Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → SOZIALES

FRAUEN/413: Nepal - Zur Prostitution gezwungen, Minderjährige im Rotlichtmilieu ausgebeutet (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. Juli 2012

Nepal:
Zur Prostitution gezwungen - Minderjährige im Rotlichtmilieu ausgebeutet

Von Naresh Newar



Kathmandu, 10. Juli (IPS) - Von der Öffentlichkeit fast unbemerkt hat die boomende Rotlichtindustrie in Nepal junge Mädchen in Beschlag genommen, die früher in Nachtlokalen in Großstädten des Nachbarstaats Indien eingesetzt wurden. Menschenrechtsaktivisten in dem Himalaja-Staat sind darüber beunruhigt, dass das Parlament in Kathmandu noch keine Gesetze zur Eindämmung der Prostitution Minderjähriger beschlossen hat.

Seit 2007 gelten in Nepal immerhin Gesetze, die den internationalen Menschenhandel von Zuhälter-Ringen mit minderjährigen Nepalesinnen unter Strafe stellen. Die zwielichtigen Geschäfte mit den Mädchen innerhalb des eigenen Landes werden hingegen höchstens als ausbeuterisch kritisiert, jedoch nicht als Zwangsprostitution geahndet.

Nachtlokale in Kathmandu stellen minderjährige Mädchen ein - Bild: © Naresh Newar/IPS

Nachtlokale in Kathmandu stellen minderjährige Mädchen ein
Bild: © Naresh Newar/IPS

"Menschenhandel kommt auch hierzulande vor und nicht nur in Mumbai oder Neu-Delhi", sagte die Bildungsexpertin Helen Sherpa von der Asien-Sektion der unabhängigen Organisation 'World Education', die durch Sensibilisierungsprogramme gegen die Ausbeutung von Kindern ankämpft.

Obwohl es noch keine Untersuchungen der Regierung zum grenzüberschreitenden Menschenhandel gibt, ging die Internationale Arbeitsorganisation ILO bereits in einem 2001 veröffentlichten Bericht davon aus, dass jährlich etwa 12.000 nepalesische Mädchen als Prostituierte nach Indien verkauft würden.


Mit falschen Versprechungen angelockt

Wie Sherpa berichtete, stammen diese jungen Frauen in der Regel aus verarmten Familien. Ihnen würden seriöse Stellen in Hotels versprochen, doch stattdessen müssten sie in Massagesalons, schummrigen Restaurants oder Tanzbars in Kathmandu und anderen Städten arbeiten. An vielen dieser Orte blühe die Prostitution. Auch kleine Straßenrestaurants ('bhatti pasals'), die Alkohol ausschenken, und Restaurants mit Folkloremusik ('dohori') ziehen einschlägige Kundschaft an.

Schätzungsweise 6.000 bis 7.000 Mädchen und Frauen arbeiten in den Rotlicht-Restaurants, 3.000 bis 4.000 in Tanzbars, weitere 900 in den 'dohori' und noch einmal die gleiche Zahl in Massagesalons - zusammen macht das 15.000. Allein in der Hauptstadt Kathmandu sollen sich bis zu 13.000 Mädchen und Frauen in den Fängen der Vergnügungsindustrie befinden, wie die Menschenrechtsstiftung 'Terres des Hommes' in dem 2010 veröffentlichten Handbuch 'Trafficking and Exploitation in the Entertainment and Sex Industries in Nepal' beschreibt.

Viele Aktivisten sehen das Buch als wichtige Informationsquelle für Behörden, die gegen den Menschenhandel vorgehen. Das südasiatische Land mit mehr als 29 Millionen Einwohnern dürfte allerdings noch einen langen Weg vor sich haben, bis es die Empfehlungen annähernd umgesetzt haben wird.

"Gegen den Menschenhandel innerhalb der eigenen Grenzen ist nicht effizient angegangen worden", kritisierte Nandita Baruah, die sich mit dem Thema bei der 'Asia Foundation' in Nepal beschäftigt. "Er wird jedoch immer mehr zu einem großen Problem." Laut Baruah werten die Behörden die Vorfälle als Ausbeutung Minderjähriger im Rotlichtmilieu und nicht als Menschenhandel mit dem Ziel der Prostitution.

Nach Angaben des staatlichen Zentrums für Geschlechtskrankheiten und AIDS sind etwa die Hälfte der rund 32.000 Sexarbeiterinnen in Nepal unter 16 Jahre alt. Menschenrechtsaktivisten nehmen an, dass die Hälfte von ihnen von Menschenhändlern angelockt wurden, während die übrigen diese Arbeit als einzigen Ausweg aus tiefer Armut sahen. Prostituierte, die anonym bleiben wollten, berichteten, dass sie schon mit zwölf bis 14 Jahren nach Kathmandu gebracht wurden.

"Als ich mit 13 in die Stadt kam, rechnete ich mit einem Job in einem Hotel. Ich landete aber auf direktem Weg in einem Massagesalon", sagte Sita Tamang (Name von der Redaktion geändert). Nach einer Woche habe sie erfahren, was es tatsächlich mit der Arbeit auf sich hatte. "Ich war schockiert und weinte anfangs viel, und die anderen Mädchen trösteten mich." Die heute 18-Jährige hat sich seitdem nicht wieder nach Hause zu ihren Eltern getraut, die arme Bauern sind.

Manche Kolleginnen haben sich bereits mit ihren Arbeitsgebern angelegt, um besonders junge Mädchen zu schützen. "Einmal fing ich mit einem Mann sogar an zu raufen, damit er das Mädchen gehen ließ. Sie kam erst frei, nachdem ich gedroht hatte, damit zur Presse zur gehen", sagte die Frau, die mit 14 in dem Gewerbe landete. "Ich rief die Eltern in einem Distrikt 200 Kilometer von Kathmandu entfernt an und bat sie, ihre Tochter wieder mit nach Hause zu nehmen. Ich schrie sie an der Bushaltestelle sogar an, weil ich an meine eigene Vergangenheit erinnert wurde."


Prostituierte rekrutieren Mädchen gegen Prämien

Diese Fälle sind jedoch die Ausnahme. Die meisten Prostituierten, die schon als Kinder ausgebeutet wurden, nutzen die Mädchen ebenfalls aus. Studien von Terre des Hommes belegen, dass die Sex-Arbeiterinnen Prämien bekommen, wenn sie den Zuhältern neue Opfer zuführen. Viele von ihnen dürfen ihre Arbeit nicht aufgeben, bevor sie eine Nachfolgerin gefunden haben. Andere zahlen ihre Schulden ab, indem sie Mädchen in Dörfern rekrutieren.

Wie Aktivisten kritisieren, hat die Regierung bisher lediglich sporadische Razzien durchgeführt. Einschlägige Gesetze seien jedoch nicht in Kraft getreten. Werden Prostituierte festgenommen, wirft man ihnen Störung des öffentlichen Friedens und unsittliches Verhalten vor. Für gewöhnlich kommen sie nach 24 Stunden gegen Zahlung eines Bußgeldes frei und kehren wieder zu ihrer Arbeit zurück.

In den Nachtlokalen verdienen die Mädchen monatlich umgerechnet etwa 100 US-Dollar. Viele ziehen dennoch ein solches Leben dem elenden Dasein auf dem Land vor. Die Betreiber der Etablissements schöpfen den größten Profit für sich ab. Nach Erkenntnissen von Terre des Hommes erwirtschaftet etwa ein Viertel von ihnen monatlich rund 10.000 Dollar. Mindestens die Hälfte der Betreiber nimmt etwa 4.000 Dollar pro Monat ein. Gemessen an den Durchschnittseinkommen in Nepal sind dies beträchtliche Summen. (Ende/IPS/ck/jt/2012)


Links:
http://www.childtrafficking.com/Docs/handbook.pdf
http://asiafoundation.org/country/overview/nepal/
http://www.ncasc.gov.np/
http://www.ipsnews.net/2012/07/growing-entertainment-industry-traps-nepali-girls/

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 10. Juli 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juli 2012