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FRAGEN/042: María de los Ángeles im Gespräch über den Internationalen Women Strike 2018 (frauen*solidarität)


frauen*solidarität - Nr. 143, 1/18

"Wir streiken und stoppen die Welt"
María de los Ángeles im Gespräch über den Internationalen Women Strike 2018

von Tania Pilz


"Wir streiken und stoppen die Welt, um Gewalt und alle Formen der Ausbeutung abzuschaffen. Wir streiken gegen die Grausamkeit, die unser Körper als Beute der Eroberung erfährt. Wir streiken für die Verteidigung unseres Lebens und unserer Autonomie." Dieser Aufruf zum International Women Strike (IWS) am 8. März 2018 kommt über die Sozialen Netzwerke aus Argentinien. Der IWS 2018 bringt die Gewalt gegen Frauen auf die öffentliche und politische Agenda und fordert dabei Respekt für die Rechte für Frauen weltweit. María de los Ángeles ist eine feministische Aktivistin und Mitorganisatorin des IWS 2018. Sie erzählt Tania Pilz über die Geschichte und Ziele des IWS und welche Rolle die Aktivistinnen für betroffene Frauen haben.


Tania Pilz: Wie entstand die Idee eines Internationalen Women Strike?

María de los Ángeles: Unsere Vorbilder waren Frauen in Island, die 1975 zu einem landesweiten Frauenstreik aufriefen, um für die Anerkennung ihres Beitrags für die isländische Ökonomie und für eine gerechtere Bezahlung zu demonstrieren. 2016 streikten Frauen in Polen einen Tag lang. Der Streik richtete sich gegen die Gesetzesvorlage der Regierung, die die Abtreibung kriminalisierte - auch bei Fehlgeburten oder Abtreibungen als Folge von Vergewaltigungen. Die Demonstration wurde zuerst kleingeredet; doch die Frauen erzielten in derselben Woche einen Erfolg. Der Gesetzesentwurf wurde vom Parlament abgelehnt. Dieser Frauenstreik wurde in Polen als "Black Monday" bekannt.

Diese Aktionen haben wir uns zum Vorbild genommen. Wir, die Frauen aus Argentinien, gingen am 19. Oktober 2016 auf die Straßen. Wir organisierten uns als Reaktion auf sieben Femizide, die innerhalb einer Woche in Argentinien verübt wurden. Eines der Opfer war Lucia Pérez in Mar de Plata, eine 16-jährige Schülerin, die vor ihrer Schule entführt, später vergewaltigt und an den Folgen dieser Folter auch gestorben ist. Auf diese Ereignisse reagierte das Kollektiv Ni Una Menos (Keine Frau weniger! - Wir wollen sie alle am Leben), das mit uns auf die Straßen ging.

Unserer Bewegung schlossen sich später feministische Gruppen aus ganz Lateinamerika an. 2017 nahmen bereits Frauenrechtsorganisationen aus über 55 Ländern weltweit am IWS teil. Der IWS versteht sich als globale Bewegung. Es ist für uns sehr wichtig, vernetzt zu sein und zu verstehen, was sich für die Frauenrechte in der Welt tut.


Tania Pilz: Wie kann sich frau am Streik beteiligen?

María de los Ángeles: Wir sprechen meistens von einem wirtschaftlichen Streik. Wir fordern Frauen auf, für eine gewisse Zeit jegliche Art von wirtschaftlicher Tätigkeit - soweit dies möglich ist - zu unterbrechen. Natürlich verstehen wir, dass nicht jede Frau aufhören kann zu arbeiten. Es gibt auch die Möglichkeit, symbolisch zu streiken, das heißt, jede andere Art von Aktivität zu unterbrechen, organisatorische Aufgaben, Hausarbeit, Pflegearbeit u. a. - der Protest kann sich von Land zu Land unterschiedlich gestalten. Zusätzlich können Frauen auch im Netz streiken. Sie können beispielsweise IWS-relevante Inhalte posten und ihre Meinung dazu äußern. Dafür ist es auch wichtig, dass Frauen in den verschiedenen sozialen Medien aktiv und gut vernetzt sind.


Tania Pilz: Wenn wir uns das Thema Wirtschaft und Frauenrechte am Arbeitsplatz genauer anschauen: Wie sehen eure Interventionen diesbezüglich aus?

María de los Ángeles: Eines unserer wichtigsten Anliegen ist das wirtschaftliche Empowerment von Frauen. Diese Ermächtigung ist notwendig, damit Frauen ein eigenständiges Leben führen können und sich auch trauen, rechtliche Schritte einzufordern. In diesem Zusammenhang setzen wir uns auch mit zwei wichtigen Themen auseinander: zum einen mit der Reintegration von Frauen am Arbeitsplatz, die von häuslicher Gewalt betroffen sind. Denn häufig ist es so, dass Frauen, die diesen gewaltsamen Strukturen ausgesetzt sind, nicht ihren beruflichen Verpflichtungen nachgehen können und dadurch ihren Arbeitsplatz verlieren. Andererseits erlaubt es ihre Arbeitssituation nicht, vor Gericht zu gehen und zu klagen. Zum anderen setzen wir uns für die Anerkennung der Arbeit von Frauen im Bereich Pflege von älteren Familienmitgliedern ein.


Tania Pilz: Und im informellen Bereich?

María de los Ángeles: Wir, Mitglieder verschiedener Frauenkollektive oder feministischer Organisationen in Lateinamerika, bilden die Basis für die Rechte der Frauen im formellen und informellen Arbeitsbereich. Wir organisieren Versammlungen sowohl in den ländlichen Gebieten, aber auch in Großstädten. Durch kleinere Schritte kommen wir zu großen Erfolgen, vor allem im legislativen Bereich. Ein Hauptteil unserer Arbeit besteht darin, Öffentlichkeit zu schaffen, das heißt Frauen und ihre Anliegen auf die öffentliche Agenda zu bringen. Wir schaffen Platz für die Thematik der Frauenrechte in ländlichen Gebieten und im informellen Arbeitsbereich oder am Arbeitsplatz allgemein. Leider findet die Thematik noch viel zu wenig Beachtung. Wir leisten nur die Basisarbeit dafür. Hierfür ist die Arbeit von feministischen Ökonom_innen besonders wichtig. Sie werden zur Stimme der Wirtschaft aus feministischer Perspektive und bringen die ökonomische Ungleichheit zwischen den Geschlechtern an die Öffentlichkeit.

Frauen arbeiten generell mehr - sowohl im öffentlichen Bereich als auch in Bezug auf Hausarbeit und Care-Arbeit. Wobei die beiden letzteren unbezahlt und neben bezahlter Arbeit zu erledigen sind. Diese geschlechtsspezifische ungleiche Verteilung von Hausarbeit ist ein strukturelles Hindernis für die wirtschaftliche Stärkung von Frauen. Dies betrifft auch Frauen im informellen Bereich. Gleichzeitig verhindert dies auch den Zugang zu Bildung für Frauen. Frauen sehen sich gezwungen, die Hausarbeit zu übernehmen, und verzichten dadurch auf Weiterbildung. Hier brauchen wir dringend Verbesserungen.


Tania Pilz: Was sind eure wichtigsten Anliegen und Ziele für den IWS 2018?

María de los Ángeles: Wir bereiten uns zurzeit auf den zweiten IWS vor und organisieren die Aktivitäten für den 8. März 2018. Dies geschieht alles über soziale Netzwerke und in verschiedenen Sprachen, denn das IWS ist nicht nur international, sondern auch multilingual. Unser gemeinsames Ziel ist der Kampf gegen jede Art von genderbasierter Gewalt. Wir meinen nicht nur sexuelle oder häusliche Gewalt. Dazu zählen wir auch die Selbstbestimmung über unseren eigenen Körper, die freie Entscheidung und sichere Möglichkeiten für Abtreibung und auch ökonomische Gewalt und mediale Gewalt. Wir sprechen für die Antimilitarisierung des Staates und fordern einen Staat frei von jedem religiösen Zwang. Ein besonderes Anliegen, das uns alle betrifft, ist heuer auch der weltweite Aufstieg von Rechtsextremen in der Politik, der auch für Frauen Konsequenzen mit sich bringt.


WEBTIPP:
Mehr Information zum Internationalen Frauenstreik auf:
www.parodemujeres.com (ES/EN)


HÖRTIPP:
Das Interview mit María de los Ángeles Roberto wurde im Februar 2018 im Rahmen der Sendereihe "Globale Dialoge - Women on Air" auf Radio Orange 94.0 ausgestrahlt. Sie können es jederzeit nachhören unter:
www.noso.at


ZUR INTERVIEWTEN:
María de los Ángeles Roberto ist Lehrerin für spanische Literatur, Altgriechisch und Latein in Argentinien. Sie hat einen Master in Bibelwissenschaften und eine Diplomausbildung für die Prävention von Gewalt gegen Frauen. Sie ist Mitglied der Evangelischen Methodistischen Kirche, der Organisation des Internationalen Frauenstreiks und des Presseteams der Mütter von Menschenhandelsopfern.


ZUR INTERVIEWERIN:
Tania Pilz ist Kommunikationswissenschaftlerin aus Nicaragua. Über Lateinamerika berichtet sie auch als Radiomacherin in der Sendereihe "Globale Dialoge - Women on Air".

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Quelle:
frauen*solidarität Nr. 143, 1/2018, S. 16-17
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - feministisch-entwicklungspolitische
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Mai 2018

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