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FINANZEN/037: Soziale Arbeit mit Rendite (Agora - Uni Eichstätt-Ingolstadt)


Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Ausgabe 2 - 2012

Soziale Arbeit mit Rendite

Von Bernd Halfar u. Robert Lehmann



Was erhält die Gesellschaft für einen Euro zurück, den sie in die Arbeit von sozialen Einrichtungen steckt? Zu einem erstaunlichen Ergebnis kommt eine beispielhafte Untersuchung des "Social Return on Investment" bei einer Einrichtung der Männerfürsorge.


Unternehmen können ihren Erfolg an wenigen Kennzahlen ablesen, die über den Gewinn und die Rentabilität Auskunft geben. Der Erfolg sozialwirtschaftlicher Unternehmen ist komplizierter zu bestimmen, da sich die Wirkungen und Wertschöpfung auf einige Stakeholder mit eigenen, zum Teil widersprüchlichen Erfolgsdefinitionen beziehen. Wir haben das Verfahren des Social Return on Investment (SROI) zur Berechnung der gesellschaftlichen Wertschöpfung sozialer Unternehmen und Einrichtungen methodisch weiterentwickelt und fragen in fünf Stufen nach den gesellschaftlichen Investitionen sowie nach den gesellschaftlichen, unternehmensbezogenen und klientenbezogenen Erträgen.


Die erste Perspektive (SROI 1) nimmt den institutionellen Standpunkt ein. Das Denkschema "Was erhält die Gesellschaft für jeden investierten Euro zurück?" ist hier am klarsten wiederzuerkennen: Analysiert werden alle öffentlichen Zuflüsse an das Sozialunternehmen (z. B. Entgelte, Zuschüsse, Steuersubventionen); sie werden mit den Rückflüssen aus dem Unternehmen an die Öffentliche Hand (z. B. Steuern, Sozialversicherungsbeiträge) in Relation gesetzt. Weiterhin zeigen wir in Transferanalysen auch die Zahlungsströme zwischen den verschiedenen "Öffentlichen Händen", um die implizierte Umverteilung zwischen Gebietskörperschaften und Sozialversicherungen transparent zu machen.


Der sogenannte SROI 2 fragt nach personenbezogenen Sozialleistungen und deren "Return". Diese Kennzahl berücksichtigt die indirekten und direkten, positiven und negativen Transfers.


Was wäre, wenn es ein Sozialunternehmen nicht gäbe? Soziale Einrichtungen vermeiden Kosten, die durch andere Dienstleister im Versorgungssystem entstehen würden und sie ermöglichen "Opportunitätserträge" Dritter, die zum Teil als Steuern und Sozialversicherungsbeiträge an den Wohlfahrtsstaat zurückfließen. Im SROI 3 modellieren wir auch aus Klientensicht realistische Dienstleistungsalternativen, deren Kostendifferenzen zur untersuchten Einrichtung und deren qualitativen Effekte.


In der vierten Perspektive (SROI 4 Regionalökonomische Wirkung) unterscheiden wir drei Ebenen:

  • Direkte Wirkungen, die durch die Aktivität des Unternehmens in der Region entstehen (direkte Beschäftigungswirkung, direkte Nachfragewirkung, kommunal wirksame Steuern und Abgaben, durch Beschäftigung erhöhte Einnahmen).
  • Induzierte Wirkungen, die durch die Aktivität des Sozialunternehmens bei anderen Unternehmen in der Region erzeugt werden (induzierte Beschäftigungswirkung, induzierte Nachfragewirkung).
  • Vermiedene Kosten, die für die Kommune entstünden, wenn ein Teil der Beschäftigten ohne das Sozialunternehmen längere Zeit arbeitslos wäre.


Die fünfte Perspektive SROI 5 umfasst die Bereiche Lebensqualitätseffekte, Kompetenzzuwachs und Bildungsrendite. Um über die Wirkungen der sozialpädagogischen, pflegerischen oder therapeutischen Arbeit einer Organisation systematisch Rechenschaft ablegen zu können, müsste man die individuellen Patienten- und Klientendokumentationen "irgendwie" aggregieren, zusammenfassen und in "eine" Kennzahl übersetzen können. Eine solche Kennzahl ist methodisch nicht unkompliziert. Soll man zwischen einzelnen Wirkungsdimensionen gewichten? Wie beurteilt man im menschlichen Lebenslauf ja nicht unwahrscheinliche, zunehmende Defizite aus der Perspektive einer Zielerreichung? Es gibt eine Vielzahl von methodischen Nüssen, die in der Controllingtheorie geknackt werden müssten, um im fachlichen Bereich die methodische Sauberkeit zu erreichen, die das Finanz- und Kostencontrolling aufweist.


Ausgangspunkt für die praktische Umsetzung eines solchen Controllings ist die Unterscheidung von vier Wirkungsebenen einer sozialen Organisation:

  • Output: ist das mengenmäßige Produktionsergebnis der Organisation.
  • Outcome: gesellschaftliche Wirkungen und Nutzen.
  • Effect: unmittelbare, objektiv ersichtliche und nachweisbare Wirkung) für Klienten.
  • Impact: subjektiv erlebte Wirkung des Klienten.

So wie sich das "klassische Controlling" seine Zahlen aus dem Rechnungswesen besorgt, holt sich das wirkungsorientierte Controlling seine Informationen aus den Hilfeplänen, den Anamnesebögen, Zielvereinbarungen, Entwicklungsberichten. Kurzum: aus vorhandenem Material der Organisation. Praktisch möglich wird das freilich erst, wenn Pflege, Sozialarbeit oder Therapie auf der einen Seite und das Controlling auf der anderen Seite nicht nur die gleiche "Wirkungsbrille" aufsetzen, sondern auch dieselbe Sprache sprechen: die Sprache der Zahlen. Der Controller ist hier der "native speaker", der Sozialarbeiter nuschelt vielleicht noch etwas und hat Sprachschwierigkeiten. Aber man wird sich immer besser verstehen, wenn man sich auf ein gemeinsames Verfahren einigt.


In einem kürzlich abgeschlossenen Projekt mit dem Bezirk Oberbayern und dem Katholischen Männerfürsorgeverein München e.V. wurden die ersten drei Module aus der SROI-Logik für das Adolf Mathes Haus, eine stationäre Einrichtung für Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten gemäß Paragraph 67 SGB XII ermittelt.

Als Grundlage für die Untersuchung wurde ein Wirkungsmodell entwickelt, das insbesondere Veränderungen bei den Bewohnern im Bezug auf Straftaten, Schulden, Arbeit und Wohnen sowie die Entwicklung von Sozialkompetenzen berücksichtigt. Es wurde davon ausgegangen, dass sich objektive Veränderungen, z.B. bei den vermiedenen Hafttagen durch eine Unterbringung im Adolf Mathes Haus oder den Eintritt in die Erwerbsarbeit, vergleichsweise einfach innerhalb eines SROI abbilden lassen. Da es sich um eine relativ kleine Einrichtung in München handelte, erschien die Ermittlung des SROI 4 wenig zielführend. Zur Bestimmung des SROI 5 wurde die Entwicklung von Sozialkompetenzen betrachtet (Effect). Sie stellt eine notwendige Vorbedingung für monetarisierbare Effekte dar und ist mit sozialwissenschaftlichen Methoden gut abbildbar, lediglich eine Übertragung in Geldwerte wurde nicht angestrebt.


Der tatsächliche Aufwand der überörtlichen Kostenträger für die Leistungen gemäß Sozialgesetzbuch XII (Paragraphen 67 f.) beläuft sich im Jahr auf ca. 1,8 Mio. Euro. Diesem wurden in den Modulen 1-3 die jeweiligen Rückflüsse an die verschiedenen staatlichen Einrichtungen und die nicht angefallen Kosten gegenübergestellt. Bei einigen Wirkungen konnte auch ein zukünftiger Nutzen mit einbezogen werden, z.B. hat die Vermittlung in Arbeit positive monetäre Auswirkungen, solange die betreffende Person diese Stelle behält. Insgesamt konnte bei den SROI 1 bis 3 ein sofortiger Return von 0,96 Euro für jeden eingesetzten Euro ermittelt werden. Unter Einbeziehung der Wirkungen innerhalb von 12 Monaten nach dem Untersuchungszeitraum beläuft sich der SROI sogar auf einen Wert von 1,11 Euro pro eingesetztem Euro.


Zur Ermittlung der Effects wurde erhoben, wie sich die Kompetenzen der Bewohner in verschiedenen Bereichen entwickeln. Dazu wurde die Einschätzung der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter der jeweiligen Kompetenzen auf Ratingskalen zu den beiden Messzeitpunkten erhoben. Bei den Personen, die die jeweiligen Kompetenzen bei Einzug weit unterdurchschnittlich (unteres Quartil der Gesamtverteilung) aufwiesen, konnte während des Aufenthalts im Adolf Mathes Haus ein Kompetenzzugewinn festgestellt werden, der statistisch signifikant (p<.05) ist und eine hohe Effektstärke nach Cohen aufweist.


Das Modellprojekt hat gezeigt, dass eine Darstellung der von der Einrichtung erzeugten Wirkungen nach mehreren Ebenen differenziert möglich ist. Dabei lassen sich sehr unterschiedliche Erkenntnisse ableiten. So fließen rund 32% der investierten Mittel sofort an öffentliche Kassen sowie soziale Sicherungssysteme zurück. Einen hohen Nutzen durch die Arbeit der Einrichtung haben andere öffentliche Träger, vor allem Kommunen (vermiedene Kosten für Unterbringung von Wohnungslosen), Bund (eingesparte SGB II-Leistungen) und Land (vermiedene Haftkosten). Auch die Verbesserung der Sozialkompetenzen der Bewohner lässt sich für die besonders unterstützungsbedürftigen Lebensbereiche sehr gut belegen.


TABELLE

Welche Wirkung hat eine soziale Einrichtung? Ein Modellprojekt zeigte, dass Sozialarbeit sogar dabei hilft, Kosten zu vermeiden. Von einem investierten Euro fließt ein Großteil unmittelbar zurück, mittelfristig ergibt sich (z.B. durch die Wiederaufnahme von Erwerbstätigkeit) sogar ein Überschuss. (* Rundungsdifferenzen wurden in den Zwischensummen ausgeglichen)

SROI 1: Institutionelle Sozialbilanz       1.1 AUFWENDUNGEN KOSTENTRÄGER            
1.2 Steuerzahlungen (Lohnsteuer etc.)    
1.3 Steuerzahlungen                      
1.4 SV-Beiträge                          
1,00 Euro
0,08 Euro
0,02 Euro
0,23 Euro
1,00 Euro
0,08 Euro
0,02 Euro
0,23 Euro
Summe SROI 1 (ohne 1.1):                  
0,32 Euro
0,32 Euro
SROI 2: Transfers auf Klientenebene        2.1 Lohnsteuer                           
2.2 SV-Beiträge                          
2.3 Lohnsteuer                           
2.4 SV-Beiträge                          
0,01 Euro
0,03 Euro


0,01 Euro
0,03 Euro
0,01 Euro
0,05 Euro
Summe SROI 2:                             
0,03 Euro
0,09 Euro
SROI 3: Vermiedene Sozialkosten (u.a.)     3.1 Eingesparte Kosten für Unterbringung 
3.2 Eingesparte Regelsätze SGB II        
3.3 Einsparungen durch Arbeitsvermittlung
3.4 Einsparungen durch Wohnungsvermittlung
3.5 Vermiedene Kosten für Inhaftierung   
3.6 Reduktion von Schulden               
0,33 Euro
0,10 Euro

0,07 Euro
0,11 Euro
0,33 Euro
0,10 Euro
0,05 Euro
0,04 Euro
0,07 Euro
0,11 Euro
Summe SROI 3:                             
0,61 Euro
0,70 Euro



SUMME SROI 1-3*:                          

"sofortiger"
        SROI 0,96 Euro

(einschl. 12 Monate
 "Zukunftswirkung") 1,11 Euro


Prof. Dr. Bernd Halfar ist seit 2004 an der KU Professor für Management in sozialen Einrichtungen und leitet die Arbeitsstelle für NPO-Controlling/SROI.

Dr. Robert Lehmann ist Mitarbeiter der Arbeitsstelle für NPO-Controlling/SROI.

*

Quelle:
Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Ausgabe 2/2012, Seite 20-21
Herausgeber: Der Präsident der Katholischen Universität, Prof. Dr. Richard Schenk
Redaktion: Presse- und Öffentlichkeitsreferat der KU, 85071 Eichstätt
Telefon: 08421 / 93-1594 oder -1248, Fax: 08421 / 93-2594
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Dezember 2012