattenblick

Larry Macauley
Foto: © 2016 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Herr Macauley, was brachte Sie nach Deutschland und wie kamen Sie dazu, das Refugee Radio Network zu gründen?

Larry Macauley (LM): Ich bin politischer Flüchtling aus Nigeria. 2011 bin ich wie viele andere vor dem Krieg in Libyen in einem Boot über das Mittelmeer nach Lampedusa geflohen.

SB: Lebten Sie damals in Libyen oder waren Sie auf der Durchreise?

LM: Ich lebte und arbeitete dort. Ich leitete ein Ingenieursbüro in der Hauptstadt Tripolis. Doch als die NATO-Bomben fielen und sich das Chaos mit den sich rivalisierenden Banden abzeichnete, entschied ich mich, Libyen zu verlassen. Wegen meiner früheren politischen Tätigkeit als Oppositioneller konnte ich nicht nach Nigeria zurück. Also ging ich nach Europa.

SB: Zu welchem Zeitpunkt 2011 haben Sie Libyen verlassen? Im Februar, als der Aufstand in Benghazi begann? Im März, nachdem die ersten NATO-Bomben in Tripolis einschlugen, oder erst nachdem Gaddhafi im Oktober ermordet wurde?

LM: Ich stand mit vielen Leuten innerhalb und außerhalb Libyens in Kontakt. Nachdem der Aufstand ausgebrochen war, habe ich die militärische Entwicklung genau verfolgt. Im Mai hatte ich das Gefühl, daß es für mich lebensgefährlich werden könnte, wenn ich bleibe. Gaddhafi lebte noch, aber der Staat zerfiel immer mehr. Der von den Islamisten seit Jahren propagierte "Regimewechsel" zeichnete sich ab. Also habe ich Libyen am 27. Mai den Rücken gekehrt.

SB: Haben Sie Libyen allein verlassen?

LM: Ja. Aber auf der Flucht bzw. in Lampedusa habe ich einige Freunde wiedergetroffen. Ich lebte zunächst drei Jahre in Italien in verschiedenen Flüchtlingslagern, bis die Regierung in Rom uns Ausreisepapiere ausstellte und uns drängte, das Land Richtung Nordeuropa zu verlassen.

SB: Gehören Sie zur Gruppe Lampedusa in Hamburg?

LM: Ich bin kein direktes Mitglied, sondern gehöre zu den Unterstützern. 2014 lebte ich noch in einer Flüchtlingsunterkunft in Rom, als ich Besuch von einem der Gründer von Lampedusa in Hamburg erhielt, der mich bat, in die Hansestadt zu kommen. Er erzählte mir von der gerade angelaufenen Kampagne der Gruppe um ihre Rechte und daß sie Hilfe brauchten. Also beschloß ich, der Einladung mit dem Ziel zu folgen, die Kampagne von Lampedusa in Hamburg auf die nächsthöhere Ebene zu heben. Nach meiner Ankunft in der Elbmetropole haben wir den Lampedusa Emancipation Day veranstaltet. Dazu gehörten unter anderem ein Marsch durch die Stadt, Theateraufführungen und Diskussionen.

Es lief alles sehr gut, nur dachte ich im Anschluß, daß wir unsere Möglichkeiten weitestgehend ausgeschöpft hatten. Also sprach ich mit zwei Mitgliedern von Lampedusa in Hamburg und schlug ihnen die Gründung eines eigenen Netzradios für Flüchtlinge vor, um den Informationsaustausch unter ihnen zu fördern und die Menschen in den Gastgeberländern über uns und unsere Belange aufzuklären. Die beiden waren zunächst etwas skeptisch, denn keiner von ihnen hatte Erfahrung im Radiobereich. Aber ich kannte mich da ein wenig aus. Ich wußte, daß wir mit nur wenig Geld und einfachster Radio-Ausrüstung schon auf Sendung gehen könnten. Mein Vorschlag wurde angenommen, und noch im selben Monat konnten wir den Betrieb aufnehmen. Am Anfang war alles ein wenig primitiv. Im Dezember 2014 gingen wir mit unserer ersten zweistündigen Magazin-Sendung mit Diskussionsrunde online. Seitdem ist alles nur noch besser geworden - sowohl qualitativ als auch quantitativ.


Larry Macauley, auf der Hauptbühne von Kampnagel stehend, spricht ins Mikrophon - Foto: © 2016 by Schattenblick

Larry Macauley meldet sich bei einer Diskussion auf der Flüchtlingskonferenz zu Wort
Foto: © 2016 by Schattenblick

SB: Wie sieht das Format des Refugee Radio Networks aus?

LM: Wir senden online, rund um die Uhr, sieben Tage die Woche. Wir sind über www.refugeeradionetwork.net sowie über die populäre App Tuneln Radio auf Smartphones und Tablets zu empfangen. Wir sind ein unabhängiger Sender, was uns sehr wichtig ist. Gleichwohl kooperieren wir derzeit mit den verschiedenen freien Radiosendern in Deutschland, die auf UKW zu empfangen sind - unter anderem in Hamburg, Berlin, Marburg, Stuttgart und München.

SB: Also werden Sendungen, die Sie produziert haben und im Internet senden, auch über die offenen Kanäle ausgestrahlt?

LM: So ist es. Auf diese Weise findet unsere "Refugee Voices Show" Verbreitung und neue Hörer.

SB: Und was sendet das Refugee Radio Network sonst noch alles? Was bekomme ich zu hören, wenn ich Ihren Sender einschalte?

LM: Ich denke ein unterhaltsames und informatives Programm, das breit gefächert ist. Wir bringen Nachrichten, machen Live-Interviews, Reportagen von aktuellen Ereignissen sowie Sendungen mit den verschiedenen Musikrichtungen Afrikas. Wir senden Radiodramen von einem afrikanischen Netzwerk aus und haben unter Beteiligung einiger Mitglieder von Lampedusa in Hamburg unser erstes eigenes Hörspiel produziert und ausgestrahlt.

SB: Also stehen Sie auch mit verschiedenen afrikanischen Radiosendern in Verbindung?

LM: Das läuft gerade an. Nachdem es uns gelungen ist, einen gewissen Bekanntheitsgrad unter den Flüchtlingen und Migranten in Europa zu schaffen, wollen wir dieses Jahr damit beginnen, erste Reportagen aus den Krisenregionen in Afrika zu produzieren und über die Lage der Menschen dort zu berichten. In diesem Zusammenhang planen wir in den kommenden Monaten Lager für Binnenflüchtlinge in Nigeria und Mali zu besuchen. Wir stehen bereits in Kontakt mit den Menschen in Flüchtlingslagern in Kenia und Somalia.

SB: Wie setzt sich aktuell die Zuhörerschaft von Refugee Radio Network zusammen?

LM: Unsere Zuhörer und die Leute, die uns anrufen, sind Flüchtlinge sowie Einheimische in den Städten, wo unsere Sendungen auch über UKW ausgestrahlt werden - was natürlich die Bedeutung für die Zusammenarbeit mit den offenen Kanälen verdeutlicht.

SB: Heißt das, Sie machen auch Sendungen, wo sich die Zuhörer telefonisch melden und sich mit ihren Meinungen und ihren Geschichten einbringen können?

LM: Ja. "Refugees Voices Show" ist so eine Anrufsendung.

SB: Wie nehmen die Hörer Kontakt zum Sender auf, allein übers Telefon oder auch über Skype?

LM: Beides ist möglich, auch wenn einen Skype-Anruf in die Sendung einzubinden für uns momentan noch etwas knifflig ist. In letzter Zeit haben wir die Anzahl der Anrufsendungen reduziert, denn unser Team war viel unterwegs auf Reportagen, und man kann nicht alles gleichzeitig machen.

SB: Aber das Refugee Radio Network ist dennoch rund um die Uhr auf Sendung?

LM: Ja, den ganzen Tag. Um das zu gewährleisten, werden die Programme manchmal wiederholt. Auf die Weise können Hörer, die die eine oder andere Sendung zu einer bestimmten Tageszeit verpaßt haben, sich diese später in der Wiederholung anhören. Unser Livestream wird laufend aktualisiert. Auf unserer Webseite kann man sich das Programm für die kommenden Stunden und Tage anschauen und die Beiträge heraussuchen, die einen interessieren. Im Archiv auf der Webseite halten wir auch Podcasts vergangener Sendungen - nicht von allen, aber von den wichtigsten - bereit. Wir planen, künftig auch kleine Fernsehproduktionen zu erstellen. Unsere erste Fernsehsendung haben wir live am gestrigen Freitag hier von Kampnagel anläßlich des Auftakts der internationalen Flüchtlingskonferenz ausgestrahlt. Damit haben wir diesen Bereich bereits betreten und werden hoffentlich demnächst auch ein Refugee TV Network haben.


Interviewszene im improvisierten Studio des Refugee Radio Network auf Kampnagel - Foto: © 2016 by Schattenblick

SB-Redakteur und Larry Macauley
Foto: © 2016 by Schattenblick

SB: Von wo aus operiert der Sender? Mieten Sie ein Studio oder machen Sie das alles von zu Hause aus?

LM: Wir benutzen die Räumlichkeiten und die Technik des Freien Sender Kombinats hier in Hamburg. Wir produzieren die Beiträge dort und senden auch von dort aus. Das FSK ist Mitglied beim Bundesverband Freier Radios, was bedeutet, daß wir unterwegs auch bei den offenen Kanälen in anderen Städten produzieren und gegebenenfalls senden können. Wenn wir beispielsweise in der Hauptstadt sind, können wir dort bei dem freien Sender Alex Berlin arbeiten und erhalten Unterstützung von den Kollegen.

SB: Sie bedienen mit Ihrem Sender ein sehr vielschichtiges Publikum, wenn man allein die zahlreichen Ethnien und Volksgruppen Afrikas bedenkt. Vor diesem Hintergrund die Frage, in welcher Sprache Ihre Sendungen ausgestrahlt werden. Arabisch, Französisch, Englisch, Yoruba, Swahili oder Hausa?

LM: Refugee Radio Network ist ein mehrsprachiger Sender. Welche Sprache benutzt wird, hängt jeweils vom Thema ab und woher die Menschen stammen, die zu Wort kommen. Die von Ihnen genannten Sprachen bekommt man bei uns zu hören und viele mehr. Geht es in der Sendung um Themen, die spezifisch, sagen wir mal Gambia oder Senegal betreffen, dann werden die Beteiligten Mandingo, Fula und Wolof sprechen. Deren Aussagen werden von Dolmetschern ins Deutsche übersetzt, damit die Menschen hierzulande die Möglichkeit haben zu verfolgen, worum es überhaupt geht. In der vergangenen Woche haben wir auf Bitten der afghanischen Flüchtlinge hier in Hamburg mit einer neuen Sendung namens "Afghan Voices" begonnen.

SB: Also ist Refugees Radio Network nicht ausschließlich für Menschen aus Afrika da?

LM: Keinesfalls. Wir sind eine multiethnische, mehrsprachige Plattform, die Flüchtlinge aus aller Welt bedient und ihnen helfen will, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden und den Kontakt zum Herkunftsland aufrechtzuerhalten. Heute traf ich mich hier auf Kampnagel mit einer Gruppe junger Jemeniten, die eine Sendung über ihre Situation hier in Deutschland und die katastrophale Lage in ihrem Land auf die Beine stellen wollen.

SB: Große Aufmerksamkeit wird seitens der westlichen Medien der Militärintervention der Saudis und ihrer Verbündeten im Jemen, die inzwischen ein Jahr anhält und Tausende Menschen das Leben gekostet hat, nicht zuteil. Bisher ist wenig darüber berichtet worden, daß Kriegsflüchtlinge aus dem Jemen nach Deutschland gekommen sind. Liegen Ihnen dazu Zahlen vor?

LM: Wie viele es inzwischen sind, kann ich Ihnen nicht genau sagen, aber die ersten Kriegsflüchtlinge aus dem Jemen sind bereits vor sechs Monaten in Deutschland angekommen. Diese Jugendlichen aus dem Jemen sind heute ohne Voranmeldung in unserem provisorischen Studio auf Kampnagel erschienen. Ras, ein syrischer Mitarbeiter des Senders, hat gleich ein Interview mit ihnen auf Arabisch über die Zustände in ihrer Heimat gemacht. Auf Englisch habe ich mit ihnen über die Möglichkeit einer eigenen Sendung gesprochen, um die Probleme der jemenitischen Kriegsflüchtlinge ins öffentliche Bewußtsein zu rücken. Sie sagten mir, sie wollten unter anderem Musik machen, Gedichte vorlesen und über den Krieg informieren. Ich habe sie in alle Richtungen ermutigt, denn das sind genau die Menschen, denen wir mit unseren Diensten behilflich sein wollen.

SB: Inwieweit hat die einheimische Bevölkerung von Ihrem Sender Notiz genommen bzw. wie sieht die Interaktion zwischen Refugee Radio Network und den deutschen Bürgern aus?

LM: Wir bekommen Briefe von deutschen Zuhörern. Sie melden sich auch während unsere Anrufsendungen zu Wort. Natürlich sind sie uns nicht immer wohlgesonnen. Manchmal bekommen wir Haßbriefe oder auch Anrufe von Leuten, welche die Flüchtlinge für alles, was in Deutschland schiefläuft, verantwortlich machen wollen. Doch die Mehrzahl der Deutschen, die Kontakt mit dem Sender aufnehmen, sind freundlich und wollen uns und die neuen Migranten ermutigen. Was wir da machen, nennen wir Community Radio. Konkret bedeutet das, daß wir natürlich für die Gemeinde der Flüchtlinge und Migranten da sind, gleichzeitig aber auch den Kontakt zwischen ihnen und der einheimischen Bevölkerung befördern wollen.

Ich denke, daß das, was wir machen, für das Zusammenleben der Menschen hier in Deutschland wichtig ist. Als ich nach Hamburg kam, gab es kein Flüchtlingsradio. Doch nur neun Monate, nachdem Refugee Radio Network auf Sendung ging, kam der NDR mit einem eigenen Portal für Flüchtlinge heraus. Im Grunde genommen bieten sie jeden Tag nur fünf Minuten Nachrichten für Flüchtlinge an. An sich ist es als öffentlich-rechtliche Dienstleistung nicht schlecht. Doch wir wollen ein weit umfassenderes Programm anbieten, das von Flüchtlingen selbst gemacht und auf deren Bedürfnisse zugeschnitten ist. Gleichzeitig wollen wir ein Forum sein, mittels dessen die Energie der Flüchtlinge und der Migranten der deutschen Gesellschaft zuteil wird; denn sie leben hier und wollen zum Gemeinwohl beitragen. Diesen Prozeß zu befördern ist die Mission von Refugee Radio Network.

SB: Vielen Dank, Larry Macauley, für dieses Gespräch.


Buntes Werbeplakat für das Refugee Radio Network samt Konterfei von Larry Macauley - Foto: © 2016 by Schattenblick

Das Refugee Radio Network macht auf sich aufmerksam
Foto: © 2016 by Schattenblick


Bisherige Beiträge zur Hamburger Flüchtlingskonferenz im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

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19. März 2016


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