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ARBEIT/626: Beispiele für Widerstand und Organisierung von Domestic Workers (frauen*solidarität)


frauen*solidarität - Nr. 143, 1/18

Impossible to Organise?
Beispiele für Widerstand und Organisierung von Domestic Workers

von Sylvia Köchl


Die International Labour Organisation (ILO) schätzt, dass mehr als 67 Mio. Menschen weltweit als Domestic Workers, also Hausarbeiter_innen in Privathaushalten, tätig sind. Der Großteil von ihnen sind Frauen bzw. - je nach Region - Migrantinnen. Die ILO schätzt, dass Domestic Workers weniger als die Hälfte des Durchschnittslohns in einem Land verdienen, oft weniger als 20 Prozent. 90 Prozent haben keine soziale Absicherung.


Unter Gewerkschaften in der ganzen Welt galten die Domestic Workers lange Zeit als nicht organisierbar, da ihre Arbeit unter sehr spezifischen Vorzeichen stattfindet: Sie sind "unsichtbar", da sie in Privathaushalten arbeiten und meistens auch dort wohnen (sog. "Live-in"-Hausarbeiter_innen). Sie sind noch weniger sichtbar, wenn die Arbeit in Ländern stattfindet, in denen Frauen besonders stark diskriminiert sind. Und sie sind am wenigsten sichtbar, wenn sie Migrantinnen sind, wenn also Sprachbarrieren, Rassismen und Aufenthaltsgesetze hinzukommen. Diese Verhältnisse bedingen auch Vereinzelung und Isolation, da sich Hausarbeiter_innen kaum oder gar nicht begegnen und austauschen können.


"Echte" Arbeit?

Doch in den letzten rund zehn Jahren haben Domestic Workers überall auf der Welt damit begonnen, auf ihre Situation aufmerksam zu machen und ihre Rechte als Arbeitnehmerinnen einzufordern. Die meisten von ihnen selbstorganisiert mit Unterstützung lokaler (Frauenrechts-)NGOs und Gewerkschaften. Sie haben Bewusstsein und "Visibility" geschaffen und bewiesen, dass selbst in diesem Arbeitssektor Organisierung möglich ist.

Wie rasch Erfolge sichtbar sind, hängt auch von den jeweiligen gesellschaftlichen Einstellungen ab: Betrachtet eine Gesellschaft Haushaltsarbeit überhaupt als "echte Arbeit", oder existiert vielmehr die Vorstellung, diese Arbeit sei "natürlicherweise" von Frauen der Unterschichten zu erbringen? Gelten diese Frauen als Arbeitnehmerinnen oder eher als "Dienstmädchen" oder gar "Dienerinnen", für die Arbeitszeitgesetze und Arbeitsvertragsrechte nicht existieren?

Die Liste der Probleme, gegen die Domestic Workers aktiv geworden sind, ist lang und betrifft Formen von teilweise extremer Ausbeutung der Arbeitskraft der Frauen (16-Stunden-Tage, kaum Freizeit, miese und unregelmäßige Bezahlung, kein Arbeitsvertrag, keine Anmeldung zur Krankenversicherung usw.) wie auch Verletzungen ihrer Menschenrechte (gewalttätige und sexualisierte Übergriffe, Unterernährung, Beschimpfungen, Verweigerung von Privatsphäre und Familienleben usw.). Um Frauen loszuwerden, wenn sie sich z. B. beschweren, werden sie sehr häufig fälschlich des Diebstahls beschuldigt, was bei Migrantinnen rasch zur Abschiebung führen kann.


Globale Erfolge

Der Widerstand gegen diese Lebens- und Arbeitsverhältnisse begann überall mit einzelnen Frauen, die an einem bestimmten Punkt ihres Lebens beschlossen hatten, nicht länger "unsichtbar" zu bleiben, sondern Unterstützung zu organisieren. Gewerkschaften und NGOs leisteten ihre Beiträge, indem sie ihr Know-how teilten, Demonstrationen und Aktionen der Domestic Workers schützten, politische Lobbyarbeit machten, die Domestic Workers in Strategiefragen schulten, über ihre Rechte aufklärten oder auch Alphabetisierungs- und Sprachkurse sowie Rechtshilfe anboten. Bei der Zusammenarbeit stellte sich rasch heraus: Die Meinung, die Haushaltsarbeiterinnen seien "impossible to organise", kam v. a. daher, dass die klassischen Organisationen nicht wussten, wie sie überhaupt an die Betroffenen herankommen sollten. Die selbstorganisierten Hausarbeiter_innen allerdings wissen es: Sie tauschen sich über WhatsApp aus und verabreden sich zu Gesprächen über die Balkone ihrer Arbeitsplätze oder in Parks und Kirchen, wo es keine Überwachungskameras gibt.

Die Bewegungen der Hausarbeiter_innen sind hauptverantwortlich dafür, dass 2011 die ILO-Konvention 189 über die Rechte von Domestic Workers verabschiedet wurde. Auch wenn bis heute erst 24 Staaten der Erde die Konvention ratifiziert haben, so wurden in vielen anderen immerhin eigene Verbesserungen umgesetzt.

Ein weiterer Erfolg ist die 2013 gegründete International Domestic Workers Federation (IDWF), die als Dachverband inzwischen nicht nur mehr als 60 Partnerorganisationen in 50 Ländern und damit über eine halbe Million Domestic Workers vertritt, sondern auch internationale Kampagnen lanciert, wie etwa aktuell die Kampagne gegen sexualisierte Gewalt an Hausarbeiterinnen und die Kampagne "My Fair Home", die sich an die Arbeitgeber_innen richtet.


Indien: Beispiel aus Bangalore

Seit 2009 organisiert die Domestic Workers Rights Union (DWRU) Frauen in der südindischen Metropole Bangalore(1) Die Ausgangssituation war denkbar kompliziert, denn zu den geschilderten Problemen kommt hier hinzu, dass die Frauen überwiegend der untersten gesellschaftlichen "Kaste" angehören und dass Haushaltsarbeit besonders abgewertet ist. Auf der anderen Seite hatte sich ein Punkt stark verändert, der die Organisierung erleichterte: Die meisten indischen Domestic Workers waren keine "Live-in"-Arbeiterinnen mehr, sondern lebten in eigenen Unterkünften in den "Arbeiter_innensiedlungen" (oft als Slums bezeichnet) von Bangalore.

In den Siedlungen begann dann die Tätigkeit von Gewerkschaften und Frauenrechts-NGOs, denn hier konnten sie, unbehelligt von den Arbeitgeber_innen, Kontakt aufnehmen. Schwierig zu erreichen sind aber nach wie vor die Migrantinnen, die zum größten Teil "Live-in"-Arbeiterinnen sind.


Libanon: The Empire Strikes Back

Im Libanon(2) arbeiten geschätzte 250.000 Migrant Domestic Workers, hauptsächlich Frauen aus afrikanischen und asiatischen Ländern. 2014 gründeten sechs Frauen die Gewerkschaft Lebanon's Domestic Workers Union, die vom Arbeitsministerium aber nicht anerkannt bzw. für illegal erklärt wurde. Mithilfe zahlreicher feministischer und antirassistischer NGOs nahm die Union ihre Arbeit trotzdem auf.

Die Hauptforderung: die Abschaffung des sog. Sponsoren- oder Kafala-Systems, das die Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis der Frauen im Libanon ausschließlich an jene Arbeitgeber_innen knüpft, die den Antrag stellen. Wenn die Frauen diesen einen Arbeitsplatz verlieren, sind sie auch ihre Aufenthaltserlaubnis los. Ein eigenständiger Arbeitsplatzwechsel ist unmöglich. Die Geburt eines Kindes führt oft zu Entlassung und Abschiebung.

Im Dezember 2016 wurden zwei Gründerinnen der Lebanon's Domestic Workers Union, Shusila Rana und Roja Maya Limbu, verhaftet und in ihr Herkunftsland Nepal abgeschoben. Unbeirrt kämpfen die Gewerkschaft und die neue Alliance of Migrant Domestic Workers in Lebanon weiter, organisierten z. B. am 30. April 2017 einen 1.-Mai-Aufmarsch. Da der 1. Mai auf einen Montag fiel, wurde am Sonntag demonstriert, dem für die meisten Migrant Domestic Workers einzigen freien Tag der Woche.


ZUR AUTORIN:

Sylvia Köchl ist Journalistin in Wien.


Anmerkungen:

(1) Dignity and visibility for domestic workers: no longer workers in the shadow!,
http://bit.ly/2rBSNgJ

(2) KAFA (enough) Violence & Exploitation
www.kafa.org.lb
Alliance of Migrant Domestic Workers in Lebanon,
www.facebook.com/TheAllianceOfMDWsLeb/
My story in Lebanon: Roja Maya Limbu,
www.youtube.com/watch?v=Po8ClhOjLpg


WEBTIPP:
Domestic workers speak: a global fight for rights and recognition:
www.idwfed.org/en/resources/domestic-workers-speak-a-global-landscape-of-voices-for-labour-rights-and-social-recognition

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Quelle:
frauen*solidarität Nr. 143, 1/2018, S. 12-13
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - feministisch-entwicklungspolitische
Informations- und Bildungsarbeit,
Sensengasse 3, A-1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2018

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