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ARMUT/124: Kommunale Politik für sozialen Zusammenhalt (spw)


spw - Ausgabe 8/2008 - Heft 168
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Kommunale Politik für sozialen Zusammenhalt

Von Joachim Schuster


Der letzte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung belegt eindeutig: Die soziale Spaltung ist in den letzten Jahren erheblich gewachsen. Die Einkommensspreizung nimmt zu. Dieser zunächst abstrakte Befund ist vor allem in den großen Städten zu spüren. Die Stärkung des sozialen Zusammenhaltes wird damit eine zentrale politische Aufgabe.

Kommunale Politik allein kann das Armutsproblem nicht lösen. Ohne eine engagierte Bundespolitik bleiben kommunale Anstrengungen letztlich wirkungslos. Die notwendige Einkommensumverteilung, die Gewährleistung einer ausreichenden Grundsicherung, die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit durch eine beschäftigungsorientierte Wirtschaftspolitik wie auch die Rahmensetzung für die Ausgestaltung der Arbeitsbeziehungen sind ohne Zweifel Aufgaben, die vorrangig und wirkungsvoll nur vom Bund gewährleistet werden müssen. Allerdings müssen auch Kommunen ihre Möglichkeiten umfassend ausschöpfen. Armut und soziale Spaltung ist nicht nur eine Frage materieller Ressourcen, sondern auch eine Frage der Möglichkeiten der Lebensgestaltung.

Erklärter Schwerpunkt der rot-grünen Regierung in Bremen ist es, trotz der bestehenden Haushaltsnotlage dieser Entwicklung entgegen zu wirken. Im folgenden sollen die Eckpunkte dieser Politik umrissen werden.


Trends sozialer Spaltung am Beispiel der Stadt Bremen

Trotz der guten Konjunktur der letzten Jahre und der damit erheblichen Verbesserung der Beschäftigungssituation beziehen in Bremen rund 74.000 Menschen Arbeitslosengeld bzw. soweit sie noch nicht erwerbsfähig sind Sozialgeld. Darunter sind ca. 25.000 Kinder unter 15 Jahren. Anders ausgedrückt: Drei von zehn Kindern in Bremen leben von Sozialtransfers, in einigen Stadtteilen sogar deutlich über die Hälfte aller Kinder. Weiterhin erhalten rund 8.000 Menschen Grundsicherung nach dem SGB XII (Grundsicherung im Alter und Hilfe für nicht erwerbsfähige Personen) sowie weitere ca. 4.000 nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Damit leben rund 16 Prozent der bremischen Bevölkerung direkt von Sozialtransfers.

Die ökonomische Situation zeigt sich auch an einem anderen Indikator: In Bremen ist inzwischen jeder siebte Einwohner überschuldet oder überschuldungsgefährdet. Auch dieses Problem konzentriert sich in einzelnen Stadtteilen. In den am meisten belasteten Gebieten ist inzwischen jeder dritte Einwohner überschuldet oder überschuldungsgefährdet.


Armut zeigt sich aber nicht nur als materielle Armut. Sie strahlt auf die Lebensperspektiven und Teilhabemöglichkeiten der Betroffenen insgesamt aus. Und auch hier zeigt sich eine deutliche räumliche Segregation. Die Lebenserwartung ist in den am stärksten belasteten Stadtteilen bei Frauen um fünf Jahre und bei Männern um acht Jahre geringer als in den wohlhabenden Gegenden. Armut spiegelt sich zudem in mangelnden Bildungschancen wieder. Die Zahl der Kinder ohne Schulabschluss ist in den von Armut betroffenen Schichten um ein vielfaches höher als in wohlhabenderen Bevölkerungsgruppen. Mit geringen oder gar keinen Bildungsabschlüssen ist aber zugleich die Erwerbsbiographie negativ vorbelastet.

Menschen mit Migrationshintergrund sind deutlich stärker von Armut betroffen als die deutsche Bevölkerung. Zwar ist auch diese Bevölkerungsgruppe sehr differenziert zu betrachten. Gleichwohl gibt es innerhalb der Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund eine Konzentration dieser Problemlagen. Ebenso besteht eine Konzentration sozialer Probleme und Armut bei Frauen. Insbesondere alleinerziehende Frauen haben ein deutlich höheres Armutsrisiko als der Rest der Bevölkerung.


Ursachen der sozialen Spaltung

Die Ursachen dieser Entwicklung sind vor allem in drei Bereichen zu finden:

a) Trotz einer ausgesprochen guten konjunkturellen Entwicklung hat sich in Bremen die Langzeitarbeitslosigkeit verfestigt.

b) Die Ausdehnung prekärer Arbeitsverhältnisse führt dazu, dass die Gruppe der Beschäftigten wächst, die trotz Erwerbsarbeit auf aufstockende Grundsicherung angewiesen sind, weil ihr Einkommen nicht ausreicht. In Bremen beziehen rund 12.000 Menschen Leistungen nach dem SGB II, obwohl sie Einkommen - zum Teil aus einer Vollzeittätigkeit - beziehen.

c) Alleinerziehende sind häufig nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu decken, weil Kinderbetreuungsmöglichkeiten fehlen, mit Teilzeitbeschäftigung kaum armutsfeste Einkommen zu erzielen sind und/oder die Unterhaltszahlungen des anderen Elternteils aus unterschiedlichen Gründen unzureichend sind.


Kommunale Handlungsmöglichkeiten

Kommunale Sozialpolitik ist nicht in der Lage, die Ursachen von Armut beseitigen oder auch nur maßgeblich beeinflussen zu können. Die Veränderung der primären Einkommensverteilung wie auch die Schaffung einer hinreichenden Zahl von Beschäftigungsverhältnissen überfordert die kommunalen Möglichkeiten vor allem in finanzieller, häufig aber auch in fachlicher Hinsicht.

Gerade wegen dieser finanziellen Restriktionen darf die kommunale Sozialpolitik nicht der Versuchung erliegen, vermeintliche soziale Wohltaten auszuschütten. Die Forderungen sind zahlreich und häufig auch populär, gleichwohl selten im Haushalt darstellbar. Zudem würden dadurch Mittel gebunden, die an anderer Stelle dann für wirkungsvolle Maßnahmen zur Stärkung des sozialen Zusammenhaltes fehlen. In Bremen konkretisiert sich dies zur Zeit an der Einführung eines Sozialticket für den öffentlichen Nahverkehr. Rotgrün setzt hier auf ein kostenneutrales Ticket mit einem Preisnachlass gegenüber dem regulären Ticket von etwa 30%, während die Linke ein möglichst billiges Ticket befürwortet, welches mehrere Millionen Zuschüsse an die Verkehrsgesellschaft erfordern würde. Da die positiven Wirkungen eines Sozialtickets begrenzt sein werden, scheut die Landesregierung, hier knappe Gelder zu verausgaben.


Angesichts der extremen Haushaltsnotlage sind die finanziellen Handlungsspielräume gering. Allein auf die Sozialleistungen im engeren Sinne entfallen rund 20 Prozent der bremischen Ausgaben. Allein schon deswegen ist es unumgänglich, eine Politik der Stärkung des sozialen Zusammenhaltes vorrangig als Schwerpunktsetzung innerhalb der jeweiligen Politikfelder und als Politikfelder übergreifende Maßnahmen zu konzipieren.

Leitlinie einer fortschrittlichen Sozialpolitik sollte daher nicht die Alimentierung der Armut sein, sondern um die Schaffung einer sozialen Infrastruktur, die Verhinderung sozialer Entmischung sowie die Förderung der Entwicklungsfähigkeit der gesamten Gesellschaft. Dabei geht es um eine integrierte Politik, die sich nicht nur auf sozialpolitische Maßnahmen beschränkt, sondern alle kommunalen Politikfelder einbeziehen sollte. Bestandteil einer solchen Politik muss die Aktivierung der Zivilgesellschaft und die Beteiligung der Betroffenen sein. Dies erfordert eine kleinräumige, auf Stadtteil- oder Quartiersebene ausgerichtete Politik.


Eckpunkte

a) Im Rahmen der Grundsicherung ist den Kommunen die Aufgabe zugewiesen, die Kosten der Unterkunft zu tragen, soweit sie als angemessen zu bewerten sind. Die Angemessenheit kann nur im Kontext des jeweiligen Wohnungsmarktes festgelegt werden. Entscheidend ist nun, wie dieser Ermessensspielraum ausgeübt wird. Zu niedrige anerkannte und damit auch zu erstattenden Wohnungskosten können erhebliche Folgewirkungen haben, weil Umzüge von teurem in billigeren Wohnraum häufig den Umzug in benachteiligte Stadtteile bedeutet. Dies fördert soziale Entmischung und räumliche Segregation. Um dieser Gefahr entgegenzuwirken hat Bremen nach Stadtteilen differenzierte Mietobergrenzen festgelegt, damit Bezug von Transferleistungen der Grundsicherung eben nicht die Ursache für einen Umzug in sozial benachteiligte Stadtteile wird.

b) Statt auf monetäre Transfers setzt Bremen auf einen Ausbau der sozialen Infrastruktur. Diese Maßnahmen sind nicht nur als eine Hilfe für Arme konzipiert, sondern sollen die Lebensbedingungen der gesamten Bevölkerung im Stadtteil positiv beeinflussen. Damit wird auch ein wesentlicher Beitrag gegen soziale Entmischung geleistet.

Von besonderer Bedeutung sind in diesem Kontext etwa eine entsprechende Ausstattung der Bildungseinrichtungen, von den Kitas über die Grundschulen hin zu den weiterführenden Schulen. Bei begrenzten kommunalen Finanzen wird es dabei häufig unumgänglich sein, Schwerpunkte zu bilden. So sind beispielsweise in Bremen Kitas mit überdurchschnittlich vielen Kindern aus benachteiligten Verhältnissen besser mit Personal ausgestattet, als Kitas in privilegierten Gegenden. Ziel ist es, damit besondere Förderungen zum Ausgleich sozialer Benachteiligung zu ermöglichen.

Der Ausbau der Schulen zu Ganztagsschulen, die Verlängerung von Betreuungszeiten für Kinder, das Angebot eines kostenlosen Mittagsessens in Ganztagsschulen und Kitas für Transferempfänger, die Öffnung der Schulen und Kitas in den Stadtteil wie auch die Verstärkung der Elternarbeit sind weitere bedeutende Punkte.

Weitere wesentliche Elemente sind Maßnahmen zur Gesundheitsförderung durch dezentrale Beratungsangebote oder auch durch die Förderung der Mitgliedschaft von sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen in Sportvereinen.

c) Trotz der guten Konjunktur sind die Erfolge beim Abbau der Arbeitslosigkeit begrenzt. Es zeigt sich eine verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit. Viele Langzeitarbeitslose haben aus unterschiedlichen Gründen nur geringe bis keine Chancen, auf absehbare Zeit am ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Hier gilt es mit öffentlich geförderter Beschäftigung anzusetzen, wenn diese Personen nicht dauerhaft abgeschrieben werden sollen. In Bremen wurde deshalb unter Ausnutzung der bundespolitischen Fördermöglichkeiten ein Programm aufgelegt, mit dem Langzeitarbeitslose mit mehreren sogenannten Vermittlungshemmnissen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gebracht werden. Inhaltlich werden mit diesem Programm gesellschaftlich sinnvolle Tätigkeiten vorrangig in sozial benachteiligten Stadtteilen gefördert.

d) Die Stärkung des sozialen Zusammenhaltes erfordert auch eine entsprechende Ausrichtung und Nutzung städtebaulicher Programme. Die städtische Investitionspolitik kann maßgeblich in sozial benachteiligten Stadtteilen dazu beitragen, soziale Problemlagen zu entschärfen. Gerade in Stadtteilen mit Großwohnanlagen gibt es einen erheblichen Bedarf an Investitionen zum Stadtumbau.

e) Eine integrierte Politik zur Stärkung des sozialen Zusammenhaltes kann nur erfolgreich sein, wenn es gelingt, die Betroffenen selbst und die Kräfte der Zivilgesellschaft umfassend mit einzubeziehen. Es geht um ein zumeist auf Stadtteilebene zu verortendes Netzwerk unterschiedlichster Institutionen und Organisationen, angefangen bei kommunalen Einrichtungen und Ämtern über Stadtteilinitiativen, Arbeitsloseninitiativen bis hin zu Sportvereinen. Solche Netzwerke bedürfen der Unterstützung. In Bremen gibt es dazu bereits seit zehn Jahren ein überaus erfolgreiches Programm "Wohnen in Nachbarschaften" (WiN). In dem Programm werden in nach Sozialindikatoren ausgewählten Stadtteilen/Quartieren Stadtteilmanager eingesetzt, die eine Vernetzung vor Ort organisieren. Unterstützt wird dies durch einen Bewohnerfonds, der für von den Bewohnern und Initiativen im Stadtteil/Quartier selbst initiierte Maßnahmen Finanzmittel bereit stellt. Die Vergabe der Mittel erfolgt in Quartiersversammlungen, in denen die Mittel nach dem Konsensprozess von den Bewohnern selbst entschieden wird. Je nach Größe und Problemlagen der Quartiere werden zur Zeit über diesen Weg bis 150.000 Euro konsumtive und 150.000 Euro investive Mittel pro Quartier vergeben.

Häufig lokalisieren sich derartige Aktivitäten räumlich um Quartierszentren herum. Das Programm läuft seit vielen Jahren höchst erfolgreich und hat maßgeblich zur Stabilisierung benachteiligter Quartiere beigetragen.


Zusammenfassend ist festzuhalten: Kommunale Politik ist nicht in der Lage, die sozialen Problemlagen aufzulösen. Die skizzierte integrierte Strategie zur Stärkung des sozialen Zusammenhaltes kann aber wesentlich dazu beitragen, die soziale Lage zu stabilisieren, negative Folgen der sozialen Spaltung zu begrenzen und die Lebens- und Entwicklungsmöglichkeiten auch für sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen erheblich zu verbessern.


Dr. Joachim Schuster ist Staatsrat für Arbeit, Jugend und Soziales in Bremen.


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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 8/2008, Heft 168, Seite 18-21
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Februar 2009