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FRAUEN/305: 100. Internationaler Frauentag (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 3/2011

Zeitsplitter:
100. Internationaler Frauentag

Von Sigrid Kannengießer


1911 fand der erste Internationale Frauentag statt. Die deutsche Feministin und Sozialistin Clara Zetkin hatte auf einer sozialistischen Frauenkonferenz, die im Rahmen des Internationalen Sozialistischen Kongresses 1910 in Kopenhagen stattfand, den Vorschlag für die Einrichtung eines solchen Tages eingebracht.

Die primäre Forderung der Frauenbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Rechtsgleichheit der Geschlechter. Sie stritt vor allem für das aktive und passive Wahlrecht auch für Frauen. Diese Forderung wurde in Deutschland 1918 umgesetzt. Neben der Rechtsgleichheit verknüpfte die proletarische Frauenbewegung den Geschlechter- mit dem Klassenkampf. Denn die kapitalistische Industrialisierung hatte zu einer Teilung in Erwerbs- und Hausarbeit geführt. Während Männer der entlohnten Erwerbsarbeit nachgingen, waren Frauen entweder auf die Erfüllung der reproduktiven Arbeit reduziert oder durch die zeitgleiche Ausführung von Lohn- und Hausarbeit doppelt belastet. Die proletarische Frauenbewegung kämpfte gegen die doppelte Diskriminierung durch Geschlechts- und Klassenzugehörigkeit. Der Internationale Frauentag sollte ein institutionalisiertes Forum für den Kampf gegen Geschlechterdiskriminierung bilden.

Es wäre verklärend zu konstatieren, dass die sozialistische Politik geschlossen hinter diesem emanzipatorischen Anliegen stand: "Als es sich darum handelte, den Antrag auf Abhaltung des Frauentages in Kopenhagen einzubringen, standen so viele Genossen und Genossinnen diesem Antrag ablehnend gegenüber, dass er nicht namens der ganzen deutschen Delegation eingebracht werden konnte, sondern als von Einzelpersonen eingebracht gelten musste", formuliert Clara Zetkin.

Es sind jedoch die Gewerkschaften sowie sozialistische und sozialdemokratische Gruppen, die den Internationalen Frauentag der vergangenen 100 Jahre prägten. Die SPD war es, die 1925 für die Wiedereinführung des offiziellen Internationalen Frauentages plädierte, nachdem dieser durch den Ersten Weltkrieg nicht mehr begangen wurde. War der Internationale Frauentag in der Weimarer Republik wiederbelebt und wiederholt ein Forum für anti-faschistische Politik, erfuhr die emanzipatorische Bewegung im Dritten Reich einen massiven Rückschlag: Den Frauen wurde das passive Wahlrecht entzogen, die SPD wurde verboten, sozialistisch Gesinnte wurden verfolgt.


Renaissance nach 1945

Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Internationale Frauentag wieder aufgenommen und bis in die 50er Jahre hinein v.a. mit Friedensbekundungen begangen: "Frieden und Freiheit durch internationale Solidarität" oder "Durch soziale Gerechtigkeit zum Weltfrieden" waren Mottos dieser Zeit. Obwohl am 1. Juli 1958 als große Errungenschaft das Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Bundesrepublik in Kraft trat, wurde es an den Internationalen Frauentagen leiser. Doch dies war quasi die Ruhe vor dem Sturm, denn Ende der 60er Jahre rollte eine zweite feministische Welle über Deutschland. Sie kämpfte für das Abtreibungsrecht und die Bestimmung über den eigenen Körper, und sie wehrte sich gegen konservative Rollenvorstellungen. Mit Slogans wie "Die Ehe ist kein Ersatz für einen guten Arbeitsplatz" forderten die Frauen eine stärkere wirtschaftliche Gleichstellung der Geschlechter und kämpften gegen die Reduktion auf die Mutter- und Hausfrauenrolle.

Solche Kämpfe hatten die Frauen in der DDR nicht auszufechten. Am Frauentag wurden hier die Leistungen der Frauen als Arbeiterinnen und Mütter gefeiert. Die parallele Ausführung beider Rollen konfrontierte Frauen auch hier mit einer Doppelbelastung. Aufgrund der verschiedenen Erfahrungen von Frauen in West- und Ostdeutschland löste die Wiedervereinigung Skepsis bei ostdeutschen Frauen aus; eine kontroverse Debatte in der Gleichstellungspolitik hätte entstehen können. Statt sich jedoch konstruktiv mit den verschiedenen Rollenvorstellungen auseinanderzusetzen, dominierte die Ideologie der konservativen Bundespolitik. Kinderbetreuung blieb weiterhin eine Privatangelegenheit der Frauen, arbeitende Mütter galten als "Rabenmütter".


Wo stehen wir heute?

Bereits 2010 zelebrierten viele Organisationen und Institutionen den 100. Weltfrauentag. Und auch 2011 wird an die vergangenen 100 Jahre des Weltfrauentags in einer Vielzahl von Veranstaltungen erinnert. Aber ist ein Internationaler Frauentag nicht längst überholt? Haben wir, wie in den Publikationen eines vermeintlichen Neofeminismus konstatiert wird, die Gleichstellung der Geschlechter nicht schon längst erreicht?

Nein! Denn ein Blick auf die für Deutschland zur Verfügung stehenden Statistiken zeigt, dass Geschlechtergleichberechtigung längst noch nicht erreicht ist. Zwar dürfen Frauen wählen und gewählt werden und sie absolvieren auch in der Überzahl Universitätsabschlüsse. Doch wenn es um sogenannte reproduktive Arbeiten (Haushalts-, Erziehungs- und Pflegearbeit) geht, sind es die Frauen, die "natürlich" zuständig sind und damit nicht nur von Karrieren ausgeschlossen werden, die sie in Führungspositionen brächten. Die gleichzeitige Ausführung von Erwerbs- und Betreuungsarbeit stellt für den Großteil der Frauen weiterhin eine doppelte Last dar, die zwischen den Geschlechtern aufgeteilt und durch Betreuungsangebote staatlich gemindert werden sollte.

Das Begehen eines Frauentags in Deutschland ist also weiterhin relevant, um daran zu erinnern, dass der Kampf für gleiche Rechte (noch) nicht ausgefochten ist. Eine internationale Dimension erhält der Tag um aufzuzeigen, dass Frauen weltweit diskriminiert sind, die Erreichung von Geschlechtergleichberechtigung also ein Staaten übergreifendes Ziel ist, das durch solidarische Politik erreicht werden kann. Um die Ziele des Internationalen Frauentags umzusetzen, bedarf es jedoch mehr als das Feiern seines 100. Geburtstags. Das Jubiläum muss der Anlass sein für konkrete Forderungen und deren zeitnahe Umsetzung.


Sigrid Kannengießer (* 1979) ist Medienkulturwissenschaftlerin und promoviert an der Universität Bremen über eine internationale Frauenorganisation. Sie ist Stipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung.
sigrid.kannengiesser@uni-bremen.de


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 3/2011, S. 14-15
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Siegmar Gabriel,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. März 2011