Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → SOZIALES


FRAGEN/014: mujeres creando - eine feministische anarchistische Bewegung in Bolivien (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 133, 3/15

It is not easy

Die mujeres creando in Bolivien

Interview mit Maria Galindo von Petra Pint


Die mujeres creando sind eine feministische anarchistische Bewegung in Bolivien, die sich 1992 gegründet hat. Die Frauen sprühen politische Graffiti, zeichnen Comics, machen Filme und Radio und eignen sich die Straße für ihren Aktivismus an. Maria Galindo ist eine der Gründerinnen und somit eine mujer creando der ersten Stunde. Sie hat Psychologie studiert, ist anarchistisch-feministisch, lesbisch, ist viel in der Welt herumgekommen, schreibt und macht Filme. Ihr neuestes Werk heißt "13 horas de rebelión" (13 Stunden der Rebellion). Im letzten Herbst hat sie den Film in der cinemateca boliviana in La Paz (Bolivien) vorgestellt. Dort traf Petra Pint sie zum Gespräch - kurz vor Filmbeginn, am Verkaufstisch, an dem sie selbst sitzt und feministische DVDs, Bücher und Comics verkauft. [1]


Petra Pint: Warum haben Sie die mujeres creando gegründet?

Maria Galindo: Es war eine historische Notwendigkeit. Als wir die mujeres creando gründeten, gab es viele Frauenorganisationen in Bolivien, aber sie alle waren und sind Teil von männlich dominierten Organisationen und somit Teil der männlich dominierten Vorstellungen von Politik und sozialen Kämpfen. Die mujeres creando haben einen anderen Blick auf Politik, auf Frauen als selbstständige politische Subjekte in Bolivien etabliert. Es gab auch viele NGOs mit klaren Vorstellungen von Institutionen und der Auffassung, etwas zu tun, weil man dafür bezahlt bekommt. Frauen wurden als Personen, die Hilfe brauchen, gesehen. Dagegen haben wir uns positioniert - historisch, konzeptuell und methodologisch.


Durch welche Aktivitäten wird dieser Unterschied deutlich?

Wir brauchen keine Legitimität von männlicher Seite. Wir versuchen Frauen unterschiedlicher Lebenswelten, Generationen, gesellschaftlicher Marginalisierung zusammenzubringen. Das ist in Bolivien nicht so einfach. Viele sind organsiert: als Minenarbeiter_innen, als Arbeiter_innen, als junge Leute. Die Idee, Menschen aus unterschiedlichen Lebenswelten zu organisieren, gibt es so nicht.


Was sind die wichtigsten Themen Ihrer Bewegung?

Zum einen arbeiten wir auf einer symbolischen Ebene. Wir machen viele Graffiti in den Straßen von Bolivien. Neben einem Graffito über Rassismus steht eines über sexuelle Begierde und daneben eines über Polizeigewalt. Aber Graffiti bleiben in einer gewissen Weise auf der symbolischen Ebene. Auf der konkreten Ebene, zum Beispiel beim Thema Männergewalt gegen Frauen, arbeiten wir mit Frauen und ihren Geschichten - der Geschichte von Carmen, von Maria, von Juana usw. Und das Wichtige an unserer Arbeit: Jede Frau bekommt das, was sie möchte. Da gibt es kein einheitliches Rezept, das wäre auch nicht okay. Jede Frau braucht etwas anderes als die davor oder danach.


Haben Sie feministische Vorbilder?

Wir sind gegen die Idee von Vorbildern. Wir haben auch eine große Distanz zu europäischen Feminismen. Ich kenne den deutschen Feminismus, den italienischen und den spanischen sehr gut. Ich finde ihre Art zu handeln ziemlich langweilig. Das ist etwas, mit dem ich nicht kann.


Gibt es in Lateinamerika Referenzen?

Nein, auch nicht. Ich glaube, da sind wir - als die mujeres creando - eine wichtige Referenz für andere Feministinnen in Lateinamerika.


Arbeiten Sie mit anderen feministischen Bewegungen zusammen?

Wir versuchen uns innerhalb Lateinamerikas zu vernetzen. Aber es ist sehr schwer, weil es auch sehr teuer ist. Viele Frauen kämpfen ums Überleben. Da bleibt nicht viel Zeit, um das zu tun, was Sie machen - herumreisen. Ich war in Brasilien für einen Monat - auf der Biennale von São Paolo. In diesem Monat organisierte ich im Rahmen der Eröffnung eine Demonstration für Abtreibung. Ich kontaktierte viele Frauenorganisationen. Als ich mit den Frauen über die mujeres creando sprach, hatte jede schon davon gehört. Jede spürte eine starke Verbundenheit. Viele von ihnen waren stolz auf die Aktion bei der Biennale und nahmen an der Demo teil.

Eine Herausforderung für die feministische Arbeit sind auch internationale NGOs. Diese möchten eine Standardisierung unserer Arbeit. Aber was wir tun, ist einzigartig. Es kommt aus unseren Körpern, unseren Köpfen und unseren Gefühlen. Das kommt nicht aus den Büchern von europäischen oder US-amerikanischen NGOs. Wir reden anders über Abtreibung, Arbeit, Feminismus oder was auch immer.


Wie überlebt frau als Bewegung?

Ich sitze hier in diesem Kino für einen Monat. Jeden Nachmittag sitze ich hier und verkaufe unsere Sachen (Bücher, Filme, T-Shirts). Von all dem, was wir verkaufen, bekommt die Künstlerin 75 Prozent, und 25 Prozent bekommt die Bewegung. Das tun wir, um an etwas Geld zu kommen. Dann gibt es noch unser Haus. Das ganze Erdgeschoss ist ein Restaurant. Dort arbeiten wir zehn Stunden pro Tag. Mit diesem Geld bezahlen wir Licht, Wasser und Steuern.


Wie bekommen Sie Unterstützer_innen für Ihre Bewegung?

Wir sind keine Massenbewegung, und das möchten wir auch nicht sein. Wir wollen Frauen, die ganz genau wissen, was sie tun. Jede denkt, was sie möchte. Unsere ethischen Grundsätze, mit denen alle einverstanden sein müssen, sind unter anderen: kein Rassismus, kein Klassismus, für Abtreibung, Respekt für die Frauen in Prostitution und das Selbstverständnis, dass manuelle Arbeit, intellektuelle Arbeit und kreative Arbeit gleichwertig sind. Auf dieser Basis kann jede ihren Feminismus entwickeln. Was zum Beispiel nicht geht, ist, Mitglied in unserer Bewegung zu sein und für die Regierung zu arbeiten, oder zum Beispiel nicht gewillt zu sein, das zu tun, was ich gerade tue: etwas zu verkaufen. Jede, die da teilnehmen möchte, muss sich für die Bewegung engagieren. Wir sind nicht eine Bewegung, die nur am 8. März und am 25. November aktiv ist. Wir haben Verpflichtungen - wir müssen ein Haus erhalten, eine Radiostation, und das alles auf freiwilliger Basis. Wenn eine Frau also bereit ist, das zu akzeptieren und unentgeltlich Arbeit in die Bewegung zu stecken, dann spricht nichts dagegen, mit ihr unser Wissen zu teilen.


Welche Themen haben in Ihrem Radio Platz?

Wir haben seit acht Jahren eine ganze Radiostation - zwölf Stunden pro Tag. Dabei kooperieren wir mit Künstler_innen, Musiker_innen und anderen zivilgesellschaftlich aktiven Menschen. Es ist ein feministisches Radio, aber offen für alle. Auch hier gibt es gemeinsame ethische Richtlinien. Jede_r spricht für sich in der ersten Person. Du sprichst nicht über Hausarbeiter_innen, Hausarbeiter_innen sprechen für sich selbst. Dieses Prinzip gilt für alle Radiosendungen.


Gleich beginnt der Film. Worum geht es darin?

Der Film besteht aus sechs Teilen. Der erste Teil kritisiert Schönheitswettbewerbe, die in Bolivien sehr beliebt sind. Diese werden zu einer Metapher für die Vereinheitlichung von Frauenkörpern. Die zweite Geschichte handelt von einer Hausarbeiterin, die von einem Mann vergewaltigt wird, der für die Regierung arbeitet und von seiner Partei gestützt wird. Im dritten Teil wird die Abtreibungsdemo auf der Biennale in São Paolo gezeigt. Im vierten geht es um Maskulinität und eine Einladung an Männer, sich von einer Hypermännlichkeit zu verabschieden. In den beiden letzten Episoden geht es um männliche Gewalt und Dominanz. Hierfür habe ich die Figur der Ekeka geschaffen, einer weiblichen Variante des Ekeko, dem Gott der Anden. Es ist eine kleine Figur, der man zu Jahresanfang all die Dinge in Kleinformat kauft, die man selber gerne haben möchte - eine Art Vergöttlichung des Vaters, der die Macht hat, alles zu verteilen. Ich habe daraus eine Frau gemacht.


Danke für das Interview!


Webtipp:
http://www.mujerescreando.org/

Anmerkung:
[1] Das komplette Interview gab es am 29. September 2015 bei den Globalen Dialogen um 13:00 Uhr auf Radio Orange 94.0, www.o94.at zu hören.

Zur Autorin: Petra Pint koordiniert das Radioprojekt Globale Dialoge - Women on Air - das entwicklungspolitisch feministische Magazin auf Radio Orange 94.0 (noso.o94.at). Sie lebt in Wien.

*

Quelle:
Frauensolidarität Nr. 133, 3/2015, S. 28-29
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
Sensengasse 3, A-1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org
 
Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro plus Porto
Jahresabo: Österreich 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Dezember 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang