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FAMILIE/272: Folgen des Jobverlusts - Die Familiensituation entscheidet (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 143, März 2014
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Die Familiensituation entscheidet
Im gemeinsamen Haushalt lassen sich Folgen des Jobverlusts eher mildern

von Martin Ehlert



Kurz gefasst: Die Familie spielt eine wichtige Rolle bei der Absicherung gegen die finanziellen Folgen von Arbeitslosigkeit. Sowohl bestehende als auch neu hinzukommende zusätzliche Einkommen im Haushalt können Einkommensverläufe glätten - das Risiko, arbeitslos zu werden, kann also im Haushalt verteilt werden. Allerdings haben nicht alle Familien weitere potenzielle Verdiener. Singles und Alleinerziehende sind daher nach Arbeitsplatzverlusten schlechtergestellt als Menschen in Paarhaushalten. Zudem sind Doppelverdienerhaushalte besser geschützt als Haushalte mit einem männlichen Alleinverdiener.


Arbeitsplatzverlust und darauf folgende Arbeitslosigkeit gehören zu den häufigsten Gründen für sozialen Abstieg. Um diese negativen Folgen abzufedern, haben westliche Wohlfahrtsstaaten unterschiedliche Strategien entwickelt. In einigen Ländern gibt es beispielsweise eine großzügige Arbeitslosenversicherung, die einen Großteil des verlorenen Lohns ersetzt. Andere Länder setzen auf schnelle Wiederbeschäftigung und fördern einen flexiblen Arbeitsmarkt.

Bei der Frage, wie sich Arbeitslosigkeit finanziell auswirkt, hat die Forschung bisher einen wichtigen Aspekt der Absicherung von Lebensrisiken nur wenig beachtet: die Familie. Diese ist in der Lage, die ökonomische Unsicherheit nach einem Arbeitsplatzverlust zu reduzieren; Lebensrisiken können auf mehrere Schultern verteilt werden. Wie dies im Einzelnen geschieht, habe ich in meiner Dissertation "Economic Insecurity Due to Job Loss in the United States and Germany" untersucht.

In der Familie werden alle Einkommen im Haushalt zusammengelegt und ergeben addiert den finanziellen Spielraum. Obwohl die Verteilung dieser gemeinsamen Ressourcen zwischen den Haushaltsmitgliedern nicht immer gleich ist, stellt das Haushaltseinkommen einen guten Indikator für die Wohlfahrt eines Menschen dar. Dies legt nahe, dass der Verlust eines Jobs durch die Einkommen anderer Haushaltsmitglieder abgefedert werden kann. Außerdem können Risiken durch Einkommenstransfers aus der erweiterten Familie gemindert werden, zum Beispiel durch finanzielle Hilfen von Eltern oder Großeltern. Hier soll jedoch die finanzielle Unterstützung innerhalb der zusammenlebenden Familie genauer betrachtet werden, und zwar in einem Vergleich zwischen Deutschland und den USA.

Grundsätzlich gibt es finanzielle Unterstützung innerhalb des Haushalts in zwei Formen. Erstens können Einkommen anderer Familienmitglieder die Verluste abfedern. In einem Doppelverdienerhaushalt hat der Verlust eines Arbeitsplatzes weniger einschneidende Folgen für das Haushaltseinkommen als in einem Einverdienerhaushalt. Zweitens können Partner im Haushalt ihr Einkommen nach dem Arbeitsplatzverlust erhöhen. Dies wird in der Literatur häufig als added worker effect bezeichnet.

Bei genauerer Betrachtung dieser beiden Phänomene wird deutlich, dass sie keineswegs geschlechterneutral sind. Die Arbeitsteilung in Haushalten ist oft durch traditionelle Normen geprägt, die Männer in der Rolle des Ernährers und Frauen in der Rolle der Hausfrau sehen. Obwohl die Wirkmacht dieser Normen zurückgeht, hängt in Deutschland und den USA wie auch in anderen westlichen Gesellschaften die Erwerbskonstellation in Paarhaushalten hauptsächlich von der Erwerbstätigkeit der Frau ab. Männer arbeiten fast immer in Vollzeit, während die Erwerbsarbeitsbeteiligung der Frauen sehr unterschiedlich ist, je nach dem Rollenmodell, dem ein Paar folgt. Wenn Frauen, die in einem Paarhaushalt leben, arbeitslos werden, können sie sich häufig auf das Vollzeitgehalt des Mannes im Haushalt stützen. Für Männer, die ihren Arbeitsplatz verlieren, ist die Situation beim Arbeitsplatzverlust unterschiedlich, je nach der Erwerbssituation der Partnerin. Nur wenn diese einen Job hat, werden die Verluste ihrem Einkommen entsprechend abgefedert. Die jeweilige Haushaltssituation beeinflusst natürlich auch den added worker effect: Bei den meisten Männern ist eine Erhöhung des Einkommens unwahrscheinlich, weil sie bereits in Vollzeit arbeiten. Bei vielen Frauen hingegen gibt es potenziell die Möglichkeit, mehr beizutragen, insbesondere wenn sie vor dem Arbeitsplatzverlust des Partners nicht erwerbstätig waren. Daher beschränken sich Analysen zum added worker effect üblicherweise auf Frauen, deren Partner arbeitslos werden.

Diese Überlegungen zeigen: Die hier beschriebenen Formen der Einkommensabfederung gibt es nur in Paarhaushalten. Singles und Alleinerziehende haben diese Unterstützung nicht. Die Analyse der Einkommensverläufe nach Arbeitsplatzverlusten zeigt, welche Folgen das Fehlen familiärer Unterstützung hat: Singles und Alleinerziehende erleiden höhere und länger andauernde Einkommensverluste als Frauen und Männer in Paarhaushalten.

Dies wiegt umso schwerer, weil Singles und Alleinerziehende ohnehin häufiger arm sind als Menschen in Paarhaushalten. Außerdem haben Alleinerziehende häufig große Probleme, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, der ihnen eine Vereinbarkeit von Arbeit und Familie ermöglicht. Wird der Arbeitsplatz verloren, verstärken sich bereits bestehende Ungleichheiten noch.

Es gibt allerdings auch Wechselwirkungen zwischen Wohlfahrtsstaat und Familie. In den USA, wo die Arbeitslosenversicherung einen deutlich geringeren Anteil des verlorenen Lohns ersetzt als in Deutschland, sind die Unterschiede zwischen den Haushaltstypen deutlich größer. Doppelverdienerhaushalte in den USA können also die geringe Arbeitslosenversicherung ausgleichen und setzen sich von Single-Haushalten ab. Die stärkere Absicherung in Deutschland verringert hingegen die Ungleichheit zwischen Haushaltstypen. Das bedeutet, dass die familiäre Absicherung in schwachen Wohlfahrtsstaaten wie den USA deutlich wichtiger für die individuelle Wohlfahrt ist als in starken Wohlfahrtsstaaten.

Interessanterweise wird aber in Deutschland ähnlich viel Unterstützung innerhalb von Paarhaushalten geleistet wie in den USA. Höhere Sozialleistungen führen also offenbar nicht dazu, dass die Eigeninitiative in den Haushalten gebremst wird. Allerdings unterscheidet sich die Form der Unterstützung: Während Frauen in den USA ihre Arbeitsstunden eher nach dem Arbeitsplatzverlust des Partners erhöhen, scheinen Frauen in Deutschland das Ereignis zu antizipieren und erhöhen schon davor die Zahl ihrer Arbeitsstunden. Dieser Unterschied liegt wahrscheinlich daran, dass Deutsche anhand ihres Berufs eher abschätzen können, ob sie in einer unsicheren Position sind, als in den USA, wo Kündigungen in beinahe jedem Job möglich sind.

Darüber hinaus finden sich Unterschiede nicht nur zwischen Single- und Paarhaushalten, sondern auch innerhalb der Gruppe der Paarhaushalte, und zwar je nach den schon erwähnten unterschiedlichen Erwerbskonstellationen, die sich meist zwischen den Polen "männlicher Alleinverdienerhaushalt" und "Doppelverdienerhaushalt" mit zwei Vollzeiteinkommen bewegen. Die Situation hängt von verschiedenen Faktoren ab. Entscheidend ist häufig, ob Kinder im Haushalt leben. Nach der Geburt eines Kindes folgen viele Paare traditionellen Geschlechterrollen, die vorsehen, dass Frauen hauptsächlich für die Familie zuständig sind. Daher haben Paarhaushalte mit Kindern häufig einen männlichen Alleinverdiener. Dies ist in Deutschland besonders in den westlichen Bundesländern der Fall. Dort erschwert der Mangel an Krippen und Kindergartenplätzen die Möglichkeit zusätzlich, Doppelverdienerhaushalte zu bilden. Frauen in Paarhaushalten mit Kindern arbeiten hier allenfalls in Teilzeit. Folglich ist es wenig verwunderlich, dass Paarhaushalte mit Kindern nach der Arbeitslosigkeit des Mannes tiefer fallen als Paarhaushalte ohne Kinder.

Interessant ist aber, wie Paarhaushalte mit Kindern auf die Arbeitslosigkeit des Mannes reagieren. Hier zeigt sich, dass die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung erstaunlich stabil ist. Frauen in traditionellen Paarhaushalten, in denen vor dem Arbeitsplatzverlust nur der Mann arbeitet, erhöhen seltener ihr Arbeitsangebot als Frauen in modernen Paarhaushalten, in denen beide Partner arbeiten. Dies legt nahe, dass Geschlechterrollen-Erwartungen die finanzielle Hilfe im Haushalt beeinflussen. Paare, in denen ein traditionelles Rollenverständnis vorherrscht, behalten die Aufteilung von Erwerbs- und Hausarbeit häufig bei, obwohl nach dem Arbeitsplatzverlust des männlichen Alleinverdieners Änderungsbedarf besteht. Bei Paaren, die bereits Erfahrung damit haben, dass beide Partner arbeiten, scheint es leichter zu sein, die Arbeit neu zu verteilen. In solchen Haushalten geschieht es häufiger, dass Frauen mehr arbeiten.

Natürlich spielt dabei auch eine Rolle, dass Frauen, die länger nicht erwerbstätig waren, oft nur schwer wieder ins Arbeitsleben zurückfinden. Insgesamt ergibt sich das Bild, dass Haushalte, die schon zuvor durch zusätzliche Einkommen abgesichert waren, auch zusätzlich noch vom added worker effect profitieren und somit bei einem Arbeitsplatzverlust geringere Einbußen haben als traditionelle Einverdienerhaushalte.

Berücksichtigt man bei der Analyse sozialer Ungleichheiten und Einkommensdynamiken nach Arbeitsplatzverlusten die Familien- und Haushaltssituation, ergeben sich daraus wichtige Einsichten für Debatten über Sozialpolitik und soziale Ungleichheit. Erstens wird deutlich, dass Arbeitslosigkeit sehr unterschiedliche Folgen haben kann, je nach dem familiären Kontext des Betroffenen. Besonders deutlich wird dies am Beispiel von Alleinerziehenden, die nach Arbeitsplatzverlusten keine zusätzliche Unterstützung aus dem Haushalt bekommen können und außerdem Vereinbarkeitsprobleme bei der Jobsuche haben. Zweitens zeigt sich, dass Paare mit zwei Vollzeitjobs am besten gegen Arbeitsplatzverluste abgesichert sind. In solchen Haushalten werden die Risiken verteilt: Ein verlorener Arbeitsplatz bedeutet nicht mehr den Verlust des gesamten Arbeitseinkommens.

Selbstverständlich kann es nicht die Lösung für das Problem von sozialen Abstiegen nach Arbeitslosigkeit sein, die Entstehung von Doppelverdienerhaushalten zu fördern. Vielmehr sollte Sozialpolitik für die hier näher betrachteten Problemgruppen sensibilisiert werden. Sicher ist, dass ein Ausbau von Betreuungsangeboten sowohl Alleinerziehenden wie Paaren helfen würde, besser mit dem Risiko des Arbeitsplatzverlusts umzugehen. Familien- und Sozialpolitik muss stärker verzahnt sein, um diese Probleme zu lösen. Außerdem legen die Ergebnisse nahe, dass eine stärkere Gleichverteilung von Erwerbsarbeit in Paarhaushalten, wie die jüngst diskutierte Idee, dass beide Partner 32 Stunden arbeiten, nicht nur die Geschlechtergerechtigkeit und Vereinbarkeit verbessern würde, sondern auch vor starken Schwankungen im Haushaltseinkommen schützen würde.

Martin Ehlert ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Ausbildung und Arbeitsmarkt im Projekt "Berliner-Studienberechtigten-Panel" (BEST-UP). Er forscht über soziale Ungleichheit, Sozialpolitik und Bildungsfragen.


Literatur

Ehlert, Martin: Economic Insecurity Due to Job Loss in the United States and Germany. How the Market, the Family, and the State Influence the Impact of Displacements and Unemployment on Economic Well-Being. Dissertation. Freie Universität Berlin 2013.

Ehlert, Martin: "Buffering Income Loss Due to Unemployment: Family and Welfare State Influences on Income after Job Loss in the United States and Western Germany". In: Social Science Research, 2012, Vol. 41, No. 4, pp. 843-860.

Western, Bruce/Bloome, Deirdre/Sosnaud, Benjamin/Tach, Laura: "Economic Insecurity and Social Stratification". In: Annual Review of Sociology, 2012, Vol. 38, No. 1, pp. 341-359.

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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 143, März 2014, Seite 27-29
Herausgeberin:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph. D.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juni 2014