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FRAUEN/492: Afghanistan - Drogensüchtig im Opium-Land, Frauen fliehen vor Armut und Gewalt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. Mai 2013

Afghanistan: Drogensüchtig im Opium-Land - Frauen fliehen vor Armut und Gewalt

von Giuliana Sgrena


Bild: © Anand Gopal/IPS

Mehr als 120.000 Afghaninnen und 60.000 Kinder sind drogensüchtig
Bild: © Anand Gopal/IPS

Kabul, 30. Mai (IPS) - In einer schmalen Straße in einem ruhigen Viertel der afghanischen Hauptstadt Kabul liegt das Frauenbehandlungszentrum 'Sanga Amaj', das einzige dieser Art im ganzen Land. Benannt ist es nach einer 22-jährigen Journalistin, die 2007 ermordet wurde. In der Einrichtung werden ausschließlich weibliche Drogensüchtige betreut, von denen es in Kabul viele gibt.

Aus Respekt vor der Privatsphäre der Patientinnen hält das Zentrum seinen genauen Standort geheim und unterzieht Besucher einer peniblen Untersuchung. Freundliche Bedienstete in weißen Schürzen versorgen die 25 Frauen und eine ähnliche Zahl von Kindern im Alter zwischen fünf und elf Jahren.

Das Zentrum belegt zwei Stockwerke, auf denen sich Schlafsäle mit jeweils zwölf Betten sowie Gemeinschaftsräume befinden. Die angenehme, saubere Umgebung täuscht über den trostlosen Zustand der Frauen hinweg. Die meisten von ihnen erzählen, sie hätten mit Opium und Haschisch begonnen und seien dann mit härteren Drogen wie Heroin in Berührung gekommen. "Damit wollten sie mit finanziellen Schwierigkeiten, Gewalt in der Familie oder psychischen Problemen fertig werden", sagt Storai Darinoor, die Koordinatorin des Zentrums.

"In vielen Fällen wurden die Frauen über ihre Männern süchtig", berichtet sie. "Wenn ein Elternteil abhängig ist, werden es die Kinder meist auch." Frauen und Kinder tendieren demnach dazu, Drogen entweder oral einzunehmen oder zu rauchen. Ein elfjähriges Kind, das in Sanga Amaj betreut wird, hatte sich allerdings Spritzen gesetzt.

Anders als die Betreuerinnen wollen die Bewohnerinnen der Einrichtung nicht mit auswärtigen Gästen sprechen. Wie die Pflegerinnen berichten, räumen viele ihrer Patientinnen ein, Heroin als 'Medizin' gegen die Mühsal des Alltags genommen zu haben. "Kleine Kinder bekommen von ihren Müttern Opium, damit sie ruhig sind. Ältere Kinder beschaffen die Drogen und verabreichen sie sich auch selbst", weiß Storai.


Süchtig nach der Rückkehr

80 Prozent der süchtigen Frauen sind den Drogen erst nach ihrer Rückkehr aus dem Iran und aus Pakistan verfallen, wo sie während der Herrschaft der radikal-islamischen Taliban von 1996 bis 2001 als Flüchtlinge lebten.

Das Sanga-Amaj-Zentrum wird durch das Drogenberatungsprogramm des 'Colombo Plan' finanziert, einer von den USA unterstützten regionalen Initiative, die Strategien zur Eindämmung der Nachfrage nach Rauschgift und von Lieferungen nach Asien koordiniert. Die Mittel reichen allerdings nur für eine Basistherapie.

"Die Behandlung dauert in der Regel 45 Tage", erläutert die Direktorin der Einrichtung, Huma Mansouri. In den ersten zehn Tagen wird der Körper der Patientin entgiftet. "Danach verabreichen wir täglich das halbsynthetische Opiat Buprenorphin. Methadon steht uns nicht zur Verfügung."

Wenn die Entzugserscheinungen zu stark werden und die Frauen schreiend die Köpfe gegen die Wände schlagen, helfen nur noch kurze kalte Duschen. Nach den ersten zehn Tagen folgt dann eine tägliche Vitaminbehandlung. In der restlichen Zeit werden Rehabilitierungsmaßnahmen durchgeführt. Den Frauen wird erklärt, welche schädlichen Wirkungen Drogen haben. Auch Religion spielt in der Therapie eine Rolle, da der Islam den Konsum von Rauschgift strikt verbietet.

In einer dreimonatigen Ausbildungsphase lernen die Frauen dann nähen und eignen sich Computerkenntnisse an. Damit steigen ihre Chancen, nach dem Ende ihres Aufenthalts in dem Zentrum Arbeit zu finden. Zwei Jahre lang bleiben die Mitarbeiterinnen des Zentrums in Kontakt mit den ehemaligen Patientinnen, machen Hausbesuche und bieten Hilfe an.

Nicht alle Frauen wissen, wohin sie nach der Entlassung gehen sollen. Einige sind von ihren Familien wegen ihrer Sucht verstoßen worden oder haben keine Möglichkeit, für sich selbst zu sorgen. Wann immer es möglich ist, können die Frauen als Reinigungskräfte in das Zentrum zurückkehren. "Bis jetzt haben wir mehr als 1.100 Frauen behandelt, von denen nur 145 rückfällig wurden", sagt Storai stolz.

Für die meisten Frauen im Land ist eine solche Hilfe allerdings außer Reichweite. Der Kreislauf der Armut und der Gewalt wird durch die Sucht noch gnadenloser.

Laut einer 2010 veröffentlichten Untersuchung des UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) waren zum Zeitpunkt der letzten Datenerhebung etwa eine Million Afghanen im Alter zwischen 15 und 64 rauschgiftabhängig. Das entsprach drei Prozent der Bevölkerung von 35 Millionen Menschen.


Anbauflächen für Schlafmohn rasant gewachsen

Schätzungsweise 120.000 Drogenabhängige sind Frauen und mehr als 60.000 Kinder. Experten führen diese hohe Zahl unter anderem darauf zurück, dass 40 Prozent der Afghanen arbeitslos sind und sich die Anbauflächen für Schlafmohn enorm vergrößert haben. 2012 wurde der Grundstoff für Opium und Heroin auf etwa 154.000 Hektar Land angepflanzt.

Aus einem in diesem Jahr verbreiteten UNODC-Bericht über Opiumrisiken in Afghanistan geht hervor, dass die Anpflanzung in den Hauptanbaugebieten in den südlichen Regionen Helmand und Kandahar sowie in den nördlichen Provinzen Herat, Faizabad oder Badakhshan sogar noch weiter zunimmt.

Das Land, aus dem 2001 etwa die Hälfte des in Europa konsumierten Heroins kam, liefert inzwischen rund 90 Prozent aller global gehandelten Opiate. Damit ist Afghanistan der weltweit größte Produzent. Schätzungsweise 26 Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden durch den Rauschgifthandel erwirtschaftet, den der UN-Report mit der wirtschaftlichen Unsicherheit und dem Mangel an Hilfen für den Agrarsektor in Verbindung bringt.

Wie Tariq Suliman, der Direktor des Therapiezentrums 'Nejat' in Kabul erklärt, ist die Zahl der Drogenabhängigen nach der US-Invasion und dem Sturz der Taliban 2001 rasant gestiegen. Warlords, die damals aus den Städten an die nördliche Landesgrenze vertrieben wurden, leben seither von der Drogenproduktion. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.unodc.org/documents/crop-monitoring/Afghanistan/ORAS_report_2013_phase12.pdf
http://www.colombo-plan.org/
http://www.ipsnews.net/2013/05/heroin-dulls-hardships-for-afghan-women/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 30. Mai 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juni 2013