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FRAUEN/329: Indien - Söhne bevorzugt, Organisationen kämpfen gegen Abtreibung weiblicher Föten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. September 2011

Indien: Söhne bevorzugt - Organisationen kämpfen gegen Abtreibung weiblicher Föten

Von Nitin Jugran Bahuguna

NGOs wollen Bewusstsein für Frauenrechte stärken - Bild: © Nitin Jugran Bahuguna/IPS

NGOs wollen Bewusstsein für Frauenrechte stärken
Bild: © Nitin Jugran Bahuguna/IPS

Dehradun, Indien, 20. September (IPS) - Indien gilt für Frauen als das viertgefährlichste Land der Welt. Doch die gezielten Abtreibungen weiblicher Föten haben den Subkontinent sogar den zweifelhaften Ruf eingebracht, in Sachen Frauenfeindlichkeit führend zu sein.

Im nordindischen Bundesstaat Uttarakhand kommen in der Altersgruppe der bis zu Sechsjährigen auf jeweils 1.000 Jungen 886 Mädchen, wie vorläufige Zahlen der diesjährigen Volksbefragung ergaben. Zivilgesellschaftliche Gruppen setzen sich dafür ein, den Tod weiterer ungeborener Mädchen zu verhindern. Dabei werden sie von der zentralen Regierung und den Bundesstaaten unterstützt.

Im landesweiten Durchschnitt liegt das Verhältnis zwischen Mädchen und Jungen bei 914 zu 1.000. Bei der Volksbefragung 2001 waren auf 1.000 Jungen noch 927 Mädchen gekommen. Nach Erkenntnissen von Demografen hat sich die Zahl der 'fehlenden' Mädchen in den vergangenen zehn Jahren von etwa sechs auf 7,1 Millionen erhöht. Die Gesamtbevölkerung Indiens wird derzeit mit rund 1,21 Milliarden Menschen beziffert.

Wie aus einer im Juni verbreiteten Umfrage des von der 'Thomson Reuters Foundation' betriebenen Nachrichtendienstes 'Trust Law' hervorgeht, ist Indien nach Afghanistan, Kongo und Pakistan das viertgefährlichste Land für Frauen, wenn man Risiken für ihre Gesundheit und Vorurteile in der Gesellschaft berücksichtigt.


Geschlechtsbestimmung per Ultraschall auch in Dörfern

"Technik und Bildung haben bei der Tötung weiblicher Föten eine wichtige Rolle gespielt", sagt Sashi Bhushan von der Frauenorganisation 'Shri Bhuvaneshwari Mahila Ashram' (SBMA) mit Sitz in Dehradun. Auch der Mangel an ethischem Bewusstsein in der Medizin habe dazu beigetragen, dass viele Mädchen nicht geboren worden seien. Bhushan bezog sich damit auf illegale Kliniken, die den werdenden Eltern mit Hilfe von Ultraschall Auskunft über das Geschlecht ihres Kindes geben.

Die Hebamme Rahmati Devi, die im Bezirk Nainital praktiziert, bestätigt, dass die pränatale Geschlechtsbestimmung per Ultraschall in den Dörfern im Norden von Uttarakhand mittlerweile gängige Praxis ist. "Die Tests werden meist auf Druck des Ehemanns oder seiner Familie durchgeführt", sagt sie.

Die Adressen der Kliniken, die solche Leistungen anbieten, werden mündlich weitergegeben. Die in Indien gesetzlich verbotenen Untersuchungen werden laut der Hebamme mit umgerechnet jeweils 52 bis 105 US-Dollar berechnet. Staatliche Kontrollen finden in Uttarakhand fast nie statt. Verdächtige Einrichtungen werden nur sporadisch überprüft.

SBMA versucht seit drei Jahren, die Bevölkerung für Mädchen einzunehmen. Mit Unterstützung von Organisationen wie 'Plan International' und 13 weiteren Organisationen will SBMA durch sein Programm 'Kopal' über die körperlichen und seelischen Auswirkungen aufklären, die solche Abtreibungen auf Frauen haben.

Madan Singh und seine Frau Radha Devi aus dem Bezirk Chamoli planten eigentlich einen Test, weil sie keine dritte Tochter haben wollten. Ein Theaterstück, das im Rahmen von 'Kopal' in ihrem Dorf aufgeführt wurde, brachte sie jedoch von dem Vorhaben ab.

Bushan wird durch solche Erfolge ermutigt. "Unsere Arbeit mit Organisationen in den Dörfern und Jugendgruppen hat dazu geführt, dass mehr Geburten registriert und mehr Kinder in Krankenhäusern geboren werden", erklärt sie. Staaten wie Uttarakhand begännen die enorme Tragweite des Problems erst jetzt einzusehen, meint die Aktivistin. Wenn von 'fehlenden Mädchen' die Rede sei, gehe es in Wirklichkeit um Massenmorde an Mädchen.


Mitgift macht Töchter für Familien teuer

Viele Familien wollen deshalb keine Töchter, weil sie für sie eine Mitgift aufbringen müssen. "Eine Familie mit vielen Männern gilt als stark. Söhne werden als Bereicherung angesehen", erläutert die Sozialarbeiterin Bina Kala aus dem Bezirk Tehri, die für die Organisation des 'Mountain Children's Forum' arbeitet, wo sich Gruppen von Jungen und Mädchen miteinander austauschen.

"Bei solchen Treffen betonen wir immer, dass in den ländlichen Regionen Mädchen viel mehr zum Familieneinkommen beitragen als Jungen. Sie helfen den Müttern bei der Hausarbeit und opfern ihre Träume, damit Familien in die Söhne investieren können", betont Kala.

Vor drei Jahren hatte die Regierung von Uttarakhand ein Programm angekündigt, nach dem für jedes nach Januar 2009 geborene Mädchen, deren Eltern unterhalb der Armutsgrenze leben, umgerechnet 105 Dollar fest angelegt werden. Der Betrag einschließlich der Zinsen wird ausgezahlt, sobald das Mädchen 18 Jahre alt wird und die Schule abschließt.

Nach Ansicht von Bhushan führen solche Programme allmählich Veränderungen in einer Gesellschaft herbei, in der die Bevorzugung von Söhnen ein komplexes gesellschaftliches Problem sei. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. September 2011