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ARBEIT/406: Kürzere Arbeitszeiten und mehr Zeitflexibilität mit Betriebsrat (idw)


Hans-Böckler-Stiftung - 10.03.2010

Kürzere Arbeitszeiten und mehr Zeitflexibilität mit Betriebsrat

Neue Untersuchung


Arbeitnehmer und Arbeitgeber haben oft unterschiedliche Interessen bei der Arbeitszeitgestaltung. In Betrieben mit Betriebsräten und Tarifbindung gelingt es am besten, diesen Konflikt zu bewältigen. Die individuellen Arbeitszeiten der Beschäftigten sind hier deutlich kürzer als in Betrieben ohne Regulierung durch Mitbestimmung oder Tarifvertrag. Zugleich können regulierte Betriebe aber über mehr Stunden in der Woche produzieren oder Dienstleistungen anbieten. Das zeigt eine neue, von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie von Dr. Hermann Groß, Arbeitszeitexperte an der Sozialforschungsstelle Dortmund.

Der erstaunlich robuste deutsche Arbeitsmarkt in der Wirtschaftskrise hat es bestätigt: Die Arbeitszeit ist eine wesentliche Stellschraube für das Beschäftigungsniveau. Länge und Lage der Arbeitszeit entscheiden auch darüber, ob sich Arbeit und Familie unter einen Hut bringen lassen, und sie haben Einfluss darauf, ob ein Job die Gesundheit belastet. Aus Arbeitgebersicht wiederum sind flexible Arbeitszeiten wichtig, mit denen sich die Produktion an die Auftragslage anpassen lässt. Wie sehen die Arbeitszeiten in deutschen Betrieben aus? Welchen Einfluss haben Tarifverträge und die tarifliche Mitbestimmung? Das hat Groß untersucht. Die Datenbasis lieferte eine repräsentative Befragung in mehr als 1.800 Betrieben. Die Erhebung stammt aus dem Herbst 2007, ist also nicht von der Ausnahme-Situation der Wirtschaftskrise gekennzeichnet. Mit statistischen Kontrollverfahren wurde sichergestellt, dass sich die beobachteten Effekte tatsächlich auf die Wirkung von Mitbestimmung und

Tarifbindung zurückführen lassen. Die zentralen Ergebnisse:

Kürzere Arbeitszeiten mit Betriebsrat oder Tarif. Unabhängig von der Größe eines Betriebs oder der Branche gilt: Die Arbeitszeiten sind kürzer und es fallen weniger bezahlte Überstunden an, wenn es einen Betriebsrat gibt, im Betrieb ein Tarifvertrag gilt oder beides zusammentrifft - was in der Praxis häufig der Fall ist. So liegt die tatsächlich geleistete wöchentliche Arbeitszeit der Vollzeitbeschäftigten in tarifgebundenen Betrieben mit Betriebsrat bei durchschnittlich 39,2 Stunden. Gibt es weder Tarif noch Mitbestimmung, sind es 41,5 Stunden (diese und weitere Daten in der Infografik im Böckler Impuls 4/2010; Link unten).

Trotzdem können Betriebe mit Regulierung deutlich länger produzieren oder Dienstleistungen anbieten: Tarifgebundene Betriebe kommen auf durchschnittliche Betriebszeiten von gut 67 Stunden pro Woche. In Betrieben mit Betriebsrat sind es sogar noch drei Stunden mehr. Dagegen ist in den jeweiligen Vergleichsgruppen nach 58 bzw. 56 Stunden Schluss. Offenbar lassen sich kürzere individuelle Arbeitswochen und längere Laufzeiten im Betrieb durchaus vereinbaren.

Öfter mit Zeitkonto. Der Schlüssel dazu liegt in einer deutlich höheren Arbeitszeitflexibilität, die in Betrieben mit Betriebsrat und/oder Tarifvertrag praktiziert wird. Ablesen lässt sich das vor allem an den Daten zur Verbreitung und Ausgestaltung von Arbeitszeitkonten. Groß nennt sie das "für die Betriebszeitflexibilisierung effektivste" Instrument. In regulierten Betrieben hat mehr als die Hälfte der Beschäftigten ein solches Konto, während es in Betrieben ohne Tarif und Vertretung lediglich ein gutes Drittel ist.

Gleichzeitig ist in Betrieben mit Regulierung weit häufiger klar festgelegt, wie viele Plus- oder Minusstunden maximal angesammelt werden dürfen und in welchem Zeitraum das Konto ausgeglichen werden muss. Und: In regulierten Betrieben sind mehr als doppelt so viele Zeitschulden erlaubt wie in unregulierten. "Mit dieser Möglichkeit lassen sich die kleinen und mittleren Krisen des Alltags leichter abfedern", schreibt Zeitforscher Groß. Allerdings hat die Flexibilität neben Vorteilen für einen Teil der Arbeitnehmer auch eine Kehrseite: Schichtarbeit ist in regulierten Betrieben deutlich verbreiteter. Mehr als 20 Prozent der Beschäftigten sind davon betroffen, während es in der Vergleichsgruppe 10 bis 13 Prozent sind.

Insgesamt zieht Forscher Groß aber aus den Daten ein positives Resümee: "Ohne Einbußen bei Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigungsentwicklung und Arbeitszeitflexibilisierung hinnehmen zu müssen, ist das Arbeits- und Betriebszeitmanagement in regulierten Betrieben sozialverträglicher organisiert."

Mehr Informationen und Infografik zum Download im Böckler Impuls 4/2010:
http://www.boeckler.de/32014_103018.html

Unterscheiden sich Betriebsratsmitglieder von anderen Beschäftigten?
In vielerlei Hinsicht nur wenig, zeigt eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung:
http://www.boeckler-boxen.de/5733.htm

Mehr Fakten und Forschung zur Mitbestimmung in unserer Böckler-Box:
http://www.boeckler-boxen.de/1518.htm

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution621


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Hans-Böckler-Stiftung, Rainer Jung, 10.03.2010
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. März 2010