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GENDER/059: Lebensrealitäten von afrikanischen LGBTQI+ in Diaspora und auf dem Kontinent (frauen*solidarität)


frauen*solidarität - Nr. 144, 2/18

Unmögliche Räume bewohnen
Lebensrealitäten von afrikanischen LGBTQI+ in Diaspora und auf dem Kontinent

von Afro Rainbow Austria


Afro Rainbow Austria (ARA) ist die erste Organisation von und für LGBTQI+Migrant*innen aus afrikanischen Ländern in Österreich und hat zusätzlich auch ein Team in Nigeria (ARA Outreach Nigeria), das sich speziell den Bedürfnissen von LBTI+Frauen* widmet. Sichere Räume zu schaffen ist eine Notwendigkeit, die ARA sowohl in Nigeria als auch in Österreich festgestellt hat.


"Dann streicht ihnen doch gleich die ganze Entwicklungshilfe." - "Können diese Leute überhaupt rational denken?" Liest man online von homophoben Übergriffen oder Kriminalisierung von LGBTQI+Personen (kurz: LGBTQI+) in afrikanischen Ländern oder von Seiten der afrikanischen Diaspora, tauchen schnell solche Leser*innenkommentare auf. Die Haltung, die dahintersteckt, spiegelt sich im Selbstverständnis weiter Teile des globalen Nordens wider.

Dabei arbeiten konservative Regierungen in Europa und den USA ständig daran, der LGBTQI+Community ihre hart erkämpften Rechte wieder abzuerkennen, und rechtsradikale Gruppierungen verüben regelmäßig hasserfüllte Übergriffe auf LGBTQI+. Wie kommt es also, dass sich viele europäische Länder, die USA oder Kanada so erfolgreich als Musterbeispiele für Weltoffenheit und Toleranz verkaufen können?


Postkoloniale (Gegen-)Erzählungen

Als weltoffen und tolerant kann man sich am besten in Abgrenzung von anderen inszenieren. Die westliche Empörung über Homophobie in afrikanischen Ländern stützt sich vor allem auf postkoloniale Narrative. Afrikanische Staaten werden für die Kriminalisierung von LGBTQI+ von den Ländern des globalen Nordens in der internationalen Gemeinschaft gemaßregelt wie ungehorsame Kinder. Es wird das Bild von rückständigen, archaischen afrikanischen Gesellschaften gezeichnet.

Dabei verschließen die westlichen Länder die Augen vor der Tatsache, dass Homophobie und Kriminalisierung von gleichgeschlechtlichen Lebensweisen in Afrika vor der Kolonialherrschaft keineswegs die Norm waren und erst mit der Kolonialisierung im großen Stil importiert wurden. Homophobie wird auch heute noch, wie vor allem aus Uganda bekannt, von ultrareligiösen Gruppierungen wie den "Abiding Truth Ministries" aus den USA in regelrechten Hasspredigten geschürt.

Ignoriert wird auch die Tatsache, dass auf dem afrikanischen Kontinent Millionen LGBTQI+ in aktiven Communities leben, die ihre Rechte mit zunehmendem Selbstbewusstsein einfordern - ganz ohne das Zutun ehemaliger Kolonialmächte.

Gleichzeitig finden in den Ländern des globalen Nordens nur Nachrichten Aufmerksamkeit, die von neuen Übergriffen auf LGBTQI+ handeln und so dem Aufbau der eigenen Identität als moderne und aufgeklärte Nationen dienen. Damit wird im Gegenzug in vielen afrikanischen Staaten eine Art Abwehrreflex befeuert, der in dem Versuch, eine positive, eigenständige nationale Identität herzustellen und die eigene Geschichte selbst zu erzählen, Homosexualität als unafrikanisch konzipiert - obwohl viele traditionelle afrikanische Kulturen vor der Kolonialzeit Homosexualität gegenüber offen und tolerant eingestellt waren. Und doch verbreitet sich der Mythos, dass Homosexualität von weißen Kolonialherren eingeschleppt worden wäre.

Aus unserer Sicht, und wie auch zahlreiche Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit zeigen, ist es deshalb auch mehr als kontraproduktiv, Ländern, in denen Homosexualität kriminalisiert wird, mit der Streichung der Entwicklungshilfe zu drohen. Zwar wird möglicherweise ein flüchtiges Einlenken bei einer besonders harten neuen Gesetzgebung erreicht, aber der Gesamteffekt auf die Bevölkerung ist toxisch. In Uganda wird die Wiedereinführung der lebenslangen Haftstrafe, die durch internationalen Druck gekippt wurde, aktuell wieder diskutiert. Im schlimmsten Fall wird der herrschende Diskurs von Homosexualität als unafrikanisch langfristig im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert.


LGBTQI+Initiativen fördern!

Sinnvoller wäre es, mit Geld aus der Entwicklungshilfe die zahlreichen LGBTQI+Initiativen zu fördern, die vor Ort wichtige Arbeit für die Sicherheit der Communities und für mehr Akzeptanz in der Mehrheitsgesellschaft leisten. Dabei wäre das Augenmerk vor allem auf Organisationen mit Fokus auf LBTI+Frauen* zu legen, da es für Männer, die Sex mit Männern haben, bereits einige Angebote gibt. Da LGBTQI+Organisationen in vielen Ländern (z. B. in Nigeria) verboten sind, haben sich viele Organisationen etabliert, die offiziell Aids- und HIV-Beratung und informell auch Unterstützung für Männer, die Sex mit Männern haben, anbieten.

Die Situation von vielen lesbischen Frauen ist aber sehr prekär, da sie, wenn sie sich outen oder unfreiwillig geoutet werden, oft von ihren Eltern, Arbeitgeber*innen, Hausbesitzer*innen und Ausbildungsstätten vor die Tür gesetzt werden und damit wohnungslos sind. Aus diesem Grund ist auch die Bildungs- und Ausbildungssituation von LBTI+Frauen* oft sehr schlecht. Afro Rainbow Austria Outreach Nigeria nimmt konkret das Obdachlosigkeitsproblem in Angriff und bietet Notschlafstellen für vorübergehend wohnungslose LBTI+Frauen* an.


Rassismus bekämpfen!

Obwohl sich in Nigeria mit den jungen Generationen langsam etwas verändert, ist das Klima in der Mehrheitsgesellschaft nach wie vor sehr feindselig, und viele LGBTQI+ sehen über kurz oder lang keine andere Möglichkeit, als eine heterosexuelle Ehe einzugehen. Das Resultat ist, dass viele LGBTQI+ aus afrikanischen Ländern nach Europa oder die USA oder Kanada migrieren, wo sie aber erst recht wieder von der dort bereits existierenden afrikanischen Community diskriminiert werden.

Hinzu kommt der mitunter auch stark ausgeprägte Rassismus der weißen LGBTQI+Community vor Ort. Auch in Österreich haben sie mit demselben Problem zu kämpfen. So ist es ein unerträglicher Zustand für die afrikanische LGBTQI+Community, wenn - wie kürzlich von einem bekannten Wiener Szene-Club publik geworden - Asylsuchende pauschal nicht eingelassen werden.


Eigene Räume schaffen!

Das bedeutet, dass je nachdem in welchem Rahmen sich afrikanische LGBTQI+ gerade bewegen, sie einmal diesen und einmal den anderen Teil ihrer Identität verschleiern oder zumindest kaschieren müssen. Diesen widersprüchlichen Raum zu bewohnen erfordert sehr viel Kraft und geht oft zulasten der psychischen und physischen Gesundheit der Betroffenen. Umso wichtiger ist es, dass es Orte gibt, an denen sie ganz sie selbst sein können - als Afrikaner*innen und als LGBTQI+ - und wo es ihnen sozusagen möglich ist, alle Aspekte in eine Identität zu integrieren.

Diesen Raum und diese Community zu schaffen ist deswegen das zentrale Herzstück aller politischen Aktivität von Afro Rainbow Austria - der ersten Organisation von und für LGBTQI+Afrikaner*innen in Österreich. Dazu kommen natürlich noch eine ganze Reihe anderer Aktivitäten, wie Beratung und Rechtshilfe für die Asylsuchenden unter den Mitgliedern. Insgesamt ist es wichtig, dass afrikanische LGBTQI+ sichtbarer und selbstbewusster Teil der LGBTQI+Community in Österreich sind - um Vorurteile abzubauen oder gar nicht erst entstehen zu lassen. Genauso wichtig ist es, dass sich für in Diaspora lebende Afrikaner*innen mit homophoben Überzeugungen auch die Chance auftut, neue Denkweisen in Betracht zu ziehen - ohne postkoloniale Bevormundungsversuche.


Webtipps:
afrorainbow.at/
afrorainbow.at/outreach/

Lesetipp:
Epprecht, Marc, Sexuality and Social Justice in Africa - rethinking homophobia and forging resistance, African Arguments, London/New York, 2013

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Quelle:
Frauen*solidarität Nr. 144, 2/2018, S. 14-15
Text: © 2018 by Frauensolidarität / Afro Rainbow Austria
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - feministisch-entwicklungspolitische
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. September 2018

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