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FRAUEN/707: Brautraub in Kirgistan - Studie untersucht Folgen (idw)


Leibniz Universität Hannover - 01.02.2018

Brautraub in Kirgistan: Studie untersucht Folgen

Geburtsgewicht von Babys in Zwangsehen ist deutlich herabgesetzt


Verbotene Hochzeitsbräuche sind in einigen Gesellschaften auch heute noch weit verbreitet - so auch in Kirgistan. Rund 24 Prozent aller Ehen unter Kirgisen sind Zwangsehen. Jedes Jahr werden dort etwa 15.000 Frauen entführt und zur Heirat gezwungen. Das Phänomen des Brautraubs, bei dem eine Frau verschleppt und in das Elternhaus eines Mannes zur zukünftigen Heirat gebracht wird, ist eine fragwürdige kirgisische Praxis, die nach wie vor recht häufig vorkommt. Diese Form der Zwangsehe ist nicht spezifisch für das Land der ehemaligen Sowjetunion; es gibt sie auch in Ländern wie Armenien, Äthiopien, Kasachstan oder Südafrika. Eine Studie von Prof. Dr. Susan Steiner vom Institut für Entwicklungs- und Agrarökonomik der Leibniz Universität Hannover in Zusammenarbeit mit der Duke University (USA) und der usbekischen Westminster University Tashkent hat sich jetzt mit den Folgen dieser Zwangsehen befasst.

Dafür haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen Aspekt untersucht, der einen guten Anhaltspunkt für die psychischen und physischen Folgen der erzwungenen Ehesituation bietet: dem Geburtsgewicht der in Zwangsehen geborenen Kinder. Das Team um Prof. Steiner konnte auf den Datensatz einer von der VolkswagenStiftung mitfinanzierten Langzeiterhebung zurückgreifen. 8000 Erwachsene aus 3000 kirgisischen Haushalten wurden über Jahre hinweg zu Themen wie Bildung, Gesundheit, Lebenszufriedenheit, Fertilität oder Erwerbssituation befragt. "Dadurch hatten wir gute Daten über die Art des Zustandekommens der Ehen und über das Geburtsgewicht und die gesundheitliche Situation der Kinder", erläutert Susan Steiner.

Die Auswertung zeigt ein signifikantes und alarmierendes Ergebnis: In Zwangsehen geborene Kinder sind zwischen 40 und 200 Gramm leichter als Neugeborene aus anderen Ehen. "Das ist ein statistisch bedeutsames Ergebnis und kann am wahrscheinlichsten durch den psychischen Stress erklärt werden, dem die Frauen in Zwangsehen ausgesetzt sind", sagt Prof. Steiner. Ein Zusammenhang zwischen Stress und Geburtsgewicht wurde in Studien bereits mehrfach klar nachgewiesen.

Mit diesem Ergebnis gibt es zum ersten Mal einen nachweisbaren Beleg für die negativen Konsequenzen von Zwangsehen. "Das ist ein wichtiges Ergebnis für alle Organisationen, die sich mit Zwangsehen befassen, und eine gute Grundlage für die Argumentation politischer Entscheidungsträger", erläutert Susan Steiner. Im kirgisischen Parlament wird das Thema immer wieder kontrovers diskutiert. Obwohl die Zwangsehe unter Strafe gestellt ist, wird der Brautraub von vielen Kirgisen immer noch als eine Art Tradition gerechtfertigt oder einfach hingenommen. Die Strafverfolgung scheitert daher in der Praxis oft. Wer wagt eine Anzeige, wenn sogar die Eltern der entführten Braut mit dem Vorgehen einverstanden sind? Wenn Frauen sich durchringen und eine Anzeige stellen, wird diese oft nicht konsequent von der Polizei verfolgt.

"Unsere Ergebnisse können den politischen Strömungen eine Hilfe sein, denen daran gelegen ist, dass das Gesetz effektiv angewendet wird", sagt Wirtschaftsökonomin Steiner. Lokale Nichtregierungsorganisationen und internationale Organisationen im Bereich Frauenrechte hätten bereits signalisiert, dass die Ergebnisse der Anfang einer dringend benötigten Evidenz seien, die besonders in Debatten im Parlament und in der öffentlichen Diskussion vorgebracht werden könnten. "Und wenn sich in der Bevölkerung mehr und mehr durchsetzt, dass eine Zwangsehe messbare Konsequenzen für die Kinder und Enkel hat, besteht Hoffnung auf einen Rückgang des Phänomens", erläutert Steiner. Die Ergebnisse der Studie sind bereits in lokalen Medien veröffentlicht und haben viel Beachtung gefunden. Susan Steiner möchte das Thema weiter verfolgen und in künftigen Studien erforschen, ob der Verlust an Geburtsgewicht langfristig negative Auswirkungen auf die Kinder hat.



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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Leibniz Universität Hannover, Mechtild Freiin v. Münchhausen, 01.02.2018
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E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2018

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