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FAMILIE/298: Wenig Hilfe für Väter (DJI Impulse)


DJI Impulse
Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 1/2016 - Nr. 112

Wenig Hilfe für Väter

von Christoph Liel


Wenn Eltern bei der Kindererziehung Unterstützung brauchen, richtet sich die Aufmerksamkeit vor allem auf die Mutter - eine verschenkte Chance. Denn der Erfolg von Hilfsangeboten könnte sich durch die Beteiligung von Vätern deutlich erhöhen.

Mütter und Väter stehen in der modernen Gesellschaft vor veränderten Anforderungen, die sich zum einen auf ihre Elternrolle beziehen und zum anderen Wahl- und Entscheidungsoptionen neu definieren. Verglichen mit früheren Generationen gehört es für Väter heute selbstverständlicher zum männlichen Rollenverständnis, sich an der Erziehung des Kindes zu beteiligen, unabhängig davon, inwieweit dies im Einzelfall gelingt. Dieser Wandel muss auch als Herausforderung für gesellschaftliche Rahmenbedingungen von Elternschaft verstanden werden. Die Soziale Arbeit, die vielfältige Unterstützungsangebote für Familien von der Kinderbetreuung über die Familienbildung bis hin zu Hilfen für Familien in Problemlagen oder Krisen bereit hält, ist dabei nicht ausgenommen. Am Beispiel der Kinder- und Jugendhilfe soll im Folgenden der Frage nachgegangen werden, inwieweit Väter als Adressaten der Sozialen Arbeit hinreichend berücksichtigt werden.

Zumindest beim Kinderschutz wird der deutschen Kinder- und Jugendhilfe ein »Mutter-Bias« nachgesagt (Kuntz u.a. 2013). Denn die verfügbaren Hilfen sind vorrangig auf die primäre Bezugsperson des Kindes zugeschnitten, in der Regel die Mutter. Der Vater gerät dabei leicht aus dem Blickfeld. Dies ist kein deutsches Phänomen. Eine zu geringe Ausrichtung der Sozialen Arbeit auf Väter wird international diskutiert (Maxwell u.a. 2012). Liegt es daran, dass Väter schwer zu erreichen sind, oder werden sie als Adressaten schlichtweg übersehen? Der gesellschaftliche Wandel des Familienverständnisses birgt die Chance, dass Väter als eigenständige Akteure im Hilfeprozess wahrgenommen werden. Ansatzpunkte für Väterarbeit ergeben sich schwerpunktmäßig bei Umbrüchen im Lebensverlauf, wie beispielsweise zu Beginn der Vaterschaft oder bei Trennungen, und bei akuten Erziehungsproblemen. Im Folgenden sollen die noch geringen Wissensbestände zur väterlichen Beteiligung an Hilfen zusammengetragen werden, um daraus Perspektiven für eine Weiterentwicklung von Präventions- und Interventionsmaßnahmen abzuleiten.


Hilfe am Übergang zur Vaterschaft: mühsam, aber möglich

Der Begriff »Frühe Hilfen« bezeichnet eine nicht abgegrenzte Sammlung an Präventionsangeboten im Übergang zur Elternschaft und bis zum dritten Lebensjahr des Kindes. Ziel ist die Verringerung des Risikos einer Gefährdung des Kindeswohls in psychosozial belasteten Familien, indem die Eltern beispielsweise durch eine Familienhebamme unterstützt werden. Es liegt kein systematischer Datenbestand zur elterlichen Inanspruchnahme von Frühen Hilfen vor. Die Evaluationen von einigen Modellprojekten dokumentieren jedoch, dass sich die Programme erklärtermaßen an Mütter richten (Übersicht: Taubner u.a. 2015).


Wie sich das Risiko von Kindesmisshandlung und - vernachlässigung besser einschätzen lässt

Eine Beteiligung von Vätern an den Frühen Hilfen wird überwiegend nicht erhoben. Ausnahmen stellen die Begleitforschungen der Hausbesuchsprogramme »Keiner fällt durchs Netz« und »Pro Kind« dar, die eine Beteiligung der Eltern dezidierter untersucht haben. Die Studien zeigen, dass auch Väter in den Familien zum Teil substanziell belastet sind, beispielsweise durch Depressionen (Kunz u.a. 2012). In beiden Programmen wurden Anstrengungen unternommen, die Väter zu erreichen; deren Beteiligung lag bei etwa 30 Prozent. In der Pro-Kind-Studie wurden 393 Mütter von der Schwangerschaft bis zum sechsten Lebensmonat des Kindes wissenschaftlich begleitet (Sierau u.a. 2012). Wenn sich der Kindsvater beziehungsweise der aktuelle Lebenspartner der Mutter an der Hilfe beteiligte, nahm er an durchschnittlich 30 Prozent der Hausbesuche teil. Eine hohe Zufriedenheit mit der Partnerschaft unterstützte die Teilnahmebereitschaft und aktive Mitarbeit des Vaters an dem Programm (ebd.). Es ist also gleichermaßen mühsam wie möglich, Väter in die Frühen Hilfen einzubinden (Eickhorst/Peykarjou 2012).

In der Praxis der Frühen Hilfen mangelt es an Konzepten zur Ansprache von Vätern. Im Rahmen einer am Deutschen Jugendinstitut (DJI) durchgeführten Kommunalbefragung äußerten 33 Prozent der Kommunen, Konzepte von Frühen Hilfen für Väter entwickeln zu wollen. Die Priorisierung väterspezifischer Angebote fiel bei den interessierten Kommunen im Vergleich zu anderen zielgruppenspezifischen Konzepten allerdings geringer aus (zum Beispiel 53 Prozent bei Konzepten für psychisch kranke Eltern).

Die Kinder- und Jugendhilfestatistik liefert in Deutschland keine Daten zur Beteiligung von Vätern an der Planung und Erbringung der Hilfen zur Erziehung. Wenn das Jugendamt tätig wird, geht es aber nicht nur um die Frage, inwieweit Väter in die verschiedenen Angebote der Hilfen zur Erziehung einbezogen werden (beispielsweise Erziehungsberatung, sozialpädagogische Familienhilfe oder Heimunterbringung des Kindes). Von besonderem Interesse ist darüber hinaus, inwieweit Väter bereits bei der Beurteilung des Hilfebedarfs und der Risikoeinschätzung von Kindesmisshandlung und -vernachlässigung berücksichtigt werden. Internationale Studien zeigen, dass sich diese frühe Beteiligung der Väter positiv auf den Erfolg von erzieherischen Hilfen auswirkt. In einer amerikanischen Studie der Sozialarbeiterin Melissa Wells waren Jugendhilfemaßnahmen um bis zu 40 Prozent erfolgreicher hinsichtlich der Sicherheit, Beziehungsstabilität und Förderung des Kindes, wenn beide Elternteile bei der Diagnostik, der Hilfeplanung und der Hilfeerbringung beteiligt waren (Wells u.a. 2015).

Im Rahmen der deutschen Gefährdungsstatistik werden die Informationen zu den Eltern nicht genderspezifisch erfasst. Etwas mehr als die Hälfte der 106.623 Familien, in denen die Jugendhilfe gemäß § 8a Abs. 1 SGB VIII im Jahr 2012 abschätzen musste, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt oder nicht, waren aber Zweielternfamilien (Fendrich u.a. 2014). Es ist anzunehmen, dass hier überwiegend auch männliche Bezugspersonen der Kinder mit betroffen waren. Wie dezidiert diese in die Risikodiagnostik einbezogen wurden, ist offen. Eventuell könnten die Datenbestände von einigen Jugendämtern, die Kinderschutzfälle selbst standardisiert erfassen, darüber Aufschluss geben.

Der in Stuttgart, Düsseldorf und mittlerweile auch in Hamburg eingesetzte »Kinderschutzbogen«, ein empirisch geprüftes Diagnoseverfahren, differenziert das Gefährdungsrisiko des Kindes nach Bezugspersonen. Im Rahmen der Validierungsstudie des Kinderschutzbogens zeigte sich bei 50 zufällig ausgewählten Fällen, dass ein in der Familie lebender Vater oder Lebenspartner der Mutter überwiegend nicht in die Risikoeinschätzung einbezogen wurde (Strobel u.a. 2009). Dieser Befund, sofern er nicht zufällig ist, wäre vor dem Hintergrund der genannten internationalen Forschungserkenntnisse besorgniserregend. Vor allem deshalb, weil Väter auch potenzielle Verursacher von Kindeswohlgefährdungen sind, sollten sie unbedingt in die Beurteilung des familiären Risikos für Kindesmisshandlung und -vernachlässigung einbezogen werden.

Aufgeklärte Kinderschutzfälle mit tödlichem Ausgang belegen diese Notwendigkeit. Die Auswertung von Todesfällen von unter fünfjährigen Kindern in den USA hat gezeigt, dass Väter etwas häufiger als Mütter Kinder zu Tode misshandeln, wobei sie vor allem häufiger Schütteltraumata bei Kindern verursachen (Kleven/Leeb 2010). In Fällen von Vernachlässigung sind wiederum häufiger Mütter für den Kindstod verantwortlich.


Eine Abwägung im Einzelfall ist unerlässlich

Es gibt auch gute Gründe, wenn Väter nicht an den Hilfen zur Erziehung beteiligt werden. Wichtigste Ansprechpartner in der Jugendhilfe sind die Sorgeberechtigten des Kindes. Daher ist es nachvollziehbar, dass nichtsorgeberechtigte Elternteile oder Vaterfiguren aus dem Fokus geraten, obwohl sie als Umgangsberechtigte einen Beratungsanspruch haben. Auch Bedenken der Fachkräfte können gegen eine Beteiligung sprechen. Wenn zum Beispiel die Elternbeziehung nicht einschätzbar, konflikthaft oder gewaltbelastet ist, könnte der Vater die Hilfebeziehung zur Kindesmutter gefährden. Aus der Güterabwägung von Eltern- und Kinderrechten können sich also im Einzelfall gewichtige Gründe ergeben, Väter nicht in die Hilfeplanung und -erbringung einzubeziehen. Das Auftreten von häuslicher Gewalt kann ein besonderes Schutzinteresse des Kindes und der Mutter begründen (Kindler 2010). Die Beteiligung des Vaters kann aber auch davon abhängig gemacht werden, ob er Hilfe in Anspruch nimmt, um sein Verhalten zu ändern.

Die Arbeit mit Partnergewalttätern ist eine der wenigen genderspezifischen Maßnahmen in Deutschland; etwa 80 Prozent der Teilnehmer an Täterprogrammen sind Väter. Die Erforschung dieser Programme zeigt, dass väterliches Engagement ein wichtiges Behandlungsmotiv ist und dass die Programme auch bei einem geringen und erhöhten Kindesmisshandlungsrisiko erfolgversprechend sind (Liel, in Vorbereitung). Bei einem sehr hohen Misshandlungsrisiko beziehungsweise bei verifizierten Kinderschutzfällen sind möglicherweise auf Kindesmisshandlung ausgerichtete Hilfen sinnvoll.

Ein Beispiel ist das kanadische Caring-Dads-Programm, das auch in Düsseldorf, Hannover und Groß-Gerau praktiziert wird. Mit den Mitteln der motivierenden Gesprächsführung wird Vätern erziehungsbezogenes Wissen vermittelt und missbräuchliches Erziehungsverhalten thematisiert. Untersuchungen aus Kanada und Großbritannien zeigen positive Effekte zum Beispiel bei väterlichen Erziehungseinstellungen und der elterlichen Zusammenarbeit miteinander (Scott/Lishak 2012, McConnell u.a. 2016), die sich auch in Deutschland abzeichnen. Eine methodisch aufwendige Wirksamkeitsstudie steht allerdings noch aus.


Die Kriterien guter Väterarbeit

Es ist nicht grundsätzlich davon auszugehen, dass Väter schwerer erreichbar sind und sich der Beratung entziehen. Eine ältere deutsche Studie zur Erziehungsberatung legt vielmehr den Schluss nahe, dass es zwar schwieriger ist, Väter einzubinden - wenn es aber gelingt, sind sie verglichen mit Müttern ein verlässlicherer Partner (Straus u.a. 1988). Es ist wichtig, auf Väter proaktiv zuzugehen und sie möglichst von Beginn des Hilfeprozesses an zu beteiligen. Bei einer wertschätzenden Grundhaltung und motivierenden Gesprächsführung sollten die Probleme klar benannt werden.

Die Hilfen selbst sollten nicht zu gesprächslastig sein, sondern sich vielmehr an Aktivitäten orientieren, wie zum Beispiel angeleitete Vater-Kind-Interaktionen oder Unternehmungen (Maxwell u.a. 2012). Bei niedrigschwelligen Angeboten kann es sinnvoll sein, unkonventionelle Wege zu gehen. In Großbritannien ist es beispielsweise gelungen, die Beteiligung von Vätern an Elternprogrammen von 10 auf 15 Prozent zu steigern, indem die Akquise in Kneipen betrieben oder erziehungsbezogenes Wissen in Wettbüros vermittelt wurde (Molinuevo 2012). Indem Erziehungshilfen väterspezifisch ausgerichtet werden, kann die Beteiligung also durchaus gesteigert werden, was für den Erfolg von Maßnahmen überwiegend sinnvoll ist. Daher ist es zielführend, Väter als eigenständige Akteure im Kinderschutz zu begreifen, ihre Beteiligung anzustreben und fallbezogen darüber zu entscheiden.


Der Autor

Christoph Liel, Sozialarbeiter, ist wissenschaftlicher Referent in der Fachgruppe »Nationales Zentrum Frühe Hilfen« am Deutschen Jugendinstitut (DJI). Seine Arbeits- und Forschungsbereiche sind psychosoziale Belastungen in Familien mit Säuglingen und Kleinkindern, Väter in belasteten Lebenslagen und im Kinderschutz sowie evidenzbasierte Soziale Arbeit.
Kontakt: liel@dji.de


Literatur

EICKHORST, ANDREAS / PEYKARJOU, STEFANIE (2012): Väter in den Frühen Hilfen: Erfahrungen, Chancen und Herausforderungen. In: Frühe Kindheit, Heft 14, S. 38-43

FENDRICH, SANDRA / POTHMANN, JENS / TABEL, AGATHE (2014): Monitor Hilfen zur Erziehung 2014. Dortmund: Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik

KINDLER, HEINZ (2010): Neuanfang ohne Angst. In: DJI Bulletin, Heft 89

KLEVENS, JOANNE / LEEB, REBECCA T. (2010): Child maltreatment fatalities in children under 5: Findings from the National Violence Death Reporting System. In: Child Abuse & Neglect, Heft 4, S. 262-266

KUNZ, ELISABETH u.a. (2012): Zusammenhänge zwischen elterlicher depressiver Symptomatik, Stressbelastung und Kohärenzgefühl in Risikofamilien: Projekt Frühe Interventionen für Familien (PFIFF) Bundesmodellprojekt des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH). In: Prävention und Gesundheitsförderung, Heft 4, S. 266-273

KUNTZ, JENNY JULIANE / METZNER, FRANK / PAWILS, SILKE (2013): Spezifische Risiko- und Schutzfaktoren von Vätern bei Kindeswohlgefährdung. In: Kindheit und Entwicklung, Heft 1, S. 14-21

LIEL, CHRISTOPH (in Vorbereitung): Täterarbeit bei Partnergewalt: Auswirkungen auf das Rückfallrisiko. Forensische Psychiatrie, Psychologie und Kriminologie

MAXWELL, NINA u.a. (2012): Engaging fathers in child welfare services. A narrative review of recent research evidence. In: Child & Family Social Work, Heft 2, S. 160-169

MCCONNELL, NICOLA u.a. (2016): Caring Dads: Safer children learning from delivering the programme. In: National Society for the Prevention of Cruelty to Children. London.

MOLINUEVO, DANIEL (2012): Parenting support in Europe. Dublin

SCOTT, KATREENA L. / LISHAK, VICKY (2012): Intervention for maltreating fathers. Statistically and clinically significant change. In: Child Abuse & Neglect, Heft 9, S. 680-684

SIERAU, SUSAN / BRAND, TILMAN / JUNGMANN, TANJA (2012): Parental involvement in home visiting: Interpersonal predictors and correlates. In: Infant Mental Health Journal, Heft 5, S. 489-495

STRAUS, FLORIAN / HÖFER, RENATE / GMÜR, WOLFGANG (1988): Familie und Beratung: Zur Integration professioneller Hilfe in den Familienalltag. Ergebnisse einer qualitativen Befragung von Klienten. München

STROBEL, BETTINA / LIEL, CHRISTOPH / KINDLER, HEINZ (2009): Validierung und Evaluation des Kinderschutzbogens: Ergebnisbericht. München

TAUBNER, SVENJA / WOLTER, SILKE / RABUNG, SVEN (2015): Effectiveness of early-intervention programs in German-speaking countries - a meta-analysis. In: Mental Health & Prevention, Heft 3, S. 69-78

WELLS, MELISSA / VANYUKEVYCH, ANASTASIYA / LEVESQUE, SHERRI (2015): Engaging parents: Assessing child welfare agency onsite review instrument outcomes. In: Families in Society, Heft 3, S. 211-218

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Quelle:
DJI Impulse - Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 1/2016 - Nr. 112, S. 29-31
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. September 2016

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