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FRAUEN/854: Karibik - Afrofeministinnen, vereint in Geschichte und Widerstand (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Karibik
Afrofeministinnen, vereint in Geschichte und Widerstand

Von Lirians Gordillo Piña


Seit 1992 wird der 25.7. als Tag der afrokaribischen und afrolateinamerikanischen Frauen gefeiert. Feministinnen fordern Abschaffung von Diskriminierung.

(Havanna, 26.07.2021, Red Semlac) - Die Schwarzen Frauen in Lateinamerika und der Karibik verbindet eine gemeinsame Geschichte der Diskriminierung, des Widerstands und des gesellschaftlichen Engagements. "Mir war nicht bewusst, dass ich Schwarz bin und was Schwarzsein bedeutet, bis ich auf die Schule kam und meine Lehrer*innen und Mitschüler*innen mich als Schwarze bezeichneten - auf eine verachtende, rassistische und diskriminierende Art", erinnert sich Massay Crisanto. Die Honduranerin war eine der Teilnehmerinnen der vom Weltfrauenmarsch (Marcha Mundial de las Mujeres - MMM) in Brasilien organisierten Podiumsdiskussion. Die Veranstaltung stand unter dem Motto: "Schwarze Frauen: Widerstand leisten, um zu leben. Demonstrieren, um zu verändern".


25. Juli, Tag der afrokaribischen und afrolateinamerikanischen Frauen

MMM ist eine globale Bewegung, die feministische Kollektive und Organisationen aus der ganzen Welt vereint. Sie wurde im Jahr 1996 gegründet und bekämpft das Patriarchat, Gewalt gegen Frauen und durch den Kapitalismus verursachte Armut. Die Diskussion fand als Beitrag zum 25. Juli, dem Internationalen Tag der afrolateinamerikanischen und afrokaribischen Frauen und den Frauen der Diaspora statt und wurde in den sozialen Medien übertragen. Seit 1992 wird dieser Tag feierlich begangen, um auf die Realität der Frauen afrikanischer Abstammung und ihre Geschichte aufmerksam zu machen und öffentliche Maßnahmen einzufordern, die die Lebensqualität der Frauen verbessern und helfen, Rassismus und Diskriminierung ein Ende zu setzen.


"Immer wieder sterben schwarze Kinder und Jugendliche durch verirrte Kugeln"

Ein verbindendes Element des virtuellen Zusammenkommens war die gemeinsame Diskriminierungsgeschichte der Teilnehmenden, die sich in der Gewalt gegen ihre Körper, der Enteignung ihrer Territorien, der Ausbeutung ihrer Arbeitskraft und die allgemeine Ignoranz gegenüber ihren im Laufe der Geschichte geleisteten Beiträgen ausdrückt. "Dazu kommen die massenhafte Inhaftierung der Schwarzen Männer, die Auslöschung der Schwarzen Jugend und die extreme Sexualisierung der Schwarzen Frauen, die auch heute noch praktiziert werden. Verirrte und versehentlich abgefeuerte Kugeln treffen immer wieder dasselbe Ziel: die Körper unserer Kinder", so Juliana Mittelbach aus Brasilien, Koordinatorin des Netzwerks Schwarzer Frauen im Bundesstatt Paraná und Mitglied in der MMM. Die hauptberufliche Krankenschwester kam in ihrem Podiumsbeitrag auf die komplexe Verbindung zwischen Kolonialismus, Rassismus, Kapitalismus und Patriarchat zu sprechen.

"Der Kapitalismus ist ein unterdrückerisches System, das an den bestehenden Ungleichheiten festhält und auf Ausbeutung, Abwertung, Akzeptanz und der Naturalisierung der Geschichte der Sklaverei beruht. Deshalb wird der schwarzen Bevölkerung die Wertschätzung vorenthalten, deshalb gelten sie auf dem Arbeitsmarkt als zweite Wahl, und deshalb werden ihnen stets die unbeliebtesten Jobs zugewiesen." Ausgehend von dieser Erkenntnis setzt die MMM auf einen intersektionalen Kampf gegen alle Formen der Unterdrückung. "Wir können es uns nicht leisten, einen von diesen Kämpfen aufzugeben", findet auch Mariana Lacerda von der MMM in Brasilien. "Wir müssen in den Alltag eingreifen, indem wir den Rassismus bekämpfen. Um ein Leben in Würde für alle Menschen unabhängig von ihrer Abstammung garantieren zu können, muss der Staat entsprechende Maßnahmen ergreifen. Wir müssen ein antipatriarchales, antirassistisches und antikapitalistisches Staatsmodell entwerfen. Darin liegt die große Herausforderung: in all diesen Bereichen tätig zu sein, das Überleben zu sichern und gleichzeitig für ein neues gesellschaftliches Projekt zu kämpfen", so Mittelbach abschließend.


Kuba, zwischen Tradition und Umbruch

Im Namen der Föderation der kubanischen Frauen (Federación de Mujeres Cubanas - FMC) berichtete die Philosophin Analoy Lafargue über Fortschritte und Herausforderungen der Frauen afrikanischer Abstammung in Kuba. Sie würdigte die seit 1961 für die Gleichstellung und die Emanzipation der Kubanerinnen kämpfende Frauenorganisation, wies aber gleichzeitig auf Leerstellen hin und benannte Herausforderungen, denen sich Frauen afrikanischer Abstammung in dem karibischen Land stellen müssen.

Die staatliche Gleichbehandlungspolitik habe auch den afrokubanischen Frauen Vorteile gebracht. Einschlägige Untersuchungen hätten jedoch klar gezeigt, dass insbesondere Schwarze Frauen von Armut in Kuba betroffen seien; alleinerziehende Mütter, die die Rolle des Haushaltsvorstands übernehmen, sind mehrheitlich Schwarz. Auf dem informellen Arbeitsmarkt stellen Schwarze Frauen die größte Gruppe, und auch von Problemen wie Teenager-Schwangerschaften sind überwiegend Schwarze Frauen betroffen. Insofern sei die afrofeministische Organisierung ein wichtiger Schritt, so Lafargue. Die Karibikstudien-Absolventin forderte dazu auf, die Vielfalt der Erfahrungen und der Realitäten der kubanischen Frauen für zielgerichtete und effektive Aktionen zu nutzen.

Lafargue betonte die Notwendigkeit, die Geschichte des Kampfes der Schwarzen Frauen im 19. und 20. Jahrhundert bekannter zu machen und schlug vor, Reflexionsräume zu schaffen, um die Bewusstseinsbildung im Hinblick auf ethnische und geschlechtliche Unterschiede zu stärken und gesellschaftlichen Unterschieden mit Empathie und verantwortungsvollem sozialem Engagement zu begegnen. Eine große Herausforderung sei zurzeit, "die dringendsten Bedürfnisse der Frauen afrikanischer Abstammung aktiv zu Gehör zu bringen, und das mit einer eigenen, am antirassistischen Kampf ausgerichteten Agenda".


"Die institutionelle Sicht, dass alle Frauen gleich sind, müssen wir aufgeben."

In Kuba gibt es ein Nationales Programm gegen den Rassismus und jede Diskriminierung und ein staatliches Programm zur Frauen-Förderung, zwei fundamentale Regierungsinstrumente im intersektionellen Kampf gegen Ungleichheiten, findet Lafargue. "Es stimmt, wir sind gleich vor dem Gesetz, aber nicht vor dem Leben. [...] Als Frauen afrikanischer Abstammung werden wir uns den dringenden strukturellen, systemischen, systematischen und den historischen Herausforderungen stellen, die unser Leben so komplex machen - mit Unterstützung der engagierten und verantwortungsvollen Arbeit der landesweit arbeitenden Instrumente zur Bekämpfung vom Rassismus, Diskriminierungen und allen Formen der Gewalt und der kubanischen Regierung", so die Aktivistin.



Übersetzung: Paulina Cwiartka


URL des Artikels:
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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 24. August 2021

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