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FRAUEN/404: Sri Lanka - Kriegswitwen in Not, Broterwerb durch Prostitution (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. Mai 2012

Sri Lanka: Kriegswitwen in Not - Broterwerb durch Prostitution

von Feizal Samath



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Behelfsmäßige Schule im Norden Sri Lankas
Bild: © Feizal Samath/IPS

Behelfsmäßige Schule im Norden Sri Lankas - Bild: © Feizal Samath/IPS

Colombo, 15. Mai (IPS) - Im tamilischen Norden Sri Lankas werden am 18.‍ ‍Mai etwa 800 Frauen an hinduistischen Feierlichkeiten teilnehmen, um für die Rückkehr ihrer Männer zu beten, die während des fast 30-jährigen Bürgerkriegs verschwunden sind. Auch wenn die Chancen gering sind, dass sie ihre Männer lebend wiedersehen - sie alle warten auf das Wunder, das sie vor dem gesellschaftlichen Abstieg bewahrt.

Hindus betrachten Witwen als schlechtes Omen und die Religion ermutigt sie nicht dazu, wieder zu heiraten. Die Tamilen, die zwölf Prozent der insgesamt 20 Millionen Srilanker ausmachen, sind mehrheitlich Hindus. 74‍ ‍Prozent der Bevölkerung sind Singalesen, die vorwiegend den buddhistischen Glauben praktizieren.

Der Bürgerkrieg in Sri Lanka hat nach offiziellen Schätzungen 59.000 Frauen zu Witwen gemacht. Die meisten von ihnen leben in dem von Tamilen bewohnten Norden und Osten des Inselstaates. Da sie befürchten müssen, stigmatisiert zu werden, geben sie sich lieber als alleinstehende Frauen aus. Viele von ihnen sehen sich gezwungen, als Prostituierte ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

"Wir versuchen diese Frauen aus der Prostitution zu holen, doch sie sagen uns, dass sie keine andere Wahl hätten", sagt eine Aktivistin, die aus Angst vor Repressalien auf Anonymität besteht. Ihre Hilfsorganisation versorgt Witwen mit Verhütungsmitteln.

Die Regierung erlaubt nicht allen Nichtregierungsorganisationen (NGOs), im Norden tätig zu werden. Nur Gruppen, die sich für den Wohnungsbau, die Entwicklung der Lebensgrundlagen und den Ausbau der Infrastruktur einsetzen, werden zugelassen. Friedens- und Frauenorganisationen sind weitgehend unerwünscht.

Eine Erfahrung, die auch Saroor machen musste, die Gründerin der 'Northern Mannar Women's Development Federation'. Ihre Organisation war im vergangenen Jahr mit dem vom UN-Entwicklungsprogramm UNDP gestifteten 'N-Peace'-Preis geehrt worden. 'N-Peace' (Engage for Peace, Equality, Access, Community and Empowerment) unterstützt Frauen in Nepal, Indonesien, Sri Lanka und Osttimor beim Wiederaufbau ihrer Gemeinden und bei der Friedenssicherung.


Vergewaltigung junger Mädchen nimmt zu

Wie Saroor berichtet, hat sich der sexuelle Missbrauch von kleinen Mädchen im Norden des Inselstaates zu einem großen Problem entwickelt. Allein in den vergangenen drei Monaten sind 26 Fälle bekannt geworden. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein.

Experten führen die Gefahren für Mädchen vor allem auf die allgemeine Unsicherheit zurück, bedingt durch Ressourcenmangel, das Fehlen verantwortungsbewusster Männern und den Zusammenbruch der Familien. "Seitdem eine Neunjährige vergewaltigt wurde, haben die Frauen Angst, sich von ihren Häusern zu entfernen. Sie wollen ihre Kinder nicht allein lassen", berichtet Saroor. "Doch wie sollen sie ihren Lebensunterhalt verdienen?"

Frauenaktivistin zufolge wären die Frauen dringend auf Ansprechpartner angewiesen. "Sie haben einen dringenden Beratungsbedarf", meint Shanthi Sachithanandam, die Geschäftsführerin des 'Centre for Human Resource Development', das mit weiblichen Kriegsopfern arbeitet.

Die Regierung hat mehrfach Vorwürfe westlicher Staaten und internationaler Menschenrechtsorganisationen zurückgewiesen, nach denen viele Zivilisten in den Monaten vor Kriegsende im Mai 2009 daran gehindert wurden, sich aus der Schusslinie zwischen Regierungstruppen und Kämpfern der 'Tamil Tigers' zu retten. Viele starben bei den Luftangriffen, unabhängige Beobachter wurden nicht zugelassen.

Im März verabschiedete der in Genf ansässige UN-Menschenrechtsrat eine von den USA vorgeschlagene Resolution, die die Umsetzung von Empfehlungen der srilankischen Versöhnungskommission LLRC nahelegte. Die von der Regierung eingesetzte Kommission hat die Aufgabe, Übergriffe auf Zivilisten zwischen 2002 und 2009 im Rahmen des bewaffneten Konfliktes zu untersuchen.


Frauen, die frei sprechen, werden bedroht

Witwen und Mütter, die offen über ihre Erlebnisse sprechen, müssen mit Repressalien rechnen. So wurde eine Frau, die Reportern über Dorfbewohnerinnen berichtete, die sich in Massen der Prostitution zuwandten, kurz darauf mit Drohungen überzogen. "Diese Frauen sind sehr verletzlich", sagt eine Aktivistin. "Wir machen uns Sorgen um sie und wollen ihnen helfen. Doch ohne staatliche Unterstützung können wir nur wenig ausrichten."

"Multilaterale Agenturen sagen, dass Frauen für den Wiederaufbau des Landes sehr wichtig sind. Diese Frauen sind aber durch kleine Kinder ans Haus gefesselt", meint Sachithanandam. "Die Kredite für die Ziegen- oder Hühnerzucht sind futsch, wenn die Tiere verenden - und die Frauen müssen sich mit der Situation arrangieren." Saroor ist überzeugt, dass sie sich spätestens dann gezwungen sehen, der Prostitution zuzuwenden. (Ende/IPS/ck/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2012